Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung einer vorzeitigen Altersrente

 

Leitsatz (amtlich)

  • Nach § 6 BetrAVG kann der Arbeitnehmer unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen eine betriebliche Altersrente vorzeitig, vor Vollendung des 65. Lebensjahres, in Anspruch nehmen.
  • Das BetrAVG enthält zur Berechnung dieser vorzeitigen Altersrente keine zwingenden Bestimmungen. Deshalb kommt es in erster Linie auf die Regelung in der Versorgungsordnung an.
  • Eine Versorgungsregelung, die für die Berechnung der vorzeitigen Altersrente auf die tatsächlich im Zeitpunkt des Ausscheidens erdiente Rente abstellt und auf versicherungsmathematische Abschläge und auf eine zeitratierliche Kürzung verzichtet, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
  • Nur wenn die Versorgungsregelung nicht näher bestimmt, wie die vorzeitige Altersrente im Sinne von § 6 BetrAVG zu berechnen ist, müssen die Auslegungsregeln, die der Senat für diese Fälle entwickelt hat (vgl. zuletzt Urteil vom 28. März 1995 – 3 AZR 900/94 – AP Nr. 21 zu § 6 BetrAVG), herangezogen werden.
 

Normenkette

BetrAVG §§ 6, 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 17.11.1995; Aktenzeichen 9 Sa 1011/95)

ArbG Mönchengladbach (Urteil vom 10.05.1995; Aktenzeichen 5 Ca 312/95)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung der von der Beklagten an den Kläger zu zahlenden vorgezogenen Betriebsrente.

Der im August 1931 geborene Kläger war vom 13. Januar 1969 bis zum 31. März 1989 bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte sagte dem Kläger eine Versorgung nach Maßgabe ihrer Richtlinien in der Fassung vom 1. Juli 1979 zu. Nach diesen Richtlinien kann der Kläger Altersruhegeld beanspruchen. Die Voraussetzungen für den Bezug dieser Betriebsrente sind in Abschnitt 4 der Richtlinien geregelt. Sie lauten:

“4. Eintritt des Leistungsfalles

1) Der Leistungsfall für das Altersruhegeld tritt nach Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen (Abschnitt 2) nach Ablauf des Monats ein, in dem nach Erreichen der Altersgrenze das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird. Als normale Altersgrenze gilt das 65. Lebensjahr. Ein Versorgungsberechtigter kann ein vorgezogenes Altersruhegeld bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres beantragen, sofern er das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Vollendung des 65. Lebensjahres gemäß § 1248 RVO in Anspruch nimmt und die Leistungsvoraussetzungen (Abschnitt 2) erfüllt sind. Fällt das vorzeitige Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung wieder weg, so werden auch die Leistungen der Kasse solange eingestellt bis die Voraussetzungen für das Altersruhegeld erneut erfüllt sind.

2) Für die Invalidenrente …

3) Für die Witwenrente …

4) Waisenrenten …”

Die Höhe der Leistungen ist im folgenden Abschnitt geregelt:

“5. Höhe der Leistungen

1) Für einen Versorgungsberechtigten, der bei Eintritt des Leistungsfalles (Abschnitt 4) im Dienste der I… H… gestanden hat, beträgt das monatliche Altersruhegeld bzw. die monatliche Invalidenrente für jedes anrechnungsfähige Dienstjahr (Abschnitt 6)

bis zu 24 anrechnungsfähigen Dienstjahren je 4,60 DM

bei 25 bis 39 anrechnungsfähigen Dienstjahren je 5,60 DM

bei 40 und mehr anrechnungsfähigen Dienstjahren je 6,60 DM

Die übrigen I… H…-Renten werden um 5 % erhöht.

2) Die Witwenrente …

3) Die Waisenrente …

4) Die Witwen- und Waisenrente …”

Im Abschnitt 8 der Versorgungsordnung werden die Voraussetzungen für den Eintritt einer Unverfallbarkeit und die Berechnung der Anwartschaft beschrieben. Die Bestimmungen entsprechen der gesetzlichen Regelung (§ 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 BetrAVG).

Der Kläger bezog nach Vollendung des 60. Lebensjahres ab 1. September 1991 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Er verlangt von der Beklagten eine Betriebsrente. Die Beklagte errechnete eine Rente von monatlich 75,60 DM. Damit ist der Kläger nicht einverstanden. Er verlangt 92,00 DM monatlich. Der Kläger hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 1. September 1991 bis zum 28. Februar 1995 (42 Monate) weitere 688,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem geschuldeten Nettobetrag seit dem 1. August 1994 zu zahlen;
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. März 1995 vorbehaltlich künftiger Rentenanpassungen monatlich 92,00 DM brutto als Betriebsrente zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger kann nach der Versorgungsordnung (Abschnitt 8) nur eine Teilrente verlangen. Er ist vor Eintritt eines Versorgungsfalles (in der Sprache der Richtlinien: vor Eintritt des Leistungsfalles) aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Maßgebend für die Berechnung der Teilrente ist der Unverfallbarkeitsfaktor und die Rente, die ein betriebstreuer Arbeitnehmer bei einem Ausscheiden mit Vollendung des 60. Lebensjahres erhalten hätte. Diesen Rentenbetrag hat das Landesarbeitsgericht nicht zutreffend ermittelt.

  • Der Kläger kann Ansprüche nur nach Abschnitt 8 der Richtlinien geltend machen. Er ist vor Eintritt des Leistungsfalles aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Seine Anwartschaft blieb entsprechend den Richtlinien erhalten. Die Richtlinien entsprechen insoweit § 1 Abs. 1 BetrAVG.

    Danach kann der Kläger von der Beklagten nur eine nach Abschnitt 8 Abs. 2 berechnete Teilrente fordern. Zu ermitteln ist deshalb die Rente, die dem Kläger ab 1. September 1991 (Vollendung des 60. Lebensjahres) ohne das vorherige Ausscheiden zugestanden hätte (Vollrente). Diese Rente wird anteilig im Verhältnis der tatsächlichen Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zur möglichen Dauer der Betriebszugehörigkeit gekürzt (Teilrente).

  • Wäre der Kläger am 1. September 1991 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, hätte ihm die Beklagte eine Altersrente von 105,80 DM zahlen müssen.

    • Nach Abschnitt 5 Abs. 1 der Richtlinien hängt die Höhe des monatlichen Altersruhegeldes von der Zahl der anrechnungsfähigen Dienstjahre ab. Anrechnungsfähige Dienstjahre sind die Zeit, in der der Arbeitnehmer bis zum Eintritt eines Leistungsfalles in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hat. Sechs und mehr Monate werden als ein weiteres volles Jahr gezählt (Abschnitt 6 Abs. 4 der Richtlinien).

      Danach kommt es für die Berechnung der Dienstjahre auf den “Eintritt des Leistungsfalles (Abschnitt 4) ” an. Wann der Leistungsfall eingetreten ist, wird in Abschnitt 4 der Richtlinien geregelt. Abs. 1 dieser Bestimmung betrifft den Eintritt des Leistungsfalles bei Erreichen der Altersgrenze. Der Leistungsfall für das Altersruhegeld wird mit dem Erreichen der Altersgrenze erreicht (Satz 1). Die Sätze 2 und 3 beschreiben im Anschluß daran die beiden Fälle, in denen ein Altersruhegeld zu zahlen ist. Als normale Altersgrenze gilt das 65. Lebensjahr. Daneben wird auch der Leistungsfall des vorgezogenen Altersruhegeldes beschrieben (Abschnitt 4 Abs. 1 Satz 3 der Richtlinien). Jeder dieser beiden Leistungsfälle ist in Abschnitt 5 Abs. 1 der Richtlinien in Bezug genommen worden.

      Danach hätte der Kläger, wäre er mit dem 31. August 1991 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, 23 anrechnungsfähige Dienstjahre erreicht. Bei 23 anrechnungsfähigen Dienstjahren hat er Anspruch auf je 4,60 DM für jedes dieser Dienstjahre. Das ergibt den Betrag von 105,80 DM.

    • Das Landesarbeitsgericht hat die Rente, die einem Arbeitnehmer zustünde, der aus dem Arbeitsverhältnis am 31. August 1991 mit Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeschieden wäre und ab 1. September 1991 die vorgezogene Betriebsrente fordern kann, anders berechnet. Es geht davon aus, daß Abschnitt 4 der Versorgungsregelung nicht näher bestimme, wie die Betriebsrente in diesem Falle der vorzeitigen Inanspruchnahme zu berechnen ist (zu II 2a der Gründe). Das Landesarbeitsgericht verweist insoweit auf die Urteile des Senats vom 13. März 1990 (– 3 AZR 338/89 – AP Nr. 17 zu § 6 BetrAVG = Heither, ES-BetrAVG 7200/3) und vom 28. März 1995 (– 3 AZR 900/94 – AP Nr. 21 zu § 6 BetrAVG = Heither, ES-BetrAVG 7200/7).

      Die Auslegungsregel, auf die das Landesarbeitsgericht hinweist, ist aber nur für die Fälle anzuwenden, in denen der Versorgungsvertrag keine Regelungen zur Berechnung der vorzeitig in Anspruch genommenen Betriebsrente enthält. Nur in diesen Fällen muß die mit Vollendung des 65. Lebensjahres zu erwartende Rente zeitratierlich gekürzt werden. Hier enthält der Versorgungsvertrag Regelungen zur Berechnung des vorzeitig in Anspruch genommenen betrieblichen Altersruhegeldes. Deshalb kommt es auf diesen Rechenschritt nicht an. Darauf hat die Beklagte zu Recht hingewiesen.

  • Die Regelung der Richtlinien verstößt nicht gegen zwingende Bestimmungen des BetrAVG.

    • Das Landesarbeitsgericht vergleicht die Anwartschaft eines Arbeitnehmers, der im Alter von 60 Jahren ohne Eintritt eines Leistungsfalles (Versorgungsfalles) aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden wäre, mit der Rente, die ein Arbeitnehmer mit dem “Alter 60” in Anspruch nehmen kann. Im ersten Falle bliebe dem ausscheidenden Arbeitnehmer bei zeitratierlicher Berechnung nach § 2 Abs. 1 BetrAVG eine Anwartschaft von 128,80 DM monatlich. Diesen Betrag hätte der ausscheidende Arbeitnehmer allerdings erst nach Vollendung des 65. Lebensjahres beanspruchen können. Die Rente, die der Kläger bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres beanspruchen kann, ist mit dieser Rente nicht zu vergleichen. Die Rente des Klägers ist u.a. auch deshalb niedriger, weil er sie schon fünf Jahre früher fordern kann. Beide Werte sind deshalb nicht miteinander zu vergleichen.
    • Eine Versorgungsregelung, die für die Berechnung der vorzeitigen Altersrente auf die tatsächlich im Zeitpunkt des Ausscheidens erdiente Rente abstellt und auf versicherungsmathematische Abschläge ebenso verzichtet wie auf eine zeitratierliche Kürzung, ist auch nicht unbillig. Sie hält einer verfassungsrechtlich gebotenen Inhaltskontrolle stand (vgl. BVerfG Beschluß vom 7. Februar 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 = AP Nr. 65 zu Art. 12 GG; BGHZ 104, 50, 53; Dieterich, RdA 1995, 129, 134). Der Kläger erhält das, was er durch Arbeitsleistung tatsächlich verdient hat. Die unterschiedlichen Werte für die fiktive Rente im Alter 60 beruhen auf einer überproportionalen Bewertung einer längeren Betriebszugehörigkeit. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Dauer der Betriebszugehörigkeit einheitlich zu bewerten. Sie darf eine längere Betriebszugehörigkeit durch einen höheren Bewertungsfaktor begünstigen.
    • Danach bleibt es bei dem von der Beklagten errechneten Betrag von 105,80 DM.
  • Dieser Betrag ist um den Unverfallbarkeitsfaktor zu kürzen. Der Kläger kann nicht die Rente verlangen, die ein bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres im Betrieb verbliebener Arbeitnehmer verlangen kann. Er hat nur Anspruch auf eine Teilrente. Die Teilrente ergibt sich, wenn die Vollrente um den sog. Unverfallbarkeitsfaktor gekürzt wird.

    Der Unverfallbarkeitsfaktor beträgt hier 20/28. Die Parteien haben übereinstimmend nach Jahren gerechnet. Dies kann der Senat hinnehmen, obwohl im Regelfall nach Monaten gerechnet wird. 20/28 von 105,80 DM ergeben 75,57 DM, aufgerundet 75,60 DM. Mehr braucht die Beklagte nicht zu bezahlen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Weinmann, H. Frehse

 

Fundstellen

Haufe-Index 893892

DB 1998, 319

FA 1998, 60

NZA 1998, 543

RdA 1998, 61

ZIP 1998, 301

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