Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. stationäre Pflege. Tod des Leistungsberechtigten. Einrichtungsträger als Rechtsnachfolger. Vermögenseinsatz. Einsatzgemeinschaft. nicht getrennt lebender Ehegatte. Verweigerung der Vermögensverwertung. Leistungserbringung gegen Aufwendungsersatz
Leitsatz (amtlich)
1. Verweigert der Partner einer Einstandsgemeinschaft den Einsatz seines Vermögens zugunsten des Hilfebedürftigen, hat der Sozialhilfeträger eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen über die Gewährung von Sozialhilfe gegen Ersatz seiner Aufwendungen (sog erweiterte bzw unechte Sozialhilfe) zu treffen.
2. Die Sonderrechtsnachfolge bei Leistungen in Einrichtungen und bei Pflegegeld nach dem Tod des Leistungsberechtigten erfasst Ansprüche auf erweiterte bzw unechte Sozialhilfe.
Normenkette
SGB XII § 61 Abs. 1 S. 1 Fassung: 2003-12-27, Abs. 2 S. 1 Fassung: 2003-12-27, § 19 Abs. 3, 5 S. 1, Abs. 6, § 90 Abs. 1; BSHG § 11 Abs. 2 S. 1, § 29 S. 1; SGB I § 39 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juni 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit ist ein Anspruch der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der G (G) auf Zahlung der Kosten für deren stationäre Pflege vom 2.10.2014 bis zum 18.9.2015.
Die Klägerin betreibt in Heilbronn eine Pflegeeinrichtung und erbrachte G (im Anschluss an eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus) ab dem 2.10.2014 bis zu ihrem Tod am 18.9.2015 auf Grundlage eines Wohn- und Betreuungsvertrags (vom 2.10.2014) Pflegeleistungen. G erhielt Pflegeleistungen aus der sozialen Pflegeversicherung; über weiteres Einkommen und Vermögen verfügte sie nicht. Ihr Ehemann, mit dem sie vor ihrer stationären Aufnahme eine Mietwohnung in K bewohnt hatte, bezog eine deutsche Alters- und Betriebsrente (in Höhe von 471,32 Euro und 134,37 Euro monatlich) sowie eine türkische Rente (in Höhe von 138,17 Türkische Lira ≪TL≫ monatlich) und war Eigentümer einer Wohnung in der Türkei, deren Verkehrswert zum 1.1.2014 rund 30 000 Euro betrug. Er teilte der Beklagten seit dem 6.1.2015 wiederholt mit, dass er diese Wohnung zuletzt ausschließlich allein über mehrere Monate im Jahr genutzt habe und sie geschütztes Vermögen sei. Die Mietwohnung hatte der Ehemann nach der stationären Aufnahme der G noch bis Ende 2015 inne.
Die Beklagte lehnte den Antrag der anwaltlich vertretenen G auf Leistungen der Sozialhilfe zur vollstationären Unterbringung ab, weil die Wohnung des Ehemanns verwertbares Vermögen sei (Bescheid vom 21.9.2015). Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, nachdem sie der Beklagten den Tod der G und ihren Eintritt in das Verfahren angezeigt hatte. Die Beklagte wies den Widerspruch als unzulässig zurück, weil der Ablehnungsbescheid mangels Bekanntgabe an G nicht wirksam geworden sei (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2015), und lehnte auf die Klägerin übergegangene Ansprüche sodann ab (Bescheid vom 26.10.2015; Widerspruchsbescheid vom 16.11.2015).
Das Sozialgericht (SG) Heilbronn hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 2.10.2014 bis 18.9.2015 insgesamt 18 822,77 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2015 zu zahlen (Urteil vom 15.3.2016). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückgewiesen (Beschluss vom 27.6.2016). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Anspruch der G auf Hilfe zur Pflege sei unverändert auf die Klägerin übergegangen. Deren ungedeckter Bedarf betrage nach den von der Beklagten nicht in Frage gestellten Berechnungen der Klägerin 18 822,77 Euro. Ob die Eigentumswohnung des Ehemanns als Vermögen einzusetzen und verwertbar gewesen sei, könne offen bleiben, da er zu deren Verwertung nicht bereit gewesen sei. Damit habe sie nicht zur Bedarfsdeckung zur Verfügung gestanden. Die Rechtsnachfolge stelle das Erfordernis bereiter Mittel nicht in Frage. Prozesszinsen seien ab Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 19 Abs 6 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Der Grundsatz der bereiten Mittel sei eine personenbezogene Voraussetzung für Ansprüche von Hilfebedürftigen, um existenzielle Notlagen tatsächlich zu beseitigen ("Tatsächlichkeitsprinzip"), der bei einer Rechtsnachfolge nicht anzuwenden sei, da keine Notlage mehr bestehe. Dies sei mit dem Ziel des Gesetzgebers, Hilfe durch Dritte zu fördern und den Leistungserbringer bei Tod des Hilfebedürftigen nicht leer ausgehen zu lassen, vereinbar, da § 19 Abs 6 SGB XII nur eingeschränkt werde und juristische Personen nicht des Schutzes der Existenzsicherung bedürften. Ausnahmen und Einschränkungen bei Anspruchsübergängen seien weder § 19 Abs 6 SGB XII noch der Rechtsordnung im Übrigen fremd.
Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. Juni 2016 und das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 15. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2015 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte Zahlungen an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der G nach § 19 Abs 6 SGB XII abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG; vgl BSG vom 5.7.2018 - B 8 SO 30/16 R - SozR 4-3500 § 9 Nr 1 RdNr 11, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Die Klage ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere steht ihr die Bestandskraft des Bescheids vom 21.9.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2015 nicht entgegen (vgl § 77 SGG). Zwar war die Ablehnung vom 21.9.2015 den Rechtsnachfolgern der G gegenüber wirksam durch Übermittlung an den Bevollmächtigten bekanntgeben worden (§ 39 Abs 1 Satz 1, § 37 Abs 1 Satz 2 iVm § 13 Abs 2 Halbsatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ≪SGB X≫); denn eine Unterbrechung des Verwaltungsverfahrens durch den Tod von G war wegen ihrer anwaltlichen Vertretung analog § 246 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht eingetreten (vgl nur BSG vom 13.7.2010 - B 8 SO 11/09 R - Juris RdNr 12 f). Die Klägerin hätte ihre Ansprüche als Sonderrechtsnachfolgerin damit - entgegen der Auffassung der Beklagten - zulässigerweise bereits zu diesem Zeitpunkt weiterverfolgen können. Allerdings hat die Beklagte der Klägerin im Widerspruchsbescheid zugesagt, von Amts wegen über (nunmehr übergegangene) Ansprüche in der Sache zu entscheiden, weil das Verwaltungsverfahren aus ihrer Sicht noch nicht beendet war. Da es sich insoweit jedenfalls nicht um eine nur wiederholende Verfügung handelt, eröffnet dies eine erneute Widerspruchs- und Klagemöglichkeit unabhängig davon, ob es sich bei dem sodann ergangenen Bescheid (vom 26.10.2015) um einen Bescheid gemäß § 44 SGB X oder um einen sog Zweitbescheid (vgl etwa BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr 21 mwN; kritisch Steinwedel in Kasseler Komm, § 44 SGB X RdNr 18, Stand Juni 2018; zum Ganzen auch Giesbert in jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 77 RdNr 71 ff) handelt.
Die Beklagte ist als örtlicher Sozialhilfeträger (§ 3 Abs 2 SGB XII iVm § 1 Abs 1 des Baden-Württembergischen Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - AGSGB XII vom 1.7.2004, GBl 469, 534, und § 131 Abs 1 Gemeindeordnung für Baden-Württemberg - Gemeindeordnung ≪GemO≫ vom 24.7.2000, GBl 581, bereinigt 698) sachlich zuständig (§ 97 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 SGB XII iVm § 2 AGSGB XII). Ihre örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 98 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 iVm § 13 Abs 2 SGB XII, weil G ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - ≪SGB I≫) vor Aufnahme in die erste stationäre Einrichtung im Stadtkreis der Beklagten hatte.
Im Ausgangspunkt zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die für die stationäre Pflege der G aufgebrachten Kosten von der Beklagten an die Klägerin zu zahlen sind. Mangels ausreichender Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) wegen der Einzelheiten der zwischen G und der Klägerin getroffenen vertraglichen Regelung über die Heimvergütung und der zwischen den Beteiligten geltenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen kann der Senat allerdings die Höhe der geschuldeten Vergütung nicht überprüfen und damit auch nicht über die Höhe der ungedeckten Heimkosten entscheiden, die den sozialhilferechtlichen Anspruch auf Hilfe zur Pflege bestimmen. Nach deren Tod steht dieser Anspruch auf stationäre Pflege, soweit die Leistung dem Berechtigten erbracht worden wäre, (nunmehr als Zahlungsanspruch) demjenigen zu, der die Leistung in der Einrichtung erbracht hat (§ 19 Abs 6 SGB XII; in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022). Die Feststellungen zu seiner Höhe wird das LSG nachzuholen haben.
In der Sache kann auch offen bleiben, welchen Charakter die zweite Ablehnung vom 26.10.2015 im Verhältnis zu der ablehnenden Entscheidung vom 21.9.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2015 hat (vgl bereits oben). Die nur eingeschränkte Möglichkeit eines Sonderrechtsnachfolgers, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X zu führen, steht einem Anspruch jedenfalls nicht entgegen. Wie der Senat bereits entschieden hat, bestehen keine solchen Einschränkungen, wenn die Einrichtung als Sonderrechtsnachfolger bereits in das vom Verstorbenen begonnene Verfahren eingerückt war und später ein Überprüfungsverfahren wegen ihres eigenen Anspruchs aus übergegangenem Recht betreibt (BSG SozR 4-5910 § 28 Nr 1 RdNr 12). So läge der Fall aber hier, wenn die im Widerspruchsbescheid vom 14.10.2015 angekündigte Entscheidung als Überprüfung nach § 44 SGB X zu verstehen wäre.
Ob sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides an § 44 SGB X oder im Falle eines sog Zweitbescheids an § 19 Abs 3 iVm § 61 SGB XII misst, kann ebenfalls offen bleiben. Die Beklagte ist nämlich zu Unrecht zu Lebzeiten der G der Schuld aus dem nach den Feststellungen des LSG zwischen ihr (der G) und der Klägerin wirksam abgeschlossenen Heimvertrag unter Hinweis auf verwertbares Vermögen des Ehemanns nicht beigetreten. G war nach den Feststellungen des LSG leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 SGB XII (in der ab 1.7.2008 geltenden Normfassung - im Folgenden: alte Fassung ≪aF≫ - des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung ≪Pflege-Weiterentwicklungsgesetz≫ vom 28.5.2008 - BGBl I 874). Danach ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung iS des § 61 Abs 3 SGB XII aF für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen, Hilfe zur Pflege - ua als stationäre Pflege (§ 61 Abs 2 Satz 1 SGB XII aF) - zu leisten.
Nach § 19 Abs 3 SGB XII wird ua Hilfe zur Pflege indes nur geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften der §§ 82 ff SGB XII nicht zuzumuten ist. G selbst verfügte nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) abgesehen von den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung über kein weiteres Einkommen oder Vermögen. Ausreichende Feststellungen, ob beim Ehemann insbesondere verwertbares Vermögen (ggf auch eigenes Einkommen in mehr als bedarfsdeckender Höhe) vorhanden war, das dieser zu Gunsten seiner Ehefrau auch einzusetzen hatte, hat das LSG unter Hinweis auf fehlende bereite Mittel nicht getroffen.
Auf verwertbares Vermögen und Einkommen des Ehemanns kommt es nach der Regelung des § 19 Abs 3 SGB XII allerdings nur dann nicht an, wenn die Eheleute im streitigen Zeitraum getrennt gelebt haben. Bestand hingegen während der stationären Unterbringung zwischen den Eheleuten (noch) eine sog Einsatzgemeinschaft und war dem Ehemann die Aufbringung der Mittel für die Pflege der G aus seinem Einkommen und Vermögen zumutbar, stellt sich die Frage der bereiten Mittel nicht. Vielmehr kommen dann Leistungen nach § 19 Abs 5 SGB XII in Betracht (dazu gleich). Für ein Getrenntleben von Ehegatten ist maßgebend, ob mindestens einer von ihnen den unmissverständlichen Willen zum Ausdruck bringt, sich vom anderen Ehegatten unter Aufgabe der bisherigen Lebensgemeinschaft auf Dauer zu trennen. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das LSG zwar davon ausgegangen, dass weder die räumliche Trennung von Ehegatten durch die stationäre Pflege eines Ehegatten in einer Einrichtung noch die Weigerung des anderen Ehegatten, Vermögen für die Pflege einzusetzen, für sich betrachtet die Annahme eines Getrenntlebens von Ehegatten rechtfertigt (vgl nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 27 RdNr 14; für eine sog gemischte Bedarfsgemeinschaft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ≪SGB II≫ BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 12 RdNr 17 f). Anlass zu weitergehender Prüfung hätte hier aber bestanden, weil der Ehemann jedenfalls seit März 2015 vorerst in der Türkei lebte und unklar geblieben ist, welche Bindungen zu G überhaupt noch bestanden. Auch zu der Frage, ob die Wohnung in der Türkei verwertbar und einzusetzen war (§ 90 Abs 1, Abs 2 Nr 8 und Abs 3 SGB XII, hierzu etwa BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 8), hat das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung keine weiteren Feststellungen getroffen.
Ergibt sich im Ergebnis dieser Prüfung die Pflicht des Ehemanns zum Einsatz des Vermögens, wovon die Beklagte ausgeht, bestand wegen seiner Weigerung, dieses tatsächlich einzusetzen, ein Anspruch der G auf Hilfe zur Pflege nach § 19 Abs 5 Satz 1 SGB XII (ebenfalls in der Normfassung des Gesetzes vom 27.12.2003). Danach haben ua die in § 19 Abs 3 SGB XII genannten Personen, denen die Aufbringung der Mittel iS des § 19 Abs 3 SGB XII zuzumuten ist, dem Träger der Sozialhilfe Aufwendungen in dem Umfang zu ersetzen, in dem Leistungen erbracht worden sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Leistung gegen Aufwendungsersatz erbracht werden darf, obwohl die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen zumutbar ist (sog erweiterte bzw unechte Sozialhilfe gegen Ersatz der Aufwendungen), erschließt sich aus dem Wortlaut der Regelung nicht. Insoweit ist auf die Vorgängerregelungen in § 11 Abs 2 Satz 1 und § 29 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurückzugreifen, wonach nur "in begründeten Fällen" Hilfe geleistet werden "kann", weil diese Vorschriften durch § 19 Abs 5 SGB XII inhaltsgleich übertragen werden sollten (vgl BT-Drucks 15/1514 S 57 zu § 19 Abs 4 SGB XII idF des Entwurfs) und diese Grundsätze in der Folge trotz zwischenzeitlicher Vorschläge (vgl BT-Drucks 16/2711 S 5 und 10 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze) auch nicht geändert worden sind. Die Möglichkeit einer Bewilligung von "vorläufigen" Leistungen ohne weitere Voraussetzungen war dagegen offensichtlich nicht beabsichtigt (vgl Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 19 RdNr 38, Stand 9/2018; Hohm in Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 19 RdNr 42; Neumann in Hauck/Noftz, SGB XII, § 19 RdNr 17, Stand 9/15; ähnlich Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl 2018, § 19 RdNr 19; Buchner in Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 43, Stand 10/2018; Groth in BeckOK, § 19 SGB XII RdNr 22, Stand 9/2018; Dauber in Mergler/Zink, SGB II/SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 15, Stand 8/2018; Schoch in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Aufl 2018, § 19 RdNr 21; Ehmann in Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar SRB, 2. Aufl 2018, § 19 SGB XII RdNr 20; Mrozynski, Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil III. 4 RdNr 15, Stand 2/2007, wonach Einschränkungen auf der Tatbestandsebene nicht mehr bestehen und die entsprechenden Gesichtspunkte in eine Ermessensentscheidung einfließen sollen).
Ein "begründeter Fall" im Sinne des so verstandenen § 19 Abs 5 SGB XII liegt vor, wenn innerhalb der Einsatzgemeinschaft der Ehegatte, dem der Einsatz seiner Mittel zu Gunsten des Leistungsberechtigten zuzumuten ist, tatsächlich zum Einsatz von Einkommen oder Vermögen nicht bereit ist (aA Grube in Grube/Wahrendorf, aaO, § 19 RdNr 20). Der Senat führt insoweit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 29 Satz 1 BSHG (vgl BVerwGE 50, 73, 77; BVerwGE 66, 82, 85 f) fort. Wenn entgegen der typisierenden Annahme des Gesetzgebers, dass die Personen einer Einsatzgemeinschaft einander die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen, ohne dass es auf die (rechtliche) Verfügungsbefugnis des Leistungsberechtigten ankommt (vgl etwa BSGE 112, 61 = SozR 4-3500 § 90 Nr 5, RdNr 15), Unterstützungsleistungen tatsächlich nicht erbracht werden, liegt für den Leistungsberechtigten eine "Notlage" vor, in der die Bewilligung von (erweiterter bzw) "unechter" Sozialhilfe gegen einen Aufwendungsersatzanspruch nicht ermessensfehlerhaft ist (vgl BVerwGE 50, 73, 77).
Vorliegend war das Ermessen der Beklagten, solche Leistungen zu bewilligen, auf Null reduziert. G befand sich bereits seit der Antragstellung in einer Einrichtung zur stationären Pflege und war selbst mittellos. Es lag damit in der Verantwortung der Beklagten, in dieser Situation eine ausreichende Pflege sicherzustellen; von dem Antrag, mit dem G auf das Vermögen des Ehemanns hingewiesen hatte, ist vorliegend auch die Bewilligung einer (nur) erweiterten oder unechten Sozialhilfe erfasst. Es ist in einer solchen Lage nicht davon auszugehen, dass die Bewilligung von Leistungen gegen Aufwendungsersatz für den Fall, dass das Vermögen (entgegen der Annahme beider Ehegatten) einzusetzen ist, ohne Einverständnis der Leistungsempfängerin erfolgt (vgl dazu BVerwGE 45, 131, 134), zumal die Pflicht zum Aufwendungsersatz nicht G selbst betroffen hätte (dazu später). Die Unsicherheit, ob beim Ehemann verwertbares und einzusetzendes Vermögen vorlag (zu den notwendigen Prüfungsschritten im Einzelnen siehe bereits zuvor) und dieser zu dessen Einsatz im Ergebnis einer abschließenden Prüfung durch die Beklagte bereit gewesen wäre, durfte die Beklagte schließlich nicht auf die Einrichtung (also die Klägerin) überwälzen, auch wenn diese zu Lebzeiten der G die Pflege - in Erwartung einer entsprechenden Bewilligung von Leistungen - tatsächlich übernommen hat (dazu ausführlich Mrozynski, aaO, Teil III. 4 RdNr 17). Eine darlehensweise Bewilligung nach § 91 Satz 1 SGB XII schied schließlich aus (wovon auch die Beklagte ausgeht), weil diese Vorschrift die Bereitschaft zur Vermögensverwertung voraussetzt und deshalb nur Anwendung findet, wenn der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens (objektiv) nicht möglich ist oder die sofortige Verwertung eine besondere Härte bedeuten würde (vgl bereits BSGE 123, 188 = SozR 4-4200 § 9 Nr 16, RdNr 35 ff).
Dieser Anspruch auf erweiterte bzw unechte Sozialhilfe nach § 19 Abs 5 SGB XII ist vorliegend nach § 19 Abs 6 SGB XII auf die Klägerin übergangen (vgl bereits BSG SozR 4-3500 § 19 Nr 4 RdNr 16). Dem steht nicht entgegen, dass ein Anspruch auf Ermessensleistungen - selbst dann, wenn (wie hier) das Ermessen auf Null reduziert ist (BSG SozR 1200 § 40 Nr 3; aA Mrozynski, SGB I, 5. Aufl 2014, § 40 RdNr 21) - grundsätzlich erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung entsteht (§ 40 Abs 2 iVm § 39 SGB I; aA LSG Baden-Württemberg vom 19.4.2018 - L 7 SO 4981/14 - Juris RdNr 38). Die Sonderrechtsnachfolge nach § 19 Abs 6 SGB XII erstreckt sich auch auf Ansprüche des Verstorbenen auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB I); denn der Sonderrechtsnachfolger tritt in die Rechtsstellung des verstorbenen Hilfeempfängers ein (vgl BSGE 106, 264 = SozR 4-3500 § 19 Nr 2, RdNr 11), sodass weder die Fälligkeit noch die Feststellung von Leistungsansprüchen des verstorbenen Berechtigten Voraussetzung für seinen Anspruch sind (vgl auch BSG SozR 4-3500 § 17 Nr 1 RdNr 18 zur Abgrenzung zu den Fällen der Vererbung nach § 58 Satz 1 SGB I).
Schließlich steht dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen, dass nach dem Tod der G kein ungedeckter (Pflege-)Bedarf mehr besteht. Wollte man - wie die Beklagte meint - eine über den Tod hinaus fortbestehende "Notlage" als weitere Voraussetzung für den Anspruchsübergang ansehen, liefe die Norm leer; denn für einen Anspruch nach § 19 Abs 6 SGB XII ist gerade Voraussetzung, dass der Sonderrechtsnachfolger die Leistung bis zum Tod des Berechtigten tatsächlich erbracht hat, also die Bedarfe tatsächlich gedeckt waren, ohne dass allerdings eine (vollständige) Schuldübernahme vom Sozialhilfeträger erklärt war. Ähnlich wie bei der (eingeschränkten) Vererblichkeit von Sozialleistungsansprüchen (vgl zB BSGE 123, 171 = SozR 4-3500 § 66 Nr 1, RdNr 14 mwN) treten an die Stelle des Bedarfs des verstorbenen Leistungsberechtigten die wegen der aktuellen Bedarfslage vom Leistungsberechtigten gegenüber dem Sonderrechtsnachfolger eingegangenen Verbindlichkeiten. Mit der Einführung einer Sonderrechtsnachfolge (vgl bereits § 28 Abs 2 BSHG) sollte so eine schnelle Hilfe durch Dritte gefördert und vermieden werden, dass Einrichtungen trotz berechtigten Vertrauens auf Leistungen der Sozialhilfe leer ausgehen, wenn die Entscheidungen bei der Hilfe in Einrichtungen längere Zeit beanspruchen (vgl nur BSGE 110, 93 = SozR 4-3500 § 19 Nr 3, RdNr 17 mwN). Nach Sinn und Zweck sowohl des § 19 Abs 6 SGB XII als auch des § 19 Abs 5 SGB XII ergibt sich bei sog erweiterter bzw unechter Sozialhilfe im Grundsatz nichts Abweichendes. Soweit der Senat in seiner früheren Entscheidung zu § 19 Abs 6 SGB XII iVm § 19 Abs 5 SGB XII ausgeführt hat, die Voraussetzungen eines "tatsächlichen aktuellen Bedarfs" seien "vorliegend nicht erfüllt" (BSG SozR 4-3500 § 19 Nr 4 RdNr 16; vgl auch LSG Baden-Württemberg vom 19.4.2018 - L 7 SO 4981/14 - Juris RdNr 38), folgt daraus nichts anderes; denn im dort entschiedenen Fall lagen schon die Voraussetzungen einer Bewilligung nach § 19 Abs 5 SGB XII nicht vor.
Allerdings ist ein Anspruch nach § 19 Abs 6 SGB XII für den Sonderrechtsnachfolger dann nicht realisierbar, wenn der verstorbene Leistungsberechtigte (im Ergebnis der erst nach seinem Tod bindend abgeschlossenen Prüfung) zumindest auch zum Einsatz von eigenem Einkommen oder Vermögen verpflichtet war. In diesem Fall geht mit dem Anspruch nach § 19 Abs 5 Satz 1 SGB XII die Verpflichtung zum Aufwendungsersatz (ggf als Gesamtschuldner) mit über (vgl bereits BSG SozR 4-3500 § 19 Nr 4 RdNr 16). Dem Anspruch stünde die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫: "dolo agit qui petit quod statim redditurus est"). Der Aufwendungsersatz trifft im Fall einer Weigerung, Vermögen einzusetzen, aber nur den "Verpflichteten"; bei nicht getrennt lebenden Ehegatten also nur denjenigen, der als Inhaber des Vermögens (und sei es als Miteigentümer) auch zum Einsatz seines Einkommens und Vermögens verpflichtet gewesen wäre. Eine solche Verpflichtung bestand nach den bindenden Feststellungen des LSG hier (allenfalls) für den Ehemann, nicht auch für G. Trifft den Leistungsberechtigten aber keine Pflicht zum Aufwendungsersatz, entspricht es dem dargestellten Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des § 19 Abs 6 SGB XII, dass dies auch dem Sonderrechtsnachfolger zugutekommt.
Entgegen der Auffassung des LSG steht der Klägerin kein Anspruch auf Prozesszinsen (§§ 291, 288 BGB) zu. Da der Sonderrechtsnachfolger in die Rechtsstellung der verstorbenen Leistungsberechtigten eintritt, ist auch der übergegangene Anspruch auf Geldleistungen (§ 11 Satz 1 SGB I) nur unter den Voraussetzungen des § 44 SGB I zu verzinsen. Kommt nur ein Anspruch nach § 19 Abs 5 SGB XII in Betracht, könnte einem Zinsanspruch § 40 Abs 2 iVm § 41 SGB I entgegenstehen; dies wird das LSG noch zu entscheiden haben.
Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 13041712 |
BSGE 2020, 85 |