Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Der als Forstwart beschäftigte Kläger zerwirkte am 30. August 1974 ohne Schutzhandschuhe ein Reh, das, wie später nachgewiesen wurde, an Tollwut erkrankt war. Als der zuständige Amtsarzt deshalb die medizinische Notwendigkeit einer Schutzimpfung festgestellt und den Kläger darauf hingewiesen hatte, ließ dieser sich im Krankenhaus insgesamt 17 Injektionen mit Tollwutimpfstoff aus Entenembryo-Vakzine verabreichen (ab 4. September 1974). Im Anschluß daran traten bei dem Kläger Herzbeschwerden auf. Fachärztliche Untersuchungen im Juni 1975 ergaben die Diagnose einer Herzmuskelschädigung (Linksschenkelblock bei Verdacht auf endzündliche oder toxische Schädigung des Leitungssystems).
Die Beklagte lehnte es aus medizinischen Gründen ab, dafür Leistungen zu erbringen: Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen seien nicht Folge der Schutzimpfungen und somit auch nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden (Bescheid vom 22. Juli 1976, Widerspruchsbescheid vom 23. August 1976). Nach einer umfangreichen medizinischen Sachaufklärung und der Beiladung des Freistaates Bayern als Leistungsträger nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) hat der Kläger dagegen vor dem Sozialgericht -SG- (Urteil vom 25. März 1981) und dem Landessozialgericht -LSG- (Urteil vom 14. Dezember 1982) Erfolg gehabt. Das LSG hat ausgeführt, bei dem Kläger liege ein Zustand nach abgelaufener Myocarditis vor, der mit Wahrscheinlichkeit eine Folge der Tollwutschutzimpfungen sei. Es handele sich um die mittelbaren Folgen einer Berufskrankheit (BK) nach § 551 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. Nr. 38 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO). Die besondere Natur der Tollwut rechtfertige es, bereits beim Bestehen eines ärztlich festgestellten Verdachtes der Erkrankung an Tollwut versicherungsrechtlich vom Vorliegen einer Krankheit auszugehen. Nach § 54 Abs. 5 BSeuchG i.V.m. § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO sei der Unfallversicherungsträger vorrangig leistungspflichtig.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 54 Abs. 5 BSeuchG, § 541 Abs. 1 Nr. 2 und § 551 Abs. 1 RVO. Zwar habe der Kläger Kontakt zu dem an Tollwut erkrankten Tier gehabt, aber seine Herzbeschwerden seien nicht durch eine BK, sondern unmittelbar durch die vom Gesundheitsamt veranlaßten Impfungen verursacht worden. Deshalb könne § 54 Abs. 5 BSeuchG keine Anwendung finden. Die Impfungen hätten nicht der Feststellung, sondern der vorsorglichen und vorbeugenden Behandlung einer sonst möglicherweise später eintretenden Erkrankung gedient.
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Sozialgerichts sowie des Landessozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und der Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist unbegründet. Zu Recht ist die Beklagte verurteilt worden, den Kläger wegen der mittelbaren Folgen eines konkret begründeten Tollwutverdachts zu entschädigen, der einer BK nach Nr. 38 der Anlage 1 zur 7. BKVO gleichsteht.
Der Anspruch des Klägers konnte nur dann in der Unfallversicherung begründet sein, wenn der Versicherungsfall des Arbeitsunfalls (§ 548 Abs. 1 RVO) oder der BK (§ 551 Abs. 1 RVO) eingetreten war. Letzteres lag beim Kläger vor. Zutreffend hat das LSG entschieden, daß bei der Konkurrenz dieser Anspruchsgrundlagen den Vorschriften über die BK der Vorrang gebührt, wie es schon § 545 Abs. 1 Satz 2 RVO a.F. bestimmte; an dieser Rechtslage hat sich auch durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl. I 241) nichts geändert, obwohl seitdem eine entsprechende ausdrückliche Vorschrift fehlt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Auflage, Band II, S. 490m); das ist unter den Beteiligten unstreitig.
Nach § 551 Abs. 1 RVO sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Fraglich ist nur, ob unter "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" (Nr. 38 der Anlage 1 zur 7. BKVO) auch der Zustand der Ungewißheit zu verstehen ist, der bei dem Kläger vorlag, als er geimpft wurde. Was unter dem sozialversicherungsrechtlichen Begriff der Krankheit zu verstehen ist, definiert das Gesetz nicht. Krankheit wird darin nur mittelbar durch das Risiko bestimmt, das in dem jeweiligen Versicherungszweig versichert ist. Anhand der gesetzlichen Versicherungsleistungen läßt sich die Verwirklichung dieses Risikos als Versicherungsfall erkennen, der in der Krankenversicherung der Fall der "Krankheit" als versicherungsrechtlicher Begriff ist (§ 165 Abs. 1 Satz 1, § 182 Abs. 1 und 2 RVO; vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Band I, 17. Auflage 1985, § 182 Anm. 3c, aa, S. 17/266 -2- und Krasney, BKK 1981, 354, 356). Da die ärztliche Behandlung sowohl in der Krankenversicherung (§ 182 Abs. 1 Nr. 1a RVO) als auch damit übereinstimmend in der Unfallversicherung (§ 557 Abs. 1 Nr. 1 RVO; vgl. auch § 5G5; Abs. 1 RVO) einen wesentlichen Teil der Versicherungsleistung "Krankenpflege" bzw. "Heilbehandlung" ausmacht, die notwendig und ausreichend sowie zweckmäßig sein muß, ohne das Maß des Notwendigen zu überschreiten (§ 182 Abs. 2 RVO), setzt die Krankheit des Versicherten nach einhelliger Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung einen regelwidrigen behandlungsbedürftigen Zustand des Körpers, des Geistes oder der Seele voraus (BSGE 39, 167, 168; 48, 258, 265; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Auflage 1984, Anm. 2.1 zu § 182 RVO mit weiteren Nachweisen; Heinze in SGB-SozVers-Gesamtkommentar, Stand: März 1985, § 182 RVO Anm. 5, S. 112 f).
Obwohl sich nicht mehr aufklären läßt, ob bei dem Kläger bereits nach dem Zerwirken des an Tollwut erkrankten Rehs ein regelwidriger Körperzustand eingetreten war, stand doch jedenfalls von dem Zeitpunkt an die Behandlungsbedürftigkeit fest, zu dem die Tollwut des Kontakttieres nachgewiesen war. Durch die Bearbeitung eines tollwütigen Tieres ohne Handschuhe war der Kläger schutzlos der Gefahr einer Infektion mit dem Tollwuterreger ausgesetzt. Er kam dadurch in eine Lage, die mit Wahrscheinlichkeit den baldigen Ausbruch der Erkrankung an Tollwut erwarten ließ. Deshalb war bereits in dieser Situation Heilbehandlung notwendig. Denn im Falle der Tollwut steht schon eine ärztlich festgestellte Wahrscheinlichkeit, daß der Patient sich infiziert hat, jedenfalls dann der ausgebrochenen Erkrankung gleich, wenn das Kontakttier nachweislich tollwütig gewesen ist. Bereits diese Wahrscheinlichkeit indiziert aus medizinischen Gründen den wirkungsvollsten Zeitpunkt der ärztlichen Heilbehandlung. Dann bedarf es nicht noch zusätzlich des Nachweises der Infektion bei dem Versicherten, um die Notwendigkeit einer Schutzimpfung zu begründen, weil eine Therapie der manifesten Tollwut bislang nicht möglich ist (vgl. Stille in Siegenthaler, Kaufmann, Hornbostel und Waller - Herausgeber -, Lehrbuch der inneren Medizin, Stuttgart/New York 1984, S. 11.153). Die manifeste Erkrankung endet in der Regel tödlich (Bundesgesundheitsamt, Merkblatt Nr. 3 "Tollwut", Deutsches Ärzteblatt 1978, 1791 ff). Es brauchen noch keine Erscheinungen i.S. des § 2 Nr. 2 BSeuchG zu bestehen. Diese Erscheinungen abzuwarten wäre verantwortungslos. Es muß von dem für seine Gesundheit verantwortlichen Versicherten vielmehr erwartet werden (vgl. BSG in SozR § 182 RVO Nr. 56), daß er sich schon dann behandeln läßt, wenn wegen eines bestimmten Geschehensablaufs die Vermutung begründet ist, daß sich eine schwere Krankheit entwickelt.
Behandlungsbedürftig ist somit auch der Zustand eines Versicherten unter Umständen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst nur die Wahrscheinlichkeit einer ernsten, später nicht mehr oder nur noch viel schlechter beherrschbaren Erkrankung begründen (vgl. Brackmann, aaO, S. 384b I). Das trifft den vorliegenden Fall des Verdachts der Tollwutinfektion. Ein durch solche außergewöhnlichen Umstände begründeter Gefahrenzustand eines Versicherten ist versicherungsrechtlich der Erkrankung selber gleichzusetzen. Wenn ein Versicherungsfall eine Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn voraussetzt, dann tritt er bereits - sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - beim Vorliegen dieser konkret begründeten Gefahrensituation ein, so als ob die Krankheit tatsächlich begonnen hätte (so für den Tollwutverdacht schon das Reichsversicherungsamt, Entscheidung vom 5. März 1929, EuM 27, 251, 252; ebenso Bundesversicherungsamt in BKK 1964, Sp 411; Peters, aaO, § 182 Anm. 3c, bb, S. 266 -5-; KK-Spitzenverbände DOK 1983, 813; Hasemann, Krankenversicherung 1969, 124 ff; dem zustimmend Brackmann aaO S. 4910).
Zutreffend hat das LSG erkannt, daß die Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO i.V.m. Nr. 38 der Anlage 1 zur 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (- BGBl. I 721 - "Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten" = Nr. 3102 der BKVO i.d.F. vom 8. Dezember 1976, BGBl. I 3329) vorlagen. Die Verordnung und Verabreichung der Tollwutschutzimpfungen durch den Amtsarzt erfolgte also wegen eines fünf Tage zuvor begonnenen Gefahrenzustandes, der wie diese BK selber zu beurteilen ist. Der Senat vermag der Beklagten auch nicht darin zu folgen, daß die Schutzimpfung nur zur allgemeinen Vorbeugung verabreicht wurde. Bei begründetem Verdacht der Tollwutinfektion muß vielmehr die Infektion unterstellt werden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Heilbehandlung. Die Schutzimpfungen stellen sich also als arbeitsbedingte Abwehrmaßnahmen im konkreten Einzelfall dar. Nach den Feststellungen des LSG haben sie die Herzmuskelschädigung verursacht, so daß die Beklagte diese mittelbaren Folgen eines BK-gleichen Gefahrenzustandes zu entschädigen hat (vgl. auch HVGBG RdSchr VB 85/70 und Vollmar, Sicherheit im öffentlichen Dienst 1983, Heft Nr. 3 S. 3, 5).
Zu Recht hat es das LSG dahinstehen lassen, ob außerdem ein Impfschaden und die Voraussetzungen des § 51 BSeuchG für eine soziale Entschädigung (Versorgung) vorliegen. Jedenfalls ist der Vorrang der Unfallversicherung durch Ausschluß des § 541 Abs. 1Nr. 2 RVO in § 54 Abs. 5 BSeuchG vorgeschrieben und hier einschlägig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz.9b RU 36/83
Bundessozialgericht
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Fundstellen