Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist die Vormerkung einer Zeit der Pflichtversicherung bei Kindererziehung.
Der Kläger und die Beigeladene sind Eheleute, als Erzieher vollzeitig beschäftigt und Eltern der am 11. November 1986 geborenen Tochter Jemima. Die Beigeladene, die bis zum 6. Januar 1987 Mutterschaftsurlaub genommen hatte, und der Kläger meldeten im November 1986 beim Arbeitgeber an, die Mutter werde vom 7. Januar 1987 bis zum 10. April 1987 und der Vater vom 11. April 1987 bis zum 10. September 1987 Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen, wie es nachfolgend geschah. Anschließend waren beide Eltern wieder voll erwerbstätig.
Am 19. Februar 1988 beantragte die Beigeladene bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Vormerkung von Pflichtversicherungszeiten bei Kindererziehung für sich und für ihren Ehemann, für diesen im Umfang der fünf Monate, in denen er Erziehungsurlaub genommen hatte. Durch Bescheid vom 7. April 1988, der an die Beigeladene gerichtet war, anerkannte die BfA eine Pflichtversicherungszeit i.S. von § 2a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) vom 1. Dezember 1986 bis zum 30. November 1987 allein für die Mutter. Deren Widerspruch wies die BfA durch Widerspruchsbescheid vom 15. September 1988 sowohl als unzulässig als auch als unbegründet zurück: die Beigeladene sei nicht beschwert, weil die Zeit der Versicherungspflicht antragsgemäß in vollem Umfang vorgemerkt worden sei; unbegründet sei der Rechtsbehelf, weil die Eheleute keine gemeinsame Erklärung darüber abgegeben hätten, daß dem Ehemann die Zeit zuerkannt werden solle; eine Aufteilung des Gesamtzeitraumes der Kindererziehung zwischen beiden Elternteilen sei ohnehin ausgeschlossen. Die Beigeladene hat gegen diesen Widerspruchsbescheid, der nur an sie gerichtet war, kein Rechtsmittel eingelegt.
Im Oktober 1988 bat der Kläger die BfA um Übersendung eines Versicherungsverlaufs und führte aus, falls darin die Zeit seines Erziehungsurlaubs vom 11. April 1987 bis zum 10. September 1987 nicht ausgewiesen sei, erhebe er gleichzeitig Einspruch. Nachdem ihm der Versicherungsverlauf vom 28. Oktober 1988 übersandt worden war, erhob der Kläger unter dem 13. November 1988 "Widerspruch", weil die BfA durch den Bescheid vom 7. April 1988 die Pflichtversicherungszeit bei Kindererziehung für den Zeitraum, in dem er Erziehungsurlaub genommen und das Kind allein erzogen habe, zu Unrecht seiner Ehefrau zuerkannt habe. Die BfA lehnte durch nur an den Kläger adressierten Bescheid ihrer Geschäftsführung vom 6. Dezember 1988, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 3. März 1988, ab, die Zeit vom 11. April 1987 bis zum 10. September 1987 für den Kläger vorzumerken, weil der gesamte Jahreszeitraum der Kindererziehung bereits bei seiner Ehefrau anerkannt worden sei.
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat die Klage nach Beiladung der Ehefrau des Klägers durch Urteil vom 23. November 1989 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat dessen Berufung am 14. September 1990 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es ist folgender Ansicht: Es könne offenbleiben, ob der Bescheid vom 7. April 1988 bereits eine für alle Beteiligten bindende Zuordnung der Kindererziehungszeit enthalte. Rechtsgrundlage sei § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG, weil der Kläger entgegen seiner Behauptung seine Tochter auch in der streitigen Zeit nicht allein erzogen habe. Eine Beteiligung der Beigeladenen an der Erziehung sei trotz ihrer tatsächlichen Inanspruchnahme durch eine vollschichtigte Erwerbstätigkeit an sechs Tagen in der Woche nicht ausgeschlossen gewesen. Der Senat habe keinen Anlaß ge-sehen, dem Umfang der Erziehung des Kindes durch den Kläger oder die Beigeladene nachzugehen. Vielmehr gehe er davon aus, daß das Gesetz im Interesse des Schutzes des Kernbereichs von Ehe und Familie Ermittlungen von Behörden und Gerichten über die Gestaltung der Familien- und Erziehungsverhältnisse ausschließe. Dem könnten sich der Kläger und die Beigeladene nicht durch die Behauptung entziehen, während der Dauer des Erziehungsurlaubs sei allein der Kläger seinen familienrechtlichen Pflichten gegenüber dem Kind nachgekommen. § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG, der eine Versicherung des Vaters nur für den gesamten Zeitraum und nur nach übereinstimmender Erklärung der Eltern vorsehe, die hier nicht abgegeben worden sei, stehe auch mit der Verfassung im Einklang.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2a AVG sowie der Art 3 Abs. 1 und Art 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Eine Teilung der anrechenbaren Kindererziehungszeit auf mehrere Erziehende sei für die Fälle im Gesetz vorgesehen, in denen die Erziehung durch Eltern ende und von Dritten übernommen werde (§ 2a Abs. 3 Satz 2 AVG). Die Pflichtversicherung ende dann bereits vor Ablauf der 12 Kalendermonate, wenn z.B. der erziehende Elternteil durch Tod ausscheide. In gleicher Weise sei zu verfahren, wenn die Eltern Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) genommen und entsprechend diesem Gesetz unter sich aufgeteilt hätten. Im Blick auf das weitere Vorbringen des Klägers wird auf seinen Schriftsatz vom 28. Januar 1991 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. September 1990, das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 23. November 1989 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1989 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7. April 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1988 zu verpflichten, dem Kläger für die Zeit des Erziehungsurlaubs 1987 eine Zeit der Pflichtversicherung bei Kindererziehung vorzumerken.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. September 1990 zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist durch keinen Prozeßbevollmächtigten vertreten und hat sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Unter Hinweis auf das von ihr eingereichte Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 17. Mai 1990 (L 5 A 79/89) meint sie, bei gleichzeitiger Erziehung eines Kindes durch mehrere Personen sei immer nur ein Elternteil versichert, bei gemeinsamer Erziehung durch Vater und Mutter einer von ihnen stets für den gesamten Erziehungszeitraum. Dafür spreche auch die Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 betreffende Regelung in § 249 Abs. 6 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Eine gemeinsame Erziehung liege immer vor, wenn die Eltern einen gemeinsamen Haushalt führen und beide - wenn auch uU mit unterschiedlichen Schwerpunkten - miterziehen. Alleinerziehung gebe es nur, wenn der Erzieher in seinem Haushalt alleine lebe und das Kind dort selbst erziehe, ohne daß der andere Elternteil miterziehe. Die Neuregelung des § 56 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI, die eine Zuordnung der Erziehungszeit auf gemeinsam erziehende Elternteile zulasse, trete erst am 1. Januar 1992 in Kraft; eine rückwirkende Übergangsregel gebe es nicht. Für das weitere Vorbringen der Beklagten wird auf ihren Schriftsatz vom 25. Februar 1991 verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen hat er Anspruch auf Vormerkung eines Tatbestandes der Pflichtversicherung bei Kindererziehung für die Zeit vom 1. April 1987 bis zum 31. August 1987.
Seine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Gegenstand seiner Anfechtungsklage (§ 95 SGG) ist nicht nur der ihm erteilte Bescheid vom 6. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1989, sondern auch der an seine Ehefrau gerichtete Bescheid vom 7. April 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1988, soweit darin für sie der Tatbestand der Pflichtversicherung bei Kindererziehung für die Zeit vom 1. April 1987 bis zum 31. August 1987 vorgemerkt worden ist:
Diesen Bescheid hat der Kläger befugtermaßen und rechtzeitig spätestens mit seinem Schreiben vom 13. November 1988 angefochten (§ 83 SGG). Der Bescheid über die Vormerkung eines Tatbestandes der Pflichtversicherung bei Kindererziehung (§ 2a AVG) ist nämlich jedenfalls dann ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung (zum Begriff stellvertretend: Hauck/Haines SGB X/1, 2, § 49 RdNrn 5, 6; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl 1990, § 9 Rndnr 50; jew m.w.N.), wenn darin - wie hier - eine Erziehungszeit entgegen dem Begehren des Antragstellers diesem, nicht aber dem anderen Elternteil "zugeordnet" (so künftig ausdrücklich § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VI) wird. In einem solchen Fall ist für den Leistungsträger von vornherein ersichtlich, daß seine Entscheidung die rechtlich geschützten Interessen auch des anderen Elternteils berührt, weil der Vormerkungsanspruch i.S. von § 104 Abs. 3 Satz 1 AVG zwar jedem Elternteil, aber nur einem von ihnen für eine bestimmte Zeit der Erziehung zustehen kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Antrag, Zeiten für den anderen Elternteil vorzumerken, nicht offensichtlich unzulässig oder ohne jeden Zweifel unbegründet ist (vgl. ferner §§ 64, 75 der Zivilprozeßordnung -ZPO-). Da die Beklagte den Antrag der Beigeladenen, für den Kläger Erziehungszeiten vorzumerken, insoweit nicht wegen Fehlens eines Verfahrensinteresses, sondern aus Gründen des materiellen Rechts abgelehnt und ihr die Zeit antragswidrig zugeordnet hat, zielte der Bescheid ersichtlich auch darauf, einer Vormerkung dieser Zeit für den Kläger entgegenzutreten.
Die Drittwirkung dieser Regelung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger, der von dem von seiner Ehefrau in Gang gesetzten Verwaltungsverfahren entgegen § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X durch die BfA nicht benachrichtigt worden ist, seinen - wie noch darzulegen ist - begründeten Vormerkungsanspruch später im Ergebnis sogar dann durchsetzen könnte, wenn die Vormerkung zugunsten der Beigeladenen bindend (§ 77 SGG) geworden wäre. Abgesehen davon, daß dann - worauf zurückzukommen ist - entgegen dem materiellen Recht (§ 2a Abs. 1 bis 3 AVG) und entgegen dem redlichen Willen des Klägers und der Beigeladenen für zwei Personen im Blick auf denselben Erziehungszeitraum Pflichtversicherungszeiten vorgemerkt und ggf im Leistungsfall anzurechnen wären, würde dem Kläger die Durchsetzung seines Vormerkungsanspruchs infolge der Bindungswirkung des seine Ehefrau begünstigenden Bescheides rechtlich zumindest erschwert (vgl. § 45 SGB X). Denn der Versicherungsträger trifft in Fällen der vorliegenden Art (vgl. auch §§ 64, 75 ZPO) schon durch den an einen Elternteil gerichteten Vormerkungsbescheid zugleich eine hoheitliche Feststellung darüber, daß diesem, nicht aber dem anderen Elternteil eine solche Pflichtversicherungszeit unter Ausschluß des anderen zusteht.
Der Kläger hat sein Widerspruchsrecht als Drittbetroffener des Bescheides vom 7. April 1988 rechtzeitig ausgeübt, insbesondere schon deswegen nicht verwirkt, weil er den Rechtsbehelf unverzüglich und innerhalb der in § 66 Abs. 2 SGG genannten Jahresfrist eingelegt hat (zur Verwirkung: stellv Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl 1987, § 66 Anm. 13; Maurer, a.a.O., § 11 Rndnr 67, S. 276; jew m.w.N.).
Der Kläger ist ferner i.S. von § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG befugt, Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Vormerkungsbescheides zu erheben. Die Möglichkeit der Verletzung seines Vormerkungsanspruchs wird nicht dadurch von vornherein ausgeschlossen, daß der Versicherungsträger nach § 104 Abs. 3 Satz 1 AVG - unter weiteren Voraussetzungen - nur die im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten durch Bescheid feststellen muß, die "länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen". Zwar begehrt der Kläger die Vormerkung eines erst im Jahre 1987 zurückgelegten Erziehungszeittatbestandes. Jedoch ist der Versicherungsträger befugt, wenn auch nicht verpflichtet, auf Antrag auch solche geklärten Daten durch Bescheid festzustellen, die noch keine sechs Kalenderjahre zurückliegen. Denn die Beschränkung der Feststellungspflicht auf mehr als sechs Jahre zurückliegende Daten soll ihm lediglich die Möglichkeit verschaffen, im Versicherungsverlauf enthaltene, aber noch nicht beschei DMäßig festgestellte Daten ohne Bindungen durch Vertrauensschutzerwägungen (vgl. § 45 SGB X) erleichtert zu berichtigen (stellvertretend: Lilge, SozVers-SGB-GesKom § 1325 RVO Anm. 4; KassKomm-Niesel § 1325 RVO RdNr 5; vgl. auch VDR-Kommentar § 1325 RVO Anm. 5). Leitet er also - wie hier - antragsgemäß ein Vormerkungsverfahren im Blick auf solche Daten ein, hat er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbescheid zu erlassen.
Einer Sachentscheidung über die Verpflichtungsklage steht nicht entgegen (vgl. BSG SozR 1300 § 12 Nr. 1), daß die
- worauf zurückzukommen ist - wechselseitig fehlende Benachrichtigung des Klägers bzw. der Beigeladenen von der Verfahrenseinleitung (§ 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X) vor Klageerhebung nicht nachgeholt worden ist. Denn beide Beteiligten haben auf die Wiederholung des Verwaltungs-/Widerspruchsverfahrens verzichtet.
Der Kläger hat Anspruch auf Vormerkung des Tatbestandes einer Pflichtversicherung bei Kindererziehung für die Zeit vom 1. April 1987 bis zum 31. August 1987. Die Klärung des Versicherungskontos (§ 104 Abs. 1 AVG) hat nämlich ergeben, daß er seine Tochter Jemima in diesem Zeitraum überwiegend erzogen hat i.S. von § 2a Abs. 3 Satz 2 AVG.
Nach § 2a Abs. 1 Satz 1 AVG sind Mütter und Väter (gemäß Abs. 3 Satz 1 a.a.O. auch Stiefmütter, Stiefväter, Pflegemütter und Pflegeväter i.S. von § 56 Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB I), die ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes erziehen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufhalten, in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes versichert. Nach Abs. 3 Satz 2 a.a.O. ist, wenn mehrere Personen das Kind erziehen, der Elternteil versichert, der das Kind "überwiegend" erzieht, soweit sich aus Abs. 2 a.a.O. nichts anderes ergibt. Nach letztgenannter Bestimmung ist, wenn Mutter und Vater ihr Kind "gemeinsam" erziehen, die Mutter versichert, sofern nicht Mutter und Vater bis zum Ablauf des dritten Kalendermonats nach der Geburt des Kindes, einer Ausschlußfrist (Satz 3 a.a.O.), gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger übereinstimmend - und unwiderruflich (Satz 4 a.a.O.) - erklären, daß der Vater für den gesamten Zeitraum versichert sein soll.
Schon aus Wortlaut und Systematik des § 2a Abs. 1 bis 3 AVG folgt, daß für denselben Erziehungszeitraum jeweils nur eine erziehende Person pflichtversichert ist (BT-Drucks 10/2677 S. 29), nämlich entweder der "allein" erziehende Elternteil (§ 2a Abs. 1 AVG), bei gleichzeitiger Erziehung durch mehrere Personen (Miterziehung) der "überwiegend" erziehende Elternteil und - als Spezialregelung hierzu - bei "gemeinsamer"
Erziehung durch Mutter und Vater die Mutter, der Vater hingegen nur bei fristgerechter Ausübung des den Eltern "zur gesamten Hand" eingeräumten Gestaltungsrechts. Voraussetzung für die Pflichtversicherung ist immer, daß dieser Elternteil das Kind tatsächlich erzieht (BT-Drucks 10/2677 S. 29). Denn die Erziehung eines Kindes wird durch § 2a AVG einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichgestellt (BT-Drucks 10/2677 S. 33 letzte Spalte). Während also bei "Alleinerziehung" durch einen Elternteil, d.h., wenn der andere Elternteil in dem Kalendermonat keine Erziehungsleistungen erbringt, immer nur der Alleinerzieher versichert ist, kommt es in den Fällen der "Miterziehung" durch mehrere Elternteile grundsätzlich darauf an, wer das Kind "überwiegend" (dazu: BT-Drucks 10/2677 S. 33 rechte Spalte Abs. 2) erzieht. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Eltern das Kind "gemeinsam" erziehen.
Ob ein Fall der Miterziehung, d.h. der "gleichzeitigen" Erziehung durch mehrere Elternteile vorliegt (Abs 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 a.a.O.), beurteilt sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht danach, ob die erziehenden Elternteile irgendwann in dem gesetzlich anerkannten Erziehungszeitraum von zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Geburtsmonats des Kindes einen Erziehungsbeitrag geleistet haben. Denn es kommt - wie gerade die auf Kalendermonate abstellende Bewertungsvorschrift des § 32 Abs. 6a AVG verdeutlicht - auch bei den Pflichtversicherungszeiten wegen Kindererziehung, die Beitragszeiten i.S. von § 27 Abs. 1 Buchst a AVG sind, auf den Kalendermonat als maßgeblichen Zeitraum für eine anrechnungsfähige Versicherungszeit an (vgl. § 27 Abs. 2 AVG). Insbesondere ist weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 10/2677 S. 29 rechte Spalte und S. 33 rechte Spalte erwähnen denkbare Wechsel zwischen Erziehern) der Grundsatz zu entnehmen, der gesamte Erziehungszeitraum von zwölf Kalendermonaten dürfe nur immer insgesamt und nur einem Elternteil als Pflichtversicherungszeit zugeordnet werden. Dies gilt in Fällen der Miterziehung nur, wenn Eltern das Kind i.S. von Abs. 1 Satz 1 a.a.O. "gemeinsam" erziehen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die den Senat binden (§ 163 SGG), haben sowohl der Kläger als auch die Beigeladene ihrer Tochter in dem streitigen Zeitraum Erziehungsleistungen erbracht. Auf die Frage, wer von ihnen das Kind "überwiegend" erzogen hat (§ 2a Abs. 3 Satz 2 AVG), käme es daher nur dann nicht an, wenn sie ihr Kind i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG "gemeinschaftlich" erzogen hätten.
Das Gesetz hat den Begriff der "gemeinsamen Erziehung" nicht definiert. Grund hierfür ist, daß nach Art 6 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist. Hierbei handelt es sich um ein - dem Kindeswohl dienendes, "treuhänderisches" (Bundesverfassungsgericht -BVerfG- in BVerfGE 59, 360, 377; 64, 180, 189) - Grundrecht der Eltern, das alle staatliche Gewalt bindet (Art 1 Abs. 3 GG) und ein Einwirken des Staates auf die Elternverantwortung (BVerfGE 68, 176, 190) nur in den Grenzen seines - hier nicht in Betracht zu ziehenden - Wächteramtes i.S. von Art 6 Abs. 2 Satz 2 GG gestattet.
Es steht in der alleinigen Verantwortung der Eltern (auch Adoptiv- und Pflegeeltern - BVerfGE 24, 119, 150; 68, 176, 187) zu entscheiden, wie und mit welchem Ziel sie die körperliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes fördern, insbesondere in welchem Ausmaß und mit welcher Intensität sie sich selbst dieser Aufgabe wi DMen wollen. Ihre Entscheidung haben der Staat und seine Untergliederungen (hier: die BfA) hinzunehmen. Schon deswegen ist es nicht Zweck des § 2a Abs. 1 bis 3 AVG, bestimmte Entscheidungen der Eltern über die Gewichtung ihrer Erziehungsbeiträge durch die Zu- oder Aberkennung von Pflichtversicherungszeiten zu honorieren oder für unbeachtlich zu erklären. Aus demselben Grund hat der Senat bereits entschieden, daß Erziehung i.S. von § 2a AVG die Gesamtheit des tatsächlichen Verhaltens von Vater und oder Mutter bedeutet, das nach "ihrem" Verständnis und "ihren" Vorstellungen dazu bestimmt und darauf gerichtet ist, die körperliche, geistige, seelische, sittliche und charakterliche Entwicklung des Kindes zu beeinflussen (BSG Urteil vom 28. November 1990 - 4 RA 40/90; zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN; - subjektiv - formaler Erziehungsbegriff). Das Grundrecht der Eltern u.a. die Erziehungslast untereinander nach ihren Vorstellungen gleichgewichtig oder aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten aufzuteilen, hat Auslegung und Anwendung von § 2a Abs. 1 bis 3 AVG zu bestimmen.
Diese Vorschrift knüpft - aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität typisierend - an die vorgegebene Erziehungsentscheidung der Eltern an, denen unbenommen bleibt, ihr Erziehungsverhalten so einzurichten, daß einer von ihnen für einen oder mehrere Kalendermonate die Erziehung u.a. "überwiegend" übernimmt. Abs. 2 a.a.O. regelt dabei den besonders typischen Fall, daß Mutter und Vater für den gesamten Er-ziehungszeitraum nach ihren Vorstellungen gleichwertig erziehen. Wenn sie dies "von vornherein" beabsichtigen, muß es ihnen auch vorbehalten bleiben, zu entscheiden, wer von ihnen für den gesamten Zeitraum dieser "gemeinschaftlichen" Erziehung pflichtversichert sein soll, d.h. für die Zeit, in der sie tatsächlich im genannten Sinne gemeinschaftlich erziehen.
Deswegen, d.h. wegen der gemeinsamen Elternverantwortung, geht § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG davon aus, daß sich die einverständlich zusammenwirkenden (vgl. KassKomm-Funk, § 1227a RVO Rndnr 13) Eltern schon innerhalb der ersten drei Monate nach der Geburt des Kindes auch darüber einigen, ob sie das Kind gemeinschaftlich erziehen und wer von ihnen dann versichert sein soll. Geht innerhalb der in Abs. 2 Satz 1 a.a.O. genannten Frist keine Erklärung der Eltern beim Versicherungsträger ein, ist später im Vormerkungs- oder Leistungsfeststellungsverfahren anhand objektiver Umstände zu klären, ob die Eltern - gegebenenfalls in welchen Kalendermonaten - gemeinschaftlich erzogen oder einem von ihnen - gegebenenfalls in bestimmten Kalendermonaten - die Erziehung des Kindes überwiegend übertragen haben. Die letztgenannte Entscheidung der Eltern ist für den Rentenversicherungsträger ebenso maßgeblich wie diejenige für eine gemeinschaftliche Erziehung. Denn § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG steht im Rahmen von deren Erziehungsrecht einer wirksamen anderen Aufteilung der Kindererziehung nicht entgegen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt also "gemeinschaftliche Erziehung" i.S. von Abs. 2 Satz 1 a.a.O. nicht schon immer dann vor, wenn - wie hier - miterziehende Elternteile miteinander und mit dem Kind in Haushaltsgemeinschaft leben. Dies ist zwar in aller Regel ein wichtiges Anzeichen dafür, daß dieser in Abs. 2 a.a.O. gemeinte typische Fall gegeben ist. Nach den bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG hatten der Kläger und die Beigeladene jedoch entschieden, der Vater solle das Kind im streitigen Zeitraum überwiegend, d.h. nämlich in zeitlich größerem Umfang (BT-Drucks 10/2677 S. 33 rechte Spalte), erziehen, wie es auch geschah. Dies hat der Leistungsträger hinzunehmen.
Demgegenüber würde die Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen zu einer dem Sachprogramm des Gesetzes zuwiderlaufenden Schutzlücke für denjenigen Elternteil führen, der - wie der Kläger - zum Zweck der Erziehung des Kindes Erziehungsurlaub genommen hat:
Der Senat hat bereits aufgezeigt (Urteil vom 28. November 1990 - 4 RA 40/90, zur Veröffentlichung vorgesehen), daß § 2a AVG Bestandteil eines umfassenden gesetzlichen Sachprogramms ist, die Zuwendung zum Kind in dessen erster Lebensphase zu fördern. Durch die Gewährung von Bundeserziehungsgeld und Bundeserziehungsurlaub nach dem BErzGG soll die Wahlfreiheit der Eltern zwischen einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit und der Erziehung ihres Kindes erweitert werden. Zum einen wird der wirtschaftliche Nachteil, der aus der Einschränkung der Möglichkeit, ein volles Erwerbseinkommen zu erzielen, erwächst, zum Teil ausgeglichen, zum anderen dem Erziehungsgeldberechtigten ein arbeitsrechtlicher Anspruch (§ 15 BErzGG) auf Erziehungsurlaub eingeräumt, damit er sich u.a. ohne Verlust des Arbeitsplatzes der Erziehung des Kindes wi DMen kann. Da der erziehungsgeldberechtigte Elternteil, der Erziehungsurlaub genommen hat, während dieser Zeit in keinem rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht, weil er nicht gegen Entgelt beschäftigt ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG), soll dieser "Verzicht" (vgl. BSG Urteile vom 27. September 1990 - 4 REg 27/89 und 4 REg 30/89, zur Veröffentlichung vorgesehen) auf eine rentenanwartschaftsbegründende oder -steigernde Erwerbstätigkeit durch die Pflichtversicherung in einem Mindestumfang (§ 32 Abs. 6a AVG) wie eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit anerkannt werden.
Die gesetzlichen Regelungen zur Förderung der Zuwendung zum Kind beruhen auf dem Grundsatz, daß "durch die Betreuung und Erziehung eines Kindes die soziale Sicherung des Erziehenden nicht beeinträchtigt werden soll" (BT-Drucks 10/3792 S. 23 linke Spalte Abs. 4). Deswegen ist im dritten Abschnitt des BErzGG (§§ 22ff.) durch Änderung einer Vielzahl von Vorschriften dafür Sorge getragen worden, daß der Erziehungsgeldberechtigte, der Erziehungsurlaub nimmt, während dieser Zeit keine unangemessene Minderung seines sozialrechtlichen Schutzes erfährt. Das BErzGG mußte im Blick auf die durch den Erziehungsurlaub in aller Regel entgehenden Beitragszeiten deswegen keine besonderen Vorkehrungen treffen, weil nach dem zeitgleich mit dem BErzGG in Kraft gesetzten § 2a AVG "die Zeit bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres eines Kindes der Mutter oder, wenn die Eltern sich so entscheiden, dem Vater in der Rentenversicherung als Versicherungszeit … . angerechnet" wird (BT-Drucks 10/3792 S. 13 rechte Spalte Abs. 2). Bereits hieraus folgt: Der Begriff der "gemeinsamen" Erziehung i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, daß ein Elternteil, der Anspruch auf Erziehungsurlaub (§ 15 BErzGG) hat, diesen nimmt und das Kind tatsächlich erzieht, deswegen eine Lücke im Rentenversicherungsschutz hinnehmen muß.
Darüber hinaus ist im Gesetzgebungsverfahren eine "Harmonisierung" (BT-Drucks 10/3792 S. 16 rechte Spalte Abs. 1) zwischen BErzGG und u.a. § 2a AVG angestrebt worden. Das BErzGG stellt die Entscheidung, welcher Ehegatte Bundeserziehungsgeld erhalten und Erziehungsurlaub nehmen soll, in das Einvernehmen der Eheleute (§ 3 Abs. 2 Satz 1 BErzGG). Dabei kann jeder Ehegatte durch übereinstimmende Erklärung bis zum Ablauf des dritten Lebensmonats des Kindes für einen zusammenhängenden Teil des Zeitraums, für den Erziehungsgeld gewährt wird, zum Berechtigten bestimmt werden (§ 3 Abs. 2 Satz 2 und 3 BErzGG) und jeweils für diesen Zeitraum Erziehungsurlaub beanspruchen (§§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1 Satz 2 BErzGG). Ein Sachgrund dafür, das Gesetz wolle den Eheleuten einen - grundsätzlich einmaligen - Wechsel im Blick auf Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub gestatten, sie aber, wenn sie hiervon Gebrauch machen, ohne Rentenversicherungsschutz lassen, ist nicht ersichtlich.
Auch Gründe der Verwaltungspraktikabilität können nicht erzwingen, gegen den Willen der Eltern eine i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG gemeinsame Erziehung zu fingieren, obwohl der Gesetzgeber die Zuwendung zum Kind auch dann fördern will, wenn die Eltern sich in der überwiegenden Erziehung ablösen. Denn sowohl die Inanspruchnahme von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub als auch die gemeinschaftliche Entschließung der Eltern, sich bei der Erziehung des Kindes einmal abzulösen (§ 3 Abs. 2 BErzGG) sind leicht festzustellende Umstände. Das bedeutet: Wenn und solange ein Elternteil mit Einverständnis des anderen Erziehungsurlaub in Anspruch nimmt und das Kind tatsächlich in zeitlich größerem Umfang erzieht, liegt keine "gemeinsame" Erziehung i.S. von § 2a Abs. 2 Satz 1 AVG, sondern eine "überwiegende" i.S. von Abs. 3 Satz 2 a.a.O. vor.
Nach den tatsächlichen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger seine Tochter im umstrittenen Zeitraum im Inland tatsächlich erzogen und hierfür aufgrund einer schon im Geburtsmonat des Kindes zusammen mit der Beigeladenen abgegebenen Erklärung Erziehungsurlaub in Anspruch genommen. Er hat daher den vorzumerkenden Tatbestand der Pflichtversicherung bei Kindererziehung i.S. von § 2a Abs. 3 Satz 2 AVG erfüllt.
Anzuerkennen sind die Kalendermonate, in denen er seine Tochter "überwiegend", d.h. in zeitlich größerem Umfang, erzogen hat, also die Zeit vom 1. April 1987 bis zum 31. August 1987. Im April 1987 hat der Kläger an zwanzig, die Beigeladene an zehn Tagen überwiegend erzogen. Der September 1987 war für die Beigeladene vorzumerken, weil der Kläger nur an zehn von dreißig Kalendertagen überwiegend erzogen hat, während an zwanzig Tagen gemeinschaftliche Erziehung vorlag, die nach Abs. 2 Satz 1 a.a.O. der Beigeladenen zuzuordnen ist, weil die Eheleute keine Erklärung i.S. dieser Vorschrift abgegeben hatten. Deswegen liegt im Blick auf September 1987 kein Fall vor, in dem beide Eltern in gleichem zeitlichen Umfang (z.B. jeder an 15 Kalendertagen jeweils überwiegend) erzogen haben mit der Folge, daß der Versicherungsmonat demjenigen zuzuordnen sein dürfte, der zuerst überwiegend erzogen hat.
Der Bescheid vom 7. April 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1988, den der Kläger - wie ausgeführt - als Drittbetroffener zulässig angefochten hat, ist insoweit abzuändern, als darin der streitige Zeitraum unzutreffend für die Beigeladene vorgemerkt worden ist, obwohl ausschließlich der Kläger versichert war. Die Abänderung unterliegt gemäß § 49 SGB X nicht den Einschränkungen des § 45 SGB X, weil der Klage des "Dritten" stattzugeben ist. Schon deswegen ist nicht weiter darauf einzugehen, daß die BfA den Kläger vor Erlaß des Bescheides vom 7. April 1988 von dem Antrag der Beigeladenen hätte benachrichtigen und ggf zum Verfahren hinzuziehen müssen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X) und daß sie - umgekehrt - die Beigeladene von dem vom Kläger eingeleiteten (Widerspruchs-) Verfahren hätte benachrichtigen und ggf hinzuziehen müssen. Weil ferner der Bescheid vom 6. Dezember 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1989 materiell-rechtlich unzutreffend und schon deswegen aufzuheben ist, bedarf keiner Darlegung, daß die Geschäftsführung der Beklagten den Bescheid vom 6. Dezember 1988 mangels Zuständigkeit nicht hätte erlassen dürfen, sondern den Widerspruch des Klägers, dem sie nicht abhelfen wollte, der Widerspruchsstelle vorlegen mußte (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG).
Nach alledem ist die Revision des Klägers begründet und die Beklagte zu verpflichten, für ihn den streitigen Zeitraum als Tatbestand der Pflichtversicherung bei Kindererziehung vorzumerken.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 518189 |
BSGE, 171 |