Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Unterrichtung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung bei irrtümlicher Annahme des Nichtbestehens eines Sonderkündigungsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber diesem nach § 102 Abs. 1 BetrVG einen zugunsten des zu kündigenden Arbeitnehmers bestehenden Sonderkündigungsschutz mitteilen. Will der Arbeitgeber sich darauf berufen, dass er irrtümlich davon ausgegangen sei, dass Sonderkündigungsschutz nicht besteht, trägt er dafür die Darlegungs- und Beweislast.
2. Die tatsächlichen Grundlagen für die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB müssen dem Betriebsrat ebenfalls mitgeteilt werden.
Normenkette
BGB § 626; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Dortmund (Entscheidung vom 22.01.2019; Aktenzeichen 5 Ca 955/18) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.01.2019 - 5 Ca 955/18 - teilweise abgeändert mit der Maßgabe, dass im Urteilstenor zu Ziffer 4 der Zahlungsbetrag 5.335,47 €, zu Ziffer 6 1.228,99 € und zu Ziffer 8 4.135,11 € lautet, jeweils nebst der ausgeurteilten Zinsen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugunsten der Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung, über die Beschäftigung des Klägers, über Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug für die Monate März bis August 2018 einschließlich zusätzlicher Urlaubsvergütung und jährlicher Sonderzahlung sowie über die Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses.
Der 1954 geborene und geschiedene Kläger ist seit dem 2.01.1982 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Konstruktions-Ingenieur auf dem Gebiet der Elektrotechnik gegen ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 6.775,31 € (Entgeltgruppe 14 ERA zuzüglich 12,5 % Leistungszulage) tätig gewesen. Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien ist ein Arbeitsvertrag zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger vom 17./21.09.1981 (ABl. 265 - 266), in dem es u.a. heißt:
2. Für das Anstellungsverhältnis gelten die jeweils für den Betrieb maßgebenden Tarifverträge für die Angestellten der Metallindustrie - auch bei Nachwirkung.
10. Dieser Vertrag wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann von beiden Seiten mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende gekündigt werden. Bei gesetzlicher Verlängerung der Kündigungsfrist gilt die verlängerte Frist zum Quartalsende auch für eine Kündigung gegenüber BBC.
Mit Wirkung zum 01.11.2005 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Diese ist Herstellerin von Anlagen für induktives Schmelzen und Erwärmen mit zuletzt ca. 120 Arbeitnehmern. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens und wendet die jeweiligen tariflichen Bestimmungen einheitlich auf alle bei ihr beschäftigen Arbeitnehmer an.
Anfang 2017 leitete die Beklagte Umstrukturierungsmaßnahmen ein. Darüber verhält sich ein Interessenausgleich und Sozialplan vom 21.02.2017, der u.a. den Abbau von Arbeitsplätzen vorsah. Wegen der Einzelheiten wird auf ABl 274 - 288 verwiesen.
Der Kläger war bis dahin in einer aus fünf Elektroingenieuren und drei Elektrotechnikern bestehenden Abteilung für die Konstruktion und Planung von Schmelzöfen zuständig. Abteilungsleiter war der Zeuge G. Die Elektrotechniker hatten u.a. die Aufgabe, von den Ingenieuren handschriftlich gefertigte Schaltpläne mit der Software "E-Plan" weiterzubearbeiten. Gelegentlich wurden derartige Arbeiten auch an externe Unternehmen vergeben. Dies geschah durch die Ingenieure der Abteilung ohne vorherige Ausschreibung. Vorgaben seitens der Unternehmensleitung gab es dafür nicht. Aufgrund des genannten Interessenausgleichs kündigte die Beklagte u.a. allen Elektrotechnikern, darunter dem Zeugen L. Diese wurden nach Bekanntgabe der Maßnahmen am 23.02.2017 mit sofortiger Wirkung freigestellt. Von den verbleibenden Ingenieuren aus der Abteilung des Klägers wurde zwei versetzt. Die anderen drei, der Zeuge G, der Zeuge Q und der Kläger, wurden zum 01.03.2017 in die Abteilung "Back Office Furnaces" integriert, dessen Abteilungsleiter der Zeuge G1 ist.
In der Folgezeit suchte der Kläger gemeinsam mit den verbliebenen Abteilungskollegen nach Wegen, den Wegfall der Elektrotechniker zu kompensieren. In diesem Zusammenhang entstand die Idee, den entlassenen Elektrotechniker L mit Planzeichnungen zu beauftragen. Darüber sprach der Kläger mehrmals mit dem Zeugen G1. Die diesbezüglichen Einzelheiten sind zwischen den Parteien streitig.
Nachfolgend vergaben der Kläger und seine Kollegen mindestens vier Zeichnungs-Aufträge in einem Bruttowert von ca. 29.000 € an eine Fa. Q1 & Partner (nachfolgend: Fa. Q1), die der Beklagten unter dem 28.11.2017, 6.12.2017 (zwei Rechnungen) und 16.01.2018 in Rechnung gestellt w...