Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung der eigenen Qualifikation nach WissZeitVG als selbständiges Tatbestandsmerkmal. Anwendbarkeit des WissZeitVG auf Tätigkeiten mit wissenschaftlichem Gepräge. Pflicht zur vertraglichen Beschäftigung bis zum rechtskräftigen Verfahrenabschluss

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei dem mit der Wissenschaftszeitvertragsgesetz-Novelle vom 11. März 2016 (BGBL. I S. 442 ff.) zusätzlich zu den bisherigen Voraussetzungen in das Gesetz eingefügten Erfordernis "zur Förderung der eigenen Qualifikation" handelt es sich um ein selbständig zu prüfendes Tatbestandsmerkmal.

2. Für die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG ist ein wissenschaftliches Gepräge der Tätigkeit des Mitarbeiters die notwendige aber nicht die hinreichende Bedingung. Die Vorschrift ist nicht auf jeden Mitarbeiter, der dem wissenschaftlichen Personal zugehörig ist, anwendbar, sondern nur auf einen Ausschnitt dieses Personenkreises.

3. Zu dem wissenschaftlichen Gepräge müssen Tätigkeiten hinzukommen, die eine wissenschaftliche Qualifizierung fördern und sich nicht in der bloßen Gewinnung zusätzlicher Berufserfahrung erschöpfen.

4. Dem hiervon abweichenden Willen des Gesetzgebers kann keine Geltung verschafft werden, weil er in der gesetzlichen Regelung keinen Niederschlag gefunden hat.

 

Normenkette

WissZeitVG §§ 1-2, 5; BGB §§ 611, 613; TzBfG § 17 S. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Köln (Entscheidung vom 26.05.2020; Aktenzeichen 11 Ca 295/20)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 02.02.2022; Aktenzeichen 7 AZR 573/20)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.05.2020 - 11 Ca 295/20 - abgeändert:

    1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung vom 15.08.2018 zum 31.12.2019 beendet worden ist.
    2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzverfahrens als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu beschäftigen.
  • II.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  • III.

    Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Befristung.

Die Beklagte ist eine Ressortforschungseinrichtung, die vollständig staatlich finanziert wird. Die am geborene Klägerin ist Diplom - Ingenieurin. Sie hat zwei minderjährige Kinder. Sie ist bei der Beklagten seit dem 1. September 2010 aufgrund von insgesamt fünf Verträgen befristet und in Teilzeit beschäftigt.

Der zuletzt geschlossene Vertrag vom 15. August 2018 hatte eine Laufzeit vom 15. August 2018 bis zum 31. Dezember 2019. Der Vertrag enthält folgende Bestimmung:

"Das Arbeitsverhältnis ist zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen Qualifizierung befristet bis zum 31.12.2019.

Die Befristung erfolgt ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes gemäß § 2 Absatz 1 Satz 1 und Satz 4 i. V. m. § 1 Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) vom 12.04.2007 in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung des WissZeit VG vom 11.03.2016."

Dem Arbeitsvertrag war als Anlage ein Qualifizierungsplan beigefügt, der für die Klägerin fachliche und weitere Qualifizierungsziele enthielt. Danach sollte sie vertiefte Kenntnisse in den Themenfeldern "Betonstraßenbau/Betontechnologie, insbesondere Bereich Betonfertigteile für Verkehrsflächen aus Beton" erwerben. Hierzu sollte "die fachliche Bearbeitung des BMPF - Drittmittelprojekts HESTER (= Hybrides Entwicklungssystem für die Straßenerhaltung unter Einsatz neuartiger Werkstoffe) inklusive der Erstellung des wissenschaftlichen Abschlussberichtes erfolgen". Weiterhin war vorgesehen, dass die Klägerin eine Weiterbildungsmaßnahme zu dem Thema "Kommunizieren und Kooperieren" besuchen sollte. Wegen des weiteren Inhalts des Qualifizierungsplans und der für die Klägerin maßgeblichen Tätigkeitsbeschreibung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei unwirksam. Hierzu hat sie behauptet, sie sei entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht schwerpunktmäßig wissenschaftlich, sondern als "Edelsachbearbeiterin" tätig gewesen. Die wissenschaftliche Forschung habe vertragsübergreifend ca. ein Prozent ihrer Tätigkeit ausgemacht, insbesondere aber im Rahmen des letzten Anstellungsvertrages. Im Sommer 2019 seien ihr sämtliche über das Projekt HESTER hinausgehende Tätigkeiten entzogen worden, sodass sie nicht mehr ausgelastet gewesen sei. Sie sei als Springerin eingesetzt worden. Ihre Beschäftigung sei auch nicht zur Förderung ihrer wissenschaftlichen Qualifizierung erfolgt. Mit 43 Jahren zähle sie nicht mehr zum wissenschaftlichen Nachwuchs.

Die Klägerin hat beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der im Änderungsvertrag vom 15.08.2018 niedergelegten Befristungsabrede am 31.12.2019 sein Ende gefunden hat, sondern darüber hinaus als unbefristetes Arbeitsverhältnis fortbesteht;
  2. die Beklagte zu verurteilen, sie über den 31.12.2019 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß den im Arbeitsvertrag vom 15.08.2018 festgeschriebenen Arbeitsbedingung...

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