Bei einem etwaigen Anhörungsrecht des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit einer Abmahnung sind zwei Fragen voneinander zu unterscheiden: Zum einen geht es um die Frage, ob dem Arbeitnehmer vor Erteilung der Abmahnung ein Anhörungsrecht zusteht. Zum anderen geht es darum, ob der Arbeitnehmer angehört werden muss, bevor die erteilte Abmahnung zu seinen Personalakten genommen wird.
Die Anhörung des Arbeitnehmers vor Erteilung der Abmahnung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Die unterbliebene Anhörung bleibt ohne Einfluss auf die Warnfunktion der Abmahnung. Für die Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung kommt es auf die sachliche Berechtigung der Abmahnung und nicht darauf an, ob sie in formaler Hinsicht einwandfrei erfolgt ist. Aus der formellen Unwirksamkeit einer Abmahnung kann der Beschäftigte nicht entnehmen, der Arbeitgeber billige das abgemahnte Verhalten.
Deshalb behält eine Abmahnung, die wegen einer Mehrzahl von Vorwürfen ausgesprochen worden ist und aus den Personalakten entfernt werden muss, weil ein Teil der Vorwürfe unzutreffend ist, hinsichtlich der zutreffenden Vorwürfe als mündliche Abmahnung ihre Geltung. Auch in einer unwirksamen (verhaltensbedingten) Kündigung kann eine kündigungsrechtlich wirksame Abmahnung liegen.
Im Unterschied zu der Verdachtskündigung, bei der die vorherige Anhörung des Beschäftigten nach der Rechtsprechung des BAG Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung ist, kommt eine Abmahnung nur bei objektiv vorliegender Pflichtverletzung in Betracht. Eine Abmahnung wegen des dringenden Verdachts einer Pflichtverletzung ist unzulässig. Deshalb werden die Rechte des Arbeitnehmers im Vergleich zu einer Verdachtskündigung erheblich weniger beeinträchtigt, wenn ihm eine Abmahnung ohne vorherige Anhörung erteilt wird. Dies folgt allein schon daraus, dass es sich bei der Abmahnung nicht um eine Willenserklärung handelt, da sie keine unmittelbaren Rechtsfolgen auslöst.
Unabhängig von diesen rechtlichen Ausführungen steht außer Frage, dass eine vorherige Anhörung des Beschäftigten auch im Falle einer Abmahnung im Regelfall zweckmäßig sein kann. Eine etwaige Gegendarstellung des Beschäftigten muss – ebenso wie die Abmahnung selbst – zu den Personalakten genommen werden.
Das früher geltende Tarifrecht des öffentlichen Dienstes hat ein besonderes Anhörungsrecht des Angestellten und Arbeiters vor der Aufnahme belastender Schriftstücke in die Personalakte vorgesehen (§ 13 Abs. 2 BAT; § 13a Abs. 2 MTArb; § 11a Abs. 2 BMT-G II). Diese Regelungen hatten insbesondere im Zusammenhang mit Abmahnungen eine große praktische Bedeutung.
Die Nachfolgeregelung zu den Personalakten in § 3 Abs. 6 TV-L ist inhaltsgleich, sodass sich insoweit die Rechtslage nicht geändert hat. Im Gegensatz dazu enthält § 3 Abs. 5 TVöD nicht mehr die Regelung, dass der Beschäftigte zu Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor Aufnahme in die Personalakten gehört werden muss. Allerdings ist auch hier dem Anspruch der Beschäftigten auf rechtliches Gehör Rechnung zu tragen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör stets verletzt ist, wenn der Arbeitgeber eine Pflichtverletzung abmahnt, ohne den Beschäftigten zuvor zu dem Abmahnungssachverhalt angehört zu haben. Insoweit kommt es entscheidend auf die Art der Pflichtverletzung und die sonstigen Umstände des Einzelfalls an, und zwar insbesondere auch darauf, ob der Sachverhalt eindeutig oder noch klärungsbedürftig ist. Die unterbliebene Anhörung des Beschäftigten vor Aufnahme einer Abmahnung in seine Personalakten begründet jedenfalls im Geltungsbereich des TVöD für sich allein keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus den Personalakten.