Auch wenn eine vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung für die Tatsache der Erkrankung des Arbeitnehmers begründet, spricht für ihre Richtigkeit der Beweis des ersten Anscheins.[1] Dennoch hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Beweiskraft des ärztlichen Attests durch die Darlegung und den Nachweis besonderer Umstände zu erschüttern. Der Arbeitgeber muss dabei konkrete Einzelumstände darlegen. Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung können insbesondere dann bestehen, wenn die Krankschreibung für einen länger zurückliegenden Zeitraum erfolgt ist[2], wenn die Krankschreibung ohne vorhergehende ärztliche Untersuchung erfolgt ist[3] oder wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit "angekündigt" hat.[4] Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit einer anderen Tätigkeit nachgeht oder sich sonst genesungswidrig verhält[5] oder wenn er eine rückdatierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.[6]

Ist durch solche oder vergleichbare Tatsachen der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert, hat der Arbeitnehmer den vollen Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit zu erbringen. Benennt der Arbeitnehmer den Arzt als Zeugen, hat er ihn von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Verbleiben Zweifel, gehen diese zu Lasten des Arbeitnehmers.

Der Missbrauchskontrolle dienen auch die ergänzenden Kontrollbefugnisse der Krankenkasse (§ 275 SGB V), die zum Teil erheblich verschärft worden sind. Bislang konnte die Krankenkasse bei "begründeten Zweifeln" an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachterliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes einholen. Nunmehr reichen (einfache) Zweifel aus. Solche Zweifel werden nach § 275 Abs. 1 Nr. 3 b SGB V vermutet insbesondere bei auffällig häufigen Mehrfach- und Kurzerkrankungen, bei häufiger Arbeitsunfähigkeit am Beginn oder Ende einer Woche oder bei Nachweisen durch einen Arzt, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen auffällig geworden ist. In § 106 Abs. 3a SGB V ist zudem erstmals eine Schadenersatzpflicht des Arztes geregelt, der grob fahrlässig oder vorsätzlich die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers festgestellt hat, obwohl die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlagen.

Unabhängig hiervon hat der Arbeitgeber bei durch konkrete Anhaltspunkte begründeten Zweifeln am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit auch die Möglichkeit, nach § 7 Abs. 2 BAT den Arbeitnehmer durch einen Vertrauensarzt auf seine Arbeitsfähigkeit hin untersuchen zu lassen (vgl. Ärztliche Untersuchung). Auch können zur Überprüfung Hausbesuche gemacht werden, der Arbeitnehmer braucht allerdings den Arbeitgeber nicht hereinzulassen.

Verstößt der Arbeitnehmer gegen seine Verpflichtung zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Vergütung so lange zurückzuhalten, bis der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung nachgekommen ist (§ 37a Abs. 1 Unterabs. 3 BAT). Legt der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anschließend vor, ist die Arbeitsvergütung rückwirkend für den durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgedeckten Zeitraum zu zahlen.[7]

Bei wiederholter Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht kann der Arbeitgeber nach entsprechender Abmahnung zur Kündigung berechtigt sein. Im Übrigen kann der Arbeitgeber einen Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitnehmer geltend machen, wenn ihm durch die schuldhafte Verletzung der Anzeige- und Nachweispflicht ein tatsächlicher Schaden entstanden ist.

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