Leitsatz (amtlich)
1. Der Berliner Landesverband der Gewerkschaft E. und W. (GEW) war im Verhältnis zum Gesamtverband satzungsgemäß zu Aufruf und Durchführung des eintägigen Warnstreiks im Land Berlin vom 23. April 2013 mit den Streikforderungen „Entgeltordnung für Lehrkräfte” sowie „alternsgerechte Arbeitsbedingungen” ermächtigt.
2. Die Satzung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) steht wegen der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) des Mitgliedslandes auf dieses beschränkten Tarifverhandlungen nicht entgegen, die daher von der Gewerkschaft durch Streikmaßnahmen erzwungen werden können (in Fortführung von BAG vom 10.12.2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155-174 = NZA 2003, 734-741 = juris Rn 27 ff. mwN).
3. Die Forderung der GEW nach Schaffung einer tariflichen Entgeltordnung für Lehrkräfte (L-ego) unterliegt nicht der Friedenspflicht des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L), weil die Vergütungsordnung zum TV-L Eingruppierungsregelungen für Lehrkräfte zur Ermittlung der Entgeltgruppe nicht enthält und es sich dabei auch nicht um eine „bewusste Nichtregelung” der Tarifvertragsparteien handelt.
4. Ein gewerkschaftlich geführter Warnstreik der angestellten Lehrkräfte an einem Tag, an dem die schriftliche Abiturprüfung in einem Leistungskursfach sowie Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss (MSA) stattfinden, verstößt nicht deshalb gegen das Übermaßverbot. Ob dies auch für die mündliche Abiturprüfung gilt, ist damit nicht entschieden.
Tenor
I. Die Anträge werden zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Verfügungskläger zu tragen.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 40.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Das antragstellende Land (der Verfügungskläger) wendet sich im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen einen von der Verfügungsbeklagten ausgerufenen gewerkschaftlichen Warnstreik.
An den öffentlichen Schulen im Land Berlin sind derzeit ca. 22.000 Lehrkräfte im Beamtenverhältnis und ca. 8.000 Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Am 23.04.2013 finden zum einen die schriftlichen Prüfungen in den Fächern der ersten Fremdsprache zum Mittleren Schulabschluss (MSA) und zum anderen die schriftliche Abiturprüfung für den Leistungskurs Biologie statt. Verfügungsbeklagter ist der Landesverband Berlin der Gewerkschaft E. und W. (GEW), der zur Erzwingung von Tarifverhandlungen bereits für den 16. und 17.01.2013 sowie den 18.02.2013 die Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis an Berliner Schulen zu Warnstreiks aufgerufen hatte und diese durchführte. Ausweislich einer Presseerklärung vom 18.04.2013 kündigte er einen erneuten Warnstreik für den 23.04.2013 – auszugsweise – wie folgt an:
”Nachdem die Verhandlungen mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) über Eingruppierungsregelungen für angestellte Lehrkräfte wiederholt an einem unannehmbaren Angebot der Arbeitgeber gescheitert sind, bleibt nur der Verhandlungsweg auf Länderebene.
Darüber hinaus sehen die Mitglieder der GEW Berlin die dringende Notwendigkeit, die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte alternsgerecht zu gestalten.
Die GEW BERLIN fordert somit
- tarifliche Eingruppierungsregelungen für angestellte Lehrkräfte, durch welche auch die Einkommensunterschiede zwischen angestellten und verbeamteten Lehrkräften beseitigt werden können,
- Regelungen zu alternsgerechten Arbeitsbedingungen, die eineGesunderhaltung der Lehrkräfte bis ins Alter ermöglichen.
Mit Schreiben vom 31. März 2013 wurde deshalb der Finanzsenator aufgefordert, in entsprechende Tarifverhandlungen einzutreten. Herr Dr. N. hat es seitdem nicht für erforderlich gehalten, die Verhandlungsaufforderung der GEW Berlin persönlich zu beantworten. Stattdessen hat er einen Abteilungsleiter beauftragt, Verhandlungen abzulehnen und […]
Deshalb bleibt der GEW Berlin keine andere Möglichkeit, als ihren Forderungen durch Arbeitskampfmaßnahmen Gewicht zu verschaffen und zunächst die angestellten Lehrkräfte der Schulen des Landes Berlin am 23. April 2013 zu einem Warnstreik aufzurufen.
[…]”
Nach einem von dem Verfügungskläger zur Akte gereichten entsprechenden Ausdruck vom 18.04.2013 ruft die Verfügungsbeklagte zusätzlich auf ihrer Internetseite die angestellten Lehrkräfte, welche Mitglied der GEW Berlin sind, zur Teilnahme an einem Warnstreik am 23.04.2013 auf.
Dagegen wendet sich das Land Berlin mit seinem am 19.04.2013 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Der Verfügungskläger hält die Arbeitskampfmaßnahme für rechtswidrig. Der Landesverband der GEW sei dazu im Verhältnis zur GEW als Gesamtorganisation bzw. zum Koordinierungsvorstand bereits nicht oder nicht ausreichend bevollmächtigt. Er, der Verfügungskläger, selbst könne in Ansehung der erneuerten Mitgliedschaft in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) mit der Gewerkschaft keine auf das Land Berlin beschränkten Tarifregelungen mit den geforderten Inhalten abschließen und folglich dazu auch keine Tarifverhandlungen führen. Daran s...