Entscheidungsstichwort (Thema)
Politischer Streik
Orientierungssatz
1. Arbeitsniederlegungen, die sich gegen Gesetzentwürfe der Bundesregierung richten (hier zu § 116 AFG), sind als politische Streiks rechtswidrig.
2. Ein entsprechender gewerkschaftlicher Aufruf verletzt das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, §§ 823 Abs 1, 830 BGB.
3. Das IAOÜbk 87, insbesondere dessen Art 11, kann kein politisches Streikrecht begründen.
4. Über die gegen die Entscheidung eingelegte Berufung, 18 Sa 359/91 hat das LArbG Hamm am 24.09.1993 entschieden.
Normenkette
BGB § 830; GG Art. 9 Abs. 3; IAOÜbk Art. 11; BGB § 823 Abs. 1; IAOÜbk 87 Art. 11
Nachgehend
LAG Hamm (Entscheidung vom 24.09.1993; Aktenzeichen 18 (16) Sa 359/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Haftung der Beklagten für die Folgen der sogenannten Demonstrationsstreiks eines Teils der Belegschaft der Klägerin vom 04. März 1986 gegen die Änderung des § 116 AFG.
Die Klägerin, ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie betriebsverfassungsgebunden … beschäftigte damals 158 Arbeitnehmer in 19 Kostenstellen. Die Klägerin stellt Metallteile (Stanz-, Preß- und Ziehteile) für die Automobilindustrie her; sie produziert ohne Zwischenlager direkt zur Auslieferung an die Besteller und arbeitet zweischichtig. Die Frühschicht der Lohnempfänger geht von 07.00 Uhr bis 14.12 Uhr.
Im Rahmen einer im Herbst 1985 begonnenen, monatelangen gewerkschaftlichen Kampagne gegen den Entwurf des neuen § 116 AFG riefen der … und die ihm angeschlossenen … gewerkschaften, darunter auch die Erstbeklagte, für den 04. und 05.02.1986 sowie den 06.03.1986 zu Protestdemonstrationen auf. Dem Aufruf sollen nach offiziellen Verlautbarungen der Gewerkschaften am 04. und 05.02.1986 600.000 Arbeitnehmer, am 06.03.1986 sogar 1.000.000 Arbeitnehmer gefolgt sein und die Arbeit niedergelegt haben, aus gewerkschaftlicher Sicht die größte organisierte Protestbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik.
Eingebettet in diese bundesweit organisierten Protestaktionen verteilten Vertrauensleute der Beklagten am Vormittag des 04.02.1986 vor Schichtbeginn an die Arbeitnehmer der Klägerin das nachstehende Flugblatt, für das der Zweitbeklagte verantwortlich zeichnete (vgl. Blatt 21 der Akte):
Streikrecht verteidigen Demokratie sichern
Die … ruft auf
ZUM PROTEST
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Arbeitgeber und Bundesregierung wollen das Streikrecht per Handstreich demontieren.
Durch einen überraschenden Beschluß der Bundesregierung findet die 1. Lesung zur Änderung des § 116 AFG schon am Mittwoch, dem 05. Februar 1986 in einer Bundestagssondersitzung statt.
Die Änderung des § 116 AFG im Schnellverfahren würde uns noch rechtzeitig vor der nächsten Tarifbewegung das Streikrecht nehmen. Betroffen wären alle Arbeitnehmer – nicht nur die Organisierten.
„Widerstand jetzt”
Wenn Recht zu Unrecht wird – wird Widerstand zur Pflicht
Verlaßt Heute die Betriebe 1 Stunde vor Arbeitsende und protestiert:
– für die Erhaltung unseres Streikrechts
Nur gemeinsam werden wir es schaffen. Auch die Unorganisierten dürfen nicht länger im Abseits stehen. Werdet jetzt Mitglied der …
Dem Aufruf folgten 14 Lohnempfänger aus 7 Kostenstellen, die rund eine Stunde vor Schichtbeginn zwischen 13.12 Uhr und 13.16 Uhr (vgl. Protokoll vom 22.07.1987, Blatt 81 der Akte) die Arbeit niederlegten und sich mehr oder weniger geschlossen zu einer auf dem Marktplatz in … veranstalteten öffentlichen Kundgebung begaben.
Der Betriebsrat hat später die Forderung der Geschäftsleitung abgelehnt, den Ausfall nachzuarbeiten.
Mit ihrer am 27. Januar 1987 anhängig gemachten, am 02. bzw. 04. Februar 1987 zugestellten Klage fordert die Klägerin aus unerlaubter Handlung (§ 823 BGB, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb), gestützt auf die Entscheidung des BAG vom 05.05.1985, DB 1985, Seite 1695 ff. (vgl. auch eine vollständige Abschrift dieses Urteils, Blatt 94–105) ihren – durch den aus ihrer Sicht rechtswidrigen Streik bedingten – Gewinnausfall in Form entgangener, kostendeckender Einnahmen. Ihr seien, behauptet sie, wegen der Arbeitsniederlegungen Einnahmen entgangen, mit denen sie kostendeckend hätte arbeiten können, da sie die – während des Streiks nicht erzeugten – Produkte zu kostendeckenden Preisen hätte absetzen können. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sei dies anzunehmen, da in ihrem Unternehmen vor und nach dem Streik kostendeckend gearbeitet worden sei.
In strikter Anlehnung an die BAG-Entscheidung spezifiziert die Klägerin ihren Schaden (unter Zugrundelegung einer weiteren Berechnung Hülle Blatt 88 der Akten) in einer Aufstellung vom 25.08.1986 (vgl. Blatt 23 der Akten) auf insgesamt 333,42 DM, das sind nach ihrer Behauptung die unbeeinflußbaren Fixkosten.
Unter dem 12. Oktober 1987 hat die Klägerin ihren Schaden hilfsweise im Bezug auf die Kostenstelle … 125 … dahin konkretisiert, daß infolge eines am Streiktag (04.02.1986) nicht ausgeführten Kundenauftrages über … 2200 Metallteile ein Gewinn von … 0,12651 DM pro Stück nicht habe realisi...