Rz. 130
Hat der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt und der Arbeitnehmer gleichwohl keinen Antrag auf Gewährung des Urlaubs gestellt, so geht der noch offene Jahresurlaubsanspruch mit Ablauf des Urlaubsjahres unter. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ohne Einschränkungen. Nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG erfolgt die Übertragung des Urlaubsanspruchs auf das Folgejahr in zwei Fällen:
- Die Übertragung ist aus dringenden betrieblichen Gründen gerechtfertigt.
- Die Übertragung ist aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt.
Die Übertragung erfolgt automatisch kraft Gesetzes. Liegen die Übertragungsvoraussetzungen vor, ist für die Übertragung weder ein Antrag des Arbeitnehmers erforderlich noch eine Übertragungshandlung des Arbeitgebers im Sinne einer Genehmigung oder Billigung. Der Sache nach handelt es sich daher um einen automatischen Übergang.
Rz. 131
Der übertragene Urlaubsanspruch kommt zu dem Urlaubsanspruch für das aktuelle Urlaubsjahr hinzu, allerdings mit der Einschränkung, dass er nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG bis zum 31.3. gewährt sein muss, sonst geht er unter. Der Untergang zum 31. März des Folgejahres setzt allerdings voraus, dass nach Auffassung des BAG der Arbeitgeber im Rahmen seiner Mitwirkungsobliegenheiten erneut aktiv wurde. Er muss den Arbeitnehmer auffordern, seinen Urlaub noch innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen und ihn darauf hinweisen, dass der Urlaubsanspruch andernfalls erlischt.
Nach der Entscheidung des EuGH und des BAG wurde teilweise empfohlen, die Übertragungsmöglichkeiten und die Befristung in die Belehrung im Kalenderjahr aufzunehmen.
Dies ist wohl nicht erforderlich, aber sinnvoll. Gleichwohl besteht die Pflicht, zum Beginn des Übertragungszeitraums den Arbeitnehmer unter Hinweis auf den drohenden Untergang aufzufordern, den Urlaub innerhalb des Übertragungszeitraums zu nehmen. Im Rahmen dieser Aufforderung als Mitwirkungsobliegenheit muss der Arbeitnehmer auch über die Zahl der offenen Urlaubstage informiert werden.
Rz. 132
Erfüllt der Arbeitgeber diese Mitwirkungsobliegenheiten nicht, entfällt die Befristung des übertragenen Urlaubsanspruches auf den 31. März des Folgejahres. Der offene Urlaubsanspruch wird zum Urlaub des neuen Kalenderjahres addiert.
In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Arbeitgeber zu Beginn des Urlaubsjahres seine Mitwirkungsobliegenheiten bezüglich des neuen Kalenderjahres als sichere Vorgehensweise erfüllen kann und zugleich im Hinblick auf den übertragenen Urlaub erfüllen muss. Dabei muss für den Arbeitnehmer, um den Anforderungen der "völligen Transparenz" gerecht zu werden, die Unterscheidung zwischen dem übertragenen Urlaub und dem Urlaubsanspruch des neuen Kalenderjahres klar erkennbar sein, und zwar sowohl im Hinblick auf die Befristung als auch auf die Höhe des Urlaubsanspruchs.
Rz. 133
Besonderheiten gelten, wenn bei Übertragung offener Urlaubsansprüche nach erfolgter Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten der Arbeitnehmer längerfristig über den Übertragungszeitraum hinaus arbeitsunfähig wird.
Beispiel
Aus betrieblichen Gründen wurden 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2023 nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG übertragen. Der Arbeitgeber ist seinen Mitwirkungsobliegenheiten am 15.1.2024 nachgekommen. Kurz danach erkrankt der Arbeitnehmer und ist vom 4.2.2024 bis 31.5.2024 arbeitsunfähig. Gerade auch im Hinblick auf die vorherige Mitteilung, bedarf es, da der Urlaubsanspruch nicht untergegangen ist, einer erneuten Mitteilung.
Rz. 134
Ändert sich zum Jahresanfang, im Laufe des Kalenderjahres oder im Übertragungszeitraum der Umfang der wöchentlichen Arbeitspflicht, ist auch der dem Arbeitnehmer zustehende Urlaub neu zu bestimmen. Als Folge zweier Entscheidungen des EuGH hat das BAG seine Rechtsprechung fortentwickelt. Wird im Übertragungszeitraum Urlaub gewährt, ist ohne Leistungsbestimmung nach § 366 Abs. 2 BGB zunächst der übertragene Urlaubsanspruch des Vorjahres als ältere Schuld getilgt.