BAG, Urteil v. 29.6.2017, 2 AZR 47/16
Leitsatz (amtlich)
Die ernstliche und im Zustand freier Willensbetätigung abgegebene Drohung mit Selbstmord kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses bilden, wenn es dem Arbeitnehmer darum geht, mit der Drohung Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, um bestimmte eigene Interessen oder Forderungen durchzusetzen.
Sachverhalt
Dem Kläger, der langjährig als Straßenwärter im Landesdienst beschäftigt war, konnte wegen seines Alters und der Beschäftigungszeit nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Er war länger erkrankt, was er u. a. auf Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit seinem Vorgesetzten und seinen Arbeitskollegen zurückführte. Nach seiner Rückkehr wurde er vorübergehend im Innendienst eingesetzt und kehrte anschließend wieder zu einer Autobahnmeisterei zurück. Nach 2 Tagen erkrankte er erneut und war über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig. Im Rahmen eines BEM-Gespräches teilte ihm der beklagte Arbeitgeber mit, dass über einen eingeschränkten Einsatz des Klägers auf einer Autobahnmeisterei nachgedacht werde. Hiergegen brachte der Kläger jedoch vor, dass aufgrund seiner psychischen Verfassung eine Beschäftigung als Straßenwärter "fast ausgeschlossen" sei. Deshalb wurde ihm auch vorgeschlagen, über eine berufliche Neuorientierung außerhalb des Arbeitgebers nachzudenken. Der Kläger reagierte hierauf sehr emotional und äußerte – unter Hinweis, dass er Mitglied eines Schützenvereins sei und dass er "zum Glück noch nicht" über einen Waffenschein verfüge –, dass er nicht garantieren könne, dass er nicht wieder krank werde oder sich umbringe oder Amok laufen werde. Nachdem der Kläger sich nicht von diesen Äußerungen distanzierte oder entschuldigte, kündigte der Beklagte nach Zustimmung des Integrationsamts das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlost. Hiergegen wandte sich der Kläger.
Die Entscheidung
Während das Arbeitsgericht die Klage abwies, hatte sie vor dem LAG Erfolg. Das BAG hob die Entscheidung des LAG jedoch auf und verwies die Sache an dieses zurück.
Das BAG folgte zunächst nicht der Ansicht des LAG, welches urteilte, dass die Äußerungen des Klägers in der "geschützten" Situation eines BEM erfolgte, dieser sich somit auch während des BEM-Gesprächs in einer emotional hochbelasteten Situation befunden habe, was der Beklagte im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung hätte beachten müssen, sodass es diesem jedenfalls auch zuzumuten gewesen wäre, die (fiktive) ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten. Denn, so die Aussage des BAG, dass das BEM eine besonders geschützte Situation sei, finde im Gesetz keine Stütze. Die bloße Teilnahme eines Arbeitnehmers an einem BEM könne nach Ansicht des BAG das Bestandsschutzinteresse nicht generell steigern oder das Gewicht von Pflichtverletzungen mindern. Durch ein BEM-Verfahren solle dagegen nach Möglichkeiten der Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen eines fairen und sachorientierten Gesprächs gesucht werden, sodass der Arbeitgeber berechtigterweise erwarten könne, dass auch der Arbeitnehmer sein Verhalten hieran ausrichte und insbesondere nicht darauf abziele, mit widerrechtlichen Drohungen das Ergebnis des Suchprozesses für ihn positiv zu beeinflussen. Insoweit können nach Ansicht des BAG auch Äußerungen im Rahmen eines BEM für arbeitsrechtliche Sanktionen, bis hin zur außerordentlichen Kündigung, herangezogen werden.
Im vorliegenden Fall lag auch ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung gem. § 626 BGB vor; denn eine ernstliche Drohung eines Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben des Arbeitgebers, von Vorgesetzten und/oder Arbeitskollegen, für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, komme nach Ansicht des BAG "an sich" als wichtiger Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, da in einem solchen Verhalten eine massive Störung oder jedenfalls eine konkrete Gefährdung des Betriebsfriedens liege. Solch ein Verhalten stelle, so das Gericht, eine erhebliche Verletzung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden, den Arbeitnehmer auch während der Durchführung eines Wiedereingliederungsverhältnisses treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Das gelte auch unabhängig davon, ob das Verhalten des Arbeitnehmers auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs ziele. Insoweit war es nach Auffassung des BAG auch nicht maßgebend, ob der Drohende seine Ankündigung tatsächlich verwirklichen konnte oder wollte. Maßgebend allein sei, ob die Äußerung des Arbeitnehmers objektiv geeignet sei, bei einem "normal" empfindenden Menschen den Eindruck der Ernstlichkeit zu erwecken und ob der Wille des Arbeitnehmers darauf gerichtet sei, dass der Adressat die Drohung ernst nehme.