BAG, Urteil v. 25.1.2018, 2 AZR 382/17
Der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung und auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung. Der schwerbehinderte Kläger ist seit 1997 als Sachbearbeiter bei einer Krankenkasse angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag BAT/AOK-Neu Anwendung. Hiernach hatte gem. § 5 Abs. 2 der Arbeitgeber das Recht, bei gegebener Veranlassung durch den Medizinischen Dienst oder das Gesundheitsamt die Arbeitsfähigkeit seiner Beschäftigten feststellen zu lassen. Im Februar 2015 teilte die Beklagte dem Kläger schriftlich mit, dass sie beabsichtige, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Allerdings wurden 2 anberaumte Untersuchungstermine vom Kläger nicht wahrgenommen, weshalb er auch jeweils schriftlich abgemahnt wurde. Auch die Teilnahme an einem 3. Untersuchungstermin lehnte der Kläger schriftlich ab. Nachdem die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis am 19.1.2016 außerordentlich fristlos. Hiergegen erhob der Kläger Klage.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage ab, das LAG gab ihr statt. Das BAG hat mit der Begründung, die Annahme des LAG, es fehle an einem wichtigen Grund, sei fehlerhaft, das Urteil des LAG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an dieses zurückgewiesen.
Das BAG führte hierzu aus, die tarifvertragliche Regelung des § 5 Abs. 2 BAT/AOK-Neu begründe eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers, sich nach Aufforderung des Arbeitgebers einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Es genüge hierbei für eine wirksame Aufforderung das Bestehen berechtigter Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers. Solche Zweifel könnten grundsätzlich auch bei Minderleistungen des Arbeitnehmers bestehen; denn die Tarifnorm setze – entgegen der Ansicht des LAG – nicht voraus, dass der Arbeitgeber vor Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung eines schwerbehinderten Beschäftigten ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX a. F. durchgeführt habe.
Allerdings betonte das BAG bezüglich der erfolgten Kündigung, dass den Arbeitgeber, der entgegen seiner Verpflichtung aus § 84 I SGB IX a. F. ein Präventionsverfahren nicht durchführt habe, eine erhöhte Darlegungslast im Hinblick auf denkbare, mildere Mittel treffe, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen und somit einen Kündigung zu vermeiden. Diese entfalle auch nicht etwa deshalb, weil das Integrationsamt der Kündigung zugestimmt habe.
Anmerkung:
Das Urteil bestätigt die Wirksamkeit entsprechender tarifvertraglicher Regelungen – wie auch der § 3 Abs. 4 TVöD bzw. § 3 Abs. 5 TV-L – und dass ein Verstoß gegen diese Vorschriften eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Das Gericht ging jedoch noch weiter, da nicht nur von einem Verstoß gegen tarifliche Vorschriften, sondern ganz allgemein von einem Verstoß gegen eine "tarif- oder einzelvertraglich geregelte Nebenpflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung und auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken" die Rede war. Vor dem Ausspruch einer personenbedingten Kündigung ist insoweit zu raten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, um hierdurch auch die Wahrscheinlichkeit einer negativen Gesundheitsprognose zu prüfen.