Entscheidungsstichwort (Thema)

Erledigung in der Hauptsache, unklare Rechtslage, Kosten

 

Orientierungssatz

Eine in Rechtsprechung und Rechtslehre umstrittene, vom Revisionsgericht bisher noch nicht entschiedene Rechtsfrage (hier: Zulässigkeit von verwendeten Kontrollampen) kann offen bleiben und billiges Ermessen dahin ausgeübt werden, daß das Kostenrisiko beiden Parteien gleichmäßig auferlegt wird.

 

Normenkette

ZPO § 91a; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 18.01.1983; Aktenzeichen 1 Sa 14/81)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 07.11.1980; Aktenzeichen 13 Ca 269/80)

 

Gründe

I. Die Parteien haben darüber gestritten, ob die Beklagte berechtigt ist, die Arbeit der Klägerin mit Hilfe von Schauzeichenfeldern und Strichlisten zu überwachen. Ferner hat die Klägerin in erster Instanz den Abbau einer Telefonüberwachungsanlage verlangt.

Die Klägerin war bei der Beklagten in deren Fernmeldeamt I in Hamburg in der Fernsprechauskunft beschäftigt. Dort sind jeweils etwa 20 Auskunftsplätze einer Aufsicht unterstellt, bei der für jeden Auskunftsplatz Schauzeichenfelder mit zwei Lampen bestehen. Mit der sogenannten Platzlampe kann die Anwesenheit der Beschäftigten am Arbeitsplatz festgestellt und mit der sogenannten Überwachungslampe kann kontrolliert werden, wie lange es dauert, bis ein dem Auskunftsplatz zugeschalteter Anruf angenommen wird, und wie lange das Auskunftsgespräch selbst dauert. Weiter kann durch eine besondere Einrichtung die Anzahl der erledigten Anrufe für jeden Arbeitsplatz ermittelt werden. Eine Telefonüberwachungsanlage, die ein unbemerktes Mithören der von den Auskunftskräften geführten Gespräche ermöglicht, wird nicht mehr benutzt. Dagegen besteht eine Anweisung, die Auskunftskräfte unter Verwendung der Schauzeichenfelder und danach gefertigter handschriftlicher Notizen, den sogenannten Strichlisten, stärker als bisher zu kontrollieren.

Durch rechtskräftigen Beschluß vom 4. August 1981 hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Personalrats hinsichtlich der Verwendung der Schauzeichenfelder verneint (OVG Bs PB 9/81).

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, die mit Hilfe von Schauzeichenkontrollfeldern und Strichlisten durchgeführte heimliche Dienstüberwachung der Klägerin zu unterlassen. Die weitergehende Klage auf Abbau der Telefonüberwachungsanlage hat es abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision hat die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.

Nachdem die Klägerin zum 1. Juli 1984 aus Altersgründen ausgeschieden ist, haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und widersprechende Kostenanträge gestellt.

II. 1. Nach § 91 a ZPO war über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluß zu entscheiden. Diese Vorschrift gilt auch für die Revisionsinstanz (BAG Beschluß vom 17. August 1961 - 5 AZR 311/60 - sowie Urteil vom 12. Juni 1967 - 3 AZR 368/66 - AP Nr. 9 und Nr. 12 zu § 91 a ZPO). Die weitere Voraussetzung, nämlich die Zulässigkeit des Rechtsmittels, ist ebenfalls erfüllt.

Die Kosten sind grundsätzlich der Partei aufzuerlegen, die im Kostenpunkt unterlegen gewesen wäre, wenn sich der Rechtsstreit nicht erledigt hätte. Da bei der Entscheidung aber auch billiges Ermessen auszuüben ist, kann das Gericht bei einer rechtlich schwierigen Sache davon absehen, zu jeder Rechtsfrage abschließend Stellung zu nehmen. Eine in Rechtsprechung und Rechtslehre umstrittene, vom Revisionsgericht bisher noch nicht entschiedene Rechtsfrage kann daher offenbleiben und billiges Ermessen dahin ausgeübt werden, daß das Kostenrisiko beiden Parteien gleichmäßig auferlegt wird (vgl. BAG Beschluß vom 18. Februar 1957 - 2 AZR 231/56 - sowie Urteil vom 12. Juni 1967 - 3 AZR 368/66 - AP Nr. 2 und Nr. 12 zu § 91 a ZPO; BGH Beschluß vom 18. Februar 1954 - III ZR 208/52 - LM Nr. 6 zu § 91 a ZPO; BGHZ 67, 343, 345). So ist der Senat im vorliegenden Fall verfahren.

2. Kontrollen sind im Arbeitsleben allgemein üblich. Der Arbeitgeber nimmt mit ihnen ein Gläubigerrecht wahr. Es besteht aber im Grundsatz Einigkeit darüber, daß das Recht des Arbeitgebers zur Überwachung auch individualrechtlich nicht unbegrenzt ist. Bereits im Beschluß vom 27. Mai 1960 hat das Bundesarbeitsgericht angedeutet, Leistungskontrollen mit Maschinen dürften nicht dazu benutzt werden, um zu einem von der Rechtsordnung nicht zu billigenden Antreibersystem zu kommen. Es hat ferner in diesem Zusammenhang geprüft, ob ein Verstoß gegen den durch das Grundgesetz gewährleisteten Persönlichkeitsschutz vorliege. Für den Fall der Einführung von Produktographen hat es dies verneint und zur Begründung ausgeführt, die Aufzeichnungen des Geräts stünden mit der Leistung des einzelnen Arbeitnehmers in keinerlei Zusammenhang (BAG 9, 238, 242 = AP Nr. 1 zu § 56 BetrVG 1952 Ordnung des Betriebes, zu II, Bl. 2 R der Gründe).

Von technischen Kontrolleinrichtungen gehen besondere Gefahren aus. Daher hat der Gesetzgeber "die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer (Beschäftigten) zu überwachen", der Mitbestimmung des Betriebsrats bzw. Personalrats unterstellt (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, § 75 Abs. 1 Nr. 17 BPersVG; vgl. ferner die Begründung zum Regierungsentwurf eines Betriebsverfassungsgesetzes, BT-Drucks. VI/1786, S. 48 f.). Daraus kann jedoch, wie das Landesarbeitsgericht im angefochtenen Urteil richtig erkannt hat, nicht auf die unbegrenzte individualrechtliche Zulässigkeit von technischen Kontrollen geschlossen werden. Die Mitbestimmung vermag unzulässige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nicht zu rechtfertigen; sie soll sie vielmehr verhindern (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, Bd. 2, 6. Aufl., § 87 Rz 324; GK-Wiese, BetrVG, 3. Bearbeitung, § 87 Rz 200, 212; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 75 Rz 21 a, § 87 Rz 66).

Nach der Rechtsprechung des Senats hat der Arbeitnehmer bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen in sein Persönlichkeitsrecht entsprechend den §§ 12, 862, 1004 BGB Anspruch auf Beseitigung von fortwirkenden Beeinträchtigungen und auf Unterlassung weiterer Eingriffe (vgl. Urteile vom 21. Februar 1979 - 5 AZR 568/77 - AP Nr. 13 zu § 847 BGB und vom 8. Februar 1984 - 5 AZR 501/81 - BAG 45, 111, 117 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht). Allerdings können Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht durch die Wahrnehmung überwiegender schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Nach allgemeiner Rechtsauffassung bedarf es zur Konkretisierung des Persönlichkeitsrechts stets einer Güter- und Interessenabwägung, da dem Persönlichkeitsrecht des einen vielfach gleichwertige oder schutzwürdige Interessen und Pflichten anderer gegenüberstehen (vgl. Urteil vom 8. Februar 1984, aaO).

3. Das Bundesarbeitsgericht hat sich bislang zur Zulässigkeit der von der Beklagten verwendeten Kontrollampen nicht geäußert.

Für die Zulässigkeit könnte vorliegend sprechen, daß außer der Klägerin auch andere Arbeitnehmer ähnlich intensiv überwacht werden und daß die Daten hierüber nicht maschinell erfaßt werden. Gegen die Zulässigkeit könnte sprechen, daß es sich um eine anonyme ununterbrochene Kontrolle handelt und der "Ertrag" dieser Kontrolle nach den eigenen Angaben der Beklagten äußerst gering ist. Möglicherweise wäre auch zwischen der Platzlampe und der Kontrollampe zu unterscheiden.

Der Senat sieht jedoch keine Veranlassung, alle diese Fragen im Rahmen eines Kostenstreits ausführlich zu erörtern und abschließend zu entscheiden.

4. Die nach § 91 a Abs. 1 Satz 2 durch Beschluß zu treffende Kostenentscheidung hat sich auch auf die im ersten und zweiten Rechtszug entstandenen Kosten zu erstrecken (vgl. OLG Celle, Beschluß vom 14. September 1977 - 16 U 173/76 - MDR 1978, 234; Zöller-Vollkommer, ZPO, 14. Aufl., § 91 a Rz 55). Dies folgt aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung.

Wegen des in der Hauptsache erledigten Teils des Rechtsstreits haben die Parteien die Kosten gleichmäßig zu tragen. Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich dieses Teils des Rechtsstreits stattgegeben und sie abgewiesen, soweit die Klägerin den Abbau der Telefonüberwachungsanlage verlangt hat. Es hat der Klägerin 1/4 und der Beklagten 3/4 der erstinstanzlichen Kosten auferlegt und den Gesamtstreitwert auf 8.000,-- DM festgesetzt, wovon offensichtlich 2.000,-- DM auf den abgewiesenen Antrag entfallen. Da der Rechtsstreit nur in die Berufungs- und die Revisionsinstanz gelangt ist, soweit der Klage stattgegeben wurde, und nur insoweit die Kosten beiden Parteien zu gleichen Teilen aufzuerlegen sind, hat die Klägerin von den erstinstanzlichen Kosten 1/4 und 3/8, insgesamt also 5/8, und die Beklagte 3/8 zu tragen.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog

Halberstadt Dr. Schönherr

 

Fundstellen

Dokument-Index HI440026

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