Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines ehrenamtlichen Richters
Leitsatz (amtlich)
- Ein ehrenamtlicher Richter der Gerichte für Arbeitssachen kann in Rechtsstreitigkeiten der Deutschen Post AG um die Auslegung von Tarifverträgen in Individualprozessen nicht bereits deswegen abgelehnt werden, weil dieser dem Hauptvorstand der Deutschen Postgewerkschaft angehört hat und den Tarifvertrag zur Annahme weitergeleitet hat.
- Es bleibt unentschieden, ob dasselbe gilt, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien um die Tarifzuständigkeit und die Wirksamkeit des Abschlusses gestritten wird.
Normenkette
ZPO § 42; ArbGG § 49
Verfahrensgang
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den ehrenamtlichen Richter W… wird als unbegründet zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten darüber, ob die Kläger nach Lohngruppe 9 des § 17 der Anlage 2 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost vom 6. Januar 1955 (TV Arb) in der Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 406 zu entlohnen sind. Gegen das hierzu ergangene Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 8. Juli 1994 – 4 Sa 5/94 – hat die Beklagte das zugelassene Rechtsmittel der Revision eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 24. April 1996 erklärte der Prozeßvertreter der Beklagten und Revisionsklägerin, er lehne Herrn ehrenamtlichen Richter W… wegen Besorgnis der Befangenheit ab, da dieser Mitglied des Hauptvorstandes der Deutschen Postgewerkschaft gewesen sei. Weitere Erklärungen, insbesondere hinsichtlich der Glaubhaftmachung seines Vortrages, hat er nicht abgegeben.
In seiner dienstlichen Erklärung zu dem Ablehnungsantrag hat Herr ehrenamtlicher Richter W… folgendes ausgeführt:
“Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages 406 als Vorstandsmitglied beim Hauptvorstand der Deutschen Postgewerkschaft zuständig für Beamtenu. Tarifpolitik. An den Tarifverhandlungen zum TV 406 war ich nicht beteiligt.
Das Verhandlungsergebnis zum TV 406 wurde mit meiner Unterschrift dem Hauptvorstand der DPG (ca. 60 Personen) mit der Bitte um Zustimmung vorgelegt. Fragen dieses Rechtsstreites haben dabei keine Rolle gespielt. Ich fühle mich nicht befangen.”
Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger und Revisionsbeklagten hat keine Erklärungen abgegeben. Ebenso verzichteten die Prozeßbevollmächtigten beider Parteien auf eine Stellungnahme zu der dienstlichen Erklärung des ehrenamtlichen Richters.
Entscheidungsgründe
II. Das Ablehnungsgesuch der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
1. Das Ablehnungsgesuch ist formgerecht eingebracht worden. Einer Glaubhaftmachung der vorgebrachten Ablehnungsgründe bedurfte es nicht, da diese offenkundig sind (§ 291 ZPO).
2.a) Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Bei Anlegung dieses objektiven Maßstabes kommt es entscheidend darauf an, ob die Prozeßpartei, die das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von ihrem Standpunkt aus Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Es muß also die Befürchtung bestehen, daß der abgelehnte Richter in die Verhandlung und Entscheidung des gerade anstehenden Falles sachfremde, unsachliche Momente mit einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falles und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Damit ist unter Befangenheit ein Zustand zu verstehen, der eine vollkommen gerechte, von jeder falschen Rücksicht freie Einstellung zur Sache beeinträchtigt (BFHE 90, 160 f., 164). Die bereits erfolgte Bildung einer bestimmten Meinung (z.B. zur Rechtslage oder zur Beurteilung des Sachverhalts) genügt danach nicht, wenn nicht der Verdacht der Unsachlichkeiten bei Bildung oder Beibehaltung der Meinung besteht (Bork in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 42 Rz 2). Das Ablehnungsverfahren nach § 42 Abs. 2 ZPO dient dementsprechend allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit des Richters aus einem in seiner Person liegenden Grund zu bewahren. Eine den Beteiligten ungünstige und möglicherweise auch unrichtige Rechtsauffassung kommt als Ursache für die Parteilichkeit des Richters nicht in Betracht, es sei denn, die mögliche Fehlerhaftigkeit beruhte auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür (BAGE 71, 293, 295 = AP Nr. 9 zu § 42 ZPO, mit weiteren Nachweisen).
b) Art. 92 GG verlangt, daß die rechtsprechende Gewalt durch staatliche Gerichte ausgeübt wird. Diesem Gebot entsprechen auch Spruchkörper, denen neben den Berufsrichtern andere Personen aufgrund ihrer Sachkunde für eine besondere Materie als Richter angehören (BVerfGE 42, 206, 208, mit weiteren Nachweisen).
c) Entscheidend ist nach alledem nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen (BVerfGE 73, 335; BGHZ 77, 70, 72; BVerwG in NJW 1988, 722) genügend objektive, d. h., nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erzeugen (Schneider, DRiZ 1978, 42 ff.; Wassermann in Festschrift für M. Hirsch, 1981, S. 465, 477 ff., mit weiteren Nachweisen). Daraus folgt aber zugleich, daß als Ablehnungsgrund nicht anerkannt werden können vom Gesetzgeber für unerheblich erklärte, geforderte oder gewünschte Eigenschaften eines Richters (BVerfG Beschluß vom 5. April 1990 – 2 BvR 413/88 – NJW 1990, 2457, 2458; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters – Befangenheit und Parteilichkeit – im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht S. 98 ff.). Vielmehr muß stets etwas Zusätzliches zu diesen Umständen hinzutreten (Bork in Stein/Jonas, aaO, § 42 Rz 2a).
III.1. Aus dem Vortrag der Beklagten ergeben sich keine Gründe, die geeignet sind, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen. Als Grund ist lediglich angegeben die Mitgliedschaft des abgelehnten Richters im Hauptvorstand der Deutschen Postgewerkschaft zur Zeit des Abschlusses des Tarifvertrages Nr. 406.
2. Nach den Regelungen des Arbeitsgerichtsgesetzes gehört es zu den tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsverfahrens und der Bildung der Richterbank im Arbeitsgerichtsprozeß, daß an der Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen in allen Instanzen grundsätzlich ehrenamtliche Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber mitwirken (§§ 16, 35, 41 ArbGG). Nach § 20 ArbGG werden die ehrenamtlichen Richter von der zuständigen obersten Landesbehörde unter billiger Berücksichtigung der Minderheiten aus den Vorschlagslisten entnommen, die dieser Behörde von den im Gerichtsbezirk bestehenden Gewerkschaften, selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie von den in § 22 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG bezeichneten Körperschaften oder deren Arbeitgebervereinigungen eingereicht werden. Das gleiche gilt für die ehrenamtlichen Richter an den Landesarbeitsgerichten (§ 37 Abs. 2 ArbGG) und die ehrenamtlichen Richter am Bundesarbeitsgericht (§ 43 Abs. 1 ArbGG). Die ehrenamtlichen Richter sind nach ihrer Berufung gemäß § 45 Abs. 2 DRiG vor ihrer Dienstleistung durch den Vorsitzenden auf die Erfüllung der Obliegenheiten ihres Amtes zu vereidigen. Nach diesen gesetzlichen Regelungen entspricht es den Grundsätzen des Arbeitsgerichtsgesetzes nicht nur, daß überhaupt Vertreter von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden als vollberechtigte Richter an den Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen teilnehmen, sondern auch, daß diese Richter auf Vorschlag insbesondere von Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen berufen werden. Den Regelungen des Arbeitsgerichtsgesetzes ist es damit systemimmanent, daß sowohl von den Gewerkschaften wie von den Arbeitgebervereinigungen Personen als ehrenamtliche Richter in der Arbeitsgerichtsbarkeit vorgeschlagen werden, die der vorschlagenden Vereinigung oder einer ihr angeschlossenen Vereinigung entweder als Mitglieder angehören oder ihr aber zumindest nahestehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAGE 20, 271, 274 = AP Nr. 2 zu § 41 ZPO, zu II 4 der Gründe) ergibt sich aus diesen Regelungen des Arbeitsgerichtsgesetzes aber weiterhin, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, die so vorgeschlagenen Richter aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkreisen würden ungeachtet ihrer Stellung im Sozialleben und ihrer Mitgliedschaft zu den vorschlagenden Verbänden und Vereinigungen die ihnen übertragenen Amtspflichten gewissenhaft und ohne Rücksicht auf Belange der vorschlagenden Vereinigungen und Verbände erfüllen. Damit hat aber im Arbeitsgerichtsverfahren der Arbeitsrichter die Funktion, in der Richterbank dafür Sorge zu tragen, daß bei der Verhandlung, Beratung und Entscheidung eines Falles gerade auch die standes- und berufsspezifischen Belange seiner Seite zur Geltung gebracht und mitberücksichtigt werden, wobei eben die paritätische Besetzung der Richterbank mit Vertretern aus den betroffenen sozialen Gruppen mit ihren typischerweise polaren Interessen die besondere Vertrautheit der Beisitzer mit den jeweiligen Lebensverhältnissen und damit eine entsprechende Sachkunde gewährleisten soll (Däubler, AuR 1976, 369 ff.). Selbst wenn man hierin eine einseitige Ausrichtung der Interessen sehen wollte, fehlt es jedoch regelmäßig an der besonderen Einstellung des Richters gerade zu dem konkreten Fall als solchem, was jedoch wesentliche Voraussetzung jeder Parteilichkeit ist. Das hier zum Ausdruck kommende Interesse ist vielmehr allgemeiner Art; dies ergibt jedoch keinen Ablehnungsgrund. Es mag zwar sein, daß der jeweilige ehrenamtliche Richter am Verlauf und insbesondere am Ausgang des Verfahrens deshalb persönlich interessiert ist, weil er hiervon irgendwie “mitbetroffen” wird. Ausschlaggebend ist allein, daß er in den konkreten Rechtsstreit selbst nicht mit einbezogen ist, daß er weder formell noch “nur” materiell an ihm “beteiligt” ist. Auf den konkreten Rechtsstreit bezogen, ist er vielmehr nur außenstehender Dritter, an einer eigentlichen individuell-konkreten und damit “besonderen” Beziehung gerade zu diesem konkreten Rechtsstreit fehlt es (Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., § 42 Rz 32; Riedel, Das Postulat der Unparteilichkeit des Richters – Befangenheit und Parteilichkeit – im deutschen Verfassungs- und Verfahrensrecht, S. 60 f.).
3. Zusätzliche Umstände, die im vorliegenden Fall die Befangenheit des ehrenamtlichen Richters W… gleichwohl begründen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere können sie nicht daraus entnommen werden, daß der ehrenamtliche Richter zur Zeit des Abschlusses des Tarifvertrages Nr. 406 Mitglied des Hauptvorstandes der Deutschen Postgewerkschaft gewesen ist. Weder nach dem Vortrag der Revisionsklägerin noch nach der dienstlichen Erklärung des abgelehnten Richters war Herr W… an den Tarifverhandlungen in irgendeiner Form beteiligt. Auch der Umstand, daß der abgelehnte Richter, wie sich aus seiner dienstlichen Erklärung ergibt, die Annahme des Tarifvertrages Nr. 406 empfohlen hat, rechtfertigt keine Ablehnung im vorliegenden Fall. Es kann dahinstehen, ob bei einem Streit über die Wirksamkeit des Tarifvertrages Nr. 406 insgesamt sich Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters W… aus diesem Umstand herleiten ließen. Vorliegend wird allein über die Auslegung eines bestimmten Eingruppierungsmerkmals gestritten, auf dessen Formulierung der abgelehnte Richter keinen Einfluß hatte.
4. Nach allem erweist sich das Ablehnungsgesuch der Beklagten als unbegründet.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluß ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Unterschriften
Schaub, Bott, Schneider, Hecker, Wiese
Fundstellen
Haufe-Index 875304 |
BAGE, 278 |
NZA 1997, 229 |
AP, 0 |