Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassung von Überstunden
Normenkette
BetrVG § 23 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LAG Berlin (Beschluss vom 26.11.1990; Aktenzeichen 12 TaBV 3/90) |
ArbG Berlin (Beschluss vom 17.01.1990; Aktenzeichen 30 BV 24/89) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 26. November 1990 – 12 TaBV 3/90 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Firmen Recyclingwerk K. und L. GmbH & Co. Metallverarbeitungs KG, Autoverschrottungswerk K. und L. GmbH und Container-Service K. und L. GmbH (im folgenden gemeinsam nur als Arbeitgeber bezeichnet), unterhalten einen gemeinsamen Betrieb, in dem Arbeitnehmer in den Bereichen der Autoverschrottung, des Recyclings und des Container-Services tätig sind. Diese Arbeitnehmer haben einen Betriebsrat für diesen gemeinsamen Betrieb gewählt, den Antragsteller im vorliegenden Verfahren, in dem sich der Betriebsrat gegen die Anordnung und Ableistung von Überstunden wendet, die unter Nichtbeachtung seiner Mitbestimmungsrechte veranlaßt wurden. Schon im April 1989 hatte der Betriebsrat ein Beschlußverfahren vor dem Arbeitsgericht Berlin eingeleitet mit dem Ziel, dem Arbeitgeber untersagen zu lassen, ohne seine, des Betriebsrats Zustimmung, Überstunden anzuordnen oder zu dulden. Diesen Antrag hat der Betriebsrat nach außergerichtlichen Verhandlungen zurückgenommen.
Der Betriebsrat hat vorgetragen, der Arbeitgeber habe zwar in der Zeit vom 20. Mai 1989 bis 12. Dezember 1989 für einzelne Tage Überstunden beantragt, die der Betriebsrat auch genehmigt habe. In dem genannten Zeitraum seien jedoch erheblich mehr Überstunden – nicht nur über die tägliche Arbeitszeit hinaus, sondern auch an Samstagen und Sonntagen – abgeleistet worden, die unter Mißachtung seines Mitbestimmungsrechts angeordnet worden seien. Er hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
dem Arbeitgeber unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 20.000,– DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu untersagen, für die Arbeitnehmer seines Betriebes ohne Zustimmung des Betriebsrats Überstunden anzuordnen oder die Ableistung von Überstunden zu dulden,
und zusätzlich vor dem Landesarbeitsgericht hilfsweise
dem Arbeitgeber unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 20.000,– DM für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu untersagen, für die Arbeitnehmer seiner Betriebsabteilungen Autoverschrottung und Recycling ohne Zustimmung des Betriebsrats die Durchführung von Überstunden anzuordnen oder zu dulden, die von dem Platzmeister veranlaßt werden.
Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, der Betriebsrat verstoße gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, wenn er ein gerichtliches Verfahren einleite, ohne ihm davon Mitteilung zu machen, obwohl im fraglichen Zeitraum zahllose Gespräche über andere Regelungskomplexe mit dem Betriebsrat geführt worden seien. Im übrigen sei im Zusammenhang mit der Beendigung des früheren Verfahrens vereinbart worden, daß der Betriebsrat bzw. ein Vertreter künftig einmal wöchentlich mit dem Platzmeister N. zusammenkommen und beabsichtigte Überstunden besprechen werde. So sei auch verfahren worden. Der Betriebsrat habe im übrigen einzelne, aber auch pauschale Überstunden genehmigt.
Das Arbeitsgericht hat dem (Haupt-)Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die gegen diesen Beschluß vom Arbeitgeber eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zu Recht als zulässig erachtet. Der Antrag entspricht dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 ZPO.
Der Senat geht seit der Entscheidung vom 10. Juni 1986 (BAGE 52, 160 = AP Nr. 18 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit) in ständiger Rechtsprechung von der Zulässigkeit sogenannter „Globalanträge” aus, mit denen umfassend dem Arbeitgeber untersagt werden soll, für Arbeitnehmer seines Betriebes ohne vorliegende Zustimmung des Betriebsrats Überstunden anzuordnen oder zu dulden (vgl. Beschlüsse des Senats vom 11. November 1986 – 1 ABR 17/85 – AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit und vom 22. November 1988 – 1 ABR 16/87 – nicht veröffentlicht). Solche Anträge gehen in der Sache sehr weit, sind aber eindeutig bestimmt, weil sie die Anordnung oder Duldung von allen Überstunden erfassen. Dem Arbeitgeber wird deutlich, was von ihm verlangt wird. Ob ein grober Verstoß gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anordnung von Überstunden zu beachten, zur zukünftigen Sicherung dieses Mitbestimmungsrechts ein so weitgehendes Unterlassungsgebot rechtfertigt, ist eine Frage der Begründetheit des Antrages, nicht seiner Bestimmtheit und damit seiner Zulässigkeit. Das entspricht auch der Rechtsprechung des Sechsten Senats (BAGE 48, 246 = AP Nr. 5 zu § 23 BetrVG 1972) und des Siebten Senats (Beschluß vom 18. September 1991 – 7 ABR 63/90 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Der Antrag des Betriebsrats ist entgegen der Ansicht des Arbeitgebers auch nicht deswegen unzulässig, weil der Betriebsrat das vorliegende Verfahren anhängig gemacht hat, ohne – wie der Arbeitgeber behauptet – diesen vorher auf angebliche Verstöße gegen Mitbestimmungsrechte bei der Anordnung von Überstunden anzusprechen. Ein solches Verhalten kann dazu führen, daß der Antrag unbegründet ist, weil es dann unter Umständen an einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen Mitbestimmungsrechte fehlen kann. Das scheidet im vorliegenden Falle schon deswegen aus, weil der Betriebsrat die Beachtung seiner Mitbestimmungsrechte bei der Anordnung von Überstunden schon in dem vorausgegangenen Verfahren angemahnt hat und der Arbeitgeber in der Folgezeit auch die mit dem Betriebsrat vereinbarte Regelung nicht eingehalten hat. Der Arbeitgeber hat insoweit selbst vorgetragen, die vereinbarten wöchentlichen Besprechungen mit dem Platzmeister N. hätten dann nur alle zwei Wochen stattgefunden und wären zum Teil auch ganz entfallen.
II. Der Antrag des Betriebsrats ist begründet.
1. Die Anordnung oder auch nur die Duldung von Überstunden durch den Arbeitgeber ist eine Angelegenheit, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt, soweit es sich um einen kollektiven Tatbestand handelt (ständige Rechtsprechung: vgl. Beschluß vom 11. November 1986 – 1 ABR 17/85 – AP Nr. 21 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, zu B II 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Von einem kollektiven Tatbestand ist immer dann auszugehen, wenn sich eine Regelungsfrage stellt, die kollektive Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes berührt. So ist bei einem zusätzlichen Arbeitsbedarf immer die Frage zu regeln, ob und in welchem Umfang zur Abdeckung dieses Arbeitsbedarfs Überstunden geleistet werden sollen. Diese Regelungsprobleme bestehen unabhängig von der Person und den individuellen Wünschen eines einzelnen Arbeitnehmers. Auf die Zahl der Arbeitnehmer, für die Mehrarbeit oder Überstunden angeordnet werden, kommt es daher nicht an. Die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer ist allenfalls ein Indiz dafür, daß ein kollektiver Tatbestand vorliegt.
2. Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, im Betrieb des Arbeitgebers seien in einer Vielzahl von Fällen Überstunden angeordnet und abgeleistet worden, ohne daß der Betriebsrat hierbei beteiligt worden sei.
Daß die im Betrieb angefallenen und vom Betriebsrat beanstandeten Überstunden mitbestimmungspflichtig waren, wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen. Das ergibt sich auch daraus, daß der Arbeitgeber in einer Reihe von Fällen den Betriebsrat vor der Anordnung von Überstunden beteiligt und dieser den beantragten Überstunden zugestimmt hat. Auch die Behauptung des Arbeitgebers, der Betriebsrat habe Überstunden pauschal genehmigt, weist aus, daß dem Arbeitgeber bewußt war, daß die im Betrieb angeordneten Überstunden der Mitbestimmung des Betriebsrats unterlagen.
Die Behauptung des Arbeitgebers, der Betriebsrat habe Überstunden pauschal genehmigt, steht im übrigen der Feststellung des Landesarbeitsgerichts nicht entgegen, daß in einer Vielzahl von Fällen Überstunden ohne Beteiligung des Betriebsrats angeordnet worden sind. Der Betriebsrat hat im einzelnen durch Vorlage der Lohnlisten vorgetragen, welche Überstunden ohne seine Zustimmung geleistet worden sind. Daß gerade diese Überstunden vom Betriebsrat pauschal genehmigt worden sind, hat der Arbeitgeber nicht dargelegt und auch auf Befragen des Landesarbeitsgerichts keine weiteren, einer Zeugenvernehmung zugänglichen Tatsachen angeben können.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 21. Januar 1988 – 1 ABR 54/86 – AP Nr. 8 zu § 81 ArbGG 1979, zu B II 2 b der Gründe, mit weiteren Nachweisen), daß die Betriebspartner für bestimmte Fallkonstellationen, in denen Überstunden notwendig werden, etwa auch für auftretende Eilfälle, eine Regelung treffen können, wie in diesen Fällen zu verfahren ist, oder daß der Betriebsrat solche aus bestimmten Gründen notwendig werdende Überstunden auch im voraus genehmigen kann. Eine solche Betriebsvereinbarung kann auch der Arbeitgeber anstreben und deren Abschluß auch durch Anrufung der Einigungsstelle zu erreichen versuchen. Daß im vorliegenden Falle die Betriebspartner eine solche Regelung schon getroffen hätten, läßt sich dem Vorbringen des Arbeitgebers nicht entnehmen.
Damit steht fest, daß der Arbeitgeber noch nach der außergerichtlichen Beendigung des ersten Beschlußverfahrens in einer Vielzahl von Fällen Überstunden angeordnet hat, ohne zuvor die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht in der in einer Vielzahl von Fällen ohne Zustimmung des Betriebsrats erfolgten Anordnung von Überstunden durch den Arbeitgeber einen groben Verstoß gegen seine Pflichten aus dem Betriebsverfassungsgesetz, dabei die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten, gesehen. Es hat hierbei den Rechtsbegriff des groben Verstoßes (§ 23 Abs. 3 BetrVG) nicht verkannt, wonach es genügt, daß der Verstoß objektiv so erheblich ist, daß unter Berücksichtigung des Gebotes der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§§ 2, 74 BetrVG) die Anrufung des Arbeitsgerichts durch den Betriebsrat zur Sicherung seiner Mitbestimmungsrechte gerechtfertigt erscheint. Hierbei hat das Landesarbeitsgericht zutreffend berücksichtigt, daß der Arbeitgeber aufgrund des früheren Beschlußverfahrens hinreichend gewarnt war und nicht einmal die mit dem Betriebsrat getroffene Absprache zur Beilegung dieses Verfahrens eingehalten hat.
Das Landesarbeitsgericht hat damit nach § 23 Abs. 3 BetrVG dem Arbeitgeber zu Recht untersagt, künftig ohne Zustimmung des Betriebsrats – bzw. einer entsprechenden Entscheidung der Einigungsstelle – für die Arbeitnehmer des Betriebes Überstunden in den Fällen anzuordnen, in denen aus betrieblichen Gründen die zu erledigenden Arbeiten nicht innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit verrichtet werden können.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Muhr, Dr. Schmidt
Fundstellen