Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 03.11.1997; Aktenzeichen 2 Sa 373/97)

 

Tenor

 

Gründe

Die Klägerin hat sich mit der Klage gegen eine fristlose Kündigung des beklagten Landes vom 8. August 1996 gewendet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts wegen Divergenz. Das beklagte Land beantragt Zurückweisung der Beschwerde.

Die form- und fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz ist nur dann begründet, wenn die von der Beschwerdeführerin dargelegten abstrakten Rechtssätze von dem anzufechtenden wie von dem angezogenen Urteil tatsächlich aufgestellt wurden und voneinander abweichen und das anzufechtende Urteil auf dem abweichenden Rechtssatz beruht (vgl. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG; BAGE 32. 136 = AP Nr. 1 zu § 72a ArbGG 1979). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, das anzufechtende Urteil gehe von folgendem abstrakten Rechtssatz aus:

“Zweifelt ein Arbeitgeber an den ihm vom Arbeitnehmer vorgetragenen Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgründen, insbesondere an der Richtigkeit einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so muß er sie nicht widerlegen; es reicht für die Erschütterung der Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon aus, daß er aufgrund (angeblich) wechselnder Darstellung des betroffenen Arbeitnehmers zu den Ur sachen seiner Erkrankung die Richtigkeit der ärztlich bestätigten Arbeitsunfähigkeit bezweifelt.”

Damit weiche das anzufechtende Urteil von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ab. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin läßt sich der von ihr formulierte abstrakte Rechtssatz dem anzufechtenden Urteil nicht entnehmen. Abgesehen davon würde das anzufechtende Urteil auf einem solchen Rechtssatz zur Erschütterung der Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeit nicht beruhen. Denn das anzufechtende Urteil weist die Klage nicht im Hinblick auf Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab, sondern trifft die Feststellung, daß die Klägerin in der Zeit vom 11. Juli bis 7. August 1996 nicht arbeitsunfähig krank war, sondern sich hat krank schreiben lassen, um nach Beendigung ihres Urlaubs ihre Tätigkeit in dem Musiktrio des Hotels N.… in W.… bis Ende Juli fortsetzen zu können.

Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, das anzufechtende Urteil sei von dem generell-abstrakten Rechtssatz ausgegangen,

daß ein arbeitsunfähig krank geschriebener Arbeitnehmer bereits dann seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt, wenn er während der Dauer seiner Erkrankung einer Nebenbeschäftigung nachgeht.

Damit sei das anzufechtende Urteil von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, des Landesarbeitsgerichts Köln und des Landesarbeitsgerichts Bremen abgewichen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin besteht auch insoweit keine Divergenz zwischen anzufechtender Entscheidung und den angezogenen Urteilen, weil das anzufechtende Urteil den von der Beschwerdeführerin formulierten Rechtssatz nicht aufgestellt hat. Das anzufechtende Urteil kommt vielmehr auf der von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Seite 14 der Urteilsausfertigung einzelfallbezogen zu dem Ergebnis, daß sich die Beschwerdeführerin vertragswidrig verhalten hat. Ein genereller Rechtssatz zur Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten bei Nebentätigkeiten während der Dauer einer Erkrankung läßt sich dem anzufechtenden Urteil nicht zweifelsfrei entnehmen. Abgesehen davon würde das anzufechtende Urteil auf einem solchen Rechtssatz nicht beruhen. Denn das Landesarbeitsgericht geht gerade nicht von einer Erkrankung der Beschwerdeführerin aus, sondern von der Feststellung, daß sie nicht arbeitsunfähig krank war und in dieser Zeit statt bei ihrem Arbeitgeber zu arbeiten, einer Nebentätigkeit nachging. Bei einer solchen Fallgestaltung liegt eine Vertragsverletzung der Beschwerdeführerin auf der Hand.

Die Beschwerdeführerin macht ferner geltend, der anzufechtenden Entscheidung liege der Rechtssatz zugrunde,

daß das erkennende Gericht – auch bei fehlender eigener Sachkenntnis – hinsichtlich der Entscheidung, ob ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist, völlig frei ist.

Damit sei das anzufechtende Urteil von angezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts abgewichen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin besteht auch insoweit keine Divergenz zwischen anzufechtender Entscheidung und den angezogenen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts, weil sich der von der Beschwerdeführerin formulierte Rechtssatz dem anzufechtenden Urteil nicht entnehmen läßt. Wenn das Landesarbeitsgericht aus dem Verhalten der Beschwerdeführerin in der Tanzbar den Schluß zieht, sie habe auch ihre Tätigkeit bei dem beklagten Land am Computer ausüben können, so läßt sich nicht erkennen, daß das Landesarbeitsgericht von fehlender eigener Sachkenntnis ausgegangen ist und die Frage der Hinzuziehung eines Sachverständigen überhaupt in Erwägung gezogen hat. Es genügt insoweit nicht, daß der vermeintlich abweichende Rechtssatz aus dem an zufechtenden Urteil nur mittels der Erwägung entnommen wird, das Landesarbeitsgericht müsse folgerichtig von einem in der Entscheidung nicht erörterten Rechtssatz ausgegangen sein. Andernfalls würde in Ergänzung der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die einschlägigen Rechtsnormen ein Rechtssatz abgeleitet, von dem sich nicht feststellen läßt, ob ihn das Berufungsgericht wirklich vertreten wollte oder ob es das Rechtsproblem übersehen hat oder von anderen nicht ausgesprochenen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist. Auch mit einer Ergänzung des anzufechtenden Urteils durch von der Beschwerdeführerin selbst gebildete, von divergenzfähigen Entscheidungen abweichende Grundsätze können die Voraussetzungen einer Divergenz nicht dargelegt werden (BAG Beschluß vom 10. Juli 1984 – 2 AZN 337/84 – AP Nr. 15 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz). In Wahrheit macht die Beschwerdeführerin mit ihrer Rüge lediglich eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das anzufechtende Urteil geltend, die jedoch nur im Rahmen einer zugelassenen Revision überprüft werden könnte.

Die Beschwerdeführerin macht schließlich geltend, das anzufechtende Urteil habe seiner Entscheidung folgenden Rechtssatz zugrunde gelegt:

“Im Rahmen der Interessenabwägung bei einer außerordentlichen Kündigung wirkt sich die langjährige Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers dann zu Lasten aus, wenn durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist.”

Damit sei das anzufechtende Urteil von mehreren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts abgewichen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin besteht auch insoweit keine Divergenz zwischen dem anzufechtenden Urteil und den angezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, weil sich der von der Beschwerdeführerin formulierte abstrakte Rechtssatz dem anzufechtenden Urteil nicht zweifelsfrei entnehmen läßt. Wenn das anzufechtende Urteil bei der Interessenabwägung zuungunsten der Beschwerdeführerin berücksichtigt, daß sie ordentlich unkündbar war, läßt dies nicht zwingend darauf schließen, daß damit auch die langjährige Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers bei der Interessenabwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen ist. Das Gegenteil trifft im vorliegenden Fall zu: Das anzufechtende Urteil hat (“zwar”) die langjährige Tätigkeit der Beschwerdeführerin von fast 25 Jahren im öffentlichen Dienst zu ihren Gunsten berücksichtigt. Es zieht dann aber andere Umstände heran, die sich zu ihren Lasten auswirken. Daß sich die ordentliche Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers bei der Interessenabwägung zu seinen Ungunsten auswirken kann, ist im übrigen weitgehend anerkannt (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 205, m.w.N.).

Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe war zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (§ 114 ZPO).

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Nichtzulassungsbeschwerde zu tragen.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Thelen, Bensinger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1331512

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