Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zu BGH 7. Mai 1991 – IX ZR 30/90 – BGHZ 114, 315. Rechtsweg. Insolvenzanfechtung
Leitsatz (amtlich)
Fordert der Insolvenzverwalter vom Arbeitnehmer Rückzahlung der vom Schuldner vor Insolvenzeröffnung geleisteten Vergütung wegen Anfechtbarkeit der Erfüllungshandlung (§§ 129 ff. InsO), ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.
Orientierungssatz
1. Fordert der Insolvenzverwalter vom Arbeitnehmer Rückzahlung der vom Schuldner vor Insolvenzeröffnung geleisteten Vergütung wegen Anfechtbarkeit der Erfüllungshandlung (§§ 129 ff. InsO), ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet.
2. sect; 3 ArbGG setzt nicht voraus, dass der Rechtsnachfolger an die Stelle des ursprünglichen Schuldners getreten ist. Es genügt die Erhebung oder Abwehr einer Forderung anstelle des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, unabhängig davon, ob dieser unter denselben tatsächlichen Voraussetzungen die Leistung fordern könnte oder sie schulden würde oder für sie haften müsste.
Normenkette
GVG § 17a; ArbGG § 2 Abs. 1 Nrn. 3a, 4a, §§ 3, 78; ZPO § 574; InsO §§ 80, 108, 129
Verfahrensgang
Thüringer LAG (Beschluss vom 20.08.2007; Aktenzeichen 8 Ta 44/07) |
ArbG Nordhausen (Beschluss vom 15.03.2007; Aktenzeichen 3 Ca 1184/06) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten werden die Beschlüsse des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 20. August 2007 – 8 Ta 44/07 – und des Arbeitsgerichts Nordhausen vom 15. März 2007 – 3 Ca 1184/06 – aufgehoben.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten über die Anfechtung von Vergütungszahlungen durch den klagenden Insolvenzverwalter und vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs.
Der Beklagte war beim Insolvenzschuldner beschäftigt. Dieser zahlte im Mai und Juli 2004 restliche Vergütung für Dezember 2003 und für Januar 2004. Am 4. August 2004 wurde der Antrag auf Insolvenzeröffnung gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet und der damalige Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Er fordert nach § 130 InsO Rückzahlung der Vergütung. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 15. März 2007 die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen verneint und den Rechtsstreit an das Amtsgericht N verwiesen. Mit Beschluss vom 4. Mai 2007 wurde der nunmehrige Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die sofortige Beschwerde des Beklagten zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Beschluss, der gemäß Verfügung vom 28. August 2007 formlos übersandt worden ist, enthält keine Rechtsmittelbelehrung. Mit der am 4. Oktober 2007 beim Bundesarbeitsgericht eingelegten Rechtsbeschwerde macht der Beklagte die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
Die Rechtsbeschwerde ist auf Grund der Zulassung durch das Beschwerdegericht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthaft und gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 78 ArbGG, §§ 574 ff. ZPO zulässig. Der Beklagte hat die Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde von einem Monat nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, § 575 Abs. 1 Satz 1, § 575 Abs. 2 Satz 1 ZPO eingehalten.
III. Die Beschwerde ist begründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet.
1. Der klagende Insolvenzverwalter handelt als Rechtsnachfolger des insolventen Vertragsarbeitgebers des Beklagten iSd. § 3 ArbGG.
Gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über dieses zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. § 108 Abs. 1 InsO stellt klar, dass Dauerschuldverhältnisse, zu denen auch ausdrücklich Dienstverhältnisse gezählt werden, mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen. Bei der Anfechtung einer Vergütungszahlung gemäß § 130 InsO handelt der Insolvenzverwalter im Interesse der Masse, die das dem Insolvenzverfahren unterliegende Vermögen des Schuldners – also des Vertragsarbeitgebers des in Anspruch genommenen Arbeitnehmers – darstellt. Damit ist der Insolvenzverwalter Rechtsnachfolger des Arbeitgebers. Nach anfänglicher Unsicherheit (vgl. BAG 23. Juni 1992 – 9 AZR 308/91 – BAGE 70, 350) geht die Rechtsprechung seit Jahren davon aus, dass der Begriff des Rechtsnachfolgers iSv. § 3 ArbGG nicht streng wörtlich, sondern in einem weiten Sinne zu verstehen ist (BAG 13. Juni 1997 – 9 AZB 38/96 – AP ArbGG 1979 § 3 Nr. 5 = EzA ArbGG 1979 § 3 Nr. 1; 28. Oktober 1997 – 9 AZB 34/97 – AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 56 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 41; Senat 15. März 2000 – 5 AZB 70/99 – BAGE 94, 52; 7. April 2003 – 5 AZB 2/03 – BAGE 106, 10; 9. Juli 2003 – 5 AZB 34/03 – EzA ArbGG 1979 § 3 Nr. 5; BGH 16. November 2006 – IX ZB 57/06 – ZIP 2007, 94). Es ist nicht erforderlich, dass der Rechtsnachfolger an die Stelle des ursprünglichen Schuldners getreten ist. Vielmehr genügt die Erhebung oder Abwehr einer Forderung anstelle des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, unabhängig davon, ob der jeweilige Arbeitgeber oder Arbeitnehmer unter denselben tatsächlichen Voraussetzungen die Leistung fordern könnte oder sie schulden oder für sie haften müsste. Deshalb werden unter den Begriff der Rechtsnachfolge iSd. § 3 ArbGG auch die Haftung für arbeitsrechtliche Ansprüche aus eigenständigen Rechtsgründen wie § 826 BGB (vgl. die Durchgriffshaftung im Konzern), die Bürgschaft, das Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179 BGB), die Firmenfortführung (§§ 25, 28 HGB), der Schuldbeitritt und die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO subsumiert.
2. Ausgehend von der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, führen die Parteien einen bürgerlichen Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus einem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG), jedenfalls über Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG).
Der Kläger fordert, gestützt auf die Regelungen der Insolvenzordnung über die Anfechtung von Rechtshandlungen des späteren Schuldners, Erstattung der dem Beklagten im Mai und Juli 2004 für Dezember 2003 und Januar 2004 geleisteten Arbeitsvergütung. Dieser Erstattungsanspruch ist bürgerlich-rechtlicher Natur (vgl. BGH 7. Mai 1991 – IX ZR 30/90 – BGHZ 114, 315 noch zur Konkursanfechtung). Die Insolvenzanfechtung begründet zwar ein gesetzliches Schuldverhältnis, doch ist dieses auf Rückabwicklung einer arbeitsrechtlichen Leistungsbeziehung gerichtet. Der Masse soll wieder zugeführt werden, was ihr im Rahmen der arbeitsrechtlichen Austauschbeziehung zwischen späterem Schuldner und Arbeitnehmer in, aus der Sicht des Insolvenzverwalters, anfechtbarer Weise entzogen wurde. Der Kläger fordert Erstattung von Lohnzahlungen an die Masse und damit das dem Insolvenzverfahren unterliegende Vermögen des Vertragsarbeitgebers, der die streitigen Lohnzahlungen erbrachte. Er erhebt zwar einen Zahlungsanspruch, den der Vertragsarbeitgeber nicht auf die hier einschlägige Anspruchsgrundlage stützen könnte, doch geht es bei wirtschaftlicher Betrachtung um die Rückabwicklung einer ansonsten wirksamen Erfüllungshandlung des Arbeitgebers in einem Arbeitsverhältnis. Der im Rechtsstreit erhobene Anspruch bestimmt sich nach Regelungen der InsO, die zwar für alle Rechtsverhältnisse des Schuldners gelten, aber eine Mehrzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthalten, deren Anwendung durch spezifisch arbeitsrechtliche Fragestellungen beeinflusst wird.
Fundstellen
Haufe-Index 2831386 |
BAGE 2009, 117 |
DB 2008, 2844 |