Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung der tariflichen Krankenvergütung

 

Normenkette

EFZG § 4 Abs. 1; LFZG § 2

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 16.02.1996; Aktenzeichen 11 Sa 795/96)

ArbG Wetzlar (Urteil vom 12.02.1996; Aktenzeichen 3 Ca 144/95)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 16. September 1996 – 11 Sa 795/96 – wird zurückgewiesen, soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung von 317,85 DM Krankenvergütung nebst Zinsen wendet.

2. Im übrigen wird der Rechtsstreit an den Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts abgegeben.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des Urlaubsentgelts und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger ist als Wachmann bei der Beklagten, einem Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes, beschäftigt. Der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe vom 29. Oktober 1992 (im folgenden: MTV) wurde am 8. Dezember 1993 mit Wirkung ab 1. Januar 1993 für allgemeinverbindlich erklärt (Bundesanzeiger Nr. 8 vom 13. Januar 1994). In diesem Tarifvertrag heißt es:

„§ 13 Krankenbezüge

3. Bis zur Dauer von sechs Wochen wird das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt der letzten drei Abrechnungsmonate vor Beginn der Erkrankung gezahlt.

§ 20

Erlöschen von Ansprüchen

1. Endet das Arbeitsverhältnis, erlöschen beiderseits alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vier Kalenderwochen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sofern sie nicht vorher schriftlich geltend gemacht worden sind. Im übrigen erlöschen alle Ansprüche beiderseits nach drei Monaten.

…”

Im November 1994 war der Kläger an 13 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank; er hatte weiter 15 Tage Urlaub. Die Beklagte gewährte Krankenbezüge und zahlte Urlaubsentgelt in Höhe von insgesamt 2.737,56 DM. Bei der Berechnung legte sie den Bruttolohn der letzten drei Abrechnungsmonate (August bis Oktober 1994) abzüglich der Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit zugrunde.

Der Kläger will nicht hinnehmen, daß die Zuschläge unberücksichtigt bleiben. Er verlangt – in rechnerisch unstreitiger Höhe – die Differenz zu dem Betrag, der sich bei Einbeziehung der Zuschläge ergibt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 684,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. Dezember 1994 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Der Anspruch sei nach § 20 MTV verfallen oder verwirkt, da der Kläger nach der schriftlichen Geltendmachung der Forderung am 2. Januar 1995 erst nach Ablauf weiterer fünf Monate Klage erhoben habe. Im übrigen seien die Zuschläge bei der Berechnung des Urlaubsentgelts und der Krankenbezüge nicht zu berücksichtigen, da sie netto ausgezahlt würden. Eine solche Abrechnung entspreche dem Willen der Tarifvertragsparteien, wie sich auch daraus ergebe, daß der zuvor geltende Tarifvertrag noch auf den „durchschnittlichen Arbeitsverdienst” in den letzten drei Abrechnungsmonaten abgestellt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet, soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung von 317,85 DM nebst Zinsen wendet. Der Kläger hat Anspruch auf weitere Krankenvergütung in dieser Höhe. Zuschläge gehören zum Bruttoarbeitsentgelt im Sinne von § 13 Nr. 3 MTV, auch wenn sie netto ausgezahlt werden.

1. Die Tarifauslegung hat zunächst von dem Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnormen zu berücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs im Einzelfalle noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschiente, die praktische Tarifausübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags zurückgegriffen werden. Im Zweifel ist derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben, der zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Im übrigen gilt das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung.

2. Nach § 13 Nr. 3 MTV hat der Arbeitgeber bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen „das durchschnittliche Bruttoarbeitsentgelt der letzten drei Abrechnungsmonate vor Beginn der Erkrankung” zu zahlen. Zum Bruttoarbeitsentgelt zählen auch Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit, die nach § 3 b des Einkommenssteuergesetzes – bislang – steuerfrei sind und nach § 17 Abs. 1 SGB IV, § 1 der Arbeitsentgeltverordnung (vom 18. Dezember 1984 – BGBl. I S. 1642) nicht zu dem nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 162 Nr. 1 SGB VI und § 173 a AFG beitragspflichtigen Arbeitsentgelt gehören.

a) Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist Bruttoarbeitsentgelt das vom Arbeitgeber gezahlte Arbeitsentgelt vor Abzug von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen und anderen Abgaben. Zum Arbeitsentgelt gehören auch Zuschläge und Zulagen. Der Arbeitgeber schuldet das Bruttoentgelt. Auf die Frage, ob und in welcher Höhe das Arbeitsentgelt oder einzelne Teile davon steuerfrei und in der Sozialversicherung beitragsfrei sind, kommt es nicht an.

Nur diese Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Diese will dem arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmer für sechs Wochen die tatsächlich verfügbaren Einkünfte der letzten Abrechnungsmonate sichern. Für die von der Beklagten befürwortete Auslegung gibt es keine Anhaltspunkte.

b) Die gesetzlichen Vorschriften über die Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall folgen zwar im Grundsatz dem Lohnausfallprinzip. Jedoch sind die Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit dabei zu berücksichtigen. Das gilt sowohl für den am 1. Juni 1994 außer Kraft getretenen § 2 Abs. 1 LFZG, der bei Vereinbarung des hier anwendbaren Manteltarifvertrags galt, als auch für § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in der bis zum 30. September 1996 geltenden Fassung und für § 4 Abs. 1 Satz 1 in der ab 1. Oktober 1996 geltenden Fassung (Art. 13 des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 – BGBl. I S. 1476). Hätten die Tarifvertragsparteien davon abweichen wollen, hätten sie dies deutlich machen müssen.

Im übrigen konnten die Tarifvertragsparteien am 29. Oktober 1992 – also noch unter Geltung des § 2 Abs. 1 LFZG – nicht wirksam vereinbaren, daß Zuschläge bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall außer Betracht bleiben sollten. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt. Nach dem damals noch geltenden § 2 Abs. 3 LFZG konnte zwar durch Tarifvertrag von § 2 Abs. 1 LFZG abgewichen werden. § 2 Abs. 3 LFZG ist aber dahin auszulegen, daß eine Abweichung nur hinsichtlich der Berechnungsmethode zulässig ist, nicht aber hinsichtlich der generell zu berücksichtigenden Vergütungsbestandteile (Senatsurteil vom 3. März 1993 – 5 AZR 132/92BAGE 72, 297 = AP Nr. 25 zu § 2 LohnFG).

c) Aus der Tarifgeschichte ergibt sich nichts anderes.

Nach § 10 Abs. 1 des Manteltarifvertrags für das hessische Bewachungsgewerbe vom 21. Januar 1987 hatte der Arbeitnehmer als Krankenbezüge den Urlaubslohn zu erhalten. Nach § 16 Abs. 7 dieses Manteltarifvertrags bemaß sich das Urlaubsentgelt nach dem „durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den der Arbeitnehmer in den letzten drei Abrechnungsmonaten vor Beginn des Urlaubs erhalten hat”. Wenn die Tarifvertragsparteien in dem hier anwendbaren Manteltarifvertrag nunmehr den Begriff des „durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes” verwenden, so liegt darin keine inhaltliche Änderung des vorausgegangenen Tarifvertrags. Die Neufassung dient der Klarstellung. Insbesondere wird in der Neufassung deutlicher, daß das fortzuzahlende Entgelt nicht etwa auf der Basis des Nettoarbeitsentgelts zu berechnen ist.

3. Der Anspruch des Klägers ist weder verfallen noch verwirkt. Die dreimonatige Ausschlußfrist des § 20 Nr. 1 Satz 2 MTV hat der Kläger mit seinem Schreiben vom 2. Januar 1995 gewahrt. Der Tarifvertrag verlangt nicht die gerichtliche Geltendmachung. Der dazwischen liegende Zeitraum ist schon nicht ausreichend lang, um eine Verwirkung anzunehmen. Im übrigen ist nicht ersichtlich, warum die Leistung der Beklagten unzumutbar sein sollte.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Ackert, K. Schütters

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1126967

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