Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung nach unwirksamer fristloser Kündigung
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Anschluß an BAGE 3, 66, 74 f. = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG und Senatsurteil vom 29. Oktober 1987 – 2 AZR 144/87 – AP Nr. 42 zu § 615 BGB
Normenkette
BGB § 293 f., § 615
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 30.09.1992; Aktenzeichen 11 Sa 913/92) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 27.04.1992; Aktenzeichen 3 Ca 614/92) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 30. September 1992 – 11 Sa 913/92 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin war seit dem 1. Oktober 1991 als Sekretärin aufgrund eines Vertrages vom 13. September 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Nach Ziffer 2 des Vertrages betrug das Bruttomonatsgehalt 3.000,00 DM und sollte sich ab dem 4. Beschäftigungsmonat auf 3.300,00 DM erhöhen. In Ziffer 4 des Vertrages ist geregelt, daß die Klägerin im Jahresdurchschnitt 300 Überstunden gegen eine monatliche Vergütung von 500,00 DM brutto zu leisten habe. Mitte Oktober 1991 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie sei schwanger (voraussichtlicher Entbindungstermin 14. Juni 1992). Mit Schreiben vom 7. November 1991 widerrief die Beklagte die Überstundenpauschale mit der Begründung, angesichts der Schwangerschaft der Klägerin sei es ihr nicht gestattet, sie Überstunden machen zu lassen; die mit der Klägerin getroffene Regelung sei nichtig, hilfsweise werde sie zum 31. Dezember 1991 aufgekündigt.
Mit Schreiben vom 8. November 1991 kündigte die Beklagte außerdem das Arbeitsverhältnis fristlos auf und erteilte der Klägerin gleichzeitig Hausverbot. Zur Begründung führte sie aus, am 8. November 1991 sei festgestellt worden, daß in der von der Klägerin verwalteten Kasse 500,00 DM gefehlt hätten. Unstreitig ist insofern, daß die Klägerin am 31. Oktober 1991 den fraglichen Betrag aus der Kasse entnommen und einen entsprechenden Hinweis auf den entnommenen Betrag mit Datum und Namen in die Kasse gelegt hat. Die Beklagte macht der Klägerin im Kündigungsschreiben zum Vorwurf, den Betrag ohne Genehmigung der Kasse entnommen und nicht in das Kassenbuch eingetragen zu haben. Die Klägerin sei ferner dringend verdächtig, einen aus einem Kaffeekassenüberschuß der Mitarbeiter resultierenden, in einem Briefumschlag befindlichen Geldbetrag unterschlagen zu haben. Schließlich habe die Klägerin für den Monat Oktober 1991 einen Zeitzettel mit falschen Arbeitszeitangaben gemacht. Die Parteien einigten sich vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf (Az.: 9 Ca 6309/91) mit Rücksicht auf die fehlende Genehmigung nach § 9 MuSchG dahin, das Arbeitsververhältnis sei durch die Kündigung nicht beendet worden. Indessen beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 20. Dezember 1991 beim Regierungspräsidenten in Düsseldorf, eine beabsichtigte (neue) Kündigung für zulässig zu erklären. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 21. Februar 1992 abgelehnt; der hiergegen gerichtete Widerspruch der Beklagten ist mit Bescheid vom 23. April 1992 ebenfalls zurückgewiesen worden; die Beklagte hat hiergegen Klage beim Verwaltungsgericht Düsseldorf (Az.: 17 K 3936/92) erhoben; über diese Klage ist noch nicht rechtskräftig entschieden.
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit des Widerrufs der Überstundenpauschale begehrt sowie von der Beklagten die Zahlung des Gehaltes für die Monate November und Dezember 1991 in Höhe von je 3.000,00 DM und für die Monate Januar bis März 1992 in Höhe von je 3.300,00 DM sowie die monatliche Überstundenpauschale von 500,00 DM für die Monate Oktober 1991 bis März 1992 verlangt. Hiervon hat sie zwei Zahlungen der Beklagten für November und Dezember 1991 von insgesamt 2.100,00 DM brutto sowie einen Betrag von 2.406,20 DM netto, den sie an das Sozialamt der Stadt E abgetreten hat, in Abzug gebracht.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Entnahme der 500,00 DM sei darauf zurückzuführen, daß sie sich aufgrund der vorhergehenden Arbeitslosigkeit in einem finanziellen Engpaß befunden habe. Es sei ihr peinlich gewesen, den Chef um einen Vorschuß zu fragen, zumal nach der Mitteilung ihrer Schwangerschaft das Verhältnis getrübt gewesen sei. Sie hätte den Betrag auch problemlos innerhalb einer Woche erstatten können, wenn der ihr von der Beklagten am 31. Oktober 1991 ausgehändigte Verrechnungsscheck alsbald eingelöst und sie nicht am 6. November 1991 arbeitsunfähig erkrankt wäre. Aus der Tatsache, daß sie eine Entnahmequittung in die Kasse gelegt habe, ergebe sich, daß sie keine Unterschlagungsabsicht gehabt habe. Im übrigen hat die Klägerin eingeräumt, einen Briefumschlag gefunden zu haben, in dem sich jedoch lediglich 40,00 DM in kleineren Scheinen befunden hätten; nachdem sie im Büro die Mitarbeiterinnen P, W und S nach der Herkunft des Geldes im Umschlag ohne Erfolg gefragt habe, habe sie das Geld zur Portokasse genommen, und auf ihren Vorschlag seien im Einverständnis mit dem Geschäftsführer der Beklagten für den Portokassenbestand von nunmehr knapp 100,00 DM Briefmarken durch den Auszubildenden T gekauft worden. Den Arbeitszeiterfassungsvordruck habe sie nachträglich für Oktober erstellt und privat in ihrer Schublade aufbewahrt, nachdem der Geschäftsführer der Beklagten die Zahlung der Überstundenpauschale bestritten habe; richtig sei, daß sie in ca. 6 Fällen erst zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr wegen Unpäßlichkeiten aufgrund der Schwangerschaft zum Dienst erschienen sei; die Aufstellung habe aber nicht der Beklagten vorgelegt werden sollen, sondern sei nur intern als Erinnerungsstütze für sie gefertigt worden. Letzteres ergebe sich schon daraus, daß das entsprechende Formblatt überhaupt erst ab 1. November 1991 in der Firma offiziell benutzt worden sei.
Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,
- festzustellen, daß die mit Schreiben vom 7. November 1991 mitgeteilte Änderung der Arbeitsbedingungen nicht wirksam sei,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 18.900,00 DM brutto abzüglich 2.406,20 DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Gehaltszahlung sei ihr unzumutbar. Die eigenmächtige Entnahme der 500,00 DM erfülle nicht nur objektiv den Tatbestand der Unterschlagung. Die Klägerin habe spätestens am 4. oder 5. November 1991 die Möglichkeit gehabt, sich mit ihrem Arbeitgeber abzustimmen, was sie jedoch unterlassen habe. Dadurch sei der Straftatbestand der Unterschlagung auch subjektiv verwirklicht worden. Die Begebung des Verrechnungsschecks habe eine zureichende Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag dargestellt, zumal eine Wertstellung zum 5. November 1991 erfolgt sei. Die Klägerin hätte auch um einen entsprechenden Vorschuß nachsuchen können. Was den Verbleib des Inhalts der Kaffeekasse angehe, habe die Staatsanwaltschaft das Verfahren lediglich nach § 153 StPO mit der Begründung eingestellt, die Klägerin habe sich erstmals in dieser Weise strafbar gemacht und sei für die Zukunft hinreichend gewarnt. Der Umstand schließlich, daß die Klägerin den Arbeitszeiterfassungsbogen falsch ausgefüllt und auch unterschrieben habe, sei ein gewichtiger Grund, der ihr die Weiterbeschäftigung der Klägerin unzumutbar mache.
Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage ebenso wie die Klage auf Bezahlung der Überstundenpauschale für die Monate November und Dezember 1991 sowie Januar bis März 1992 abgewiesen; insofern ist das Urteil rechtskräftig geworden, weil die Klägerin hiergegen keine Berufung eingelegt hat. Im übrigen hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 16.400,00 DM brutto abzüglich der gezahlten 2.100,00 DM brutto sowie abzüglich 2.406,20 DM netto verurteilt. Die von der Beklagten gegen dieses Urteil eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der von den Vorinstanzen zuerkannte Anspruch ist aus §§ 615, 293 f. BGB begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Angesichts der unstreitig unwirksamen fristlosen Kündigung sei die Beklagte in Annahmeverzug geraten.
Auch sei die Beklagte angesichts der Vorkommnisse nicht berechtigt gewesen, die Leistung der Klägerin abzulehnen, weil ein ungewöhnlich schwerer rechtswidriger Verstoß der Klägerin gegen ihre Vertragspflichten nicht vorliege. Zwar stelle die eigenmächtige Entnahme der 500,00 DM aus der Kasse eine Pflichtverletzung dar, ohne daß jedoch der Klägerin der Vorwurf einer Unterschlagung gemacht werden könne. Aus dem Verhalten der Klägerin, insbesondere der Tatsache, daß sie die Entnahme des Geldes auf einem Zettel vermerkt und diesen in die Kasse gelegt habe, ergebe sich zweifellos ihre Absicht, die Kasse später wieder entsprechend aufzufüllen. Ihr Vortrag, das Geld nur aus der Kasse entliehen zu haben, sei demnach nachvollziehbar. Auch sei es verständlich, daß sie den Geschäftsführer der Beklagten nicht um einen Vorschuß gefragt habe, weil ihr dies angesichts des angespannten Verhältnisses peinlich gewesen sei. Da sich die Klägerin nicht habe bereichern wollen, sondern mit der Entnahme des Geldes nur die wenigen Tage bis zur Auszahlung ihres Gehaltes ohne Aufsehen habe überbrücken wollen, sei es von ihrem Standpunkt aus gesehen auch folgerichtig, daß sie Anfang der nächsten Woche den Geschäftsführer nicht unterrichtet habe. Jedenfalls könne daraus nicht hergeleitet werden, daß sie ihre Absicht, das Geld wieder in die Kasse zu legen, aufgegeben habe. Offensichtlich habe die Klägerin, auch wenn der Betrag dem Konto der Beklagten am 5. November 1991 belastet worden sei, über dieses Geld frühestens am 6. November 1991 verfügen können, zu einem Zeitpunkt, in dem sie aber bereits arbeitsunfähig krank gewesen sei.
Auch der geäußerte Verdacht, einen Briefumschlag mit Geld aus einem Kaffeekassenüberschuß unterschlagen zu haben, liege nicht vor. Die Beklagte habe die Einlassung der Klägerin nicht substantiiert bestritten, sie habe drei Mitarbeiterinnen im Büro nach der Bedeutung des Briefumschlages mit den zwei Zehn-Mark-Scheinen und einem Zwanzig-Mark-Schein vergeblich gefragt und alsdann das Geld zur Portokasse genommen, wofür Briefmarken im Wert von hundert DM gekauft worden seien. Da die Klägerin die drei Mitarbeiterinnen namentlich benannt habe, hätte die Beklagte nachprüfen können, welche Geldbeträge sich zum Zeitpunkt der Übergabe der Portokasse in dieser befunden hätten. Aus dem Einstellungsbeschluß der Staatsanwaltschaft könne die Beklagte insofern nichts herleiten, da dieser nur von einer hypothetischen Schuldbeurteilung ausgehe.
Im übrigen habe das Arbeitsgericht auch zu Recht dem ausgefüllten Zeitzettel keine Bedeutung beigemessen, weil dieser unstreitig nicht an die Beklagte ausgehändigt worden sei; da die Beklagte diesen aus der Schublade der Klägerin entnommen habe, sei der Nachweis nicht zu führen, die Klägerin habe ihn etwa zum Nachweis ihrer Arbeitszeit verwenden wollen.
II. Die von der Revision gegen diese Entscheidung vorgebrachte Rüge, das Berufungsgericht gehe zu Unrecht von einem Annahmeverzug der Beklagten aus und halte sie nicht für berechtigt, die Dienste der Klägerin abzulehnen, greift nicht durch. Im Ergebnis strebt die Beklagte lediglich eine andere Sachverhaltswürdigung als die Vorinstanzen an.
1. Im Streit stehen in der Revisionsinstanz nur noch die Ansprüche der Klägerin auf Bezahlung der Überstundenpauschale von 500,00 DM für den Monat Oktober 1991, auf Gehaltszahlung für die Monate November und Dezember mit jeweils 3.000,00 DM brutto und für die Monate Januar bis März 1992 mit je 3.300,00 DM brutto, also insgesamt nach Abzug der unstreitig gezahlten 2.100,00 DM der vom Landesarbeitsgericht ausgeurteilte Betrag von 14.300,00 DM brutto abzüglich des an das Sozialamt der Stadt E – abgetretenen Betrages von 2.406,20 DM netto.
Insofern ist die Revision wegen des Betrages von 500,00 DM Überstundenpauschale für Oktober 1991 schon unzulässig, weil es an einer konkreten Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Vorinstanzurteils insoweit fehlt, § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO. Dieser Anspruch folgt nämlich aus dem Arbeitsvertrag (dort Ziffer 4) und hat mit dem Anspruch aus Annahmeverzug nach der unwirksamen fristlosen Kündigung vom 7. November 1991 nichts zu tun. Die Beklagte hat auch sachlich gegen diesen Anspruch nichts eingewandt. Dasselbe gilt für den Gehaltsanspruch für die Zeit vom 1. bis 7. November 1991, der aus dem Lohnfortzahlungsrecht begründet ist, ohne daß es auf die Argumentation der Beklagten zum Annahmeverzugsrecht ankommt. Denn diese kann allenfalls mit Wirkung des Zugangs der später für gegenstandslos erklärten Kündigung vom 7. November 1991 eingreifen. Letztlich braucht insofern aber nicht näher differenziert zu werden, weil das Landesarbeitsgericht jedenfalls auch zu Recht vom Bestehen der Gehaltsansprüche ab November 1991 ausgegangen ist.
2. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Dienstverpflichtete trotz fehlender Dienstleistung die Fortzahlung der Vergütung verlangen, wenn sich der Dienstberechtigte im Verzug der Annahme der Dienste befunden hat. Danach setzt der Annahmeverzug des Dienstberechtigten zunächst voraus, daß das Dienstverhältnis fortbestanden hat (Senatsurteil vom 12. September 1985 – 2 AZR 324/84 – AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 Weiterbeschäftigung, zu B II 1 der Gründe). Im vorliegenden Fall steht der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien im Anspruchszeitraum aufgrund des rechtswirksamen Vergleichs vom 23. Dezember 1991 beim Arbeitsgericht Düsseldorf (Az.: 9 Ca 6309/91) fest. Hiervon gehen auch beide Parteien aus.
Die weiteren Voraussetzungen des Annahmeverzugs bestimmen sich auch für das Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB (ständige Rechtsprechung; vgl. BAGE 50, 164, 168 f. = AP Nr. 39 zu § 615 BGB, zu C I 1 a der Gründe, m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Senats (BAGE 46, 234 = AP Nr. 34 zu § 615 BGB; Urteil vom 7. Februar 1990 – 2 AZR 379/89 – unveröffentlicht) bedarf es nach Ausspruch einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich auch keines wörtlichen Dienstleistungsangebots des Arbeitnehmers; vielmehr gerät der Arbeitgeber gem. § 296 BGB in Annahmeverzug, wenn er den Arbeitnehmer für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht aufgefordert hat, die Arbeit wieder aufzunehmen.
3. Ganz ausnahmsweise gerät der Arbeitgeber im Falle einer unwirksamen fristlosen Kündigung trotz Nichtannahme der Dienste nicht in Annahmeverzug, wenn ihm die Weiterbeschäftigung unter Berücksichtigung der dem Arbeitnehmer zuzurechnenden Umstände nach Treu und Glauben nicht zuzumuten war (BAGE – GS –, 3, 66, 74 f. = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG, zu II 2 der Gründe mit Anmerkung von A. Hueck; BAGE 28, 233, 245 f. = AP Nr. 8 zu § 103 BetrVG 1972, zu B II 2 a der Gründe mit Anmerkung von G. Hueck; Senatsurteil vom 29. Oktober 1987 – 2 AZR 144/87 – AP Nr. 42 zu § 615 BGB, zu A III 2 a der Gründe). Nach dieser Rechtsprechung darf jedoch der Arbeitgeber nicht bei jedem Verhalten des Arbeitnehmers, das zur fristlosen Kündigung berechtigt, die Arbeitsleistung ablehnen, sondern nur bei besonders groben Vertragsverstößen wird der Annahmeverzug ausgeschlossen, nämlich dann, wenn bei Annahme der Leistung Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder anderer Arbeitnehmer gefährdet würden, deren Schutz Vorrang vor den Interessen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Verdienstes hat (Kraft, Anmerkung zu EzA, § 103 BetrVG 1972 Nr. 17, zu B II 3 b). An diesen strengen Anforderungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bei einer an sich unwirksamen Kündigung hat der Senat festgehalten, weil anderenfalls die sonstigen Unwirksamkeitsgründe im Sinne von § 13 KSchG weitgehend sanktionslos blieben, wenn dem Arbeitnehmer zwar der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bestätigt, ihm der Anspruch auf Arbeitsentgelt für die weitere Arbeitsleistung aber schon bei einer Unzumutbarkeit im Sinne des § 626 BGB versagt würde (Senatsurteil vom 29. Oktober 1987 – 2 AZR 144/87 – AP, aaO, zu A III 2 b der Gründe).
a) In dieser Hinsicht ist das Vorbringen der Beklagten schon nicht schlüssig, um den Annahmeverzugsanspruch der Klägerin aus den genannten Gründen auszuschließen. Gründe, die über die Unzumutbarkeit im Sinne des § 626 BGB hinausgingen und die Ablehnung der Arbeitsleistung rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ihr Sachvortrag erschöpft sich vielmehr darin, Gründe für die erneut beabsichtigte Kündigung der Klägerin vorzutragen, wobei sie lediglich eine andere Würdigung anstrebt als die Vorinstanzen bzw. die im Verwaltungsrechtszug eingeschalteten Behörden.
b) Dabei geht es insbesondere nicht um die Frage der Berechtigung einer eventuellen Kündigung – wie die Revision meint –, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß die Klägerin bisher noch in der Probezeit stand oder daß die bisherigen Vorkommnisse einer Gesamtwürdigung zu unterziehen wären, um die Berechtigung der Kündigung festzustellen. Sie wiederholt nur abstrakt die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen, daß Rechtsgüter des Arbeitgebers, seiner Familienangehörigen oder aber anderer Arbeitnehmer bei Annahme des Leistungsangebots des Arbeitnehmers unmittelbar nachhaltig so gefährdet würden, daß die Abwehr dieser Gefährdung den Vorrang vor den Interessen der unter das MuSchG fallenden Arbeitnehmerin an der Erhaltung ihres Verdienstes haben müsse. Sie vermag dieses Interesse aber nicht im Hinblick auf das der Klägerin zur Last gelegte Verhalten näher zu begründen.
aa) Im Gegenteil: Erstmals räumt die Beklagte ein, daß der Vorwurf der Unterschlagung von 500,00 DM isoliert betrachtet vielleicht nicht als sehr gravierend anzusehen sei, und spricht in diesem Zusammenhang in der Revisionsbegründung von einer „Unkorrektheit”. Weiter geht die Revision auf diesen ursprünglichen Hauptvorwurf gegenüber der Klägerin nicht mehr näher ein. Insbesondere setzt sie sich mit der Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht auseinander, aus dem Verhalten der Klägerin, vor allem der Tatsache, daß sie die Entnahme des Geldes auf einem Zettel vermerkt und diesen in die Kasse gelegt habe, ergebe sich zweifellos, daß sie die Absicht gehabt habe, die Kasse wieder entsprechend aufzufüllen; offenbar habe die Klägerin nicht das Bewußtsein gehabt, Unrecht zu tun; ihr Vortrag, sie habe sich das Geld aus der von ihr verwalteten Kasse entliehen und habe das Geld nach Erhalt ihres Gehaltes sofort wieder zurücklegen wollen, sei zumindest nachvollziehbar, ebenso wie ihre Erklärung, daß es ihr angesichts des angespannten Verhältnisses peinlich gewesen sei, den Geschäftsführer um einen Vorschuß zu fragen. Diese Schlußfolgerungen sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und werden von der Revision wie gesagt auch nicht angegriffen.
bb) Die Revision stellt nunmehr stärker auf die angebliche Unterschlagung der Kaffeekassengelder zu Lasten der Mitarbeiter ab. Sie beanstandet, das Berufungsgericht habe die Strafakten nicht beigezogen und Beweisangebote der Beklagten aus dem erst- und zweitinstanzlichen Verfahren nicht berücksichtigt.
Diese formelle Rüge – so man dieses Vorbringen überhaupt als formelle Rüge werten kann – entspricht nicht den an eine Prozeßrüge nach § 286 ZPO zu stellenden Anforderungen. Für derartige Prozeßrügen ist nämlich anerkannt, daß der Vortrag, das Landesarbeitsgericht habe angetretene Beweise nicht berücksichtigt, nicht genügt, sondern daß nach Beweisthema und Beweismittel angegeben werden muß, zu welchem Punkt das Landesarbeitsgericht eine Beweisaufnahme zu Unrecht unterlassen habe, in welchen Schriftsätzen diese Beweismittel angegeben worden seien, welche Zeugen hätten vernommen werden müssen und was deren Aussage ergeben hätte (BAG Urteil vom 9. Februar 1968 – 3 AZR 419/66 – AP Nr. 13 zu § 554 ZPO; BAG Urteil vom 9. März 1972 – 1 AZR 261/71 – AP Nr. 2 zu § 561 ZPO; BAG Urteil vom 7. Oktober 1987 – 5 AZR 116/86 – AP Nr. 15 zu § 611 BGB Persönlichkeitsrecht, zu V 1 der Gründe; Senatsteilurteil vom 25. Januar 1990 – 2 AZR 398/89 – unveröffentlicht, zu II 1 b bb der Gründe). Die Revision bringt insofern keinen näheren Vortrag, was den Strafakten – außer der Einstellung des Verfahrens gegenüber der Klägerin – näher zu entnehmen sei und was konkret durch eine eventuelle Beweisaufnahme der Vorinstanzen zu Tage hätte gefördert werden sollen. Es wird auch nicht näher dargestellt, inwiefern der angebliche Verfahrensverstoß überhaupt für die Entscheidung tragend sei (BAG Urteil vom 9. März 1972 – 1 AZR 261/71 – AP, aaO). Gerade in dieser Hinsicht bestand für die Revision Veranlassung, sich mit dem zweitinstanzlichen Urteil auseinanderzusetzen, das davon ausging, die Klägerin habe bzgl. des Briefumschlags mit den Kaffeekassengeldern drei Mitarbeiterinnen des Büros nach der Herkunft und der Bedeutung der Geldscheine im Briefumschlag gefragt, ohne daß diese Mitarbeiterinnen, die von der Klägerin namentlich benannt worden seien, dazu etwas gesagt hätten; alsdann habe die Klägerin nach ihrer Darstellung die Geldscheine in die Portokasse gelegt, wobei von einem Gesamtbetrag von knapp hundert DM Briefmarken durch einen Auszubildenden gekauft worden seien. Die Revision beanstandet insofern nicht die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, diese Einlassung habe die Beklagte nicht substantiiert bestritten, obwohl sie dazu in der Lage gewesen sei, weil die Klägerin die drei Mitarbeiterinnen benannt habe, so daß nachgeprüft hätte werden können, welche Geldbeträge sich zum Zeitpunkt der Übergabe der Portokasse an die Klägerin tatsächlich in der Portokasse befunden hätten und über welchen Betrag Briefmarken gekauft worden seien. Die Revision geht hierüber geflissentlich hinweg, so daß für das Revisionsgericht nicht ersichtlich ist, inwiefern es angesichts der unbestrittenen Darstellung der Klägerin überhaupt auf die angeblich unterlassene Beweiswürdigung zum Tatsachenvortrag der Beklagten ankommt. Das Landesarbeitsgericht hat auch die Tatsache der Einstellung des gegen die Klägerin geführten Ermittlungsverfahrens nach § 153 StPO gewürdigt, nämlich in dem Sinne, daß nur von einer hypothetischen Schuldbeurteilung dabei ausgegangen werde, also nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Schuld bestehen müsse. Inwiefern aus den Strafakten sich etwas anderes ergebe, diese Würdigung also nicht zutreffend sei, wird von der Revision nicht dargestellt.
cc) Was schließlich den dritten gegenüber der Klägerin erhobenen Vorwurf angeht, die Arbeitszeiterfassung nicht ordnungsgemäß vorgenommen zu haben, geht die Revision ebenfalls nicht auf die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ein, die von der Klägerin ausgefüllten Zeitzettel hätten für die hier zu beurteilende Frage keine Bedeutung, weil es sich um private Aufzeichnungen gehandelt habe und diese nicht an die Beklagte ausgehändigt worden seien, sondern von dieser dem Schreibtisch der Klägerin entnommen wurden. Auch aus dem Umstand, daß die Klägerin die Bögen bereits unterschrieben hatte, könne nicht hergeleitet werden, sie habe diese zum Nachweis ihrer Arbeitszeit verwenden wollen. Die Revision meint, die Klägerin habe die Arbeitszeiterfassung ordnungsgemäß vornehmen müssen. Sie geht aber nicht auf den unstreitigen Umstand ein, daß erst ab November 1991 die Zeiterfassungsbögen erstellt werden sollten, während die hier in Rede stehende Aufzeichnung von der Klägerin für den Vormonat (nämlich Oktober 1991) gefertigt wurde, für den ein Nachweis unstreitig nicht erbracht zu werden brauchte. Die Revision geht insoweit nicht einmal auf den Vortrag der Klägerin ein, sie habe Ende Oktober 1991 diese Aufzeichnungen gefertigt, nachdem der Geschäftsführer der Beklagten die Berechtigung der Überstundenpauschale bestritten habe.
Kam aber das Landesarbeitsgericht in allen Einzelpunkten zum Ergebnis, der Klägerin könne jeweils kein gravierender, vorsätzlicher Vertragsverstoß nachgewiesen werden, so ist auch nicht ersichtlich, inwiefern eine „Gesamtbetrachtung” insofern ein anderes Bild ergeben, vor allem der Beklagten über die angeblichen Kündigungsgründe hinaus eine Annahme der Dienste der Klägerin unzumutbar gemacht haben soll.
Unterschriften
Hillebrecht, Bitter, Bröhl, Schulze, Beckerle
Fundstellen