Entscheidungsstichwort (Thema)
Gefahrenzulage
Orientierungssatz
1. Zulage für Beschäftigungstherapeuten nicht für Arbeit mit geistig Behinderten; Geisteskranke und geistig Behinderte sind zu unterscheiden.
2. Auslegung des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen nach § 33 Abs 1 Buchst c BAT vom 11. Januar 1962.
Normenkette
TVG § 1; BAT § 33
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 12.04.1985; Aktenzeichen 9 Sa 157/85) |
ArbG Bonn (Entscheidung vom 12.12.1984; Aktenzeichen 4 Ca 1979/84) |
Tatbestand
Der Kläger, der die Meisterprüfung im Maschinenbauer-Handwerk abgelegt hat, steht seit dem 1. Dezember 1982 als Angestellter in den Diensten des beklagten Landschaftsverbandes und wird im Heilpädagogischen Heim B in der Tätigkeit eines Beschäftigungstherapeuten zur Betreuung von geistig Behinderten beschäftigt.
Dieses Heim ist seit dem 1. Januar 1984 eine Betriebsstelle des Eigenbetriebes R - Heime, die gegründet wurden, nachdem im Jahre 1980 die bis dahin in den r Landeskliniken - als psychiatrischen Fachkrankenhäusern - existierenden Behindertenbereiche aufgelöst worden waren. Aufgabe der Heilpädagogischen Heime ist die pflegerische Betreuung und Förderung geistig behinderter Erwachsener nach pädagogischen Konzeptionen. Die medizinische Behandlung und Betreuung geisteskranker Personen ist weiterhin Aufgabe der r Landeskliniken als psychiatrischer Fachkrankenhäuser.
Nach § 2 des zwischen den Parteien geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages vom 1. Dezember 1982 richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) in der jeweils geltenden Fassung. Zusätzlich zur Vergütung zahlte der Beklagte in der Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 31. August 1984 eine sogenannte Psychiatriezulage in Höhe von 55,-- DM monatlich. Eine Weiterzahlung dieser Zulage lehnte der Beklagte unter Hinweis auf das Fehlen einer Rechtsgrundlage ab.
Mit der Klage hat der Kläger die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten begehrt, an ihn auch über den 31. August 1984 hinaus eine Zulage in Höhe von 55,-- DM monatlich zu zahlen. Hierzu hat er vorgetragen, der Beklagte habe die Zahlung der Zulage zu Unrecht eingestellt, da er auch weiterhin die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Tarifvertrages über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchst. c BAT (Zulagen-TV) erfülle. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne nicht zwischen geisteskranken Patienten und geistig Behinderten unterschieden werden, zumal der Kläger auch Behinderte betreue, deren Geisteszustand aufgrund eines Unfalles beeinträchtigt sei. Denn entscheidendes Kriterium für den Anspruch auf die Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Zulagen-TV sei nicht die Zusammenarbeit und Beaufsichtigung von geisteskranken Patienten im Sinne einer bestimmten Personengruppe, sondern die Gefährdung des Pflegepersonals und der Arbeitstherapeuten. Dies gelte insbesondere für den Bereich der Arbeitstherapie, da von den verwendeten Werkzeugen eine zusätzliche Gefährdung ausgehe. Insoweit könne nicht zwischen geisteskranken Patienten und geistig Behinderten unterschieden werden. So sei der Kläger erst kürzlich von einem Gruppenmitglied angegriffen und besinnungslos geschlagen worden. Soweit sich der Beklagte für die von ihm vertretene Auffassung auf den 5. Änderungs-TV-Überleitungs--TV-Ang/LVR vom 18. September 1979 berufe, komme es darauf nicht an, da der Kläger erst zum 1. Dezember 1982 eingestellt worden sei und damit nicht zu den von diesem Tarifvertrag erfaßten Personenkreis gehöre.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet
ist, an den Kläger monatlich weiter ab dem
1. September 1984 eine Zulage in Höhe von
55,-- DM zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, dem Kläger stehe die begehrte Zulage nicht zu. Der Kläger verkenne, daß es für den Anspruch auf eine Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Zulagen-TV darauf ankomme, daß der Angestellte zu arbeitstherapeutischen Zwecken ständig mit geisteskranken Patienten zusammenarbeite oder sie hierbei beaufsichtige. Für die Betreuung von geistig Behinderten, wie sie dem Kläger obliege, sehe dieser Tarifvertrag keine Zulage vor. Es komme nicht darauf an, ob von dem zu betreuenden Personenkreis aufgrund der Handhabung von Werkzeugen eine Gefährdung ausgehe, sondern die Tarifvertragsparteien hätten offenbar nur beim Umgang mit geisteskranken Patienten eine Gefährdung gesehen. Darüber hinaus sei die Arbeitstherapie auch ohne den Einsatz von Werkzeugen möglich, wobei dem Angestellten die Zulage selbstverständlich weiterhin zustehe. Es müsse zudem zwischen dem Grad der Gefährlichkeit von geistig Behinderten und geisteskranken Patienten unterschieden werden. Maßgeblich für den Anspruch auf die Zulage sei demnach allein die Betreuung geisteskranker Patienten. Dementsprechend sei auch in Abschnitt II Nr. 2 Buchstabe b) der Niederschrift über den Abschluß des 5. Änderungs-TV-Überleitungs-TV-Ang/LVR vom 18. September 1979 bestimmt, daß an für vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrages beschäftigte und nach der Anlage 1 a zum BAT vergütete Angestellte die Psychiatriezulage in Höhe von 55,-- DM monatlich als Besitzstandszulage für die Dauer einer Tätigkeit in den Behindertenbereichen weiterzuzahlen sei, wenn der Angestellte die Zulage vor Versetzung in die Behindertenbereiche erhalten habe. Einer solchen Besitzstandsregelung habe es nur deshalb bedurft, weil die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen seien, daß nach einer Versetzung in die Behindertenbereiche kein Anspruch mehr auf eine Zulage nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Zulagen-TV bestehe. Im Falle des Klägers sei übersehen worden, daß er nicht dem Geltungsbereich des Überleitungs-TV unterfalle, die Zulage also zu Unrecht erhalten habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klage auf Feststellung weiter. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision war zurückzuweisen. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung einer Zulage nach dem Tarifvertrag über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchstabe c BAT nicht zu. Die hier in Betracht kommende Nr. 5 des § 1 Abs. 1 dieses Tarifvertrages lautet:
Zulagen in Monatsbeträgen erhalten:
.....
5. Pflegepersonen in psychiatrischen Krankenhäusern
(Heil- und Pflegeanstalten) oder psychiatrischen
Kliniken, Abteilungen oder Stationen,
Pflegepersonen in neurologischen Kliniken, Abteilun-
gen oder Stationen, die ständig geisteskranke
Patienten pflegen,
Angestellte in psychiatrischen oder neurologischen
Krankenhäusern, Kliniken oder Abteilungen, die im
EEG-Dienst oder in der Röntgendiagnostik ständig mit
geisteskranken Patienten Umgang haben,
Angestellte der Krankengymnastik, die überwiegend mit
geisteskranken Patienten Umgang haben,
sonstige Angestellte, die ständig mit geisteskranken
Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammen-
arbeiten oder sie hierbei beaufsichtigen.
Die nach dem BAT mit 30,-- DM monatlich festgesetzte Zulage wurde beim beklagten Landschaftsverband auf 55,-- DM erhöht. Aufgrund der Überleitungsregelungen für die Angestellten des Beklagten ist dann dem Kläger diese erhöhte Zulage bis zum 31. August 1984 als Psychiatriezulage fortgezahlt worden. Mit Recht stellt aber das Landesarbeitsgericht fest, daß dem Kläger ein Anspruch auf diese Zulage nicht zustand.
Die Überleitungsvorschriften des Tarifvertrages für die Überleitung des Tarifrechts für Angestellte des Beklagten vom 5. November 1973 in der Fassung vom 1. Januar 1981 finden auf den Kläger keine Anwendung, da der Kläger erst seit dem 1. Dezember 1982 als Angestellter in den Diensten des Beklagten beschäftigt wird. Nach dem Tarifvertrag über die Gewährung von Zulagen gem. § 33 Abs. 1 Buchstabe c BAT steht dem Kläger aber der Anspruch ebenfalls nicht zu. In Betracht kommt insoweit für den Anspruch des Klägers nur der letzte Absatz von Nr. 5 in § 1 Abs. 1 dieses Tarifvertrages für sonstige Angestellte, die ständig mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammenarbeiten oder sie hierbei beaufsichtigen. Diese Voraussetzungen treffen für den Kläger nicht zu, da er als Beschäftigungstherapeut zur Betreuung von geistig Behinderten tätig ist. Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff eines geisteskranken Patienten nicht näher erläutert, so daß der Inhalt dieses Begriffes durch Auslegung zu ermitteln ist. Dazu kommt es in erster Linie auf den Wortlaut an, wobei über den Tarifwortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen ist, soweit das in der Tarifnorm seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BAG 42, 86; 46, 308 = AP Nr. 128, 135 zu § 1 TVG Auslegung).
Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird "Geisteskrankheit" als "auf angeborener, ererbter oder auf erworbener Anlage beruhende vorübergehende oder andauernde Störung der Geistestätigkeit" definiert (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 3. Band, S. 116). Im medizinischen Sprachgebrauch ist unter "Geisteskrankheit (Psychose)" eine "zentral bedingte Störung der psychischen Funktionen" zu verstehen, "die über den bis dahin Gesunden schicksalhaft hereinbricht und ihn oft weitgehend verändert" (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 253. Aufl., S. 997). Dem Wortlaut nach sind "geisteskranke Patienten" demzufolge Kranke, die in ihrer geistigen Tätigkeit gestört sind. Hiervon sind die Tarifvertragsparteien ersichtlich ausgegangen. Dafür spricht insbesondere auch der tarifliche Gesamtzusammenhang, da die Erforschung und Behandlung der Geisteskrankheit in psychiatrischen Landeskrankenhäusern, neurologischen Kliniken, städtischen Krankenanstalten und Universitätskliniken sowie privaten und kirchlich karitativen Einrichtungen betrieben wird (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 17. Aufl., 17. Band, S. 230, 231) und die Tarifnorm erkennbar hierauf zugeschnitten ist. Denn sie betrifft Pflegepersonen und Angestellte, die in psychiatrischen und neurologischen Krankenhäusern, Kliniken, Abteilungen oder Stationen tätig sind. Unstreitig ist der Kläger aber weder in einer solchen Einrichtung tätig noch arbeitet er ständig mit geisteskranken Patienten zu arbeitstherapeutischen Zwecken zusammen oder beaufsichtigt diese hierbei. Vielmehr betreut der Kläger geistig Behinderte. Der Begriff "geistig Behinderte" wird heute weitgehend synonym für "Schwachsinn (Oligophrenie)" gebraucht und bezeichnet einen angeborenen - anlagebedingten oder perinatal erworbenen - Intelligenzmangel, verbunden mit mangelhafter Differenzierung der Persönlichkeit (vgl. W. Schulte/R. Tölle, Psychiatrie, 7. Aufl., S. 287; Brockhaus/Wahrig, aaO, S. 117; Pschyrembel, aaO, S. 866). "Schwachsinn" ist im Gegensatz zu "Geisteskrankheit" nicht unbedingt eine Krankheit, sondern eher eine Variante unter den mannigfaltigen Anlagen des Menschen, wenngleich höhere Grade von Schwachsinn zum mindesten "Krankheitswert" haben (vgl. W. Schulte/R. Tölle, aaO). Auch im Sinne des Schwerbehindertengesetzes sind nach § 1 SchwbG geistig behindert Personen, bei denen infolge einer Schwäche ihrer geistigen Kräfte die Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Dabei kommt es auf die gemessene geistige Störung an, die gegeben sein kann aufgrund angeborener Debilität, Imbecillität, Idiotie oder vorliegen kann als Demenz im Sinne einer erworbenen Minderung der Intelligenz aufgrund Senilität, Praesenilität, als frühkindliche Hirnschädigung infolge von Infektionskrankheiten des Gehirns auftreten kann oder als Folge von Anfallsleiden oder einer Traumatisierung (vgl. Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 1 Rz 19). Zwar ist es danach möglich, daß sich in gewissen Bereichen Geisteskrankheit - wie Schizophrenie oder Manie - mit einer geistigen Behinderung überschneidet. Grundsätzlich sind aber Geisteskrankheit und geistige Behinderung im medizinischen Sinne zu unterscheiden.
Daran knüpft auch der staatliche Gesetzgeber an, der deutlich zwischen einer Geisteskrankheit in § 6, § 104 BGB, § 20 StGB und einer Geistesschwäche in §§ 6, 114, 115, 1910 und 1920 BGB unterscheidet. Ebenso wie in der Gesetzgebung unterschiedliche rechtliche Konsequenzen an Geisteskrankheit und Geistesschwäche geknüpft werden, können auch die Tarifvertragsparteien einen Unterschied zwischen den Begriffen eines Geisteskranken und eines geistig Behinderten machen.
Mit dem Landesarbeitsgericht ist auch davon auszugehen, daß sich aus der Regelung des § 33 Abs. 1 Buchstabe c und Abs. 6 BAT in Verbindung mit dem Zulagentarifvertrag nichts anderes ergibt. Insbesondere kann daraus nicht entnommen werden, daß allen Angestellten für sämtliche als besonders gefährlich anzusehende Arbeiten eine Zulage zustehen soll. Vielmehr haben sich die Tarifvertragsparteien im Hinblick auf die Höhe der Zulage in § 33 Abs. 6 BAT ausdrücklich vorbehalten, entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Daraus ist aber zu entnehmen, daß eine Gefahrenzulage nur in den tariflich ausdrücklich geregelten Fällen und in der vorgesehenen Höhe bezahlt werden soll (vgl. auch BAG vom 18. Januar 1983 - 3 AZR 207/80 - AP Nr. 6 zu § 33 BAT). Damit kommt aber auch eine ergänzende Auslegung durch die Gerichte für Arbeitssachen nicht in Betracht. Wenn die Tarifvertragsparteien sich danach vorbehalten haben und unterschiedlich regeln konnten, wie Zulagen für Beschäftigungstherapeuten mit Geisteskranken auf der einen Seite und geistig Behinderten auf der anderen Seite bezahlt werden sollten und sie insbesondere auch dafür Zulagen in unterschiedlicher Höhe festlegen konnten, ist es ebenso möglich, die Zulage auf Arbeitstherapie mit Geisteskranken zu beschränken. Das gilt schon deshalb, weil sich das Maß der Gefahr nicht abstrakt bestimmen läßt, sondern von einer Vielzahl von Umständen abhängt, deren Bewertung zudem höchst unterschiedlich vorgenommen werden kann. Wenn dann die Tarifvertragsparteien aufgrund ihrer Sachnähe nur einen bestimmten Sachverhalt - hier: für Arbeitstherapie mit Geisteskranken - regeln, kann daraus kein Anspruch für entsprechende Arbeit mit geistig Behinderten hergeleitet werden.
Dementsprechend kommt es entgegen den Ausführungen der Revision auch nicht darauf an, ob der Kläger ähnlichen Gefahren oder durch die Beschäftigung von geistig Behinderten bei der Therapie mit Werkzeugen besonderen Gefahren ausgesetzt ist. Die tariflich vorgesehene Gefahrenzulage ist nicht abstrakt auf besonders gefährliche Arbeiten abgestellt, sondern wird nur für bestimmte Tätigkeiten gewährt, die der Kläger nicht ausübt. Die gegebenen tatsächlichen Unterschiede rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung durch die Tarifvertragsparteien, so daß die tarifliche Regelung weder auf sachfremden Erwägungen beruht noch als willkürlich angesehen werden könnte. Es ist allein Sache der Tarifvertragsparteien, gegebenenfalls für die Beschäftigungstherapie mit geistig Behinderten ähnliche und unter Umständen in der Höhe auch unterschiedliche Zulagen vorzusehen oder nicht. Eine Grundlage für einen Anspruch auf eine gleiche Zulage wie für Arbeitstherapie mit geisteskranken Patienten besteht daher nicht.
Die Klage war deshalb zu Recht von den Vorinstanzen abgewiesen worden. Die Revision mußte deshalb mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.
Dr. Neumann Dr. Etzel Dr. Feller
Jansen Lehmann
Fundstellen