Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Sonderzahlung bei Ausscheiden wegen Altersruhegeld

 

Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 24.01.1991; Aktenzeichen 10 Sa 663/90)

ArbG Arnsberg (Urteil vom 14.03.1990; Aktenzeichen 3 Ca 820/89)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Januar 1991 – 10 Sa 663/90 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger war seit 1972 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er hat sein Arbeitsverhältnis im Herbst 1988 zum 28. Februar 1989 im Hinblick auf die Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes gekündigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 16,42 DM brutto.

Im Jahre 1989 hat der Kläger nur während der ersten Januartage gearbeitet. Er war dann bis zum 17. Januar arbeitsunfähig krank und hat ab 18. Januar 1989 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses seinen Urlaub genommen.

Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für das metallverarbeitende Handwerk in Nordrhein-Westfalen Anwendung, darunter der Tarifvertrag über Sonderzahlungen für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende vom 29. April 1987 (im folgenden nur TV).

In diesem Tarifvertrag heißt es:

§ 2

Voraussetzung und Höhe der Leistung

1. Arbeitnehmer …, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis … stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.

Ausgenommen sind Arbeitnehmer …, die in diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis … gekündigt haben.

2. Die Sonderzahlungen werden nach folgender Staffel gezahlt:

nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit 20 % nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit 30 % nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit 40 % nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit 50 %

eines Monatsverdienstes …

3. …

4. Der Berechnung der Leistungen sind zugrunde zu legen:

a) bei Arbeitern

der durchschnittliche Stundenverdienst …

5. Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf eine anteilige Leistung, die sich nach dem Verhältnis ihrer vertraglichen Arbeitszeit im Berechnungszeitraum zu der tariflichen Arbeitszeit bemißt.

6. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer …, deren Arbeitsverhältnis … im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht [1] , erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis … im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.

Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Betrieb ausscheiden, erhalten die volle Leistung.

Es besteht Einigkeit darüber, daß Anspruchsberechtigte, die unter das Mutterschutzgesetz fallen, und erkrankte Anspruchsberechtigte nicht von § 2 Ziff. 6 Abs. 1 erfaßt werden.

§ 3

Zeitpunkt

1. Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.

2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im Sinne des § 2 Ziff. 1 der 1. Dezember.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe für das Jahr 1989 die volle tarifliche Sonderzahlung zu. Aus § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV ergebe sich, daß die hier genannten Arbeitnehmer am Auszahlungstag dem Betrieb nicht mehr angehören müssen. Er hat mit Schreiben vom 17. November 1989 die tarifliche Sonderzahlung in der – unstreitigen – Höhe von 1.371,07 DM geltend gemacht und im vorliegenden Verfahren beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.371,07 DM nebst 4 % Zinsen aus dem daraus sich ergebenden Nettobetrag seit dem 8. Januar 1990 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger gehöre nicht zu den „anspruchsberechtigten Arbeitnehmern” im Sinne von § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV, da er am Auszahlungstage dem Betrieb nicht mehr angehört habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß der Kläger einen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung für 1989 hat.

1. Die Parteien sind allein unterschiedlicher Auffassung in der Frage, ob die in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV genannten „anspruchsberechtigten Arbeitnehmer”, die – wie der Kläger – aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Betrieb ausgeschieden sind, am Auszahlungstag – das ist hier der 1. Dezember 1989 – noch dem Betrieb angehören müssen, um Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung zu haben. Während die Beklagte die noch bestehende Betriebszugehörigkeit am Auszahlungstag als Anspruchsvoraussetzung ansieht, geht der Kläger davon aus, daß die in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV genannten Arbeitnehmer dem Betrieb am Auszahlungstag nicht mehr angehören müssen. Der Ansicht des Klägers sind die Vorinstanzen gefolgt.

2. Auch der Senat ist dieser Ansicht.

Der Beklagten ist zuzugeben, daß anspruchsberechtigt nach § 2 Ziff. 1 TV nur solche Arbeitnehmer sind, die am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb mindestens sechs Monate angehört haben. Zu diesen Arbeitnehmern gehört der Kläger nicht, da er am 1. Dezember 1989 nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis stand. Bei einer allein am Wortlaut orientierten Auslegung des § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV würde daher der Kläger keinen Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung haben, da er kein „anspruchsberechtigter Arbeitnehmer” (mehr) ist. Eine solche allein am Wortlaut orientierte Auslegung verbietet sich jedoch, da sie zur Systematik der Gesamtregelung in Widerspruch steht und zu keinem sinnvollen Ergebnis führt. Die Auslegung einer Tarifnorm erfordert auch ein Abstellen auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, in dem die jeweilige Norm steht (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).

a) § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV erfaßt zwei Arbeitnehmergruppen, einmal Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder wegen Erreichens der Altersgrenze endet, und zum anderen Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis anläßlich der Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes gekündigt haben.

Für die erste Gruppe hätte auf der Grundlage des Verständnisses der Beklagten die Regelung in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV keine Bedeutung. Diese Arbeitnehmer erhielten schon nach § 2 Ziff. 1 Abs. 1 TV die volle Jahresleistung, weil es nach dieser Vorschrift nicht darauf ankommt, daß das Arbeitsverhältnis nach dem Auszahlungstag wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder wegen Erreichens der Altersgrenze endet.

Lediglich für diejenigen Arbeitnehmer, die am Auszahlungstage ihr Arbeitsverhältnis wegen der Inanspruchnahme von vorgezogenem Altersruhegeld gekündigt haben, hätte die Vorschrift Bedeutung, weil nach § 2 Ziff. 1 Abs. 2 TV eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer grundsätzlich den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung ausschließt. § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV wäre dann eine Einschränkung der in § 2 Ziff. 1 Abs. 2 TV getroffenen Regelung. Sie würde nur diejenigen Arbeitnehmer erfassen, die alsbald nach dem Auszahlungstag vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen und deswegen ihr Arbeitsverhältnis mit Rücksicht auf ihre jeweilige Kündigungsfrist schon vor dem Auszahlungstag kündigen mußten. Hätte § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV allein diese Bedeutung, hätte es nahegelegen, daß diese Regelung im unmittelbaren Anschluß an § 2 Ziff. 1 Abs. 2 TV ihren Platz im Tarifvertrag gefunden hätte. Die Vorschrift hätte dann einen durch ihre Stellung im tariflichen Gesamtzusammenhang ausgewiesene – wenn auch nur sehr geringfügige – Bedeutung.

b) Der eigentliche Sinn der Regelung in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV erschließt sich jedoch gerade aus ihrer systematischen Stellung und im Zusammenhang mit der Regelung in § 2 Ziff. 6 Abs. 1 TV. In dieser Regelung werden Tatbestände angesprochen, in denen das Arbeitsverhältnis zwar am Auszahlungstage rechtlich besteht, dieses Arbeitsverhältnis aber während des Bezugszeitraumes kraft Gesetzes oder Vereinbarung geruht hat oder am Auszahlungstage noch ruht. Erstreckt sich das Ruhen des Arbeitsverhältnisses über den gesamten Bezugszeitraum, so erhalten diese Arbeitnehmer keine tarifliche Jahressonderzahlung, obwohl sie die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Ziff. 1 TV erfüllen. Ruht ihr Arbeitsverhältnis nur während eines Teils des Bezugszeitraumes, so erhalten sie eine anteilige Leistung.

Diesen Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis nicht während des ganzen Bezugszeitraumes voll wirksam war und die deswegen nur eine anteilige Sonderzahlung erhalten, werden in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV diejenigen Arbeitnehmer gleichgestellt, deren Arbeitsverhältnis aus den hier genannten Gründen – Erwerbs- und Berufsunfähigkeit, Erreichen der Altersgrenze, Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes – nicht während des gesamten Bezugszeitraumes in Vollzug gestanden hat, weil es beendet worden ist. Im Gegensatz zu den in § 2 Ziff. 6 Abs. 1 TV genannten Arbeitnehmern wird für die in Abs. 2 genannten Arbeitnehmer jedoch bestimmt, daß diese nicht nur eine anteilige, sondern die volle tarifliche Leistung erhalten.

Die tarifliche Regelung trägt damit einmal der Tatsache Rechnung, daß diese Arbeitnehmer i. d. R. dem Betrieb bereits lange Zeit angehört haben und damit in besonderer Weise Betriebstreue gezeigt haben. Sie entspricht darüber hinaus einer verbreiteten Übung, gerade diese Arbeitnehmer mit Rücksicht auf die erwiesene Betriebstreue und im Hinblick auf die Schwierigkeiten und Belastungen beim Übergang aus dem aktiven Berufsleben in den Ruhestand bei der Gewährung betrieblicher Gratifikationen besonders zu behandeln. Die in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV genannten Arbeitnehmer haben daher Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr ihres Ausscheidens auch dann, wenn ihr Arbeitsverhältnis am Auszahlungstag nicht mehr besteht. Wenn die tarifliche Regelung an dieser Stelle noch von „anspruchsberechtigten Arbeitnehmern” spricht, so mag dies eine mißglückte Formulierung sein. Sie kann auch bedeuten, daß die in § 2 Ziff. 6 Abs. 2 TV genannten Arbeitnehmer dem Betrieb wenigstens sechs Monate ununterbrochen angehört haben müssen, um Anspruch auf die Sonderzahlung zu haben. Diese Frage bedarf hier keiner Entscheidung.

Der Kläger hat daher Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung, obwohl sein Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt bereits beendet war.

3. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger im Jahre 1989 nur noch an wenigen Tagen gearbeitet hat, im übrigen aber arbeitsunfähig erkrankt war und im Anschluß daran seinen tariflichen Urlaub genommen hat.

Die Inanspruchnahme des tariflichen Erholungsurlaubs ist für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung ohne Bedeutung. Wie die Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 6 Abs. 1 TV ausweist, sind auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ohne Bedeutung. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit – auch ohne Lohnfortzahlung – stehen danach den Zeiten, in denen ein Arbeitsverhältnis ruht, nicht gleich, führen daher auch nicht zur Minderung oder zum Wegfall des Anspruchs auf die tarifliche Jahresleistung.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 916099

NZA 1993, 327

[1] Protokollnotiz zu § 2 Ziff. 6 Abs. 1

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