Entscheidungsstichwort (Thema)
Beförderungsanspruch. Eignungsbeurteilung
Normenkette
SchwbG § 14 Abs. 2; GG Art. 33 Abs. 2; BGB § 611
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 24.04.1990; Aktenzeichen 3 Sa 32/90) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 17.11.1989; Aktenzeichen 8 Ca 4962/89) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. April 1990 – 3 Sa 32/90 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die am 16. Juli 1930 geborene Klägerin, eine gelernte Rechtsanwaltsgehilfin, ist seit dem 1. Januar 1971 bei dem beklagten Land als Angestellte im Schreibdienst des Staatsarchivs beschäftigt. Sie wurde für 21 Stunden wöchentlich eingestellt und zunächst in VergGr. VIII, ab 1. April 1971 in VergGr, VII BAT eingruppiert und im Zweigarchiv K. beschäftigt. Durch Vertrag vom 23. Juni 1977 wurde die wöchentliche Arbeitszeit auf 20 Stunden und nach entsprechender Bewerbung der Klägerin durch Vertrag vom 21. Dezember 1988 ab 1. Januar 1989 auf 40 Stunden festgesetzt. Die Klägerin wurde später zum Hauptstaatsarchiv nach D. versetzt. Sie ist zumindest seit dem 13. Februar 1975 als Schwerbehinderte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 % anerkannt.
Im Jahre 1989 wurde in der Verwaltung des Hauptstaatsarchivs eine Stelle der VergGr. V c BAT zur Besetzung ausgeschrieben. Als Bewerbungsvoraussetzungen wurden eine kaufmännische Vorbildung, Verwaltungs- oder Bankvorbildung und Fertigkeiten im Maschinenschreiben gefordert. Die Klägerin bewarb sich um diese Stelle. Das beklagte Land stellte ab 1. August 1989 den seit dem 1. Januar 1989 beim Arbeitsamt als arbeitslos gemeldeten gelernten Industriekaufmann S. ein, der ledig, schwerbehindert und am 8. September 1938 geboren ist.
Mit der am 5. Oktober 1989 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin Beschäftigung auf dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz und Zahlung der Vergütungsdifferenz.
Die Klägerin hat geltend gemacht, das beklagte Land habe mit der Einstellung des Angestellten S. § 14 Abs. 2 SchwbG schuldhaft verletzt. S. habe als Außenstehender noch nicht die Fürsorge beanspruchen können, die das beklagte Land ihr aufgrund des Arbeitsvertrags schulde. Bei gleicher Eignung habe sie vor dem Außenseiter berücksichtigt werden müssen. Mangelnde Eignung oder gesundheitliche Mängel hätten bei ihr nicht vorgelegen. Zudem habe das beklagte Land solche Gründe weder dem Personalrat noch ihr mitgeteilt. Es könne sie nicht nachträglich im Prozeß geltend machen.
Die Klägerin hat beantragt,
- das beklagte Land zu verurteilen, sie als Rechnungssachbearbeiterin im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv, … gemäß Stellenausschreibung, Aktenzeichen: …, zu beschäftigen;
- festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, ihr seit dem 1. August 1989 den monatlichen Differenzbetrag zwischen der Vergütung nach VergGr. V c BAT und der VergGr. VII BAT zu zahlen, nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat geltend gemacht, der Bewerber S. sei aufgrund seiner abgeschlossenen kaufmännischen Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit in besonderer Weise und weit mehr als die Klägerin für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen. Es hat behauptet, bei der ausgeschriebenen Stelle habe es sich um eine reine Schreibtischtätigkeit gehandelt, die ausschließlich im Sitzen zu verrichten sei.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen.
I. Die Klage ist hinsichtlich des Antrags zu 1) entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig. Es fehlt der Klägerin nicht am Rechtsschutzinteresse. Das Rechtsschutzziel der Leistungsklage „Beschäftigung auf dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz” könnte die Klägerin nicht in einer anderen einfacheren, kostengünstigeren oder schnelleren Weise erreichen.
Das Landesarbeitsgericht beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Achten Senats vom 18. Dezember 1986 – 8 AZR 502/84 – (BAGE 54, 63 = AP Nr. 10 zu § 7 BUrlG). Eine unsinnige Inanspruchnahme der Gerichte, die ein entsprechendes Rechtsschutzbedürfnis entfallen läßt, kann in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (vgl. nur RGZ 107, 15, 18; BGH Urteil vom 9. Oktober 1974 – VIII ZR 113/72 – LM Vorbem. zu § 253 ZPO – Rechtsschutzbedürfnis – Nr. 7), nur dann angenommen werden, wenn bereits aufgrund des unstreitigen Sachstandes feststeht, daß die Leistung, zu der verurteilt werden soll, unmöglich ist (BGH Urteil vom 28. Februar 1974 – VII ZR 75/73 – DB 1974, 868). Die Frage, ob die Beschäftigung der Klägerin als Rechnungssachbearbeiterin unmöglich ist, ist aber gerade zwischen den Parteien streitig. Es ist deshalb durch Sach- und nicht durch Prozeßurteil zu entscheiden.
II. Die Klage ist unbegründet. Das beklagte Land schuldet der Klägerin weder tatsächliche Beschäftigung auf dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz noch Zahlung der Vergütungsdifferenz. Der Klägerin stehen keine entsprechenden Erfüllungs- oder Schadenersatzansprüche zu.
1. Das beklagte Land hat gegenüber der Klägerin keine gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten verletzt. Es war nicht verpflichtet, den freigewordenen Arbeitsplatz der Klägerin zu übertragen.
a) Eine solche Verpflichtung des beklagten Landes läßt sich nicht aus § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG herleiten. Wird diese Bestimmung so interpretiert wie der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 19. September 1979 – 4 AZR 887/77 – (BAGE 32, 105 = AP Nr. 2 zu § 11 SchwbG) die Vorläuferbestimmung des § 11 Abs. 2 Satz 1 SchwbG a.F. ausgelegt hat, würde der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen in der Regel dadurch genügen, daß er einen schwerbehinderten Arbeitnehmer im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten seiner Vorbildung und seinem Gesundheitszustand entsprechend beschäftigt. Bei gleicher Qualifikation könnte es zwar im Einzelfall geboten sein, einem schwerbehinderten Stellenbewerber gegenüber sonstigen Bewerbern den Vorzug zu geben. Der Vierte Senat hat jedoch sowohl einen allgemeinen Beförderungsanspruch als auch einen Anspruch auf absoluten Vorrang des Schwerbehinderten verneint. Für den Bereich des öffentlichen Dienstes käme damit § 14 Abs. 2 SchwbG im Verhältnis zu Art. 33 Abs. 2 GG kein eigenständiger Regelungsgehalt zu, denn bei gleicher Eignung, Leistung und Befähigung der Bewerber wäre auch nach der Interpretation des Vierten Senats dem Arbeitgeber noch ein Ermessensspielraum zur Berücksichtigung billigenswerter und vernünftiger Gründe einschließlich der betrieblichen vorbehalten (vgl. BAGE 32, 105, 110 = AP Nr. 2 zu § 11 SchwbG).
Ob dieser Rechtsprechung zu folgen oder anzunehmen ist, § 14 Abs. 2 Satz 1 SchwbG regele die Ausübung des Direktionsrechts, begründe aber keinen Kontrahierungszwang des Arbeitgebers, bedarf keiner Entscheidung. In jedem Falle wäre Voraussetzung für die Beförderung die „gleiche Eignung” des Schwerbehinderten wie der anderen Bewerber. Die Klägerin war jedoch nicht ebenso gut geeignet wie der Mitbewerber S. Vielmehr hat das beklagte Land diesen für besser geeignet gehalten. Diese Bewertung ist rechtlich nicht zu korrigieren. Die Feststellung, ob ein Bewerber geeignet ist, setzt eine vorausschauende Bewertung der Persönlichkeit der Bewerber voraus. Diese gründet sich auf eine Vielzahl von Elementen, deren Bewertung und Gewichtung auch vom persönlichen Eindruck abhängen. Die Beurteilung des Einstellungsberechtigten kann durch ein Gericht nur daraufhin überprüft werden, ob er von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, ob er sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und ob er sich seine Entscheidung in einem fehlerfreien Verfahren gebildet hat (BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAGE 33, 43 = AP Nr. 6 zu Art. 33 Abs. 2 GG).
aa) Das beklagte Land hat für den Arbeitsplatz mit rechnungsbearbeitenden Aufgaben einen Mitarbeiter mit kaufmännischer Ausbildung gesucht und S. wegen seiner einschlägigen Berufsausbildung und langjährigen Berufserfahrung eingestellt. Hingegen kann die Klägerin lediglich Schreibdiensterfahrungen und mehr als 40 Jahre zurückliegende Berufsschulkenntnisse vorweisen.
Wenn die Klägerin demgegenüber geltend macht, sie sei zumindest gleich geeignet und dafür auf die Einschätzung des Personalrats in dem an sie gerichteten Schreiben vom 6. September 1989 verweist, so spricht dies nicht für eine rechtsfehlerhafte Eignungsbeurteilung durch das beklagte Land. Die Feststellung der Eignung erfordert ein Werturteil, das sich notwendigerweise auf Tatsachen stützen muß. Die Gewichtung der einzelnen Tatsachenelemente ist jedoch wesentlicher Bestandteil des Beurteilungsspielraums, der sich, wie ausgeführt, einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle entzieht.
bb) Die Berücksichtigung der durch ein amtsärztliches Gesundheitszeugnis belegten eingeschränkten Einsetzbarkeit der Klägerin war keine rechtsfehlerhafte Tatsachenfeststellung. Von der Amtsärztin war der Klägerin noch am 14. Juli 1988 eine Arbeitsfähigkeit nur unter der Voraussetzung bescheinigt worden, „daß sie ihre Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung (Sitzen, Gehen, Stehen) verrichten” könne. Die Rechnungssachbearbeitung im Hauptstaatsarchiv einschließlich des Führens von Materialbestandsverzeichnissen, die Führung der Haushaltsüberwachungslisten sowie die Bearbeitung versandfertiger Auftragssendungen werde zumindest überwiegend sitzend erbracht. Das beklagte Land hat somit sachgerecht entschieden.
cc) Daß das beklagte Land bei seiner Einstellungsentscheidung auch soziale Umstände berücksichtigt hat, indem es einen über 50jährigen, ledigen und seit mehr als einem halben Jahr arbeitslosen Bewerber den Vorzug vor der älteren, verheirateten und zwei Kindern unterhaltspflichtigen Klägerin gegeben hat, begründet nicht die Rechtswidrigkeit der getroffenen Auswahlentscheidung, weil diese Überlegungen nicht zur Einstellung des weniger geeigneten Bewerbers geführt haben.
dd) Für die Frage, ob das beklagte Land § 14 Abs. 2 SchwbG verletzt hat, kommt es allein auf die objektive Rechtslage an. Daher ist es für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht von Belang, ob und welche Gründe die Leitung des Hauptstaatsarchivs im vorprozessualen Schriftwechsel für ihre Auswahlentscheidung angegeben und mit welchen Gründen der Personalrat seine Entscheidung gegenüber der Klägerin erläutert hat.
b) Das beklagte Land hat keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Voraussetzung dafür wäre gewesen, daß das beklagte Land in ermessensfehlerhafter Weise einem anderen Bewerber den Beförderungsposten zugewiesen und nach den Verhältnissen im Einzelfall die einzig richtige Entscheidung in der Beförderung des übergangenen Bewerbers bestanden hätte (BAG Urteil vom 26. Juli 1979 – 3 AZR 1107/77 – AP Nr. 18 zu § 249 BGB). Dies war nicht der Fall, weil nach der rechtlich nicht zu beanstandenden Eignungsbeurteilung des beklagten Landes die Klägerin sogar weniger geeignet war als ihr Mitbewerber S.
2. Auf einen allgemeinen vertraglichen, tariflichen oder gesetzlichen Anspruch eines Arbeitnehmers auf Übertragung einer Beförderungsstelle kann sich die Klägerin nicht berufen. Ein solcher ergibt sich weder aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 611 BGB) noch aus den Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAGE 32, 105 = AP Nr. 2 zu § 11 SchwbG). Vielmehr räumt Art. 33 Abs. 2 GG jedem Deutschen nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt ein. Damit hat jeder Bewerber, also auch der noch nicht im öffentlichen Dienst beschäftigte Bewerber, Anspruch auf ermessensfehlerfreie Beurteilung seiner Bewerbung.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Schömburg, Mache
Fundstellen