Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifvertragliche Residenzpflicht eines Hausmeisters. Auslegung eines Tarifvertrages. Verpflichtung eines Arbeitnehmers zur Begründung eines arbeitsplatznahen Wohnsitzes. Freiheitsgrundrechte (hier: Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Freizügigkeit) und Tarifvertrag. berechtigte Interessen des Arbeitgebers. Abgrenzung Wohnsitznahme im melderechtlichen und im bürgerlichrechtlichen Sinn
Leitsatz (amtlich)
- Ein Tarifvertrag kann die Verpflichtung eines Arbeitnehmers zur Begründung eines Wohnsitzes am Ort seiner Tätigkeit begründen, wenn dieser Verpflichtung ein durch die Besonderheit des Arbeitsverhältnisses begründetes berechtigtes Interesse des Arbeitgebers zu Grunde liegt (hier: Hausmeister).
- Die Erfüllung einer solchen Verpflichtung richtet sich nicht nach melderechtlichen, sondern nach bürgerlich-rechtlichen Kriterien (§ 7 BGB).
Orientierungssatz
- Eine tarifvertraglich normierte Verpflichtung eines Arbeitnehmers zur Begründung eines Wohnsitzes am Ort seiner Tätigkeit kann auch unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und auf Freizügigkeit gemäß Art. 11 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein, wenn ihr ein durch die Besonderheit des Arbeitsverhältnisses begründetes berechtigtes Interesse des Arbeitgebers zu Grunde liegt.
- Die in § 16 Abs. 1 MTV-GSW normierte Verpflichtung eines Hausmeisters zum Bezug einer Wohnung im Arbeitsgebiet zur Erfüllung seiner Arbeitspflicht ist durch den Bezug auf die Erforderlichkeit der Wohnsitznahme durch die von ihm zu erbringende konkrete Arbeitsleistung grundsätzlich nicht zu beanstanden.
- Die Erfüllung der tarifvertraglichen Verpflichtung zum Bezug einer Wohnung richtet sich nicht nach den melderechtlichen Kriterien. Ebenso wenig wie die Verpflichtung allein durch eine Anmeldung der Hauptwohnung im Wohngebiet erfüllt werden kann, verstößt die Anmeldung einer Hauptwohnung an einem anderen Ort gegen diese Verpflichtung.
- Ob und auf welche Art die Verpflichtung zum Bezug einer Wohnung im Sinne von § 16 Abs. 1 MTV-GSW erfüllt wird, richtet sich nach den zu § 7 BGB entwickelten Kriterien (“räumlicher Schwerpunkt der Lebensverhältnisse”).
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2; BGB § 7; BbgMeldeG § 16; MeldeG Berlin § 17; MTV-GSW §§ 11, 16
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses.
Die Beklagte ist eine Wohnungsbaugesellschaft, die im Stadtgebiet von Berlin Wohnungen unterhält. Sie ist Mitglied der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Berlin e.V.
Der 45jährige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1993 als “Einzelvollhauswart” für eine monatliche Vergütung von zuletzt 2.102,30 Euro brutto beschäftigt. Neben den Reinigungs- und Pflegearbeiten gehört ua. die Durchführung sämtlicher Kleinreparaturen in seinem Arbeitsgebiet – drei Straßenzüge und ein Haus – zu seinen Aufgaben. Entsprechend einer Festlegung vom 12. Januar 2004 soll er an sechs Tagen in der Woche ab 8.00 Uhr im Arbeitsgebiet für Mieter, Firmen und Mitarbeiter persönlich präsent sein; ihm steht ein dienstliches Mobiltelefon zur Verfügung.
In § 1 des Hauswartdienstvertrages vom 11. November 1993 heißt es unter der Überschrift “Tarifliche Bestimmungen”, soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung:
“Für das Arbeitsverhältnis sind maßgebend: der Mantel- und Lohntarifvertrag für Arbeiter der städtischen Wohnungsgesellschaften vom 12.06.1980 mit den zusätzlich geschlossenen Tarifverträgen sowie die an seine Stelle tretenden Tarifverträge, alle in der jeweils für die GSW geltenden Fassung.”
In §§ 2 und 12 des Arbeitsvertrages ist festgehalten, dass dem Vertrag als Anlage ua. der Mantel- und Lohntarifvertrag für Arbeiter der städtischen Wohnungsgesellschaften beigefügt sei und dass dem Kläger ein Ordner mit diesen Unterlagen ausgehändigt worden sei.
Seit dem 1. August 2001 galt für die Beklagte der zwischen der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Berlin und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Landesbezirk Berlin-Brandenburg geschlossene Manteltarifvertrag für Arbeiter der GSW (im Folgenden: MTV-GSW).
Gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 MTV-GSW beträgt die regelmäßige durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit ausschließlich der Pausen 38,5 Stunden, die gem. § 11 Abs. 2 bis zu 48 Stunden durchschnittlich verlängert werden kann. § 11 Abs. 3 MTV-GSW sieht vor, dass die Arbeitnehmer grundsätzlich nur an sechs Tagen in der Woche beschäftigt werden sollen, ohne Berücksichtung der Beseitigung von Schnee und Eisglätte. § 16 Abs. 1 MTV-GSW lautet:
“Zur Erfüllung seiner Arbeitsleistung ist der Arbeitnehmer zum Bezug einer Wohnung im Arbeitsgebiet verpflichtet.”
§ 16 Abs. 2 MTV-GSW bestimmt die Gewährung einer gestuften Mietermäßigung in Abhängigkeit von der zu zahlenden Nettokaltmiete von etwa 15 bis 20 %.
Der “Tarifvertrag zur Änderung des Manteltarifvertrages für die Arbeiter der GSW über eine Einmalzahlung an die nicht vom BMT-G erfassten Arbeiter der GSW sowie zur Anwendung des Tarifvertrages über den Rationalisierungsschutz für die nicht vom BMT-G erfassten Arbeiter der städtischen Wohnungsgesellschaften” (ÄndTV-GSW) vom 17. April 2003 enthält – soweit für den Rechtsstreit von Bedeutung – folgende Regelung:
§ 1
Änderung des Manteltarifvertrages für die Arbeiter der GSW
Der Manteltarifvertrag für die Arbeiter der GSW (MTV GSW) vom 12. September 2001, zuletzt geändert am 28. Februar 2002, wird wie folgt geändert:
1. …
2. § 16 wird wie folgt geändert:
a) Zu Absatz 1 wird folgende Protokollerklärung aufgenommen:
“Protokollerklärung zu Absatz 1:
Wohnung im Sinne dieses Absatzes bedeutet, dass dort der Lebensmittelpunkt und der Hauptwohnsitz des Arbeitnehmers ist.”
Im Herbst 2003 fragte der Kläger bei der Geschäftsstellenleiterin an, ob er seinen Wohnsitz nach Brandenburg verlegen könne. Ihm wurde mitgeteilt, dass er verpflichtet sei, im Arbeitsgebiet zu wohnen und dementsprechend seinen Wohnsitz nicht verändern könne. Ansonsten drohe ihm gemäß § 16 MTV-GSW die Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Im November 2003 rief der Kläger den Personalreferenten für Hauswarte an und fragte diesen, ob eine Verlegung des Hauptwohnsitzes nach Brandenburg möglich sei. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass ein Hauswart bei der Beklagten im Arbeitsgebiet wohnen müsse und die Hauswartdienstwohnung der Lebensmittelpunkt und Hauptwohnsitz nach § 16 MTV-GSW sein müsse. Anfang Dezember erhielt der Kläger ein Exemplar des MTV-GSW. Zum 31. Dezember 2003 meldete er seine Hauptwohnung iSd. § 16 BbgMeldeG in L…, 77 km von seinem Arbeitsgebiet entfernt, an. Seine Dienstwohnung in Berlin hat er als Nebenwohnung angemeldet.
Am 7. Januar 2004 fand ein Personalgespräch mit dem Kläger statt. Anwesend waren die Geschäftsstellenleiterin, der zuständige Personalreferent sowie der Betriebsratsvorsitzende und eine weiteres Betriebsratsmitglied. In diesem Gespräch wurde der Kläger auf die Verpflichtung, in seinem Arbeitsgebiet zu wohnen und dort seinen Wohnsitz zu haben, hingewiesen. Mit Schreiben vom 23. Februar 2004 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er seinen Hauptwohnsitz nach L… verlegt hatte.
Am 6. April 2004 teilte der zuständige Personalreferent dem Kläger in einem Gespräch wiederum im Beisein des Betriebsratsvorsitzenden und eines weiteren Betriebsratsmitglieds mit, dass das Arbeitsverhältnis unter den derzeitigen Bedingungen nicht fortgesetzt werden könne und der Kläger verpflichtet sei, seinen Hauptwohnsitz wiederum ins Arbeitsgebiet zu verlegen. Der Kläger erklärte, dass die Beklagte ihm ruhig kündigen könne und er dies dann über seinen Anwalt klären lassen werde.
Mit Schreiben vom 19. April 2004 informierte die Beklagte den Betriebsrat von der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 20. April 2004 mitgeteilt, dass er der beabsichtigten Kündigung nicht widerspreche. Mit Schreiben vom 26. April 2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.
September 2004. Sie berief sich dabei auf die Mitteilung des Klägers von der Verlegung seines Hauptwohnsitzes; nach dem danach geführten Personalgespräch habe er nicht zu erkennen gegeben, dass er entsprechend der tarifvertraglichen Verpflichtung wieder dauerhaft in seinem Arbeitsgebiet wohnen werde. Mit Schreiben vom selben Tage mahnte sie den Kläger ab, weil er im Arbeitsgebiet nicht erreichbar gewesen sei. Mit Schreiben vom 8. Juni 2004 mahnte die Beklagte den Kläger erneut ab und berief sich auf die Feststellung erheblicher Leistungsmängel in seinem Arbeitsgebiet.
Der Kläger hat gegen die Kündigung und die Abmahnung vom 26. April 2004 Klage erhoben und diese später um die Anträge auf Entfernung der Abmahnung vom 8. Juni 2004 aus seiner Personalakte und auf Weiterbeschäftigung erweitert. Er hat geltend gemacht, zwar habe er seinen familiären Lebensmittelpunkt nach L… verlegt, durch Tarifvertrag und insbesondere durch eine Protokollerklärung dürfe ihm jedoch nicht wirksam auferlegt werden, seinen Hauptwohnsitz im Arbeitsgebiet zu nehmen. Zudem greife die erst lange nach Abschluss des Arbeitsvertrages unter Hinzufügung der Protokollerklärung derzeit geltende tarifliche Regelung unzulässig in seine Grundrechte ein. Eine Kündigung sei aber auch bei einem Verstoß gegen die Nebenpflicht nicht gerechtfertigt, weil der Eingriff in seine Grundrechte weder erforderlich noch verhältnismäßig sei. Es sei eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung erforderlich gewesen und die Kündigung sei wegen der fehlerhaften Betriebsratsanhörung unwirksam, denn dem Betriebsrat sei nicht mitgeteilt worden, dass er in den Personalgesprächen darauf hingewiesen habe, dass die ihm ausgehändigte Fassung des MTV-GSW eine Verpflichtung zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes in der Dienstwohnung nicht vorsehe, da darin die Protokollerklärung nicht enthalten sei. Die Vorwürfe in den Abmahnungen seien unzutreffend.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 26. April 2004 nicht mit Ablauf des 30. September 2004 beendet worden ist;
hilfsweise für den Fall, dass dem Feststellungsantrag stattgegeben wird,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen;
3. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 26. April 2004 aus der Personalakte zu entfernen;
4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 8. Juni 2004 aus der Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil der Kläger trotz mehrfacher Hinweise unter Verstoß gegen die wirksame Regelung in § 16 MTV-GSW seinen Hauptwohnsitz dauerhaft aus dem Arbeitsgebiet verlegt habe.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und meint, der Rechtsstreit müsse im Übrigen zurückverwiesen werden. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung für wirksam gehalten. Die Verpflichtung des Klägers, “seinen – melderechtlichen – Hauptwohnsitz im Arbeitsgebiet anzumelden”, sei nicht zu beanstanden. Darin liege zwar ein Eingriff in seine grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte auf Festlegung seines Wohnortes und seiner Wohnung, die durch Art. 2 Abs. 1 GG gesichert seien. Soweit Begrenzungen in der privaten Lebensführung unmittelbar mit der zu erbringenden Arbeitsleistung zusammenhingen, könnten sie durch schützenswerte betriebliche Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Aus dem Tätigkeitsbild eines Hausmeisters ergebe sich ein solches schützenswertes Interesse an der Begründung eines Hauptwohnsitzes im Arbeitsbereich, da der Arbeitgeber dann wenigstens grundsätzlich davon ausgehen könne, dass der Arbeitnehmer auch außerhalb seiner eigentlichen Arbeitszeit präsent und ansprechbar sei. Dieser Effekt sei durch eine Arbeits- oder Rufbereitschaft nicht in gleichem Maße erreichbar. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der individuellen Lebensgestaltung sei damit nicht verbunden, da eine Reglementierung seines Aufenthalts in seiner Freizeit dadurch nicht begründet werde. Gegen diese Verpflichtung habe der Kläger mit der Verlegung seines Hauptwohnsitzes verstoßen. Eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen, weil dem Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung eindringlich klar gemacht worden sei, dass die Beklagte diese Wohnsitzverlegung als kündigungsrelevanten Vertragsverstoß ansehe. Auch die Betriebsratsanhörung sei nicht zu beanstanden, weil die Beklagte dem Betriebsrat sämtliche Umstände, die sie zur Grundlage des Kündigungsentschlusses gemacht habe, mitgeteilt habe.
II. Dem folgt der Senat nur mit Einschränkungen. Zwar ist § 16 Abs. 1 MTV-GSW von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Die dort normierte Pflicht zum Bezug einer Wohnung ist jedoch nicht an die ordnungsrechtliche Anmeldung einer Hauptwohnung im Sinne von § 11 Abs. 1, § 17 Abs. 2 MeldeG Berlin gebunden. Allein in der melderechtlichen Verlegung seiner Hauptwohnung nach Brandenburg liegt noch keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung des Klägers. Für eine Beurteilung, ob der Kläger auch ohne Berücksichtigung der Ummeldung gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung aus § 16 Abs. 1 MTV-GSW, die eine Wohnsitznahme im bürgerlichrechtlichen Sinn (§ 7 BGB) vorsieht, verstoßen hat, fehlt es an ausreichenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.
1. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. zB BAG 26. September 1996 – 2 AZR 200/96 – BAGE 84, 209, 212; 10. Oktober 2002 – 2 AZR 472/01 – BAGE 103, 111, 116 f.).
2. Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabes hält das angefochtene Urteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger durch die Anmeldung seines Hauptwohnsitzes in L… gegen seine Verpflichtung aus § 16 Abs. 1 MTV-GSW iVm. § 1 des Arbeitsvertrages verstoßen hat. Eine Verpflichtung, den melderechtlichen Erstwohnsitz am Arbeitsort, also in Berlin zu haben, ist dem Arbeitsvertrag jedoch nicht zu entnehmen.
a) Die Auslegung eines Tarifvertrages durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 22. Oktober 2002 – 3 AZR 468/01 – AP TVG § 1 Auslegung Nr. 184 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 36). Dabei folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (zB Senat 30. Mai 2001 – 4 AZR 269/00 – BAGE 98, 35, 38 f.; 7. Juli 2004 – 4 AZR 433/03 – BAGE 111, 204, 209). Diese Grundsätze gelten auch, wenn der einschlägige Tarifvertrag nicht normativ gilt, sondern durch einzelvertragliche Bezugnahme Bestandteil des Arbeitsverhältnisses geworden ist (Oetker in Wiedemann TVG 6. Aufl. § 3 Rn. 244 mwN).
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts begründet § 16 Abs. 1 MTV-GSW keine vertragliche Verpflichtung des Klägers zur Anmeldung einer Hauptwohnung im Arbeitsgebiet der Beklagten.
aa) Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass für die Bestimmung der Verhaltenspflicht des Klägers § 16 Abs. 1 MTV-GSW in der Fassung des ÄndTV-GSW vom 17. April 2003 maßgeblich ist. Die arbeitsvertragliche Bezugnahme auf den MTV-GSW erstreckt sich auf die “jeweils für die GSW geltende Fassung”. Es handelt sich um eine dynamische Verweisung mit der Folge, dass Änderungen des in Bezug genommenen Normenwerks jeweils unmittelbar auf das Vertragsverhältnis einwirken. Die durch den ÄndTV-GSW zusätzlich aufgenommene Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien ist eine Regelung materiellen Tarifrechts. Sie entspricht den Formerfordernissen eines Tarifvertrages (vgl. dazu Senat 4. April 2001 – 4 AZR 237/00 – BAGE 97, 263, 267 mwN).
bb) Der Kläger rügt auch erfolglos, dass das Landesarbeitsgericht seiner Auffassung nicht gefolgt ist, die in der Protokollerklärung erfolgte Ergänzung des Tarifvertrages sei für sein Arbeitsverhältnis nicht maßgeblich, weil er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit einer derart weitreichenden Änderung des Tarifvertrages nicht habe zu rechnen brauchen. Die Annahme, eine Tarifänderung werde von einer dynamischen Bezugnahmeklausel nicht erfasst, ist allenfalls bei Tarifentwicklungen gerechtfertigt, die schlechterdings nicht voraussehbar waren (Löwisch/Rieble TVG 2. Aufl. § 3 Rn. 256) oder – anders ausgedrückt – wenn ein Vertragsinhalt entstehen würde, mit dem die Arbeitsvertragsparteien billigerweise nicht rechneten oder nicht rechnen konnten (Oetker in Wiedemann § 3 Rn. 247). Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. § 16 Abs. 1 MTVGSW enthielt bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages die Verpflichtung zum Bezug einer Wohnung in dem Arbeitsgebiet. Die Definition des Begriffs der Wohnung iSv. § 16 Abs. 1 MTV-GSW durch die Tarifvertragsparteien in der hierzu ergangenen Protokollerklärung entspricht der allgemeinen Auslegung des Begriffs des Wohnsitzes in § 7 BGB (vgl. dazu Senat 26. Juni 1985 – 4 AZR 4/84 – AP TVG § 1 Auslösung Nr. 14 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 19; allg. MünchKommBGB/Schmitt 4. Aufl. § 7 Rn. 8 ff. mwN). Bereits danach wäre auch ohne die Protokollerklärung eine Auslegung von § 16 Abs. 1 MTV-GSW in diesem Sinne zumindest denkbar gewesen. Wenn mit der Protokollerklärung überhaupt eine Änderung der Rechtslage herbeigeführt worden sein sollte, liegt sie daher jedenfalls nicht im unvorhersehbaren Bereich der möglichen Änderung der in Bezug genommenen Tarifvorschrift.
cc) Das Landesarbeitsgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass ein in der Verpflichtung zur Wohnsitznahme gem. § 16 Abs. 1 MTV-GSW liegender Eingriff in das Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG vom Grundsatz her durch berechtigte betriebliche Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist. Auch das in Art. 11 Abs. 1 GG normierte Grundrecht auf Freizügigkeit steht der Wirksamkeit der tariflichen Regelung nicht entgegen.
(1) Grundsätzlich liegt in jeder Übernahme einer vertraglichen Verpflichtung eine Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Diese ist durch die Vertragsfreiheit, die ihrerseits grundrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgt ist, legitimiert; ihre wissentliche und willentliche Einschränkung stellt zugleich ihre Verwirklichung dar (ErfK/Dieterich 6. Aufl. GG Einl. Rn. 64). Auch eine durch den Abschluss eines Arbeitsvertrages notwendigerweise zu seiner Erfüllung erforderliche Einschränkung der Freizügigkeit gem. Art. 11 Abs. 1 GG ist in der Regel eine durch die Einwilligung des Grundrechtsträgers abgesicherte Ausübung der Privatautonomie. Die Anerkennung der Privatautonomie als selbstregulierendes Prinzip setzt voraus, dass ein annähernd ausgewogenes Kräfteverhältnis der Vertragspartner als Mittel eines angemessenen Interessenausgleichs besteht (BVerfG 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214). Daher ist es Aufgabe des Rechts, auf die Wahrung der Grundrechtspositionen beider Vertragspartner hinzuwirken, um zu verhindern, dass sich für einen Vertragsteil die Selbstbestimmung in eine Fremdbestimmung verkehrt (BVerfG 6. Februar 2001 – 1 BvR 12/92 – BVerfGE 103, 89; di Fabio in Maunz/Dürig GG Stand März 2006 Art. 2 Rn. 107 mwN).
(2) Eines näheren Eingehens auf Ausmaß und Grenzen der verfassungssrechtlichen Inhaltskontrolle einzelvertraglicher Vereinbarungen bedarf es vorliegend nicht. Denn die Grundlage einer evtl. Inhaltskontrolle individualvertraglicher Regelungen ist die Disparität der Verhandlungspartner, die in der Regel beim Abschluss von Individualarbeitsverträgen gegeben ist. Vorliegend beruht die arbeitsvertragliche Verpflichtung des Klägers jedoch auf einer tarifvertraglichen Norm, die in zulässiger Weise im Arbeitsvertrag in Bezug genommen worden ist. Für die Inhaltskontrolle von Tarifverträgen aber gelten andere Maßstäbe, da die bei Individualarbeitsverträgen typischerweise zu verneinende Verhandlungsparität in der Regel bei Tarifverträgen vorauszusetzen ist (st. Rspr. vgl. nur BAG 23. Januar 1992 – 2 AZR 470/91 – BAGE 69, 257, 270). Aus diesem Grund sind Tarifverträge aus der zivilrechtlichen Vertragskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB durch § 310 Abs. 4 BGB ausdrücklich ausgenommen (ErfK/Preis §§ 305 – 310 BGB Rn. 11). Dies beruht auf der sog. Richtigkeitsgewähr (besser: Ausgewogenheitsgewähr), von der bei Tarifverträgen wegen der grundsätzlichen Parität der Tarifvertragsparteien auszugehen ist (Däubler/Schiek TVG 2. Aufl. Einl. Rn. 211 mwN). Ferner können den Tarifvertragsparteien wegen der fehlenden unmittelbaren Grundrechtsbindung Regelungen erlaubt sein, die dem Gesetzgeber verwehrt sind (Schliemann FS Hanau S. 577, 587; Dieterich FS Schaub S. 117, 121). Denn sie entfalten ihre Legitimität neben der grundsätzlich vorauszusetzenden Vertragsparität durch die Zustimmung der von ihnen Betroffenen, da sie Ergebnis “kollektiv ausgeübter Privatautonomie” sind (BAG 25. Februar 1998 – 7 AZR 641/96 – BAGE 88, 118, 123 mwN). Für die unmittelbar Tarifgebundenen begründet sich dies in der Mitgliedschaft in der tarifvertragsschließenden Partei, die eine wenigstens grundsätzliche Billigung der Tarifergebnisse beinhaltet. Soweit die Bindung an die Tarifnormen durch eine Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag besteht, liegt auch dieser eine Zustimmung des Vertragsschließenden, hier: des Arbeitnehmers zu Grunde. Ein von der Tarifvertragskontrolle abweichender Maßstab wird dadurch nicht begründet (BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – BAGE 84, 282, 289).
(3) Grundsätzlich ist die Rechtsprechung auch bei der Anwendung tarifvertraglicher Regelungen durch die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet, solchen Regelungen die Durchsetzung zu verweigern, die eine unangemessene Beschränkung eines grundrechtlichen Freiheitsrechts zur Folge haben (BAG 27. Mai 2004 – 6 AZR 129/03 – BAGE 111, 8, 16). Art. 11 Abs. 1 GG beinhaltet das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen (BVerfG 7. Mai 1953 – 1 BvL 104/52 – BVerfGE 2, 266), wobei hier die Wohnsitzbegründung gem. § 7 BGB als ständige Niederlassung mit dem rechtsgeschäftlichen Willen zu verstehen ist, den Ort zum ständigen Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen (Hailbronner in HStR 2. Aufl. VI § 131 Rn. 23 mwN). Die Verpflichtung zur Begründung eines Wohnsitzes an einem bestimmten Ort greift daher in das Recht auf Freizügigkeit gem. Art. 11 Abs. 1 GG und – angesichts der Begründung eines Lebensmittelpunktes als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – auch in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein. Derartige Beschränkungen des Privatlebens von Arbeitnehmern durch tarifvertragliche Regelungen können nur dann gerechtfertigt sein, wenn ein Bezug zu beruflichen Aufgaben besteht (ErfK/Dieterich GG Einl. Rn. 53; MünchArbR/Blomeyer 2. Aufl. § 53 Rn. 122; für deutlich weniger enge Voraussetzungen Pernice in Dreier GG 2. Aufl. Art. 11 Rn. 23; AK-GG-Rittstieg Art. 11 Rn. 46). Sie müssen durch das Arbeitsverhältnis tatsächlich geboten sein, wie etwa bei einem Lokalredakteur einer Tageszeitung, für dessen Arbeit es unerlässlich ist, bei lokalen Ereignissen innerhalb kurzer Zeit zur Stelle zu sein, um darüber berichten zu können (Preis Der Arbeitsvertrag 2. Aufl. II D 30 Rn. 294).
Dementsprechend findet sich im Zusammenhang mit Einschränkungen der vorliegenden Art durch gesetzliche, tarifvertragliche und vertragliche Regelungen jeweils der Hinweis auf ihre Erforderlichkeit durch die konkret zu leistende Arbeit. So regeln § 65 BAT, § 60a BMT-G, § 69 MTArb, dass sich die Zuweisung von Dienstwohnungen nach den Bestimmungen des öffentlichen Arbeitgebers richten. Nach § 4 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Bundesdienstwohnungen (und ähnlichen Landesregelungen) dürfen Dienstwohnungen nur zugewiesen werden, wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern, dh. sie dürfen nur solchen Bediensteten zugewiesen werden, deren Anwesenheit an der Dienststätte auch außerhalb der Arbeitszeit aus dienstlichen Gründen sichergestellt sein muss und die daher im Dienstgebäude oder in dessen unmittelbarer Nähe wohnen müssen oder die zur Sicherstellung der Einsatzbereitschaft innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit eine bestimmte Wohnung beziehen müssen. Die Zuweisung der Wohnung hat die entsprechende Verpflichtung des Angestellten zur Folge (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Juni 2006 § 65 Erl. 2). Das Bundesarbeitsgericht hat die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Nutzung der Wohnung als Merkmal einer Werkdienstwohnung angesehen (24. Januar 1990 – 5 AZR 749/87 – BAGE 64, 75, 79; 23. August 1989 – 5 AZR 569/88 – AP BGB § 565e Nr. 3 = EzA BGB § 565b-e Nr. 3), wenn der Wohnraum in unmittelbarer Beziehung oder Nähe zur Arbeitsstätte steht, so dass seine Überlassung nach Art der Arbeitsleistung erforderlich ist (15. Dezember 1992 – 1 AZR 308/92 – WuM 1993, 353). Dabei bedeutet der Bezug einer Dienstwohnung, wenn auch nicht zwingend, nach der Lebenserfahrung aber häufig die Begründung des Lebensmittelpunktes. Dies hängt damit zusammen, dass die Verpflichtung zu einer Wohnsitznahme als sachlichen Grund gerade die Notwendigkeit der möglichst ständigen Anwesenheit am Arbeitsort oder in dessen Nähe hat. Die Verpflichtung zum Bezug einer Dienstwohnung findet sich dementsprechend häufig bei Hausmeisterarbeitsverträgen (vgl. zB BAG 2. November 1999 – 5 AZB 18/99 – BAGE 92, 336; LAG Niedersachsen 9. Februar 2001 – 16 Sa 1309/00 – LAGE BGB § 315 Nr. 10; 21. September 1999 – 12 Sa 2255/98 – EzBAT BAT § 65 Nr. 7; LAG Rheinland-Pfalz 14. Juli 1992 – 5 Sa 155/92 – EzBAT BAT § 65 Nr. 6; auch bei LAG Köln 1. Oktober 1999 – 4 Sa 515/99 – ZTR 2000, 225, das aber eine eigenständige vertragliche Verpflichtung außerhalb von § 65 BAT iVm. Dienstwohnungsvorschriften verlangt), aber auch bei Feuerwehrmännern (zB LAG München 9. Januar 1991 – 5 Sa 31/90 – LAGE KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 32), Mitarbeitern der Autobahnmeisterei (BAG 23. August 1989 – 5 AZR 569/88 – aaO; 15. Dezember 1992 – 1 AZR 308/92 – aaO) oder Heimleitern (Preis II D 30 Rn. 298). Aber auch in anderen dienstrechtlichen Bereichen wird von der Möglichkeit einer Verpflichtung zur Wohnsitznahme am Arbeitsort ausgegangen. So sieht § 74 Abs. 2 BBG die Möglichkeit des Dienstvorgesetzten vor, den Beamten, wenn es die dienstlichen Verhältnisse erfordern, anzuweisen, seine Wohnung innerhalb einer bestimmten Entfernung von der Dienststelle zu nehmen oder eine bestimmte Dienstwohnung zu beziehen. Dies betrifft ua. Förster mit Außendienst, Schutzpolizeibeamte, Berufsfeuerwehrleute (Günther ZBR 1993, 225, 232). § 74 BBG ist nach ganz überwiegender Ansicht mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit vereinbar (Franke in Fürst GKÖD Stand Juni 2006 Band I K § 74 Rn. 1; Kunig in Schmidt-Aßmann BesVerwR 12. Aufl. 6. Kap. Rn. 132; Stern StaatsR Bd. 1 2. Aufl. § 11 IV 4c; Schnellenbach Beamtenrecht in der Praxis 6. Aufl. Rn. 239).
(4) Bei Individualverträgen entfalten die Grundrechte ihre Schutzwirkung in der richterlichen Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln, wie §§ 138, 241 Abs. 2, §§ 242, 307 BGB (BVerfG 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214; Kühling ArbuR 1994, 126, 127). Bei Gesetzen und bei Tarifverträgen, die wie erstere auszulegen sind, ist die verfassungsgeleitete Auslegung das Mittel, um den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen, die das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt als Elemente objektiver Ordnung aufgestellt hat, zur Wirksamkeit zu verhelfen (ErfK/Dieterich GG Einl. Rn. 80). Lässt eine Norm mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, so ist diejenige Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (st. Rspr. zB BVerfG 30. März 1993 – 1 BvR 1045/89, 1381/90 und 1 BvL 11/90 – BVerfGE 88, 145, 166 mwN). Im Interesse der Normerhaltung, das im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung verlangt, kann es dabei nicht entscheidend darauf ankommen, ob dem subjektiven Willen des Normgebers eine weitergehende als die nach der Verfassung zulässige Auslegung der Norm eher entsprochen hätte (st. Rspr. zB BVerfG 9. August 1978 – 2 BvR 831/76 – BVerfGE 49, 148, 157 mwN).
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Verpflichtung eines Hausmeisters zur Begründung und Beibehaltung eines Wohnsitzes in unmittelbarer Nähe zu seinem Arbeitsplatz unter grundrechtlichen Aspekten jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn der damit verbundene Eingriff in die Grundrechte aus Art. 11 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG durch die Notwendigkeit der Wohnsitznahme für die Erfüllung seiner Arbeitspflicht begründet ist. Eine Tarifnorm, die bei Vorliegen einer solchen Notwendigkeit die Rechtsfolge der Wohnsitznahmeverpflichtung ausspricht, ist wirksam. Sie ist hinreichend legitimiert, da sie unter diesen Voraussetzungen erforderlich, geeignet und angemessen ist.
(5) Dem entspricht § 16 Abs. 1 MTV-GSW. Die Tarifnorm fordert insbesondere keine voraussetzungslose Wohnsitznahmepflicht für alle Arbeitnehmer ungeachtet ihrer Notwendigkeit für die Tätigkeitsausübung. Eine solche Auslegung von § 16 Abs. 1 MTV-GSW wäre allerdings verfassungswidrig. Die Regelung verknüpft die Wohnsitznahmeverpflichtung jedoch mit der Voraussetzung, dass diese “zur Erfüllung seiner Arbeitsleistung” erfolgt. Damit wird die Wohnsitznahmepflicht des tarifunterworfenen Arbeitnehmers ersichtlich in einen kausalen Zusammenhang mit der von ihm zu erbringenden Arbeitsleistung gebracht. Sie soll nur soweit bestehen als sie zur Erfüllung der Arbeitspflicht, die nach dem jeweiligen Einzelarbeitsvertrag zu leisten ist, erforderlich ist. Allein diese, vom Wortlaut und Sinn der Vorschrift her gebotene Auslegung kann den oben dargelegten grundrechtlichen Anforderungen genügen. Denn bei einer voraussetzungslosen Wohnsitznahmeverpflichtung gölte diese für alle dem MTV-GSW unterworfenen Arbeitnehmer der Beklagten, die für die Reinigung und/oder Betreuung der Wohnanlagen verantwortlich sind (§ 1 MTV-GSW), also zB auch für die Reinigungskräfte. Für diese findet demnach § 16 Abs. 1 MTV-GSW grundsätzlich keine Anwendung, weil insoweit jedenfalls typischerweise kein zwingender Bezug zwischen einem bestimmten Wohnverhalten und ihrer Arbeitspflicht besteht. Zu einer Regelung im dargelegten Sinne waren die Tarifvertragsparteien auch befugt. Sie sind aus der Sachnähe und der präzisen Kenntnis der örtlichen Bedingungen in der Lage zu beurteilen, dass es im Rahmen des personellen und betrieblichen Anwendungsbereichs des MTV-GSW Tätigkeiten gibt oder geben kann, für die eine arbeitsplatznahe Wohnsitznahme erforderlich ist. Insoweit unterliegt es der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, eine dahin gehende, den Tarifvertragsparteien sachlich begründet erscheinende Regelung zu vereinbaren.
dd) Unbeschadet der Notwendigkeit einer weiteren Konkretisierung der betrieblichen Erforderlichkeit einer entsprechenden Wohnsitznahme und ihrer dadurch begründeten, aber auch begrenzten konkreten Ausgestaltung kann entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allein das melderechtliche Verhalten des Arbeitnehmers keine Verletzung einer solchen Verpflichtung zur Wohnsitznahme sein.
(1) Verwenden Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag einen Begriff, der in der Rechtsterminologie eine bestimmte Bedeutung hat, ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien diesen Begriff in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden und angewendet wissen wollen (st. Rspr. BAG 22. September 2005 – 6 AZR 579/04 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 21 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 42; 8. August 2002 – 8 AZR 476/01 –; 30. Mai 1984 – 4 AZR 512/81 – BAGE 46, 61, 66; 24. September 1980 – 4 AZR 744/78 – BAGE 34, 173, 181).
(2) Der Wortlaut der Tarifnorm verpflichtet den Arbeitnehmer, der gem. § 1 des MTV-GSW unter den Anwendungsbereich des Tarifvertrages fällt, zum Bezug einer Wohnung im Arbeitsgebiet. Die Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien zu dieser Norm präzisiert den Begriff der Wohnung dahin gehend, dass es sich dabei um den “Lebensmittelpunkt” und “Hauptwohnsitz” des Arbeitnehmers handeln soll. Diese Begriffe können nur zivilrechtlich ausgelegt werden. Die Tarifnorm begründet keine verwaltungsrechtlichen Verpflichtungen hinsichtlich der Begründung einer Hauptwohnung im melderechtlichen Sinne.
(a) Die Begriffe “Wohnsitz” und “Hauptwohnsitz” sind dem Melderecht unbekannt. In keiner melderechtlichen Vorschrift wird einer dieser Begriffe verwandt. Sowohl in der Reichsmeldeordnung vom 6. Januar 1938 wie auch in den Meldegesetzen des Bundes und der Länder ist nur von “Wohnung” (zB § 11 MRRG; § 13 HessMG, § 15 MG Baden-Württemberg, § 10 SächsMG) bzw. von “Hauptwohnung” (zB § 12 MRRG, § 16 HessMG, § 17 MG Baden-Württemberg, § 12 SächsMG) die Rede. Auch die vorliegend einschlägigen § 17 Abs. 2 MeldeG Berlin, § 16 Abs. 2 BbgMeldeG stellen auf den Begriff der “Wohnung” bzw. “Hauptwohnung” ab. Demgegenüber ist der Begriff des “Wohnsitzes” im bürgerlichen Recht eindeutig definiert. Als Begründung eines “Wohnsitzes” bezeichnet § 7 Abs. 1 BGB die “ständige Niederlassung” an einem Ort. Darunter ist der räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse einer Person zu sehen (BVerfG 22. Juni 1990 – 2 BvR 116/90 – NJW 1990, 2193, 2194). Dieser zivilrechtliche Wohnsitzbegriff, wie er in §§ 7 ff. BGB festgelegt wird, ist grundsätzlich für das gesamte Privatrecht maßgebend (Staudinger/Weick BGB 2004 § 7 Rn. 10). Die öffentlichrechtlichen Meldebestimmungen dagegen dienen der Aufrechterhaltung einer funktionierenden Staatsverwaltung sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (BAG 23. Februar 2000 – 10 AZR 82/99 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 26) und können hier für die Auslegung von tariflichen Tatbestandsmerkmalen nicht herangezogen werden. Dementsprechend hat der Senat bereits am 26. Juni 1985 für eine Tarifnorm, die auf “die am ordnungsbehördlich gemeldeten Hauptwohnsitz bestehende Wohnung” Bezug nahm, entschieden, dass auch bei einer solchen Bezugnahme der Wohnsitz im Sinne von § 7 BGB maßgeblich ist (– 4 AZR 4/84 – AP TVG § 1 Auslösung Nr. 14 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 19; zust. BAG 12. Dezember 1985 – 2 AZR 246/85 –, zu B IV 2a der Gründe). Hinzu kommt, dass die Tarifvertragsparteien durch die Wortwahl des zusammengesetzten Begriffs “Hauptwohnsitz” den Aspekt des Schwerpunktes der Lebensverhältnisse im zivilrechtlichen Sinne verstärken, was durch die Protokollerklärung zu § 16 Abs. 1 MTV-GSW mit dem dort ebenfalls verwandten Begriff des “Lebensmittelpunkts” unterstrichen wird. Auch dies betont, dass unter Hauptwohnsitz der räumliche Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse im Sinne des § 7 BGB zu verstehen ist (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 65. Aufl. § 7 Rn. 1).
(b) Diese Auslegung wird durch systematische Überlegungen gestützt. Denn die Tarifvertragsparteien könnten das von ihnen mit der Regelung verfolgte Ziel bei einer allein melderechtlichen Auslegung der Begriffe nicht erreichen.
Nach § 17 Abs. 2 MeldeG Berlin und § 16 Abs. 2 BbgMeldeG ist die Hauptwohnung die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners. Hauptwohnung eines verheirateten Einwohners, der nicht dauernd getrennt von seiner Familie lebt, ist die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie. § 12 Abs. 2 MRRG erweitert die Bestimmung des “Familienmittelpunkts” als Hauptwohnung, ungeachtet des weiteren konkreten Lebensbezugs des Ehegatten, auf die Verhältnisse einer Lebenspartnerschaft. Diese Zuweisung ist zwingend und kann auch bei einer deutlich überwiegenden Nutzung der anderen Wohnung am Beschäftigungsort nicht zu deren Bestimmung als Hauptwohnung führen (BVerfG 11. Oktober 2005 – 1 BvR 1232/00, 2627/03 – BVerfGE 114, 316, zu C II 2a der Gründe, auch zu der Verfassungswidrigkeit einer Zweitwohnungssteuer, die allein an melderechtlichen Kriterien anknüpft). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass das erkennbare Regelungsziel der Tarifvertragsparteien, einen überwiegenden Aufenthalt des Arbeitnehmers im Arbeitsgebiet zu bewirken, allein melderechtlich nicht zwingend gesichert werden kann, weil die Kriterien nicht identisch sind, auch wenn es Schnittmengen zwischen dem Hauptwohnsitz im bürgerlichrechtlichen Sinne und der Hauptwohnung nach melderechtlichem Verständnis gibt. So ist die Anmeldung bei der Meldebehörde des Ortes der Niederlassung zur Begründung des Wohnsitzes weder erforderlich noch ausreichend, ebenso wenig die Abmeldung zur Aufhebung des Wohnsitzes. Es wird durch die Anmeldung oder Abmeldung nicht einmal eine Rechtsvermutung für die Begründung oder Aufhebung des Wohnsitzes geschaffen, sondern nur ein Indiz für den Niederlassungswillen (vgl. dazu Staudinger/Weick § 7 Rn. 15 f. mit zahlr. weit. Nachw. aus der Rspr.).
3. Der Senat kann die Sache nicht abschließend entscheiden, weil es zur Beurteilung des Vorliegens des Kündigungsgrundes der Nichterfüllung der Verpflichtung zum Wohnungsbezug im tariflichen Sinne weiterer Feststellungen bedarf. Angesichts der Tatsache, dass die tarifvertragliche Verpflichtung zum Bezug einer Wohnung entsprechend § 16 Abs. 1 MTV-GSW iVm. der Protokollerklärung schon dem Wortlaut nach zur Erfüllung der Arbeitsleistung besteht, ist die daraus evtl. erwachsende konkrete Verpflichtung nicht ohne weiteres allein aus dem Tarifvertrag zu entnehmen, sondern es bedarf der Einbeziehung der vertraglichen Arbeitsverpflichtungen im Einzelfall. Dies ist erforderlich, um die konkrete Vertragsverpflichtung und dementsprechend eine mögliche Vertragsverletzung konstatieren zu können. Hierzu bedarf es entsprechender Feststellungen, die das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – nicht getroffen hat. Hinsichtlich der vom Landesarbeitsgericht angenommen Vertragsverletzung des Klägers wird zwar in den Entscheidungsgründen auch auf tatsächliche Lebensverhältnisse, wie die Aufenthaltsdauer im Gebiet der Wohnung, Bezug genommen. Hinreichend konkrete Feststellungen, aus denen sich ergeben könnte, dass der Kläger auch zivilrechtlich seinen Lebensmittelpunkt – ungeachtet der noch fehlenden Präzisierung der sich aus seiner Hauswartstätigkeit ergebenden Pflichten – aus dem Arbeitsgebiet nach Brandenburg verlegt hätte, fehlen aber auch hier, weil durch das Landesarbeitsgericht lediglich aus der Ummeldung des Klägers das Vorliegen der entsprechenden Tatsachen rückgeschlossen, nicht aber gesondert festgestellt wird. Im Übrigen ist die Beurteilung eines konkreten Verhaltens als möglicherweise kündigungsbegründende Vertragsverletzung von der Bestimmung der verletzten vertraglichen Pflicht abhängig, so dass nicht auszuschließen ist, dass die Parteien entsprechend einer gegenüber der bisherigen Auffassung des Landesarbeitsgerichts geänderten Bestimmung der aus § 16 Abs. 1 MTV-GSW möglicherweise erwachsenden Verhaltenspflicht des Klägers (ohne Berücksichtigung melderechtlicher Gegebenheiten) andere ergänzende Tatsachen vortragen und das Landesarbeitsgericht selbst auf einen entsprechenden Vortrag hinwirkt. Aus diesen Gründen sind auch die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung und die Nichterforderlichkeit einer gesonderten Abmahnung, die das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – als gegeben angesehen hat, erneut zu prüfen.
Unterschriften
Bott, Wolter, Creutzfeldt, H. Scherweit-Müller, Görgens
Fundstellen
Haufe-Index 1685710 |
BAGE 2007, 232 |