Entscheidungsstichwort (Thema)

Altersfreizeit. Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis

 

Leitsatz (amtlich)

  • Der Anspruch eines Brauereimitarbeiters auf Altersfreizeit nach dem Einheitlichen Manteltarifvertrag für Brauereien im Lande Nordrhein-Westfalen (EMTV) vom 8. Oktober 1990 entsteht nach Vollendung des 60. Lebensjahres für ein Zeitjahr in voller Höhe. Der Anspruch entsteht nicht zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Mitarbeiter das 60. Lebensjahr vollendet, für ein Kalenderjahr.
  • Scheidet der Arbeitnehmer im Laufe des auf seinen 60. Geburtstag folgenden Zeitjahres aus dem Arbeitsverhältnis aus, so vermindert sich der Anspruch nicht.
 

Normenkette

Einheitlicher Manteltarifvertrag für die Brauereien im Lande Nordrhein-Westfalen (EMTV) vom 8. Oktober 1990 § 3 Nrn. 1, 4, 7, § 14 IV, § 14 VI; TVG § 1 Auslegung; BGB § 280 Abs. 1, § 284 Abs. 1, § 287 S. 2, §§ 249, 251

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 12.07.1994; Aktenzeichen 11 Sa 376/94)

ArbG Köln (Urteil vom 02.11.1993; Aktenzeichen 1 Ca 4101/93)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Juli 1994 – 11 Sa 376/94 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 2. November 1993 – 1 Ca 4101/93 – abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.060,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Juni 1993 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Altersfreizeit.

Der am 29. Oktober 1932 geborene Kläger war von 1953 bis zum 31. Dezember 1992 bei dem beklagten Braurereiunternehmen beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund Aufhebungsvertrag vom 23. Juni 1992. Der Kläger erhält seit dem 1. Januar 1994 Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Jahr 1993 war er arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Brauereien im Lande Nordrhein-Westfalen (EMTV) vom 8./9. Oktober 1990 Anwendung. Darin ist unter anderem bestimmt:

“§ 3

Arbeitszeit

  • Arbeitnehmer, die nach einer mindestens 10jährigen ununterbrochenen Zugehörigkeit in Betrieben der Brauindustrie das 60. Lebensjahr vollendet haben, erhalten bis zum frühestmöglichen Bezug der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine zusätzliche bezahlte Freizeit von 28 Arbeitstagen pro Jahr.

    Diese Regelung gilt nicht für Unternehmen mit weniger als 25.000 hl Jahresausstoß an Bier.

    Die Einzelheiten der Gewährung der zusätzlichen Freizeit werden in Betriebsvereinbarungen vorrangig unter Berücksichtigung betrieblicher Belange festgelegt.

    Für die Entgeltberechnung gelten die Grundsätze wie bei Urlaubsentgeltberechnung.

§ 14

Urlaub

  • Teilurlaub

    • Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs.
  • Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs

    • Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
    • Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.

Die Beklagte gewährte dem Kläger im Oktober 1992 neun Arbeitstage Freizeit. Den Antrag des Klägers, ihn im Dezember 1992 an weiteren 19 Tagen nach § 3 EMTV freizustellen, lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.060,80 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Differenznettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 3 Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 4 EMTV. Diese Vorschriften setzen voraus, daß der Kläger nach § 3 Nr. 7 Abs. 1 EMTV für die Dauer von 19 Tagen Freizeit erhalten hat. Das ist nicht der Fall.

2. Der Kläger hat auch keinen Abgeltungsanspruch für einen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestehenden Anspruch auf Freizeit. Die Tarifvertragsparteien haben für die Altersfreizeit des § 3 Nr. 7 EMTV keine Abgeltung vorgesehen, wie sie es – entsprechend § 7 Abs. 4 BUrlG – in § 14 VI Nr. 2 MTV für den wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährten Urlaub getan haben. Diese Bestimmung kann nicht entsprechend angewendet werden. Die analoge Anwendung setzt voraus, daß der Tarifvertrag in § 3 Nr. 7 unbewußt lückenhaft gelassen worden ist. Davon kann angesichts der Tatsache, daß den rechtskundigen Tarifvertragsparteien das Abgeltungsrecht nicht fremd ist, nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist anzunehmen, daß die Tarifvertragsparteien die Abgeltung von Altersfreizeit bewußt nicht vorgesehen haben.

3. Der Kläger hat aber gegen die Beklagte einen Schadenersatzanspruch nach den §§ 280 Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Satz 2, 249, 251 BGB. Der Kläger hatte nach § 3 Nr. 7 EMTV einen Anspruch auf 28 Arbeitstage zusätzlich bezahlter Freizeit erworben, der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1992 erlosch, weil die Gewährung von Freizeit danach nicht mehr möglich war. Die Beklagte befand sich zu der Zeit in Verzug. Denn der Kläger hatte sie zur Erfüllung des Anspruchs vergeblich aufgefordert. Die Beklagte hat deshalb den dadurch entstandenen Schaden des Klägers in Geld zu ersetzen.

a) Der Kläger vollendete mit Ablauf des 29. Oktober 1992 sein 60. Lebensjahr. Zu dieser Zeit entstand zu seinen Gunsten ein Anspruch auf zusätzliche bezahlte Freizeit von 28 Arbeitstagen pro Jahr bis zum frühestmöglichen Bezug der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

b) Der Anspruch auf Altersfreizeit entsteht nach dem Wortlaut des Tarifvertrages in dem Jahr der Vollendung des 60. Lebensjahres nicht anteilig. Eine Quotelung des Anspruchs folgt auch nicht aus anderen Gründen. Das haben die Vorinstanzen verkannt.

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, daß der Anspruch des Klägers mit Ablauf des 29. Oktober 1992 und nicht am 1. Januar 1992 entstanden ist, weil die Vollendung des 60. Lebensjahres und nicht der Beginn des Kalenderjahres, in dem das 60. Lebenjahr vollendet wird, den Anspruch entstehen läßt.

bb) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht jedoch weiter, mit der Formulierung “… erhalten 28 Arbeitstage pro Jahr” sei das Kalenderjahr angesprochen. Die Tarifvorschrift enthält das Wort Kalenderjahr nicht. Jahr und Kalenderjahr sind nicht identische Rechtsbegriffe, wie bereits der unterschiedliche Sprachgebrauch der Tarifvertragsparteien in § 3 einerseits und in § 14 andererseits ausweist. Das Jahr ist die Beschreibung eines 365 oder 366 Tage umfassenden Zeitraums, der jeden Tag neu beginnt (das Zeitjahr). Das Kalenderjahr ist dagegen nur eine Alternative des Zeitjahrs. Das übersieht das Landesarbeitsgericht ebenso wie die Revision.

cc) Ist aber nicht das Kalenderjahr, sondern das Zeitjahr für die Begründung des Anspruchs maßgebend, bedeutet “28 Tage pro Jahr”, daß an einem bestimmten Tag der Anspruch auf 28 Tage zusätzliche Freizeit entsteht, am selben Tag nach Ablauf dieses ersten (Zeit-) Jahres ein weiterer Anspruch auf 28 Tage u.s.w., bis zum Tag des frühestmöglichen Bezugs von Altersruhegeld. Die Annahme, daß im Kalenderjahr der Vollendung des 60. Lebensjahres der Anspruch nur anteilig entsteht, verbietet sich daher.

c) Der Anspruch entsteht auch nicht nur anteilig, wenn bereits bei Vollendung des 60. Lebensjahres feststeht, daß der Arbeitnehmer vor Ablauf des Zeitjahres ausscheidet. Er vermindert sich auch nicht, wenn erst nachträglich bekannt wird, daß er nicht bis zur Vollendung des 61. Lebensjahres im Betrieb verbleibt.

Der Tarifvertrag enthält keine Regelung darüber, wie hoch der Anspruch zu bemessen ist, wenn das Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf eines vollen Zeitjahres endet, sondern innerhalb des Zeitjahres wie im Streitfall. Eine Zwölftelungsbestimmung wie sie das Urlaubsrecht in § 5 Abs. 1 BUrlG – bezogen auf die Erfüllung oder Nichterfüllung der Wartezeit – und der Tarifvertrag in § 14 IV kennt, findet sich in den Vorschriften über Altersfreizeit nicht. Sie folgt auch nicht aus systematischen oder teleologischen Erwägungen. Die zum gegenteiligen Ergebnis führende Auslegung des EMTV durch das Landesarbeitsgericht nach systematischen Gesichtspunkten leidet darunter, daß die Tarifbegriffe Jahr und Kalenderjahr nicht auseinandergehalten werden. Sie kann deshalb nicht überzeugen, zumal der dazu herangezogene Umkehrschluß nicht widerspruchsfrei ist. Wenn § 3 Nr. 7 Abs. 4 EMTV bestimmt, daß für die Entgeltberechnung die Grundsätze wie bei der Urlaubsentgeltberechnung gelten, d.h. die Urlaubsgrundsätze des EMTV für die Altersfreizeit nur hinsichtlich der Vergütungsberechnung gelten, nicht aber hinsichtlich der Quotierung, so spricht das entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht für, sondern gegen eine Quotierung des Altersfreizeitanspruchs. Auch die Auslegung des Landesarbeitsgerichts nach Sinn und Zweck beruht auf der unrichtigen Prämisse, der Anspruch bestehe für ein Kalenderjahr.

d) Die analoge Anwendung der Urlaubsvorschrift des § 14 IV Nr. 1 EMTV über die Quotelung verbietet sich aus dem oben genannten Grund, daß eine Tariflücke nicht erkennbar ist, und zusätzlich deshalb, weil bei Annahme einer unbewußten Tariflücke verschiedene Regelungsmöglichkeiten denkbar sind, so daß es dem Bundesarbeitsgericht verwehrt ist, die Lücke zugunsten einer Regelung zu schließen.

e) Nachdem die Parteien in der Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend erklärt haben, daß der Kläger am 1. Januar 1994 zum frühstmöglichen Zeitpunkt Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält, bestand auch insoweit kein Anspruchshindernis nach § 3 Nr. 7 Abs. 1 EMTV.

4. Der Zinsanspruch folgt aus § 284 Abs. 1 Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Nr. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dörner, Düwell, Friedrich, Hammer, Schwarz

 

Fundstellen

Haufe-Index 872298

BB 1996, 332

NZA 1996, 489

AP, 0

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