Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungsanspruch einer Fleischbeschautierärztin
Leitsatz (amtlich)
- Nach § 12 Satz 2 TV sind die Angestellten, deren Arbeitszeit sich nach dem Arbeitsanfall richtet (§ 12 Satz 1 TV) möglichst gleichmäßig zur Arbeitsleistung heranzuziehen. Diese Bestimmung gibt einem nicht vollbeschäftigten Tierarzt keinen Anspruch darauf, daß der Arbeitgeber es unterläßt, anstelle von Tierärzten, deren Arbeitsverhältnisse beendet sind, künftig in der Fleischkontrolle Fleischkontrolleure einzusetzen, die aufgrund des Fleischhygienegesetzes als fachlich ausgebildete Personen nach Weisung der zuständigen Behörde und unter der fachlichen Aufsicht des amtlichen Tierarztes tätig werden dürfen.
- Die Entscheidung des Arbeitgebers nach § 12 Satz 2 TV unterliegt der gerichtlichen Kontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB. Ein Tierarzt, der nach dem Arbeitsvertrag als Fleischbeschautierarzt eingestellt wurde, kann nicht verlangen, außerdem zur Arbeitsleistung in der Trichinenschau herangezogen zu werden.
Normenkette
Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen; Fleischhygienegesetz § 6; BGB § 315 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 09.12.1993; Aktenzeichen 10 Sa 1271/93) |
ArbG Hannover (Urteil vom 01.06.1993; Aktenzeichen 4 Ca 428/92) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 9. Dezember 1993 – 10 Sa 1271/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, in welchem Umfang die Beklagte die teilzeitbeschäftigte Klägerin zur Arbeitsleistung heranziehen muß.
Die Klägerin ist seit dem 12. August 1985 als nicht vollbeschäftigte Fleischbeschautierärztin im Fleischhygieneamt der Beklagten tätig. Dieses ist für die Untersuchung des Schlachtfleischs im privatwirtschaftlich betriebenen Schlachthof in Hannover zuständig. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen vom 1. April 1969 in der Fassung vom 31. Mai 1991 (fortan: TV) Anwendung.
Die Anzahl der Schlachttiere ging 1991/1992 stark zurück, z.B. bei Schweinen von etwa 6000 auf etwa 3500 Stück pro Woche. Das Fleischhygieneamt konnte nicht mehr kostendeckend arbeiten und verzeichnete 1992 ein Defizit von ca. 348.000,00 DM. Ab dem 15. August 1992 setzte die Beklagte in der Fleischbeschau auch drei Fleischkontrolleure ein. Diese sind Trichinenschauer, die die Beklagte selbst zu Fleischbeschauern fortgebildet hat. Ihre Stundenvergütung (ca. 23,00 DM) ist nur etwa halb so hoch war wie die der Tierärzte (ca. 47,00 DM). Etwa zur gleichen Zeit schieden aus den Diensten der Beklagten vier nicht vollbeschäftigte Fleischbeschautierärzte aus, deren befristete Arbeitsverhältnisse endeten.
Im Oktober 1992 wurde die Klägerin 31 Stunden in der Fleischbeschau eingesetzt. Der durchschnittliche Einsatz der 16 nicht vollbeschäftigten Tierärzte betrug etwas mehr als 29 Stunden. Die drei Fleischkontrolleure waren durchschnittlich 33 Stunden in der Fleischbeschau und 60 Stunden in der Trichinenschau tätig.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Fleischkontrolleure dürften nicht neben den Tierärzten in der Fleischbeschau eingesetzt werden. Damit habe die Beklagte die Zahl der von der Klägerin zu leistenden Arbeitsstunden und damit auch deren Vergütung in unzulässiger Weise verringert. Für Oktober 1992 ergebe sich bei ihr ein Einkommensverlust in Höhe von 1.322,82 DM.
Die Klägerin hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.322,82 DM brutto zu zahlen,
- festzustellen, daß auf die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin mit der Beklagten jegliche Beschäftigungseinengung der Klägerin durch den Einsatz von Trichinenschauern als Fleischkontrolleure in der Fleischuntersuchung unzulässig ist,
hilfsweise zu 2. festzustellen, daß die Beklagte die Klägerin, beginnend mit dem Monat Juli 1993, auf folgender Basis zu entlohnen hat:
Als von der Klägerin erbrachte Arbeitsstunden sind diejenigen Stunden zu vergüten, die der durchschnittlichen Stundenzahl der Tierärzte entsprechen würde, die diese arbeiten würden, wenn die Tierärzte und die Trichinenbeschauer sowohl in der Trichinenbeschau als auch in der Fleischbeschau mit je gleichmäßiger Stundenzahl eingesetzt würden.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Einsatz von Fleischkontrolleuren anstelle von Tierärzten zur Fleischuntersuchung sei aus Kostengründen geboten und damit zulässig. Fleischkontrolleure würden nur im Umfange der Tätigkeit der inzwischen ausgeschiedenen nicht vollbeschäftigten Tierärzte mit Aufgaben der Fleischuntersuchung beschäftigt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der weiteren Vergütung für Oktober 1992. Sie kann nicht verlangen, daß der Einsatz von Fleischkontrolleuren zur Fleischuntersuchung unterbleibt oder ihre Vergütung so berechnet wird, als würde sie auch anteilig in der Trichinenschau eingesetzt; auch die auf Feststellung gerichteten Klageanträge sind somit unbegründet.
1. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus § 12 TV.
a) Nach § 12 Satz 1 TV richtet sich die Arbeitszeit der Klägerin nach dem Arbeitsanfall. Daraus folgt, daß die Klägerin nicht die Vergütung einer Mindeststundenzahl verlangen kann. Durch das einseitige Bestimmungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit der Angestellten entsprechend dem Arbeitsanfall wird den Besonderheiten des Betriebs öffentlicher Schlachthöfe in geeigneter und erforderlicher Weise Rechnung getragen. Den nicht vollbeschäftigten Angestellten, die im Geltungsbereich des TV eingestellt werden, sind diese Regelung und ihre Gründe bereits bei der Einstellung bekannt, so daß das Vertrauen auf eine bestimmte Mindestdauer der Arbeitszeit nicht geschützt ist (BAGE 70, 62 = AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985).
b) Der Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 12 Satz 2 TV.
aa) Nach dieser Tarifbestimmung ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei Ausübung seines Gestaltungsrechts für eine gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung zu sorgen. Die Bestimmung verbietet dem Arbeitgeber aber nicht, Fleischkontrolleure in der Fleischbeschau einzusetzen.
Nach § 6 Fleischhygienegesetz (FlHG) ist die Durchführung der amtlichen Untersuchungen Aufgabe der zuständigen Behörde und obliegt einem amtlichen Tierarzt. Dabei können fachlich ausgebildete Personen (Fleischkontrolleure) nach Weisung der zuständigen Behörde und unter der fachlichen Aufsicht des amtlichen Tierarztes eingesetzt werden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 FlHG).Hiervon hat die Beklagte ab August 1992 Gebrauch gemacht. Dazu war sie berechtigt.
Die Übertragung von Tätigkeiten der Fleischbeschau auf Fleischkontrolleure ab August 1992 war eine unternehmerische Entscheidung der Beklagten, die grundsätzlich keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Sie ist allenfals daraufhin kontrollierbar, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 55, 262 = AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte kann auf den erheblichen Verlust verweisen, der durch den drastischen Rückgang des Schlachtaufkommens eingetreten ist, und kann somit schwerwiegende wirtschaftliche Gründe ins Feld führen für ihre Entscheidung, durch den Einsatz billigerer Arbeitskräfte Personalkosten zu sparen. Hinzu kommt, daß die Beklagte, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, den Arbeitsanteil der unbefristet eingestellten, nicht vollbeschäftigten Tierärzte nahezu unverändert gelassen und nur den Teil der Arbeit, der zuvor von den befristet eingestellten nicht vollbeschäftigten Tierärzten geleistet worden war, auf die Fleischkontrolleure verlagert hat. In Bezug auf das Einkommen der Klägerin hätte sich auch nichts geändert, wenn die Beklagte die Befristungen aufgehoben und auch diese Tierärzte weiter beschäftigt hätte.
bb) Die Klägerin wurde ab August 1992 auch nicht unterproportional beschäftigt. Die Entscheidung nach § 12 Satz 2 TV unterliegt der gerichtlichen Kontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB (BAGE 70, 62 = AP, aaO). Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn sie die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat (BAG Urteil vom 13. Dezember 1989 – 5 AZR 548/88 – BAGE 47, 238, 249 = AP Nr. 1 zu § 4 TVG Bestimmungsrecht, zu A II 2 der Gründe, m. w. N.; BAG Urteil vom 28. September 1977 – 4 AZR 743/76 – AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk). Das war vorliegend der Fall.
Im Monat Oktober 1992 war die Klägerin 31 Stunden beschäftigt, während der durchschnittliche Einsatz der nicht vollbeschäftigten Tierärzte nur etwas mehr als 29 Stunden betrug. Unter Hinzurechnung der von den drei Fleischkontrolleuren geleisteten Stunden, die ihrerseits durchschnittlich 33 Stunden beschäftigt wurden, ergibt sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei insgesamt 19 eingesetzten Arbeitnehmern ein Durchschnitt von weniger als 30 Stunden. Die Heranziehung der Klägerin zur Arbeitsleistung erreichte damit im Oktober 1992 den von § 12 Satz 2 TV geforderten Umfang.
Eine Gesamtberücksichtigung des Arbeitszeitvolumens aller Angestellten der Bereiche Fleischbeschau und Trichinenschau kann die Klägerin nicht verlangen. Der tarifliche Anspruch auf möglichst gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung (§ 12 Satz 2 TV) bezieht sich auf den Arbeitsbereich, in dem der Angestellte tätig ist. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen. Die Tierärzte sind, wie auch mit der Klägerin in deren Arbeitsvertrag vereinbart, als Fleischbeschautierärzte eingestellt; ihr Arbeitsbereich ist die Fleischbeschau. Demgegenüber ist die Trichinenschau ein anderer Arbeitsbereich, für den eine geringere Qualifikation ausreicht (vgl. § 6 Abs. 5 Nr. 2 und 3 FlHG). Die Fleischkontrolleure, gegen deren Einsatz in der Fleischbeschau sich die Klägerin wendet, sind für beide Arbeitsbereiche eingestellt und werden auch in beiden tätig. Die “gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung” nach § 12 Satz 2 TV hat nur im Verhältnis zu den in dem jeweiligen Arbeitsbereich beschäftigten Angestellten zu erfolgen. Dies wurde von der Beklagten für den Bereich der Fleischbeschau beachtet.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus § 4 BeschFG 1985.
Bestimmt ein Tarifvertrag, daß sich die Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nach dem Arbeitsanfall richtet, ohne zugleich eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festzulegen, so findet die für einzelvertragliche Vereinbarungen geltende Bestimmung des § 4 Abs. 1 Halbs. 2 BeschFG 1985, wonach eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gilt, keine Anwendung. Die Regelung des § 12 TV ist eine solche von § 4 BeschFG 1985 abweichende Bestimmung. Daher besteht hier der Tarifvorrang nach § 6 Abs. 1 BeschFG 1985 (BAGE 70, 62, 66 = AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985, Leitsatz 1 und zu II 2 der Gründe). Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen. § 12 TV ist auch nicht wegen Verstoßes gegen zwingende Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts unwirksam (BAGE 70, 62, 67 f. = AP Nr. 1 zu § 4 BeschFG 1985, Leitsatz 2 und zu II 2b bb der Gründe).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, Mergenthaler, P. Stahlheber
Fundstellen
Haufe-Index 856775 |
NZA 1995, 1006 |
AP, 0 |