Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnde Eignung

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 14.10.1993; Aktenzeichen 4 Sa 129/93)

ArbG Zwickau (Urteil vom 09.10.1992; Aktenzeichen 4 Ca 6284/91 P)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 14. Oktober 19.93 – 4 Sa 129/93 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 9. Oktober 1992 – 4 Ca 6284/91 P – abgeändert.

3. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. Oktober 1991 nicht aufgelöst worden ist.

4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der 1945 geborene Kläger war seit 1967 als Lehrer in der Berufsbildung tätig. 1976 bis 1986 war er ehrenamtlicher Parteisekretär der SED an der kommunalen Berufsschule I in P., ab 1987 war er Direktor dieser Schule. Er hat die Bezirksparteischule besucht. Nach der Wende wurde er in einer Schulkonferenz ohne Gegenstimme als Direktor wiedergewählt. Zuletzt war er als Lehrer an der gewerblichen Berufsschule I in P. beschäftigt.

Kurze Zeit nach der Wahl zum Parteisekretär wurde dem Kläger angeboten, in die SED-Kreisleitung zu wechseln. 1988 erhielt er das Angebot, Leiter der Abteilung Berufsbildung und berufliche Beratung zu werden. Der Kläger lehnte diese Angebote ab, da er grundsätzlich keine Leitungsfunktionen ausüben wollte. Anläßlich der Ausbürgerung des Liedermachers Biermann sagte der Kläger auf einer Schulung von Parteisekretären, die vom Staat dabei verfolgte Linie müsse sicher nicht als die einzig richtige angesehen werden. Ende des Jahres 1976 äußerte er sich im Unterricht abfällig über den Automobilbau der DDR, worauf er eine Diskussion mit dem Sekretär für Wirtschaft der SED-Kreisleitung führen mußte. Anfang der 80er Jahre setzte sich der Kläger in Gesprächen bei vorgesetzten Behörden dafür ein, daß der Staatsbürgerkundelehrer J., der einen Ausreiseantrag gestellt hatte, weiter an der Berufsschule unterrichten konnte. Später setzte er sich für den Ausreiseantrag einer ehemaligen Sekretärin der Berufsschule ein und führte darüber Gespräche mit den zuständigen Behörden. Anfang der 80er Jahre ermöglichte er in seiner Funktion als Parteisekretär den Lehrlingen, die aus Gewissensgründen keine vormilitärische Ausbildung absolvieren wollten, anstelle dieser Ausbildung im Bautrupp an der Schule zu arbeiten, ohne dies den vorgesetzten Stellen zu melden. 1982 wollte er seinen Posten als Parteisekretär abgeben.

Am 14. Oktober 1991 wurde der Kläger zur beabsichtigten Kündigung seines Arbeitsverhältnisses angehört. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1991, dem Kläger zugegangen am 30. Oktober 1991, wurde das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1992 wegen mangelnder persönlicher Eignung gekündigt. Ein Bezirkspersonalrat bestand damals bei dem kündigenden Oberschulamt nicht.

Mit seiner am 18. November 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und geltend gemacht, die Kündigung sei sozialwidrig und zudem nicht fristgerecht erfolgt. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Personalratsbeteiligung. Ein Kündigungsgrund nach dem Einigungsvertrag liege nicht vor.

Aus seiner langjährigen Tätigkeit als Parteisekretär der SED könne nicht auf seine mangelnde Eignung geschlossen werden. Der Schulparteisekretär habe keine herausgehobene Lenkungs- und Kontrollfunktion gehabt. Sein Verhältnis zum Direktor habe sich nach dem in der Schulordnung festgeschriebenen Prinzip der Einzelleitung der Schule durch den Direktor bestimmt. Es sei nicht vorgetragen, daß sich an seiner Schule oppositionelle Lehrer befunden hätten, gegen die er als Parteisekretär habe vorgehen können. Ein Disziplinarverfahren gegen Oppositionelle habe der Parteisekretär nicht einleiten können. Es werde bestritten, daß Kritik an dem Parteisekretär praktisch ausgeschlossen gewesen sei. Politische Inhalte der Pionierversammlungen und FDJ-Nachmittage seien von den Pionierleitern und anderen hierfür Zuständigen festgelegt worden. Die Zusammensetzung der Arbeitsinhalte der Elternabende und Elternaktive sowie Elternbeiräte seien nicht durch den Parteisekretär beeinflußt worden. Die Werbung für den militärischen Berufsnachwuchs sei Aufgabe der Klassenleiter gewesen. Eine Zusammenarbeit des Parteisekretärs mit dem Wehrkreiskommando zur Gewinnung militärischen Berufsnachwuchses habe deshalb nicht stattgefunden.

Auch seine Tätigkeit als Direktor führe nicht zu seiner persönlichen Ungeeignetheit für die weitere Verwendung im Schuldienst. Er sei erst nach 16 Jahren Lehrtätigkeit Direktor geworden. Die Beförderung sei nur aufgrund seiner fachlichen Qualifikation erfolgt. Insoweit müsse auch berücksichtigt werden, daß er als einziger von den Direktoren der Berufsschulen in P. ohne Gegenstimme wiedergewählt worden sei.

Der Kläger hat – soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse – beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 29. Oktober 1991 zum 31. März 1992 beendet wurde.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, der Kläger sei aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Parteisekretär und ab 1987 als Schuldirektor persönlich ungeeignet für den Schuldienst. Er biete keine Gewähr dafür, daß er den Schülern die Werte des Grundgesetzes vermitteln könne. Als Parteisekretär sei der Kläger damit betraut gewesen, die Ziele der SED im schulischen Bereich durchzusetzen. Der Parteisekretär sei immer Mitglied der Schulleitung gewesen und habe ein Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen gehabt. Er habe den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele kontrolliert und überwacht. Er habe ferner die Parteiversammlungen geleitet, in denen ständig das politische Klima der Schule besprochen worden sei, auch ein einheitliches Handeln gegen oppositionelle Lehrer. Der Parteisekretär sei verantwortlich gewesen für die politische Bildung der Kinder. Jugendlichen und Lehrer und habe den Pionierleiter überwacht. Er habe der SED-Kreisleitung über das politische Klima der Schule, ggf. unter Namensnennung bei nicht linientreuen Äußerungen, zu berichten gehabt. Ferner sei er an der Werbung für militärischen Berufsnachwuchs beteiligt gewesen und habe die Werbung für die Teilnahme an der Jugendweihe sicherstellen müssen. Indem der Kläger das Amt des Parteisekretärs wahrgenommen habe, habe er sich mit den Zielen der SED in hohem Maße identifiziert. Auch die Funktion eines Direktors habe nach der Schulordnung eine weitgehende Identifikation mit dem SED-Bildungssystem und ein Eintreten für dieses System vorausgesetzt. Zu den Aufgaben des Direktors habe insbesondere gezählt die Verteidigung der sozialistischen Errungenschaften, die politisch-ideologische Anleitung der Lehrer und Erzieher, die Einflußnahme auf die Zusammensetzung des Pädagogenkollektivs und das Zusammenwirken mit der Schulparteiorganisation der SED. Wer langjährig solche Ämter ausgeübt habe, könne nun nicht den Schülern die Werte des Grundgesetzes glaubwürdig vermitteln. Die allein maßgebliche Kündigungsfrist des AGB-DDR sei eingehalten. Mangels Existenz eines Bezirkspersonalrats könne die Wirksamkeit der Kündigung auch nicht an der fehlenden bzw. an einer unzureichenden Personalratsbeteiligung scheitern.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Dem Urteil des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung nicht.

I. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Kündigung nicht schon wegen einer fehlenden oder unzureichenden Beteiligung der Personalvertretung als unwirksam angesehen. Der Senat hat sich insoweit in seinen Urteilen vom 13. Oktober 1994 (– 2 AZR 201 und 261/93 – zur Veröffentlichung bestimmt) der ständigen Rechtsprechung des Achten Senats (vgl. Urteile vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 –, n.v. und vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 68 und 128/93 –, n.v.) angeschlossen. Danach gilt folgendes:

1. Kündigungsberechtigt war das zuständige Oberschulamt, hier das Oberschulamt Chemnitz. Die Schule, an der der Kläger zuletzt beschäftigt war, war nicht zur Kündigung berechtigt. Nach § 82 Abs. 1 PersVG-DDR/BPersVG wäre die Stufenvertretung zu beteiligen gewesen. Eine solche bestand bei der Schulaufsichtsbehörde nicht. Daher entfiel eine personalvertretungsrechtliche Beteiligung.

2. Aus den §§ 82 Abs. 6, 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR ergab sich keine Notwendigkeit, einen bestehenden Schul- oder Kreisschulpersonalrat zu beteiligen. Diese Vorschriften sicherten lediglich ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren und setzten das Vorhandensein einer erstzuständigen Personalvertretung voraus.

3. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Kultus die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrats bzw. Bezirkspersonalrats in rechtswidriger Weise unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht.

II. Soweit das Landesarbeitsgericht die mangelnde persönliche Eignung des Klägers i.S. des Einigungsvertrages Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 (Abs. 4 Ziff. 1 EV) angenommen hat, kann ihm nicht gefolgt werden.

1. Nach Art. 20 Abs. 1 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Länder die in der Anlage I zum Einigungsvertrag vereinbarten Regelungen. Der Kläger unterrichtete damals an einer öffentlichen Schule und gehörte deshalb dem öffentlichen Dienst an.

2. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Wie bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung gemäß § 1 KSchG handelt es sich bei der entsprechenden Eignungsfeststellung, die nach einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung zu treffen ist (vgl. BAG Urteile vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 248/93 –, n. v.; vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 68 und 128/93 –, n. v.), um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob das Berufungsgericht die Rechtsbegriffe selbst verkannt, ob es bei der Subsumtion Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (vgl. BAGE 48, 314, 319 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B I 1 der Gründe; BAGE 65, 61 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Auch dieser eingeschränkten Überprüfung hält das angefochtene Urteil nicht stand.

3. Der bisher für Kündigungen nach der genannten Vorschrift des Einigungsvertrages allein zuständige Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat für die gebotene Einzelfallprüfung folgende Grundsätze entwickelt (vgl. die zuletzt genannten Urteile des Achten Senats m.w.N.):

Die mangelnde persönliche Eignung i. S. von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht.

Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers zunächst zu erproben. Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen; denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen.

Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und ggf. zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu erschüttern. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige, die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist. Eine Umkehr der im Kündigungsschutzprozeß allgemein bestehenden Beweislast findet nicht statt.

4. Dieser Rechtsprechung des Achten Senats hat sich der erkennende Senat angeschlossen (Senatsurteile vom 13. Oktober 1994 – 2 AZR 201 und 261/93 –, a.a.O.). Die Rechtsprechung steht, den Besonderheiten des Einigungsvertrages Rechnung tragend, in Übereinstimmung mit der früheren Rechtsprechung des Zweiten Senats zur Kündigung von Lehrern im öffentlichen Dienst wegen Nichteignung aufgrund Zugehörigkeit zu einer als verfassungsfeindlich einzustufenden Partei (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1989 – 2 AZR 317/86BAGE 63, 72 = AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, m.w.N.).

In der Sache ist danach von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen: Legt der Arbeitgeber substantiiert dar, der Arbeitnehmer habe für längere Zeit eine Funktion wahrgenommen, die unbestritten in der gesellschaftlichen Realität des SED-Staates aufgrund ihrer Exponiertheit oder konkreten Aufgaben Zuweisung regelmäßig eine Mitwirkung an der ideologischen Umsetzung der die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfenden Ziele der SED bedingte, so ist weiteres Vorbringen des Arbeitgebers zum konkreten Verhalten des Arbeitnehmers zunächst entbehrlich; eine solche Funktionsausübung ist an sich geeignet, den Schluß auf eine besondere Identifikation des Arbeitnehmers mit dem SED-Staat, auf eine sich hieraus ergebende mangelnde Glaubwürdigkeit bei der geschuldeten Vermittlung der Grundwerte unserer Verfassung und deshalb auf mangelnde persönliche Eignung für die Aufgabe eines Lehrers im öffentlichen Dienst zuzulassen. Es ist sodann Sache des Arbeitnehmers, sich durch substantiiertes und damit einer Beweisaufnahme zugängliches Tatsachenvorbringen zu entlasten.

Trotz eindeutiger gesetzlicher Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast an eine Partei wird eine vergleichbare Abstufung der Darlegungslast in der Rechtsprechung auch sonst vorgenommen, wenn die beweisbelastete Partei nicht oder nur unter erheblich größeren Schwierigkeiten zu einer weitergehenden Substantiierung ihres Vorbringens in der Lage ist als die nichtbeweisbelastete bestreitende Partei. Dies rechtfertigt sich aus der prozessualen Mitwirkungspflicht gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Als Beispiel sei nur die Verteilung der Darlegungslast bei der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG (vgl. insbesondere BAGE 62, 116, 125 f., = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 3 b aa der Gründe, m.w.N.) oder bei der Arbeitgeberkündigung wegen unentschuldigten Fehlens bzw. wegen der Vortäuschung von Arbeitsunfähigkeit (vgl. Senatsurteil vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – AP Nr. 112 zu § 626 BGB, zu B I 1 c cc der Gründe) genannt. Auch in Fällen wie dem vorliegenden ist diese Abstufung der Darlegungslast gerechtfertigt. Angesichts einer allenfalls partiellen Verwaltungskontinuität nach der Wiedervereinigung und angesichts des Umstandes, daß unter der Regierung Modrow zahlreiche Personalakten „gesäubert” wurden, würden die Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers überspannt, wenn man von ihm ohne konkretes Gegenvorbringen die detaillierte Darlegung verlangen würde, der mit der Umsetzung der grundgesetzfeindlichen SED-Ideologie beauftragte Funktionsträger habe im konkreten Fall die Funktion der Aufgabenstellung gemäß ausgeübt. Wie er im Einzelfall die Funktion tatsächlich ausübte, weiß der belastete Arbeitnehmer in aller Regel weitaus besser. Daher ist es ihm zumutbar, sich durch eigenen Tatsachenvortrag zu entlasten. Das Maß der gebotenen Substantiierung des Entlastungsvorbringens hängt dabei davon ab, ob der Beklagte dieses Vorbringen bestreitet. Wird es bestritten, so bedarf es des Vortrags konkreter, einer Beweisaufnahme zugänglicher Entlastungstatsachen. Der Arbeitgeber kann dann seine Ermittlungen auf die vorprozessual oder im Prozeß konkretisierten Tatsachen konzentrieren. Die Beweislast bleibt aber auch in diesen Fällen bei ihm.

5. Entgegen der Ansicht der Revision verstößt eine solche Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl 1961 II, S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine in der ehemaligen DDR wahrgenommenen Funktionen begründete mangelnde persönliche Eignung, als Lehrer gemäß seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung die Grundwerte unserer Verfassung den Schülern glaubwürdig zu vermitteln. Wer über längere Zeit aufgrund seiner Funktion eine verfassungsmäßige Ordnung als revanchistisch und imperialistisch zu bekämpfen hatte, kann nun nicht glaubhaft eine gegenteilige Auffassung vertreten, wenn er sich nicht schon früher durch konkretes Verhalten von dem ideologischen Auftrag distanziert hatte. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 57/93 – NJ 1994, 483, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt, zu B II 2 e der Gründe, m.w.N.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den weiteren vom Kläger angeführten supranationalen Normen. Diese beschränken das im Einigungsvertrag normierte Kündigungsrecht des Beklagten jedenfalls nicht weitergehend als das ILO-Übereinkommen Nr. 111.

6. Es bedarf vorliegend keiner Aufklärung, ob das in wesentlichen Punkten bestrittene Vorbringen des Beklagten zu Aufgaben und Bedeutung eines Schulparteisekretärs und das wenig substantiierte Vorbringen des Beklagten zu der Funktion eines Schuldirektors in der gesellschaftlichen Realität der DDR zutreffen.

Das unstreitige Vorbringen des Klägers zu der Art seiner Amtsführung entlastet ihn. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts als Parteisekretär darauf hingewirkt, daß Lehrlinge anstatt der vormilitärischen Ausbildung im Bautrupp an ihrer Schule arbeiten durften. Damit hat er im Einvernehmen mit der Schulleitung ohne entsprechende Meldung des Vorgangs an die übergeordneten SED-Organe im Ergebnis die Verweigerung der vormilitärischen Ausbildung aus Gewissensgründen ermöglicht. Darüber hinaus hat er sich unstreitig bei den vorgesetzten Behörden dafür eingesetzt, daß ein Staatsbürgerkundelehrer, der einen Ausreiseantrag gestellt hatte, weiter an der Schule unterrichten konnte und daß einer ehemaligen Sekretärin der Schule die Ausreise bewilligt wurde. Nimmt man hinzu, daß der Kläger während seiner Tätigkeit als Parteisekretär schon frühzeitig wegen nicht linientreuer Äußerungen Kritik erfahren hat, daß er unstreitig schon 1982 seinen Posten als Parteisekretär abgeben wollte und dies dann 1986 getan hat, ohne zunächst in ein anderes Amt überzuwechseln, und daß er erst nach ca. einem Jahr zum Direktor ernannt wurde, so spricht der gesamte vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt dafür, daß sich der Kläger nicht mit der grundgesetzfeindlichen SED-Ideologie in besonderem Maße identifiziert hat. Das Entlastungsvorbringen des Klägers aus dem Anhörungsprotokoll wurde dabei nicht einmal zugunsten des Klägers berücksichtigt: Dort hat der Kläger ebenfalls unbestritten behauptet, er habe es trotz ausdrücklicher Weisung der SED-Kreisleitung abgelehnt, die Entlassung von zwei Kollegen einzuleiten, er habe sich geweigert, einen Schießstand in der Schule einzurichten, habe die militärische Nachwuchswerbung auf die Offiziershochschule abgewälzt und die Lehrer als Zugführer aus der vormilitärischen Ausbildung herausgelöst.

Auch die Tatsache der Berufung des Klägers zum Direktor besagt nichts über seine persönliche Geeignetheit oder Ungeeignetheit für den Lehrerberuf. Die Berufung zum Direktor steht in keinem erkennbaren Zusammenhang zu der geraume Zeit vorher beendeten Parteisekretärstätigkeit und es ist dem Kläger mangels abweichenden Sachvortrags des Beklagten nicht zu widerlegen, daß diese Berufung vor allem auf seiner fachlichen Eignung beruhte. In diesem Zusammenhang fällt zugunsten des Klägers ins Gewicht, daß er unstreitig ohne Gegenstimme von der Schulkonferenz nach der Wende zum Direktor wiedergewählt worden ist. Nachteiliges über die Amtsführung des Klägers sowohl als Parteisekretär als auch als Direktor hat der Beklagte nicht vortragen. Berücksichtigt man schließlich, daß der Kläger unstreitig die Übernahme gehobener Parteifunktionen abgelehnt hat, so rechtfertigt der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt bei einer Gesamtschau nicht den Schluß auf die mangelnde persönliche Eignung des Klägers für den Lehrerberuf.

 

Unterschriften

Etzel, Bitter, Bröhl, Hayser, Beckerle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093321

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