Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %
Leitsatz (amtlich)
Nach § 10 des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Erfrischungsgetränke-Industrie und des Getränkefachgroßhandels in Hamburg und Schleswig-Holstein vom 15. März 1994 hat ein Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 %.
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1 n.F.; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Erfrischungsgetränke-Industrie und des Getränkefachgroßhandels im Hamburg und Schleswig-Holstein vom 15. März 1994 § 10
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 5. Mai 1998 – 2 Sa 123/97 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 9. Oktober 1997 – 14 Ca 128/97 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrverkäufer beschäftigt. In der Zeit vom 1. bis zum 8. November 1996 war er arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % seiner regelmäßigen Vergütung. Der Kläger verlangt Fortzahlung in voller – rechnerisch unstreitiger – Höhe.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beidseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Erfrischungsgetränke-Industrie und des Getränkefachgroßhandels in Hamburg und Schleswig-Holstein vom 15. März 1994 (MTV) Anwendung. Er enthält in § 10 Regelungen über „Arbeitsverhinderung infolge Krankheit, Kur und Mutterschutz”. Die Vorschrift hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„…
Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit finden die gesetzlichen Bestimmungen Anwendung.
…
Im Falle der Erkrankung hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen, jedoch nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus.
… Einer Arbeitsunfähigkeit steht gleich die im Anschluß an eine Kur (Heilverfahren) ärztlicherseits angeordnete Schonungszeit, auch wenn Arbeitsunfähigkeit nicht vorliegt.
- Bei Arbeitsunfähigkeit, die auf einen Betriebsunfall im Sinne der Reichsversicherungsordnung zurückzuführen ist, erhält der Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die Dauer der Beschäftigung ab der 7. Krankheitswoche den Unterschiedsbetrag zwischen Krankengeld und Nettoentgelt bis zum Ende der 12. Krankheitswoche.
- Für werdende Mütter gelten die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes und des Mutterschaftsurlaubsgesetzes in der jeweiligen Fassung.”
Am 18. April 1997 vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine „Protokollnotiz” zum MTV von 1994. Darin heißt es unter Ziff. 1:
„Die Entgeltfortzahlung bei Krankheit beträgt abweichend von § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz und in Ergänzung zu § 10 Ziff. 3 des Manteltarifvertrages vom 15.3.1994 100 % des regelmäßigen Arbeitsentgeltes nach Maßgabe folgender Bestimmungen:
…”
Gemäß Ziff. 1 Buchst. g trat die Vereinbarung „mit Beginn des Folgemonats nach Abschluß” in Kraft.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stünden für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit 100 % seiner Vergütung zu. § 10 Ziff. 2 MTV stelle eine statische Verweisung auf die zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses geltenden gesetzlichen Bestimmungen dar. Dies folge aus dem Fehlen einer „Jeweiligkeitsklausel” und dem tariflichen Gesamtzusammenhang.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 247,06 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Dezember 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 10 Ziff. 2 MTV verweise auf die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen und stelle eine eigenständige, konstitutive Tarifnorm nicht dar.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klageforderung besteht nicht. Die Höhe der dem Kläger zustehenden Lohnfortzahlung bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in seiner seit dem 1. Oktober 1996 geltenden Fassung. Aus § 10 Ziff. 2, 3 MTV folgt nichts anderes. Der Kläger hat Anspruch lediglich auf 80 % des ihm für die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts. In diesem Umfang hat die Beklagte Entgeltfortzahlung unstreitig geleistet.
I. Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 wurde die Vergütung im Krankheitsfalle für die Arbeiter und Angestellten auch gesetzlich auf eine einheitliche Grundlage gestellt. Dabei blieb der Grundsatz der Fortzahlung des jeweils vollen Entgelts zunächst unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. 1996 I, S. 1476, 1477) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 auf „80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts” herabgesetzt.
Bestehende tarifliche Regelungen sind durch das Gesetz vom 25. September 1996 nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (vgl. BT-Drucks. 13/4612, S. 2; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179/80).
II. Auf die „Protokollnotiz” der Tarifvertragsparteien vom 18. April 1997 vermag der Kläger seinen Anspruch nicht zu stützen. Die dort vorgesehene ungekürzte Entgeltfortzahlung trat erst am 1. Mai 1997 in Kraft. Rückwirkung haben die Tarifvertragsparteien ihrer Übereinkunft nicht beigelegt. Im streitbefangenen Zeitraum November 1996 galt deshalb der MTV 1994 noch in seiner ursprünglichen Fassung.
III. Nach § 10 Ziff. 2 MTV fanden „bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit … die gesetzlichen Bestimmungen Anwendung”. Diese Vorschrift stellt keine statische Verweisung auf die im Zeitpunkt des Tarifabschlusses geltenden einschlägigen Gesetze und darum keine inhaltlich eigenständige tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar. Es handelt sich entweder um einen bloßen Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht, bei dem schon jeglicher Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien fehlt, oder es handelt sich zwar um eine Tarifnorm, die jedoch als dynamische Verweisung auch für die Tarifunterworfenen nur die jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften für anwendbar erklärt. Als Tarifnorm im Sinne einer statischen Verweisung auf die gesetzlichen Vorschriften zur Lohn- und Gehaltsfortzahlung in ihrer bei Tarifabschluß geltenden Fassung kann § 10 Ziff. 2 MTV dagegen nicht verstanden werden. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung.
1. Die Regelung richtet sich nicht an die Tarifvertragsparteien selbst, sondern an die Tarifunterworfenen. Ihre Auslegung betrifft deshalb den normativen Bereich des Tarifvertrages. Dessen Auslegung richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (vgl. zu diesen im einzelnen BAG Urteile vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 –, – 5 AZR 638/97 – und vom 1. Juli 1998 – 5 AZR 545/97 – sämtlich zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Im Rahmen ihrer Rechtsprechung zur tariflichen Übernahme gesetzlicher Kündigungsfristen haben der Zweite und der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts für tarifliche Verweisungen auf gesetzliche Vorschriften die Auslegungsregel entwickelt, im Zweifel seien diese Verweisungen – ebenso wie die wort- oder inhaltsgleiche Übernahme des Gesetzestextes – deklaratorisch (BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB; BAG Urteil vom 4. März 1993 – 2 AZR 355/92 – AP Nr. 40 zu § 622 BGB).
Der erkennende Senat ist der Rechtsprechung des Zweiten und Siebten Senats hinsichtlich der Auslegung tariflicher Verweisungen gefolgt (Urteil vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Mit einer Verweisung auf geltende – ohnehin anwendbare – gesetzliche Vorschriften bringen die Tarifvertragsparteien in aller Regel zum Ausdruck, daß nur das Gesetz und nicht der Tarifvertrag maßgeblich sein soll. Ob sich die Verweisung als bloßer Hinweis oder als Tarifnorm im Sinne einer dynamischen Verweisung darstellt, kann dabei im Einzelfall unterschiedlich zu beurteilen sein. Individualrechtlich sind die Rechtsfolgen die gleichen.
3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt § 10 Ziff. 2 MTV keine statische Verweisung dar. Es finden sich weder in der Regelung selbst noch an anderer Stelle des Tarifvertrages hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß sich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Tarifunterworfenen nicht nach den jeweils geltenden, sondern ausschließlich nach den im Zeitpunkt des Tarifabschlusses geltenden gesetzlichen Vorschriften richten sollte.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers läßt der Wortlaut der tariflichen Regelung letztlich keine Zweifel daran, daß in ihr auf die gesetzlichen Bestimmungen in ihrer jeweils geltenden Fassung verwiesen worden ist. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers angenommen wird, daß § 10 Ziff. 2 MTV überhaupt eine Tarifnorm und nicht nur einen bloßen Hinweis darstellt, sollen ihr zufolge im Krankheitsfall „die gesetzlichen Bestimmungen” Anwendung finden. Von einer zeitlichen Einschränkung ist dabei keine Rede. Ohne nähere Kennzeichnung sind „die gesetzlichen Bestimmungen” stets diejenigen, die aktuell gelten. Im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im November 1996 vermochte ein Tarifanwender den Text des § 10 Ziff. 2 MTV nicht anders zu verstehen, als daß die gesetzlichen Bestimmungen, wie sie zu eben diesem Zeitpunkt galten, zur Anwendung gelangen sollten. Des ausdrücklichen sprachlichen Zusatzes, es sollten die „jeweiligen” gesetzlichen Regelungen gelten, bedarf es dafür nicht. Für die Ansicht, es sei in § 10 Ziff. 2 MTV ausschließlich auf die gesetzlichen Bestimmungen in ihrer bei Tarifabschluß geltenden Fassung verwiesen worden, gibt es keine sprachliche Begründung.
b) Ein dem Wortlaut des § 10 Ziff. 2 MTV entgegenstehender Wille der Tarifvertragsparteien ist nicht zu erkennen. Zwar kann sich der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung auch bei Verweisungsvorschriften nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergeben. Dazu bedarf es jedoch besonders deutlicher Anhaltspunkte (BAG Urteil vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Daran fehlt es.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat der Regelung in § 10 Ziff. 3 MTV konstitutive Bedeutung beigemessen und daraus auf die Eigenständigkeit auch der Ziff. 2 geschlossen. Es hat sie darin gesehen, daß gewerbliche Arbeitnehmer – anders als nach § 7 Abs. 2 Satz 2 LFZG – Anspruch auf Lohnfortzahlung für Schonungszeiten im Anschluß an eine Heilkur unabhängig vom Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit haben sollten und auch geringfügig Beschäftigte entgegen § 1 Abs. 3 Nr. 2 LFZG anspruchsberechtigt sein sollten. Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahinstehen. Auch wenn § 10 Ziff. 3 MTV insoweit eigenständige Regelungen enthalten mag, so beziehen diese sich dennoch weder auf die Höhe der Entgeltfortzahlung noch lassen sie den Schluß zu, daß deshalb die Regelung in Ziff. 2 der Vorschrift als statische Verweisung anzusehen sei. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts läßt sich aus dem konstitutiven Charakter eines Teils eines einheitlichen Regelungsbereichs nicht auf den entsprechenden Charakter der übrigen Teile der Regelung schließen. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, von ihrer Befugnis zur eigenständigen Normsetzung nur für einen Teilbereich Gebrauch zu machen und im übrigen ohne Absicht zur normativ selbständigen Regelung auf die gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen (BAG Urteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 166/95 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie; BAG Urteil vom 25. November 1998 – 5 AZR 305/98 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
bb) Ein Anspruch auf ungekürzte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall folgt auch nicht aus § 10 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Dort heißt es, der Arbeitnehmer habe im Falle der Erkrankung „Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen”, jedoch nicht über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus. Die Vorschrift stellt eine Regelung über die Dauer der Entgeltfortzahlung und nicht über deren Höhe dar. Dies zeigt der Gebrauch des Wortes „Entgeltfortzahlung”. Dieser Ausdruck bezeichnet die Vergütung, die bei Krankheit gezahlt wird. Er ist gleichbedeutend mit dem Begriff „Krankenvergütung”. Wird in § 10 Ziff. 3 „Entgeltfortzahlung” durch „Krankenvergütung” ersetzt, so wird deutlich, daß die Tarifvertragsparteien in dieser Bestimmung nicht die Höhe, sondern nur die Dauer der Entgeltfortzahlung geregelt haben.
cc) Im tariflichen Gesamtzusammenhang steht ferner die Regelung in § 8 Ziff. 2 MTV. Danach erhält ein Arbeitnehmer, der „wegen einer während der Arbeitszeit auftretenden akuten Erkrankung einen Arzt aufsuchen (muß), … sein Durchschnittsentgelt für die tatsächlich zur Erledigung dieser Angelegenheit benötigte Zeit weiter”. In diesem Fall von Arbeitsversäumnis wird folglich Entgeltfortzahlung zu 100 % geschuldet. Auch daraus folgt jedoch nicht, daß die Tarifvertragsparteien in § 10 Ziff. 2 MTV nur eine statische Verweisung auf die bei Tarifabschluß geltenden Gesetze über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gewollt haben können. Es zeigt nur, daß sie seinerzeit von einer Entgeltfortzahlung in voller Höhe ausgegangen sind. Es entsteht kein nicht hinzunehmender Wertungswiderspruch, wenn für die Zeit von unaufschiebbaren Arztbesuchen innerhalb der Arbeitszeit das Arbeitsentgelt in voller Höhe weiterzuzahlen ist, für die Zeit der anschließenden Arbeitsunfähigkeit dagegen nicht. Auch der Gesetzgeber hat die Höhe der Entgeltfortzahlung nur für den Krankheitsfall herabgesetzt. Der ursprüngliche § 616 Abs. 1 BGB ist unverändert geblieben. Die Tarifvertragsparteien haben die Möglichkeit, eine einheitliche Regelung für alle Fälle von Arbeitsversäumnis zu schaffen.
dd) Weitere Bedeutung kommt im tariflichen Gesamtzusammenhang allenfalls der Regelung in § 10 Ziff. 4 MTV zu. Danach erhalten Arbeitnehmer „bei Arbeitsunfähigkeit, die auf einen Betriebsunfall … zurückzuführen ist, … ohne Rücksicht auf die Dauer der Beschäftigung ab der 7. Krankheitswoche den Unterschiedsbetrag zwischen Krankengeld und Nettoentgelt bis zum Ende der 12. Krankenwoche”. Diese Regelung ist – auch nach den Grundsätzen des Zweiten und des Siebten Senats – konstitutiv, da sie einen über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehenden Anspruch gewährt. Der konstitutive Charakter eines Teils eines einheitlichen Regelungsbereichs läßt aber keinen Schluß auf den entsprechenden Charakter eines anderen Teils der Regelung zu. In der Existenz einer tariflichen Regelung über Zuschüsse zum Krankengeld ab der 7. Krankheitswoche liegt deshalb jedenfalls bei einer bloßen Verweisung auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Entgeltfortzahlung kein hinreichend starkes Indiz dafür, daß die Tarifvertragsparteien schon die Entgeltfortzahlung für die ersten sechs Wochen normativ selbständig hätten regeln wollen (BAG Urteil vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – zur Veröffentlichung bestimmt).
Nach einem solchen Verständnis der Verweisung in § 10 Ziff. 2 MTV verlangen auch Sinn und Zweck der Zuschußregelung in § 10 Ziff. 4 MTV nicht. Zwar soll diese Bestimmung diejenigen Arbeitnehmer, die einen Betriebsunfall erlitten haben, nach Ablauf der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht für weitere sechs Wochen finanziell (annähernd) so stellen wie in den sechs Wochen zuvor. Dieser Zweck kann nur erreicht werden, wenn dem betreffenden Arbeitnehmer schon die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Fortzahlung des vollen Gehalts zustand. Allein daraus folgt aber nicht, daß § 10 Ziff. 2 MTV nur als statische Verweisung und eigenständige Regelung aufgefaßt werden kann. Deutlich wird vielmehr auch aus der Zuschußregelung nur, daß sich die Tarifvertragsparteien bei Tarifabschluß eine gesetzliche Entgeltfortzahlung zu 100 % und deren Fortdauer vorgestellt, sie also auf der Basis der damaligen gesetzlichen Regelung verhandelt haben. Gerade bei dieser Annahme verlangten Sinn und Zweck der Zuschußregelung seinerzeit nicht nach einer statischen Verweisung auf das in Bezug genommene Gesetzesrecht. Die Zuschußregelung ist mit der gesetzlichen Absenkung der Entgeltfortzahlung auf 80 % seit dem 1. Oktober 1996 nicht zu einer zweckentleerten und unvernünftigen Regelung geworden. Zum einen sieht auch § 4 Abs. 1 Satz 2 EFZG n.F. bei unverschuldeten Betriebsunfällen weiterhin die volle Entgeltfortzahlung vor. Zum anderen könnte es unabhängig davon nicht als gänzlich widersinniges Ergebnis angesehen werden, wenn ein Arbeitnehmer in den ersten sechs Wochen seiner Arbeitsunfähigkeit nur 80 % seines regelmäßigen Arbeitsentgelts erhielte und in den Wochen danach Gesamtleistungen etwa in Höhe seines vollen Nettogehalts.
ee) Auch aus der Formulierung in § 10 Ziff. 5 MTV folgt nicht, daß es sich bei § 10 Ziff. 2 MTV um eine statische Verweisung auf die gesetzlichen Bestimmungen im Zeitpunkt des Tarifabschlusses handeln muß. Nach § 10 Ziff. 5 MTV gelten für werdende Mütter „die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes und des Mutterschaftsurlaubsgesetzes in der jeweiligen Fassung”. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, aus dem Fehlen der „Jeweiligkeitsklausel” in § 10 Nr. 2 MTV müsse gefolgert werden, daß dort auf die zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses geltenden und nicht auf die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen Bezug genommen werden sollte. Die Ansicht des Landesarbeitsgerichts überzeugt nicht. Zutreffend weist die Revision darauf hin, die beiden tariflichen Regelungen unterschieden sich darin, daß in Ziff. 5 auf die Bestimmungen genau bezeichneter Gesetze, in Ziff. 2 dagegen allgemein auf „die gesetzlichen Bestimmungen” im Falle von Arbeitsunfähigkeit verwiesen wird. Sprachlich bestehen keine Zweifel, daß mit „den gesetzlichen Bestimmungen” stets nur die jeweils geltenden Bestimmungen gemeint sein können. Auf eine entsprechende Klarstellung konnten die Tarifvertragsparteien deshalb verzichten. Zwar mag diese Ergänzung auch in Ziff. 5 überflüssig gewesen sein – auch die Bestimmungen eines genau bezeichneten Gesetzes sind ohne nähere Eingrenzung stets die jeweils geltenden –, doch erscheint die Klarstellung hier nicht gänzlich überflüssig. In keinem Falle läßt sich aber aus der Gegenüberstellung des Wortlauts von § 10 Ziff. 2 und § 10 Ziff. 5 MTV darauf schließen, daß gerade die weniger präzise Bezeichnung in Ziff. 2 der Regelung eine statische Verweisung darstellen soll.
Bei § 10 Ziff. 2 MTV handelt es sich entweder um einen bloßen Hinweis oder um eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Klageforderung besteht nicht.
Unterschriften
Reinecke, Kreft, Bepler, Kessel, Zorn
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 10.02.1999 durch Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436135 |
BB 1999, 1170 |
DB 1999, 1328 |
ARST 1999, 214 |
NZA 1999, 1288 |
AP, 0 |