Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Sonderzahlung bei Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit

 

Leitsatz (amtlich)

Stehen nach einer tariflichen Regelung über eine Sonderzahlung zeitweise nichttätigen Beschäftigten nur so viele Zwölftel der Sonderzahlung zu, wie sie im Kalenderjahr volle Monate bei dem Unternehmen gearbeitet oder Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches erhalten haben, so ist der Anspruch auf die Sonderzahlung im Hinblick auf Zeiten, in denen Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit angeordnet war, zu kürzen.

 

Normenkette

BGB § 611; Protokollnotiz vom 12. Juni 1991 zum Manteltarifvertrag (Ost) für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft vom 1. Januar 1991 Ziff. 1; Protokollnotiz vom 12. Juni 1991 zum Manteltarifvertrag (Ost) für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft vom 1. Januar 1991 Ziff. 2

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 19.05.1994; Aktenzeichen 1 Sa 315/93)

ArbG Rostock (Urteil vom 24.03.1993; Aktenzeichen 6 Ca 137/92)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Mai 1994 – 1 Sa 315/93 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe einer Sonderzahlung für das Jahr 1991.

Der Kläger ist seit dem Jahre 1975 bei der Beklagten als Maler beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag (Ost) für die Beschäftigten der Wohnungswirtschaft vom 1. Januar 1991 (MTV) sowie die dazu vereinbarte Protokollnotiz vom 12. Juni 1991 Anwendung. Die Protokollnotiz hat – soweit hier von Bedeutung – folgenden Wortlaut:

  • Alle Beschäftigten, die am 1. Dezember 1991 in den Unternehmen, die den MTV (Ost) anwenden, tätig sind, erhalten eine Sonderzahlung in Höhe von 75 Prozent der zu diesem Zeitpunkt vereinbarten Monatsvergütung gemäß § 4 MTV (Ost). Diese Zahlung wird fällig am 1. Dezember 1991
  • Neu eingetretenen oder zeitweise nichttätigen Beschäftigten stehen so viele Zwölftel der Sonderzahlung zu, wie sie im Kalenderjahr volle Monate bei dem Unternehmen gearbeitet oder Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches erhalten haben.”

Im Jahre 1991 ordnete die Beklagte zeitweise Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit an. Dementsprechend gewährte sie dem Kläger nur eine anteilige Sonderzahlung gemäß Ziff. 2 der Protokollnotiz.

Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe die Sonderzahlung in voller Höhe zu. Er erfülle die Anspruchsvoraussetzung nach Ziff. 1 der Protokollnotiz, da er am 1. Dezember 1991 im Unternehmen tätig gewesen sei. Mit dem “Tätigsein” im Unternehmen werde das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses gefordert. In gleicher Weise sei die Ziff. 2 der Protokollnotiz auszulegen. “Nichttätige Beschäftigte” seien deshalb nur solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse im Kalenderjahr zeitweise nicht bestanden hätten. Dies sei bei Kurzarbeit nicht der Fall.

Die Erbringung einer tatsächlichen Arbeitsleistung sei nicht Voraussetzung für den Anspruch auf die Sonderzahlung, da sie als Gratifikation mit Mischcharakter anzusehen sei. Da die tarifliche Regelung eine anspruchsmindernde Berücksichtigung von Kurzarbeitszeiten nicht ausdrücklich vorsehe, sei deshalb der Anspruch auf die Sonderzahlung im vollen Umfang begründet.

Im übrigen müsse auch davon ausgegangen werden, daß während der Dauer der Kurzarbeit “Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches” gewährt würden. Diese tarifliche Regelung sei weit auszulegen, da ansonsten auch eine Kürzung der Sonderzahlung wegen Urlaubs oder im Falle des Annahmeverzuges in Betracht käme. Deshalb seien Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches auch die von der Beklagten während der Kurzarbeit entrichteten Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 790,97 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 12. Dezember 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie vertritt die Auffassung, der Anspruch auf die Sonderzahlung entstehe nach Ziff. 2 der Protokollnotiz nicht für Zeiten, in denen Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit angeordnet worden sei. “Nichttätige Beschäftigte” im Sinne dieser tariflichen Bestimmung seien Arbeitnehmer, die weder tatsächlich gearbeitet noch Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches erhalten hätten. Beides treffe während der Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit zu. Der Kläger habe während der Kurzarbeitsperiode nicht gearbeitet. Auch habe er keine Leistungen nach dem Arbeitsgesetzbuch erhalten. Darunter seien nur Entgeltfortzahlungsansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, nicht aber Beitragszahlungen aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des AFG zu verstehen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die volle Sonderzahlung für das Jahr 1991 nicht zu. Die Beklagte war berechtigt, die Sonderzahlung im Hinblick auf die Zeiten zu kürzen, in denen Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit angeordnet war.

I.1. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen nach Ziff. 1 der Protokollnotiz für einen Anspruch auf die Sonderzahlung im Jahre 1991.

Nach Ziff. 1 der Protokollnotiz erhalten eine Sonderzahlung alle Beschäftigten, die am 1. Dezember 1991 in den Unternehmen, die den MTV (Ost) anwenden, tätig sind. Die Beklagte wendet den MTV (Ost) an. Der Kläger gehörte auch zu den Beschäftigten, die am 1. Dezember 1991 in dem Unternehmen tätig waren. Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht insoweit aus, daß die Tarifvertragsparteien in Ziff. 1 der Protokollnotiz das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember 1991 und nicht eine tatsächliche Arbeitsleistung an diesem Tag fordern. Dies folgt daraus, daß Tarifverträge ausgehend vom Wortlaut und vom tariflichen Gesamtzusammenhang (vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) so auszulegen sind, daß sie zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führen (vgl. BAG Urteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel; BAG Urteil vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).

Zwar wird nach allgemeinem Sprachgebrauch der Begriff “tätig” sowohl zur Bezeichnung einer tatsächlichen Arbeitsleistung als auch zur Beschreibung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses verwendet (vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, S. 1265). Bei sachgerechter Auslegung der Regelung in Ziff. 1 der Protokollnotiz kann er aber nur die Bedeutung haben, daß die Tarifvertragsparteien an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember 1991 anknüpfen wollten. Bei der tariflichen Regelung handelt es sich um eine in tariflichen Bestimmungen über Gratifikationszahlungen übliche Stichtagsregelung, mit der der Bestand eines Arbeitsverhältnisses an einem Stichtag des Bezugszeitraums, nicht aber eine tatsächliche Arbeitsleistung an diesem Tag gefordert wird. Bei einer anderweitigen Auslegung würde die tarifliche Regelung zu dem praktisch leerlaufen, da der 1. Dezember 1991, auf den sich die tarifliche Bestimmung allein bezieht, ein Sonntag war.

2. Der Anspruch des Klägers auf die Sonderzahlung nach Ziff. 1 der Protokollnotiz besteht jedoch nach Ziff. 2 der Protokollnotiz nur für so viele Zwölftel wie der Kläger volle Monate im Kalenderjahr gearbeitet hat. Die Beklagte hat deshalb die Sonderzahlung mit Recht im Hinblick auf die zwischen den Parteien unstreitigen Zeiten gekürzt, in denen Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit angeordnet war.

a) Nach Ziff. 2 der Protokollnotiz stehen zeitweise nichttätigen Beschäftigten so viele zwölftel der Sonderzahlung zu, wie sie im Kalenderjahr volle Monate bei dem Unternehmen gearbeitet oder Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches erhalten haben. Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Begriff der “zeitweise nichttätigen Beschäftigten” nicht dahingehend ausgelegt werden, daß von der Kürzungsregelung nur solche Arbeitnehmer betroffen werden, deren Arbeitsverhältnisse während des Kalenderjahres nicht bestanden haben. Zwar verwenden die Tarifvertragsparteien in Ziff. 2 der Protokollnotiz den Begriff “nichttätig” und könnte im Hinblick auf die Auslegung der Ziff. 1 der Protokollnotiz daraus geschlossen werden, daß sie in Ziff. 2 der Protokollnotiz ebenfalls an den Bestand des Arbeitsverhältnisses anknüpfen wollten. Diese Auslegung trägt jedoch dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der neben dem Wortlaut für die Tarifauslegung maßgebend ist, nicht hinreichend Rechnung.

Die Tarifvertragsparteien haben nämlich in Ziff. 2 der Protokollnotiz selbst erläutert, mit welcher Bedeutung sie den Begriff der “zeitweise nichttätigen Beschäftigten” verstanden wissen wollen. Zeitweise nichttätige Beschäftigte sind danach Arbeitnehmer, die im Kalenderjahr zeitweise volle Monate nicht gearbeitet oder keine Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches erhalten haben. Damit haben die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf die Sonderzahlung nur für so viele Zwölftel gewährt, wie im Kalenderjahr volle Monate tatsächlich gearbeitet wurde oder aus den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches ein Anspruch auf Arbeitsentgelt auch ohne Arbeitsleistung bestand.

b) Gegen eine solche Auslegung bestehen grundsätzlich keine rechtlichen Bedenken. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen der Tarifautonomie bei der Gewährung einer tariflichen Sonderzahlung bestimmen, welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung sich anspruchsmindernd oder anspruchsausschließend auf die Sonderzahlung auswirken sollen (vgl. BAG Urteile vom 16. März 1994 – 10 AZR 669/92 – und vom 14. September 1994 – 10 AZR 216/93 – AP Nr. 162 und 166 zu § 611 BGB Gratifikation). Insbesondere bestehen keine Vorschriften höherrangigen Rechts, die der Einbeziehung von Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit in eine solche tarifliche Regelung entgegenstehen (vgl. BAG Urteil vom 19. April 1995 – 10AZR 259/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

c) Dem Kläger steht nach Ziff. 2 der Protokollnotiz ein Anspruch auf die Sonderzahlung für Zeiten, in denen Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit angeordnet war, nicht zu.

Die zeitweise Anordnung von Kurzarbeit mit “Null-Stunden”-Arbeitszeit führte dazu, daß der Kläger während dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht hat. Er hat auch keine Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches erhalten.

Dabei kann dahinstehen, ob der Begriff der “Leistungen nach den Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches” nur die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle nach § 115a AGB und die Zahlung des Durchschnittsverdienstes bei Schwangerschaft und Wochenurlaub nach § 244 AGB umfaßt, oder, wie der Kläger meint, auch Urlaubsentgelt und Lohnansprüche aus Annahmeverzug berücksichtigt werden müssen. Unstreitig hat die Beklagte die Sonderzahlung nur um so viele Zwölftel gekürzt, wie der Kläger wegen der Kurzarbeit im Kalenderjahr volle Monate nicht gearbeitet hat.

Die Zahlung von Beiträgen zur Kranken- und Rentenversicherung während der Kurzarbeit durch die Beklagte ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht als eine Leistung nach den Bestimmungen des AGB anzusehen. Es handelt sich insoweit um rechtliche Verpflichtungen, die die Beklagte aufgrund der gesetzlichen Vorschriften des AFG zu erfüllen hat, nicht aber um eine Fortzahlung von Arbeitsentgelt an den Kläger, die mit den im AGB normierten Verpflichtungen zur Entgeltfortzahlung vergleichbar ist.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Hauck, Böck, Staedtler, Schlaefke

 

Fundstellen

Haufe-Index 870817

BB 1995, 2378

NZA 1995, 1106

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