Entscheidungsstichwort (Thema)
Immunität einer zwischenstaatlichen Organisation
Normenkette
GVG § 20 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 24 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 20. Mai 1992 – 2 Sa 1011/91 – wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen aufgrund des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) ein nicht wirksam beendetes Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt.
Die Beklagte wurde nach der Präambel des Übereinkommens zur Gründung einer Europäischen Weltraumorganisation vom 30. Mai 1975 (BGBl II 1976, 1862 ff.) aus der „Europäischen Weltraumforschungs-Organisation” (European Space Research Organisation – ESRO) und der „Europäischen Organisation für die Entwicklung und den Bau von Raumfahrzeugträgern” gebildet und als neue Organisation unter dem Namen „Europäische Weltraumorganisation” (EWO) = „European Space Agency” (ESA) mit Sitz in Paris gegründet. Sie unterhält in Darmstadt das „Europäische Operationszentrum für Weltraumforschung” („European Space Operations Centre” – ESOC), zu dessen Errichtung die Bundesrepublik Deutschland und die ESRO das im BGBl II 1969, 93 ff. bekanntgemachte Abkommen über das Europäische Operationszentrum für Weltraumforschung (ESOC-Abkommen) geschlossen hatten.
Die am 12. April 1946 bzw. 9. August 1950 geborenen Kläger britischer Staatsangehörigkeit waren als Computerspezialisten und Systemprogrammierer tätig. Sie wurden im wesentlichen in der Abteilung ECD/CS (ESA-Computer-Department/Computer-Services) des Europäischen Operationszentrums für Weltraumforschung (ESOC) eingesetzt. Von 1977 bis 1979 waren sie Angestellte der SPM, die sie im Rahmen eines Subunternehmervertrages zur Dienstleistung bei der ESOC in Darmstadt abstellte. Als nach einer Neuausschreibung des Subunternehmervertrages die Vertragsbeziehungen zwischen der SPM und der ESRO endeten, waren die Kläger im Auftrag der C. in Dublin/Irland, die den Zuschlag erhalten hatte, an gleicher Stelle und mit gleicher Funktion wie bisher bei der Beklagten tätig. Im Jahre 1982 gründeten die Kläger – nach ihrer Behauptung auf Wunsch der Beklagten – gemeinsam die S. in Manchester/England. Sie schloß mit der C. D. einen Vertrag über die zu erbringenden Dienstleistungen und wickelte die Entgeltzahlungen ab. Im Jahre 1984 schaltete die Beklagte zwischen sich und die C. als weiteren Subunternehmer die „Sc.”, bei der es sich um eine abhängige Unterorganisation der Beklagten handelt. In der Folgezeit liquidierten die Kläger – nach ihrer Behauptung aufgrund einer mit steuerlichen Erwägungen begründeten Empfehlung der Beklagten – die S. in Manchester/England und gründeten an ihrer Stelle die N. mit Sitz in Jersey (Channel Islands). Der Aufgabenbereich der Kläger blieb unverändert. Sie erbrachten seit 1977 bei der Beklagten ununterbrochen Dienstleistungen, für die sie eine durchschnittliche monatliche Vergütung von zuletzt jeweils 14.000,00 DM erhielten.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 1990 teilte die C. den Klägern mit, daß der Vertrag zwischen ihr und der N. am 31. Dezember 1990 auslaufe, ein weiterer Vertrag nicht abgeschlossen werde und deshalb die Zusammenarbeit zwischen den beiden Gesellschaften am 31. Dezember 1990 ende.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, es habe eine Arbeitnehmerüberlassung i. S. des Art. 1 § 1 AÜG vorgelegen. Sie hätten ihre Arbeitsleistung nahezu ausschließlich in den Räumen der Beklagten in Darmstadt erbringen müssen. Die Büroräume und Arbeitsmittel habe die Beklagte gestellt. Die Kläger seien nicht anders behandelt worden als die von der Beklagten angestellten Mitarbeiter. Sie seien in die Organisation der Beklagten voll eingegliedert worden und dementsprechend auch im Organisationsplan der Beklagten aufgeführt worden. Ihr unmittelbarer Vorgesetzter sei Unterabteilungsleiter der Beklagten gewesen, der ihnen gegenüber weisungsbefugt gewesen sei. Der Urlaub habe unmittelbar bei der Beklagten beantragt werden müssen und sei in einem jährlichen Urlaubsplan festgelegt worden. Die Beklagte habe den Urlaub verweigern können, wie es im Jahre 1988 auch tatsächlich geschehen sei. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit habe nur der Beklagten, nicht aber den dazwischen geschalteten Firmen (C. bzw. Sc.) mitgeteilt werden müssen. Die Subunternehmerverträge hätten lediglich der Verschleierung eines unmittelbaren Personaleinsatzes bei der Beklagten gedient. Die Beklagte, die sich trotz des Wechsels der Subunternehmer die Dienste der Kläger habe sichern wollen, habe der C. die Bereitstellung der Kläger als Voraussetzung für den Zuschlag auferlegt. Die Kläger hätten während ihrer Beschäftigungszeit bei der Beklagten unabhängig von den jeweiligen Subunternehmerverträgen die gleichen Funktionen ausgeübt, wobei sie in den Betriebsablauf der Beklagten voll integriert, unmittelbar weisungsgebunden und faktisch als Arbeitnehmer der Beklagten tätig gewesen seien. Da eine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen habe und der Verleiher nicht die nach Art. 1 § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis gehabt habe, gelte nach Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten als zustande gekommen. Dieses Arbeitsverhältnis sei nicht wirksam gekündigt worden.
Die Gerichte für Arbeitssachen könnten hierüber eine Sachentscheidung treffen. Die Beklagte könne sich nicht auf die ihr im Gründungsübereinkommen verliehene Immunität berufen. Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens enthalte einen wirksamen Immunitätsverzicht, der den vorliegenden Fall erfasse. Auch die Personen, die nach Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG als Arbeitnehmer der Beklagten gelten würden, seien als Bedienstete i. S. des ESOC-Abkommens anzusehen. An diesen Immunitätsverzicht der ESRO sei die Beklagte als Nachfolgeorganisation aufgrund der Überleitungsvorschrift des Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens gebunden. Mit der Übernahme aller Rechte und Pflichten der ESRO in Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens habe die Beklagte in alle Rechtsbeziehungen der ESRO mit Dritten eintreten sollen. Zu diesen Rechtsbeziehungen seien die Privilegien und Immunitäten einschließlich ihrer Modifizierung in Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens zu zählen. Wenn sich die Beklagte erfolgreich auf ihre Immunität berufen könnte, wären die Kläger ohne Rechtsschutz. Dies wäre ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG.
Die Kläger haben beantragt
festzustellen, daß die zwischen ihnen und der Beklagten begründeten Arbeitsverhältnisse durch die unter dem 12. Oktober 1990 von der C. zugesandten Schreiben nicht aufgelöst worden seien, sondern über den 31. Dezember 1990 hinaus auf unbestimmte Zeit fortbestünden.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen. Unter Hinweis auf ihre Immunität hat sie es abgelehnt, sich auf die Frage einzulassen, ob eine Arbeitnehmerüberlassung vorliege. Sie hat die Auffassung vertreten, Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens regele lediglich die Gerichtszuständigkeit, enthalte aber keinen Immunitätsverzicht. Allenfalls könne Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens dahingehend ausgelegt werden, daß die Beklagte im Einzelfall zu einem Immunitätsverzicht verpflichtet sei. Eine derartige Verpflichtung bestehe aber nicht, wenn die Klage auf Feststellung eines fiktiven Arbeitsverhältnisses gemäß Art. 1 § 10 AÜG gerichtet sei. Die Kläger seien keine Bediensteten der Beklagten i. S. des Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens, so daß die Bestimmung schon aus diesem Grunde nicht anwendbar sei. Selbst wenn der von den Klägern unterstellte Immunitätsverzicht der ESRO in Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens hineininterpretiert werden könnte, gelte er nicht für die Beklagte. Sie sei rechtlich eine neue Organisation mit einer eigenen, in Art. XV Abs. 2 und 3 sowie der Anlage 1 ihres Gründungsübereinkommens neu geregelten Immunität. Nach Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens gingen zwar alle Rechte und Pflichten der ESRO auf die Beklagte über. Bei einem Immunitätsverzicht handele es sich aber weder um ein Recht noch um eine Pflicht i. S. des Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens. Die Immunität der Beklagten verstoße auch nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Einen uneingeschränkten Justizgewährleistungsanspruch gegenüber ausländischen Staaten und internationalen Organisationen gebe es nicht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen eingelegte Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil die Beklagte Immunität genießt.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Beklagte habe nicht auf ihre Immunität verzichtet. Ob Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens überhaupt einen Immunitätsverzicht der ESRO enthalten habe, könne offenbleiben. Jedenfalls sei die Beklagte nicht daran gebunden. Sie sei eine rechtlich neue Organisation und nicht lediglich Rechtsnachfolgerin der früheren ESRO. Ihre Ausstattung mit den im Völkerrecht üblichen Vorrechten und Immunitäten sei durch Art. XV Abs. 2 in Verbindung mit Anlage 1 ihres Gründungsübereinkommens neu geregelt worden, wobei an einen im Einzelfall zu erklärenden Immunitätsverzicht strengere Anforderungen als im Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der ESRO gestellt würden. Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens der Beklagten erfasse nicht einen in früheren Abkommen der ESRO enthaltenen Immunitätsverzicht. Die in Art. XV Abs. 2 und Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens verwandten Begriffe „Vorrechte und Immunitäten” einerseits sowie „Rechte und Pflichten” andererseits müßten klar unterschieden werden. Unter die in Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens verwandten Begriffe „Rechte und Pflichten” falle nicht ein Immunitätsverzicht. Selbst wenn die in Art. XIX des EWO-Gründungsübereinkommens vorgesehene Übernahme aller Rechte und Pflichten der ESRO auch eine im ESOC-Abkommen enthaltene Einschränkung der Immunität umfassen würde, wäre die Beklagte an einen etwaigen Immunitätsverzicht in Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens nicht gebunden. Wenn – wie hier – eine neue zwischenstaatliche Organisation als neues Völkerrechtssubjekt errichtet werde, eine eigenständige, verstärkte Ausstattung an Vorrechten und Immunitäten erhalte und die Anforderungen an einen Immunitätsverzicht verschärft würden, müsse ein etwaiger Immunitätsverzicht einer Vorgängerorganisation zurücktreten oder zumindest neu bestätigt werden. Dies gelte um so mehr, wenn der Staat (hier die Bundesrepublik Deutschland), der das den Immunitätsverzicht enthaltende Sitzabkommen mit der Vorgängerorganisation geschlossen habe, an dem EWO-Gründungsübereinkommen der neuen zwischenstaatlichen Organisation als Vertragspartner mitbeteiligt sei. Diese Mitwirkung müsse, wenn jeglicher Vorbehalt oder sonstige Hinweise im EWO-Gründungsübereinkommen unterblieben, als völkerrechtlich ausreichende konkludente Zustimmung zu der dem neuen Völkerrechtssubjekt eingeräumten, neu und abschließend geregelten Rechtsausstattung gewertet werden. Im übrigen sei das ESRO-Protokoll in der Bundesrepublik Deutschland weder nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG noch über Art. 25 GG rechtswirksam in innerstaatliches Recht umgesetzt worden, so daß die ESRO beim Abschluß des ESOC-Abkommens in der Bundesrepublik Deutschland über keine rechtlich abgesicherte Immunität verfügt habe und hierauf auch nicht habe verzichten können.
II. Das Landesarbeitsgericht ist zu dem richtigen Ergebnis gelangt, daß die Klage wegen Immunität der Beklagten unzulässig ist.
1. Das Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtende Prozeßvoraussetzung. Die Immunität stellt ein Verfahrenshindernis dar (vgl. u.a. BVerfGE 46, 342, 359 = AP Nr. 4 zu Art. 25 GG, zu B 2 b der Gründe; BGHZ 19, 341, 345; Kissel, GVG, § 18 Rz 3; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 1 Rz 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., Einf. zu §§ 18 bis 20 GVG, Anm. 2 A; Zöller/Gummer, ZPO, 18. Aufl., Vorbemerkung zu §§ 18 bis 20 GVG Rz 3). Wenn die beklagte Partei Immunität genießt und nicht auf ihre Immunität verzichtet hat, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Nach § 20 Abs. 2 GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf zwischenstaatliche Organisationen, soweit sie aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen von ihr befreit sind. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt.
2. Nach Art. XV Abs. 2 des EWO-Gründungsübereinkommens vom 30. Mai 1975, das durch Gesetz vom 23. November 1976 (BGBl II 1976, 1861) in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist, genießt die Beklagte die in Anlage 1 des EWO-Gründungsübereinkommens vorgesehenen Immunitäten. Nach Art. IV Abs. 1 Buchst. a dieser Anlage kann die Beklagte auf ihre Immunität von der Gerichtsbarkeit durch Beschluß des Rates im Einzelfall ausdrücklich verzichten. Dies ist nicht geschehen. Ebensowenig liegen die weiteren in Art. IV der Anlage 1 des EWO-Gründungsübereinkommens aufgeführten Ausnahmen von der Immunität vor.
3. Ein Immunitätsverzicht kann allerdings nicht nur für einen konkreten Rechtsstreit durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung, sondern auch generell in einem bilateralen Abkommen erfolgen (vgl. u.a. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 52. Aufl., Einf. zu §§ 18 bis 20 GVG, Anm. 2 B; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Einl. Rz 662; Kissel, GVG, § 18 Rz 23; Geimer, Internationales Zivilprozeßrecht, 2. Aufl., Rz 507 f.; Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozeßrecht, II 2, S. 29; Schönfeld, NJW 1986, 2980, 2983). Ob hier rechtsdogmatisch nicht von einem Immunitätsverzicht, sondern von einer Einschränkung der Immunität durch völkerrechtlichen Vertrag gesprochen werden sollte, ist – jedenfalls im vorliegenden Fall – ohne Bedeutung und kann deshalb auf sich beruhen.
Die einzige völkerrechtliche Vereinbarung, die eine derartige Einschränkung der Immunität enthalten könnte, findet sich in Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens. Wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, kommt es zum einen darauf an, wie Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens auszulegen ist. Zum anderen müßte die Beklagte an einen in Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens vereinbarten Immunitätsverzicht der ESRO gebunden sein.
4. Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens enthält jedenfalls keinen den vorliegenden Fall erfassenden Immunitätsverzicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Regelung überhaupt als Immunitätsverzicht ausgelegt werden kann. Sie ist schon deshalb nicht anwendbar, weil die Kläger nicht zu dem angesprochenen Personenkreis gehören. Bei der Auslegung dieser Vorschrift kann auf den deutschen Text abgestellt werden, denn nach dem Schlußsatz des ESOC-Abkommens sind seine beiden Urschriften in englischer, französischer und deutscher Sprache abgefaßt, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.
Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens setzt eine Streitigkeit zwischen der internationalen Organisation und ihren Bediensteten voraus, die nicht in die Zuständigkeit des „Appeals Board” fällt. Entscheidend ist, ob auch Personen, die nach Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG als Arbeitnehmer gelten könnten, im Rahmen des generellen Immunitätsverzichts als Bedienstete der Beklagten anzusehen sind. Die Auffassung der Kläger und des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main im Urteil vom 28. August 1991 – 13 Sa 50/81 –, es sei nach nationalem deutschen Recht zu bestimmen, wer im Sinne des Immunitätsverzichts Bediensteter der internationalen Organisation ist, teilt der Senat nicht.
a) Einer weit verbreiteten Praxis der Staaten entspricht es, den von ihnen geschaffenen internationalen Organisationen die autonome Regelungs- und Entscheidungsbefugnis hinsichtlich ihrer Bediensteten einzuräumen (BVerfGE 59, 63, 87). Dies ist sowohl bei der Errichtung der ESRO als auch bei der Errichtung der Beklagten geschehen. Beide Organisationen haben für einen Teil ihrer Bediensteten Personalordnungen erlassen. Soweit die Personalordnung nicht anwendbar ist, kommt Art. 6 Abs. 1 Satz 2 des ESOC-Abkommens zum Zuge. Er bestimmt, daß sich „die Arbeitsbedingungen” der übrigen Bediensteten der Beklagten nach den deutschen Gesetzen richten. Die Verweisung auf das deutsche Arbeitsrecht betrifft nach dem Wortlaut des Abkommens lediglich den Inhalt des Rechtsverhältnisses, dessen Bestand vorausgesetzt wird. Wer Bediensteter der Beklagten ist, richtet sich mangels einer entsprechenden Verweisung nicht nach deutschem Recht. Die internationale Vereinbarung ist vielmehr ohne Rücksicht auf deutsches Recht auszulegen.
b) Von „Bediensteten” der Beklagten kann nach allgemeinem Sprachgebrauch nur dann die Rede sein, wenn die Beklagte mit ihnen vertragliche Beziehungen aufgenommen hat. Personen, die mit einem Dritten einen Vertrag geschlossen haben und in Ausführung dieses Vertrages bei der Beklagten tätig werden, sind Bedienstete dieses Dritten. Bezeichnend erscheint es, daß der Klägervertreter im Schreiben vom 1. Dezember 1992, das an die Beklagte gerichtet war und in dem er um einen Immunitätsverzicht im Einzelfall gemäß Art. IV Abs. 1 Buchst. a der Anlage 1 zum Gründungsübereinkommen der Beklagten bat, darauf hinwies, die Kläger seien „keine Bediensteten der Europäischen Weltraumorganisation” und könnten deshalb interne Rechtsschutzsysteme der Beklagten nicht in Anspruch nehmen.
c) Auch Leiharbeitnehmer sind Arbeitnehmer des Verleihers. Arbeitnehmer des Entleihers werden sie erst durch gesetzliche Fiktion. Fiktive und von der Beklagten rechtsgeschäftlich begründete Arbeitsverhältnisse können, nicht zuletzt wegen der Personalhoheit der Beklagten, nicht gleichgestellt werden. Dr. W. führt in seinem von den Klägern angeforderten Ergänzungsgutachten vom 29. Dezember 1992, S. 7, aus, daß die Anwendung nationalen Arbeitsrechts auf Beschäftigungsverhältnisse mit internationalen Organisationen – rechtsvergleichend betrachtet – eine Ausnahmeerscheinung darstelle, jedoch in der Praxis immer wieder zu beobachten sei. Dies verstärkt die Bedenken gegen eine mit dem Wortlaut des Abkommens allenfalls schwer zu vereinbarende Ausweitung des Immunitätsverzichts. Der Stellung internationaler Organisationen entspricht es vielmehr, daß sie selbst entscheiden, mit wem sie arbeitsvertragliche Beziehungen eingehen. Wenn sie sich dazu entschließen und das Arbeitsverhältnis nicht unter ihre eigenständig erstellte Personalordnung fällt, leuchtet es ein, daß sie sich insoweit dem deutschen Arbeitsrecht und der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit unterwerfen. Die Beklagte kann dann klar absehen, wann der Immunitätsverzicht zum Tragen kommt. Er beruht auf ihrer eigenen Entscheidung über die Eingehung und die Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses. Ein Immunitätsverzicht, der sich auf die von der jeweiligen Fassung des AÜG abhängige Fiktion eines Arbeitsverhältnisses erstreckt, ist damit nicht zu vergleichen.
Da die Kläger nicht zu den Bediensteten im Sinne des Art. 6 Abs. 2 des ESOC-Abkommens zählen, kann offenbleiben, ob diese Vorschrift überhaupt einen Immunitätsverzicht enthält und ob die Beklagte daran gebunden wäre.
5. Das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 30. Mai 1975 zur Gründung der Beklagten, durch das die Immunität der Beklagten in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist, verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
a) Art. 19 Abs. 4 GG ist nicht verletzt. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG greift schon deshalb nicht ein, weil die Handlungen oder Unterlassungen der Beklagten als zwischenstaatlicher Einrichtung keine Maßnahmen der „öffentlichen Gewalt” im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG sind (BVerfGE 59, 63, 85).
b) Erscheint der Rechtsschutz gegen Akte einer zwischenstaatlichen Einrichtung, gemessen an innerstaatlichen Anforderungen, unzulänglich, so kommt allenfalls eine Verletzung des Art. 24 Abs. 1 GG in Betracht. Ob mit Blick auf die Grundprinzipien der Verfassung Grenzen dieser „Übertragungsermächtigung” bestehen können, bedarf keiner Entscheidung. Sie könnten nur dann überschritten sein, wenn bei der Schaffung einer zwischenstaatlichen Einrichtung und bei ihrer organisatorischen und rechtlichen Ausgestaltung der – schon im Rechtsstaatprinzip verankerten – Gewährleistung eines wirksamen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt nicht hinreichend Rechnung getragen wurde (BVerfGE 59, 63, 86). Auch das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluß vom 10. November 1981 (BVerfGE 59, 63, 89 f.) offengelassen, ob das Zustimmungsgesetz zu einem internationalen Abkommen insoweit überhaupt an Art. 24 Abs. 1 GG zu messen wäre, als das Vertragswerk die Organisation zum Erlaß von Beschäftigungsbedingungen und zur Regelung von Rechtsstreitigkeiten aus Dienstverhältnissen mit ihr ermächtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, daß erhebliche Zweifel daran bestehen können, ob das Vertragswerk insofern überhaupt eine Rücknahme eines vordem gegebenen, ausschließlichen Herrschaftsanspruchs der Bundesrepublik Deutschland bewirkt, ob mithin eine „Übertragung” eines Hoheitsrechts im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG vorliegt. Auch im vorliegenden Fall kann diese Frage unbeantwortet bleiben.
c) Eine weitgehende Personalhoheit internationaler Organisationen ist völkerrechtlich nicht außergewöhnlich, sondern weit verbreitet. Der vorliegenden Immunitätsregelung stehen auch keine fundamentalen Grundsätze des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Die Personen, mit denen die Beklagte einen Arbeitsvertrag schließt, fallen entweder in die Zuständigkeit des „Appeals Board” oder es ist im Arbeitsvertrag ein Schiedsverfahren vorzusehen, das sich nach deutschem Recht richtet (vgl. Art. XXV der Anlage 1 des EWO-Gründungsübereinkommens). Damit ist für die Bediensteten der Beklagten ein lückenloser Rechtsschutz sichergestellt. Selbst wenn eine unzulässige Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, auf die Art. XXV der Anlage 1 des EWO-Gründungsübereinkommens nicht anwendbar ist, bleibt der Arbeitnehmer nicht schutzlos. Abgesehen davon, daß er das Unternehmen in Anspruch nehmen kann, mit dem er seinen Vertrag schloß, hat der Rat der Beklagten die Pflicht, die Immunität aufzuheben, wenn ihre Aufrechterhaltung verhindern würde, daß der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und wenn sie ohne Beeinträchtigung der Interessen der Organisation aufgehoben werden kann (Art. IV Abs. 1 Buchst. a der Anlage 1 des EWO-Gründungsübereinkommens). Da die Interessen der Beklagten für einen Immunitätsverzicht eine entscheidende Rolle spielen, kann allerdings die Beklagte unter Umständen einen Immunitätsverzicht verweigern. Gerade in diesem Fall kommt Art. XXVI Buchst. b der Anlage 1 des EWO-Gründungsübereinkommens besondere Bedeutung zu. Danach kann jeder Mitgliedstaat dem in Art. XVII des EWO-Gründungsübereinkommens vorgesehenen internationalen Schiedsgericht jede Streitigkeit unterbreiten, die sich aus einer nichtvertraglichen Verpflichtung der Organisation ergibt. Die Kläger zählen wegen fehlender Vertragsbeziehungen zu der Beklagten nicht zu ihren Bediensteten. Eine Rechtsbeziehung zur Beklagten kommt allenfalls kraft Gesetzes aufgrund der Fiktion des Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG zustande. Dies ist nach dem System des EWO-Gründungsübereinkommens als nichtvertragliche Verpflichtung anzusehen. Ob die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, den Klägern zum Ausgleich für die fehlende deutsche Gerichtsbarkeit entweder dieses Verfahren zu eröffnen oder auf einen Immunitätsverzicht im Einzelfall hinzuwirken, kann dahingestellt bleiben. Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Tätigwerden der Bundesrepublik Deutschland kann nicht im arbeitsgerichtlichen Verfahren durchgesetzt werden.
Unterschriften
Dr. Seidensticker, Schliemann, Kremhelmer, Straub, Dr. Schiele
Fundstellen
Haufe-Index 1065108 |
IPRspr. 1993, 133 |