Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitaufstieg eines Busfahrers
Leitsatz (redaktionell)
Nach § 4 Abs 3 des 54. Änderungstarifvertrags zum BZT-G/ NRW vom 7. Dezember 1990 können auch solche Bewährungs- und Tätigkeitszeiten Grundlage für eine Höhergruppierung nach Lohngruppe F 4 a des BZT-G sein, die schon mehrere Jahre vor dem am 1. Oktober 1990 erfolgten Inkrafttreten des 54. Änderungstarifvertrags zurückgelegt waren. Sind die für eine Höhergruppierung nach Lohngruppe F 4 a erforderlichen Bewährungs- und Tätigkeitszeiten im Fahrdienst vor dem 1. Oktober 1990 erfüllt, so steht es einer Höhergruppierung in Lohngruppe F 4 a nicht entgegen, wenn der Arbeiter im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 54. Änderungstarifvertrags nicht im Fahrdienst eingesetzt ist.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 25.09.1992; Aktenzeichen 18 Sa 364/92) |
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 22.01.1992; Aktenzeichen 6 Ca 3450/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers.
Der Kläger ist seit 1975 bei der Beklagten als Straßenbahn- und Busfahrer im Einmannbetrieb tätig. Die Parteien haben die Anwendung des Bundesmanteltarifvertrags für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G II) und der zusätzlich zu diesem abgeschlossenen Tarifverträge, insbesondere des Bezirks-Zusatztarifvertrags zum BMT-G II für den Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Nordrhein-Westfalen (BZT-G/NRW), in der jeweils geltenden Fassung auf das Arbeitsverhältnis vereinbart.
Für die Eingruppierung der Fahrer von Einmannwagen enthält das Lohngruppenverzeichnis für Arbeiter im Fahrdienst von Nahverkehrsbetrieben (Anhang 2 zu § 4 BZT-G/NRW) in der seit dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung folgende Bestimmungen:
"Lohngruppe F 3
Abschnitt a)
...
2. Kraftomnibusfahrer als Fahrer von Einmannwagen
...
5. Straßenbahnwagenführer als Fahrer von Einmann-
wagen
...
Lohngruppe F 4
Arbeiter der Lohngruppe F 3 Abschnitt a) nach
vierjähriger Bewährung in dieser Lohngruppe und
diesem Abschnitt
Lohngruppe F 4 a
Arbeiter der Lohngruppe F 4 nach vierjähriger Tä-
tigkeit in dieser Lohngruppe"
Zur Berücksichtigung von vor dem 1. Oktober 1990 liegenden Beschäftigungszeiten für den Bewährungs- und den Zeitaufstieg enthält § 4 Abs. 3 des 54. Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung des BZT-G/NRW vom 7. Dezember 1990 folgende Regelung:
"(3) Soweit nach § 3 in der ab 1. Oktober 1990
geltenden Fassung eine höhere Eingruppie-
rung von der Zeit einer Bewährung oder der
Zeit einer Tätigkeit in einer bestimmten
Lohn- und Fallgruppe abhängt, wird bei Ar-
beitern, die am 30. September 1990 in einem
Arbeitsverhältnis gestanden haben, das am
1. Oktober 1990 zu demselben Arbeitgeber
fortbestanden hat, für die Dauer des fort-
bestehenden Arbeitsverhältnisses die vor
dem 1. Oktober 1990 zurückgelegte Zeit so
berücksichtigt, wie sie zu berücksichtigen
wäre, wenn § 3 in der ab 1. Oktober 1990
geltenden Fassung gegolten hätte. Dabei
sind vor diesem Zeitpunkt zurückgelegte
Zeiten einer Tätigkeit im übrigen nach Maß-
gabe der Unterabsätze 4 und 5 der Proto-
kollerklärung Nr. 1 zu § 4 Abs. 1 BZT-G/NRW
zu berücksichtigen."
1981 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß er im Rahmen des Bewährungsaufstiegs vom 1. Oktober 1981 an in die (damalige) Lohngruppe F IV eingruppiert sei, nachdem er seit mehr als sechs Jahren als Fahrer von Einmannwagen in die Lohngruppe F III eingruppiert gewesen sei.
Am 17. Juni 1988 ist der Kläger wegen mangelnder Eignung für den Einsatz in der Fahrgastbeförderung von der Beklagten gegen seinen Willen vom Dienst suspendiert worden. Gegen eine anschließend von der Beklagten zum 30. September 1988 ausgesprochene Kündigung hat der Kläger ein rechtskräftiges Urteil erstritten, in dem der Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses festgestellt worden ist. Zunächst wurde der Kläger daraufhin als Kraftfahrer weiterbeschäftigt. Nachdem der Kläger, um erneut seine Beschäftigung als Busfahrer zu erreichen, Klage erhoben hatte, setzte ihn die Beklagte aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs seit dem 1. Dezember 1990 wieder als Busfahrer ein und vergütete ihn - rückwirkend seit dem 1. November 1989 - nach Lohngruppe F 4.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Einmannfahrer stehe ihm seit dem 1. Oktober 1990 Lohn nach Lohngruppe F 4 a zu. Die Unterbrechung seiner Beschäftigung als Busfahrer zwischen dem 17. Juni 1988 und dem 1. Dezember 1990 sei unschädlich, da er bereits vorher die für die Höhergruppierung erforderlichen Bewährungs- und Tätigkeitszeiten zurückgelegt habe. Im übrigen könne sich die Beklagte auf diese Unterbrechung auch nicht berufen, da sie gegen seinen Willen und unter Verstoß gegen die Pflichten der Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis erfolgt sei. Mit seiner Klage begehrt der Kläger für die Zeit vom Oktober 1990 bis zum August 1991 die Zahlung der Differenzbeträge zwischen den Lohngruppen F 4 und F 4 a in der unstreitigen Höhe von 884,35 DM sowie die Feststellung seiner Eingruppierung nach LohnGr. 4 a seit dem 1. September 1991.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 884,35 DM
brutto zu zahlen nebst 4 % Zinsen auf den sich
ergebenden Nettobetrag ab dem 1. September 1991
und festzustellen,
daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm für die
Zeit ab September 1991 eine Vergütung auf der
Grundlage der Lohngruppe F 4 a des bei der
Beklagten geltenden Lohntarifvertrages zu zahlen
und die sich ergebenden Nettobeträge mit jeweils
4 % ab Fälligkeit zu verzinsen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Auffassung ist der Kläger in Lohngruppe F 4 zutreffend eingruppiert. Die von ihm vor einem Aufstieg in die Lohngruppe F 4 a zurückzulegende Zeit habe erst am 1. Dezember 1990 mit der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit als Busfahrer begonnen. Durch seine Suspendierung und die darauffolgende anderweitige Verwendung sei die für den Zeitaufstieg erforderliche Zeit nämlich unterbrochen gewesen. Es sei nicht treuwidrig, daß sie sich hierauf berufe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Die Klage ist auch mit dem Feststellungsantrag zulässig. Es handelt sich insoweit um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die auch in privatrechtlich verfaßten Unternehmen allgemein üblich ist und nach der ständigen Rechtsprechung des Senats keinen prozeßrechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Senatsurteile vom 25. September 1991 - 4 AZR 87/91 - AP Nr. 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I der Gründe, m.w.N.; vom 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu A der Gründe).
Der Feststellungsantrag ist auch zulässig, soweit er Zinsforderungen zum Gegenstand hat. In Eingruppierungsstreitigkeiten ist ein Feststellungsantrag nach § 256 ZPO nämlich nicht nur für die Hauptsache, sondern ebenso für die Zinsforderung zulässig. Dies ergibt sich daraus, daß die im Verhältnis zur Hauptschuld akzessorische Zinsforderung auch in prozessualer Beziehung das rechtliche Schicksal der Hauptforderung teilen soll (BAGE 22, 247, 249 = AP Nr. 30 zu §§ 22, 23 BAT).
II. Die Klage ist begründet. Der Kläger ist seit dem 1. Oktober 1990 in die - zu diesem Zeitpunkt neu geschaffene - Lohngruppe F 4 a eingruppiert. Die für den Zeitaufstieg in diese Lohngruppe erforderlichen Bewährungs- und Tätigkeitszeiten hatte der Kläger, wie das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, bereits vor seiner Suspendierung vom Fahrgastbeförderungsdienst zurückgelegt. Dies ergibt sich aus der in § 4 Abs. 3 des 54. Änderungstarifvertrages enthaltenen Übergangsregelung.
1. Der Kläger weist die für eine Eingruppierung in Lohngruppe F 4 a erforderliche vierjährige Bewährung und anschließende weitere vierjährige Tätigkeit als Fahrer von Einmannwagen auf.
a) Der Kläger war seit 1975 als Fahrer von Einmannwagen im Bus- und im Straßenbahnbetrieb tätig und hat sich in dieser Tätigkeit, wie die Beklagte ihm 1981 ausdrücklich mitgeteilt hat, auch bewährt. Zu diesem Zeitpunkt wies er also die mindestens vierjährige Bewährung in einer Tätigkeit der Lohngruppe F 3 Abschn. a auf, deren es zur Eingruppierung in Lohngruppe F 4 bedarf.
b) Die Eingruppierung in Lohngruppe F 4 a erfordert eine vierjährige Tätigkeit in der Lohngruppe F 4, ohne daß es insoweit noch auf eine Bewährung oder sonstige zusätzliche Voraussetzungen ankäme. Diese vierjährige weitere Tätigkeit als Fahrer von Einmannwagen hatte der Kläger am 1. Oktober 1985 erbracht und damit die für eine Eingruppierung in Lohngruppe F 4 a geforderten Voraussetzungen erfüllt.
2. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß der 54. Änderungstarifvertrag, durch dessen § 3 das Lohngruppenverzeichnis zum BZT-G/NRW neu gefaßt worden ist, erst zum 1. Oktober 1990 in Kraft getreten ist. Nach § 4 Abs. 3 des 54. Änderungstarifvertrages sind nämlich für die Ermittlung von Bewährungs- und Tätigkeitszeiten als Voraussetzung für die Eingruppierung des Klägers auch vor dem 1. Oktober 1990 liegende Zeiten so zu berücksichtigen, als hätte das Lohngruppenverzeichnis in der seit dem 1. Oktober 1990 geltenden Fassung schon vor diesem Zeitpunkt gegolten. Die einzige hierfür in dieser Übergangsvorschrift aufgestellte Voraussetzung, der Bestand des Arbeitsverhältnisses zu demselben Arbeitgeber über den 30. September 1990 hinaus, wird vom Kläger erfüllt.
a) Die tarifliche Übergangsregelung ist wirksam. Bedenken hiergegen deswegen, weil sie vor ihrem Inkrafttreten liegende Zeiten zur Grundlage von Eingruppierungsansprüchen macht, bestehen nicht. Hierin liegt keine unzulässige Rückwirkung des Tarifvertrages, da der auf das neu gefaßte Lohngruppenverzeichnis gestützte Vergütungsanspruch nur Zeiten seit dessen Inkrafttreten umfassen kann. So hat der Senat auch die insoweit gleichgelagerte Frage, ob bei der Eingruppierung aufgrund von Vergütungsrichtlinien für Lehrer auf Bewährungszeiten abgestellt werden kann, die vor deren Anwendbarkeit liegen, bejaht und Bedenken wegen eines möglicherweise rückwirkenden Charakters der Regelung - sog. unechte Rückwirkung - ausdrücklich ausgeschlossen (Senatsurteile vom 25. September 1991 - 4 AZR 631/90 - und - 4 AZR 33/91 - AP Nr. 13 und 14 zu § 2 BeschFG 1985).
b) Gegen die Berücksichtigung der früheren Bewährungs- und Tätigkeitszeiten des Klägers greift auch der Einwand der Beklagten nicht durch, daß der Kläger bei Inkrafttreten des 54. Änderungstarifvertrages nicht in der Fahrgastbeförderung tätig gewesen sei und sich daher auch nicht auf § 4 Abs. 3 dieses Tarifvertrages berufen könne. Aus dem Wortlaut der Bestimmung ergeben sich, wie die Beklagte selbst einräumt, keine Anhaltspunkte dafür, daß § 4 Abs. 3 die Ausübung einer solchen Tätigkeit bei Inkrafttreten des Änderungstarifvertrages voraussetzt. Auch aus dem Zusammenhang dieser Norm mit anderen Tarifbestimmungen ergibt sich nichts für eine solche Annahme.
Aus § 4 Abs. 3 des 54. Änderungstarifvertrages läßt sich auch sonst kein Regelungszweck entnehmen, der darauf gerichtet wäre, eine Anrechnung von vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrags zurückgelegten Bewährungs- und Tätigkeitszeiten nur für den Fall zuzulassen, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Tarifvertrages die entsprechende Tätigkeit ausgeübt worden ist. Der Zweck dieser Übergangsbestimmung liegt vielmehr offensichtlich darin, die mit der Neufassung des Lohngruppenverzeichnisses geschaffenen Höhergruppierungsmöglichkeiten, die von der Zurücklegung bestimmter Zeiten abhängig sind, auch den Arbeitnehmern zugute kommen zu lassen, die die entsprechenden Tätigkeiten bereits unter der Geltung des früheren Lohngruppenverzeichnisses, das solche Höhergruppierungsmöglichkeiten nicht vorsah, zurückgelegt haben. Insoweit kann es für die Bewertung keine Rolle spielen, ob ein Arbeitnehmer, der bereits die Voraussetzungen für eine Höhergruppierung erfüllt hat, vorübergehend und zufällig im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 54. Änderungstarifvertrages eine andere als die seiner früheren und späteren Eingruppierung zugrunde liegende Tätigkeit ausgeübt hat.
3. Da der Kläger nach § 4 Abs. 3 des 54. Änderungstarifvertrages bereits vor seiner Suspendierung die Bewährungs- und Tätigkeitszeiten zurückgelegt hatte, die für eine Eingruppierung in Lohngruppe F 4 a seit dem 1. Oktober 1990 erforderlich sind, kommt es nicht mehr auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage an, ob die Zeiten, in denen der Kläger gegen seinen Willen nicht in der Fahrgastbeförderung eingesetzt war, als Tätigkeitszeiten in Lohngruppe F 4 gewertet werden können oder nicht.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Schaub Bepler Dr. Wißmann
Venzlaff Bruse
Fundstellen
BB 1994, 1016 |
NZA 1995, 93 |
AP § 20 BMT-G II (LT1), Nr 3 |