Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Orthoptistin in Frühförderstelle für Sehgeschädigte
Leitsatz (amtlich)
Eine Orthoptistin, die in einer besonderen Frühförderstelle für Sehgeschädigte die Aufgabe hat, sehgeschädigte Kinder im Vorschulalter zu behandeln, ist nicht nach den Tätigkeitsmerkmalen für “Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst” des Teils II der Anlage 1a zum BAT (VKA) eingruppiert, sondern nach denjenigen für Orthoptistinnen des Teils II der Anlage 1a zum BAT (VKA) “Angestellte in medizinischen Hilfsbe rufen und medizinisch-technischen Berufen”.
Normenkette
BAT 1975 §§ 22-23; Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen, Anlage 1a zum BAT (VKA) Teil II VergGr. VII Fallgr. 29; VergGr. VIb Fallgr. 29; VergGr. VIb Fallgr. 30; VergGr. Vc Fallgr. 27; VergGr. Vc Fallgr. 28; Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst, Anlage 1a zum BAT (VKA) Teil II VergGr. Vb Fallgr. 10; VergGr. IVb Fallgr. 16; VergGr. IVb Fallgr. 17
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 18.06.1993; Aktenzeichen 9 Sa 175/93) |
ArbG Kassel (Urteil vom 13.11.1991; Aktenzeichen 3 Ca 529/90) |
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 18. Juni 1993 – 9 Sa 175/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die zutreffende tarifliche Eingruppierung der Klägerin.
Die Klägerin hat im Jahre 1969 ihre Ausbildung zur Orthoptistin abgeschlossen und wurde vom Regierungspräsidenten in Darmstadt am 28. April 1970 mit Wirkung vom 15. Dezember 1969 als Orthoptistin staatlich anerkannt. In der Folgezeit hat sie rund 16 Jahre bei verschiedenen Arbeitgebern in zeitlich unterschiedlichem Umfang in ihrem erlernten Beruf gearbeitet. Ihre nach landesrechtlichen Bestimmungen erteilte staatliche Anerkennung gilt nach § 11 Abs. 1 Orthoptistengesetz (OrthoptG) vom 28. November 1989 (BGBl I S. 2061 ff.) weiter als Erlaubnis, die Berufsbezeichnung “Orthoptistin” zu führen.
Seit dem 1. Juni 1986 steht die Klägerin in den Diensten des Beklagten und wird von diesem in der der Sehbehindertenabteilung der W… -Schule in K… angegliederten Frühförderstelle für Sehgeschädigte beschäftigt, einer Außenstelle der von ihm getragenen J… -Schule in F… – Schule für Blinde –. Die zentrale Aufgabe dieser Stelle, in der neben der Klägerin zeitweise eine entsprechend vom Unterricht freigestellte Sonderschullehrerin für Sehbehinderte tätig war und ab 1. Februar 1989 eine weitere Halbtagskraft beschäftigt wird, ist die pädagogische Frühförderung sehgeschädigter – nicht blinder –, zu mehr als 50 % mehrfachbehinderter Klein- und Vorschulkinder unter Einbeziehung ihrer Eltern. Die Arbeit umfaßt außerdem die Beratung und Unterstützung von Kindergärtnerinnen, Erzieherinnen in Kindertagesstätten, Heilgymnastinnen und aller sonst an der Frühförderung sehgeschädigter Kinder beteiligter Personen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit medizinischen Fachdiensten wie Augenärzten, Kinderärzten, gegebenenfalls Orthoptistinnen, neuropädiatrischen Einrichtungen u. a. unverzichtbar.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtete sich zunächst nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 2. Juni 1986. Nach dessen § 1 wurde die Klägerin als “Orthoptistin” mit einer durchschnittlichen zehnstündigen wöchentlichen Arbeitszeit (§ 3) eingestellt und erhielt eine pauschale Vergütung von 800,-- DM brutto im Monat (§ 4). Durch Zusatzvertrag vom 1. September 1986 wurde ihre Arbeitszeit auf durchschnittlich 15 Stunden wöchentlich verlängert und ihre pauschale Vergütung auf 1.200,-- DM brutto im Monat erhöht. Mit Wirkung vom 1. Mai 1987 wurde die Klägerin durch Vertrag vom 23. April 1987 “als Angestellter im Sinne des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) eingestellt … und … als Erzieherin (Angestellte in der Frühförderung) beschäftigt”.
Kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien der BAT in der für den Bereich der Kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung (BAT-VKA).
Seit dem 1. September 1988 erhält die Klägerin für die Dauer ihrer Tätigkeit in der Frühförderstelle eine außertarifliche und widerrufliche Zulage in Höhe des Differenzbetrages zwischen den Vergütungsgruppen VIb und Vc BAT. Nachdem die Klägerin in der Zeit vom 1. Oktober 1990 bis 31. August 1991 mit 75 % der durchschnittlichen regelmäßigen Wochenarbeitszeit einer vollbeschäftigten Angestellten gearbeitet hatte, beträgt ihre Arbeitszeit nunmehr wieder die Hälfte der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten. Seit dem 1. September 1991 hat die Klägerin, die keine feste Arbeitszeit einzuhalten hat, neben ihrer Arbeit Sozialpädagogik an der Fachhochschule F… studiert. Dieses Studium hat sie zwischenzeitlich abgeschlossen. Die Anerkennung der Klägerin als Sozialpädagogin hingegen ist noch nicht erfolgt. Diese setzt noch die Ableistung des Praktikums voraus.
Mit Schreiben vom 8. November 1988, bei der J… -Schule eingegangen am 9. November 1988, beantragte die Klägerin ihre Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Vc BAT. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 8. März 1989 ab. Mit Schreiben ihrer Gewerkschaft vom 18. Dezember 1989, dem eine Vollmacht der Klägerin beilag, bei dem Beklagten eingegangen am 3. Januar 1990, beantragte sie ihre Eingruppierung in die Vergütungsgruppe IVb BAT. Auch diesen Antrag lehnte der Beklagte unter dem 6. Februar 1990 ab. Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Höhergruppierung, zunächst ab Mai 1988 in die Vergütungsgruppe Vc BAT, ab Juli 1989 in die Vergütungsgruppe IVb BAT weiter.
Die ihr übertragenen Aufgaben und den darauf entfallenden Anteil an ihrer Gesamtarbeitszeit hat die Klägerin wie folgt beschrieben:
1. |
Einleitung, Planung und Durchführung ambulanter Frühförderung und Hausfrühförderung bei sehgeschädigten Kleinkindern bis 6 Jahre durch Elternberatung und Elternanleitung |
57,14 % |
2. |
Arbeit mit Gruppen (Eltern-, Kind-, Spielgruppe in der Beratungsstelle, Fortbildungsgesprächskreis für Angehörige) |
2,3 % |
3. |
Fördermaßnahmen im Kindergarten |
4,8 % |
4. |
Interdisziplinäre Zusammenarbeit |
7,1 % |
5. |
Öffentlichkeitsarbeit |
3,6 % |
6. |
Verwaltungs- und Organisationstätigkeit |
12 % |
7. |
Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen |
1,2 % |
8. |
Mitarbeit in unterschiedlichen Verbänden, Arbeitskreisen, Treffen mit Kostenträgern |
12 % |
Die Klägerin hat vorgetragen, ihre Tätigkeit werde nicht durch die besonderen Tarifmerkmale im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes erfaßt; vielmehr kämen die allgemeinen Eingruppierungsmerkmale zur Anwendung. Ihre Tätigkeit entspreche den Merkmalen der Vergütungsgruppe IVb Fallgruppe 1a BAT, denn sie erfordere gründliche, umfassende Fachkenntnisse und selbständige Leistungen im Sinne der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 1a und hebe sich dadurch aus dieser heraus, daß sie besonders verantwortungsvoll sei.
Für den Inhalt ihrer Tätigkeit sei wesentlich, daß sich ihre Beratung an die Eltern richte. Sie solle die Kompetenz der Eltern im alltäglichen Umgang mit der Sehschädigung ihres Kindes stärken. Das heiße auch, in der Familie Kommunikationsstrukturen aufzubauen, die auf die Behinderung des Kindes ausgerichtet seien. Ihre pädagogische Einflußnahme erfolge daher auch über die Erzieherin im Kindergarten oder in der Krabbelgruppe. Ihre Arbeit sei nicht die einer Erzieherin, weil sie nicht an die Stelle der Eltern trete, sondern diese einbezogen blieben. Ihre Tätigkeit sei als die entsprechende Tätigkeit von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung zu qualifizieren. Da sie aber nicht die Anerkennung als Sozialpädagogin aufweise, sei sie als Angestellte im sonstigen Innendienst eingruppiert. Trotz ihrer Ausbildung sei sie nicht als Orthoptistin tätig, denn sie arbeite nicht medizinisch-therapeutisch, sondern in der pädagogischen Frühförderung. Stellen in diesem Bereich besetze der Beklagte seit 1990 nur noch mit ausgebildeten Sozialpädagogen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit vom 15. Mai 1988 bis 14. Juni 1989 Vergütung nach Vergütungsgruppe Vc BAT zu zahlen,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 3. Juli 1989 Vergütung nach Vergütungsgruppe IVb BAT zu zahlen,
- den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin für die Zeit vom 3. Juli 1989 bis 31. Dezember 1989 monatlich eine allgemeine Zulage in Höhe von 100,-- DM unter Anrechnung der in diesem Zeitraum gezahlten allgemeinen Zulage zu zahlen,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die Differenz zwischen der an sie im Jahre 1988 gezahlten Zuwendung und der ihr aufgrund einer Vergütung nach Vergütungsgruppe Vc BAT zustehenden Zuwendung zu zahlen,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die Differenz zwischen der an sie im Jahre 1989 gezahlten Zuwendung und der ihr aufgrund einer Vergütung nach Vergütungsgruppe IVb BAT zustehenden Zuwendung zu zahlen,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die Differenz zwischen der im Jahre 1990 gezahlten Zuwendung und der ihr aufgrund einer Vergütung nach Vergütungsgruppe IVb BAT zustehenden Zuwendung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat zunächst vorgetragen, die Arbeit der Klägerin sei in erster Linie pädagogischer Natur. Es sei ihre wesentliche Aufgabe, bei den sehgeschädigten Kleinkindern durch bestimmte Tests Restsinne zu erfassen und ihnen durch eine gezielte Therapie und Beratung zu ermöglichen, diese Restsinne zu entwickeln, damit sie später im beruflichen und privaten Leben bestehen könnten. Auch die Beratung, Aufklärung und Anleitung der Eltern sei Teil der Erziehung. Die Klägerin sei Erzieherin und als solche nach den Merkmalen für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst zutreffend eingruppiert. Im zweiten Rechtszug hat der Beklagte dann die Auffassung vertreten, auf die Tätigkeit der Klägerin seien in Anwendung der Vorbemerkung Nr. 3 zu allen Vergütungsgruppen die Tatbestandsmerkmale für Orthoptistinnen anzuwenden. Die Klägerin habe eine entprechende Fachausbildung und sei bei ihm in ihrem Beruf tätig. Danach sei sie in die Vergütungsgruppe VIb nach Fallgr. 30 BAT-VKA richtig eingruppiert.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin unter Neufassung ihrer Anträge ihre Ansprüche weiterverfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zurückweisung der Berufung im übrigen festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab dem 1. Mai 1988 Vergütung nach der Vergütungsgruppe Vc BAT und ab dem 1. Mai 1990 Vergütung nach der Vergütungsgruppe Vb BAT zu zahlen und die bis dahin aufgelaufenen monatlichen Nettodifferenzbeträge mit 4 v. H. zu verzinsen. Mit ihrer zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Feststellung eines Anspruchs auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe IVb BAT ab 1. Januar 1991. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung nach der Vergütungsgruppe IVb BAT. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Klägerin als Orthoptistin bis zum 30. April 1990 in die Vergütungsgruppe Vc BAT, danach in die Vergütungsgruppe Vb BAT eingruppiert ist.
I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die im öffentlichen Dienst allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (z. B. Senatsurteil vom 19. März 1986 – 4 AZR 470/84 – AP Nr. 114 zu §§ 22, 23 BAT 1975).
Der Feststellungsantrag ist auch zulässig, soweit er Zinsforderungen zum Gegenstand hat. In Eingruppierungsstreitigkeiten ist ein Feststellungsantrag nach § 256 ZPO nämlich nicht nur für die Hauptsache, sondern ebenso für die Zinsforderung zulässig. Dies ergibt sich daraus, daß die im Verhältnis zur Hauptschuld akzessorische Zinsforderung auch in prozessualer Hinsicht das rechtliche Schicksal der Hauptforderung teilen soll (BAGE 22, 247, 249 = AP Nr. 30 zu §§ 22, 23 BAT).
II. Die Klage ist aber, soweit die Klägerin Vergütung nach der Vergütungsgruppe IVb BAT fordert, unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen für diesen Anspruch verneint.
1. Dem Vergütungsanspruch der Klägerin steht nicht schon der Umstand entgegen, daß in dem Arbeitsvertrag der Parteien vom 23. April 1987 die Eingruppierung der Klägerin in die Vergütungsgruppe VIb BAT, an der sich in der Folgezeit nichts geändert hat, vereinbart ist. Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich um einen formularmäßigen Vertrag, so daß der Senat ihn selbständig auslegen kann (BAGE 24, 198, 202 = AP Nr. 2 zu § 111 BBiG, zu 2a der Gründe; BAG Urteil vom 20. Februar 1991 – 4 AZR 377/90 – ZTR 1991, 296). Wird – wie vorliegend – in einem Arbeitsvertrag auf die einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen Bezug genommen, ist davon auszugehen, daß sich die Eingruppierung des Arbeitnehmers nach der zutreffenden Vergütungsgruppe richten soll. Dies gilt auch dann, wenn in einer nachfolgenden Bestimmung des Arbeitsvertrages auf eine bestimmte Vergütungsgruppe verwiesen wird. Dieser Verweisung kommt nur die Bedeutung zu, festzulegen, welche Vergütungsgruppe die Parteien einmal als zutreffend angesehen haben (BAG Urteil vom 12. Dezember 1990 – 4 AZR 306/90 – EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 4 = ZTR 1991, 199; BAG Urteil vom 20. Februar 1991 – 4 AZR 377/90 – ZTR 1991, 296).
2. Kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit unterliegt das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien dem BAT-VKA.
a) Damit kommt es für die Eingruppierung der Klägerin nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT darauf an, ob in der Tätigkeit der Klägerin zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale der von der Klägerin in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe IVb der Anl. 1a zum BAT-VKA erfüllen. Dabei ist von dem von der Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs auszugehen: Darunter ist eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten zu verstehen (vgl. BAGE 51, 59, 65 = AP Nr. 115 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAGE 51, 282, 287 = AP Nr. 116 zu §§ 22, 23 BAT 1975; BAGE 51, 356, 360 = AP Nr. 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975; jeweils m. w. N.).
b) An diese Grundsätze hat sich das Berufungsgericht gehalten. Es hat für den konkreten Fall angenommen, die gesamte Tätigkeit der Klägerin bilde einen einzigen großen Arbeitsvorgang. Ihre Aufgabe sei die Frühförderung sehgeschädigter Kinder bis zum Schulalter. Dazu gehöre das Erstgespräch, das Heranziehen der Diagnose, die Durchführung von ambulanter und Hausfrühförderung und Arbeit mit dem Kind, die Arbeit mit Gruppen sowie Fördermaßnahmen im Kindergarten. Diese Teiltätigkeiten stellten, von einander untrennbar, den abgrenzbaren Kern der Arbeit der Klägerin mit dem Ziel der Erhaltung der Restsehfähigkeit des Kindes und der Einstellung der Lebensumstände des Kindes und seiner Familie als abgrenzbares Arbeitsergebnis dar. Diesem Ergebnis dienten alle Bemühungen der Klägerin. Die übrigen von ihr genannten Teil tätigkeiten seien als Zusammenhangstätigkeiten anzusehen, als zeitlich nicht ins Gewicht fallende Arbeiten, die der Vorbereitung und Durchführung der eigentlichen Aufgaben dienten, diese erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen sollten. Dabei könne dahinstehen, ob einzelne Arbeiten von der Klägerin überhaupt tatsächlich wahrgenommen würden oder zu ihren Aufgaben gehörten, weil sich durch ihren Wegfall nichts am Arbeitsvorgang ändern würde.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Dies gilt insbesondere für die Bedeutung der Zusammenhangstätigkeiten. Diese sind nicht von den Einzelaufgaben zu trennen und bei der Bewertung des Umfangs der selbständigen Arbeitsvorgänge mitzuberücksichtigen. Eine selbständige Bewertung einer Zusammenhangstätigkeit innerhalb eines Arbeitsvorgangs kommt nicht in Betracht. Die Zusammenhangstätigkeit ist vielmehr der Hauptarbeit zuzurechnen und wie diese zu bewerten (Senatsurteil vom 14. November 1979 – 4 AZR 1099/77 – BAGE 32, 175 = AP Nr. 3 zu §§ 22, 23 KnAT).
c) Nachdem die Klägerin in der Revisionsinstanz selbst nicht mehr geltend macht, für ihre Eingruppierung seien die allgemeinen Merkmale der Anlage 1a heranzuziehen – darin stimmt sie mit der Beklagten, die diesen Standpunkt von Anfang an eingenommen hat, überein –, kommen für ihre Eingruppierung noch folgende Tätigkeitsmerkmale in Betracht:
aa) Tätigkeitsmerkmale des Teils II der Anlage 1a zum BAT-VKA “Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen”:
Vergütungsgruppe VII
- …
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung während der ersten sechs Monate der Berufsausübung nach erlangter staatlicher Anerkennung bzw. nach Abschluß der genannten Fachausbildung.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 2)
Vergütungsgruppe VIb
- …
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung und entsprechender Tätigkeit, die in nicht unerheblichem Umfange schwierige Aufgaben erfüllen.
(“Schwierige Aufgaben” sind z. B. die Behandlung eingefahrener beidäugiger Anomalien, exzentrischer Fixaktionen und Kleinstanomalien.)
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 2 und 12)
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung und entsprechender Tätigkeit nach sechsmonatiger Berufsausübung nach erlangter staatlicher Anerkennung bzw. nach Abschluß der genannten Fachausbildung.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 2)
…
Vergütungsgruppe Vc
- …
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung und entsprechender Tätigkeit nach sechsmonatiger Berufsausübung nach erlangter staatlicher Anerkennung bzw. nach Abschluß der genannten Fachausbildung, die überwiegend schwierige Aufgaben im Sinne der Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 29 erfüllen.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 2)
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 29 nach zweijähriger Bewährung in dieser Tätigkeit.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 2)
Vergütungsgruppe Vb
- …
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 27 nach dreijähriger Bewährung in dieser Tätigkeit.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 2)
…
Vergütungsgruppe IVb
- …
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung, die als Erste Lehrkräfte an Lehranstalten für Orthoptistinnen eingesetzt sind.
(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 2, 3 und 4)
Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien mit Prüfung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 28, 30 oder 31 nach zweijähriger Bewährung in einer dieser Tätigkeiten.
(Hierzu Protokollerklärung Nr. 2)
Protokollerklärungen:
…
Nr. 2
Angestellte, die beim Inkrafttreten dieses Tarifvertrages im Arbeitsverhältnis stehen und bis dahin bei demselben Arbeitgeber ein Tätigkeitsmerkmal der Anlage 1a zum BAT für “Orthoptistinnen mit Prüfung” in der bis zum Inkrafttreten dieses Tarifvertrages geltenden Fassung erfüllen, ohne die staatliche Anerkennung oder eine mindestens zweijährige Fachausbildung an einer Universitätsklinik oder medizinischen Akademie zu besitzen, werden nach den Tätigkeitsmerkmalen für Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung eingruppiert.
…
§ 7 des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1a zum BAT vom 24. April 1991 hat folgenden Wortlaut:
Übergangsvorschrift für den Bereich der VKA für die unter das Gesetz über den Beruf der Orthoptistin und des Orthoptisten fallenden Angestellten:
Auf die Angestellten, die unter das Gesetz über den Beruf der Orthoptistin und des Orthoptisten vom 28. November 1989 (BGBl I S. 2061) fallen, werden bis zu einer anderweitigen tariflichen Regelung die Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1a zum BAT in der Fassung des § 2 des Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1a zum BAT (Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen) vom 5. August 1971 für Orthoptistinnen mit staatlicher Anerkennung oder mit mindestens zweijähriger Fachausbildung an Universitätskliniken oder medizinischen Akademien angewendet.
bb) Tätigkeitsmerkmale des Teils II der Anl. 1a zum BAT-VKA “Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst”:
Vergütungsgruppe Vb
- …
- Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben.
Vergütungsgruppe IVb
- …
Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben,
mit schwierigen Tätigkeiten.$
…
Sozialarbeiter/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Angestellte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben,
nach zweijähriger Bewährung in Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 10.$
…
d) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Feststellung der richtigen tariflichen Vergütungsgruppe der Klägerin sei letztlich auf den Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1a zum Bundes-Angestelltarifvertrag vom 5. August 1971 (Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen) zurückzugreifen. Die Tätigkeit der Klägerin sei im BAT als solche nicht ausdrücklich geregelt. Es liege eine unbewußte Tariflücke vor. Und zwar sei die Arbeit der Klägerin möglicherweise die einer Sozialpädagogin. Die Tatbestandsmerkmale für Sozialpädagoginnen könnten jedoch nicht herangezogen werden, weil die Klägerin – noch – nicht Diplomsozialarbeitern/pädagogin sei und die entsprechenden Fallgruppen des genannten Tarifvertrages für diese Angestellten nicht die Eingruppierung als “sonstige Angestellte” vorsähen. Die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsordnung könnten auf das Arbeitsverhältnis nicht angewandt werden, weil dies voraussetze, daß die betreffende Tätigkeit trotz ihrer Besonderheit noch einen unmittelbaren Bezug zu den eigentlichen Verwaltungsaufgaben habe, was bei der Tätigkeit der Klägerin nicht der Fall sei. Danach sei die Tariflücke unter Anwendung der Tatbestandsmerkmale zu schließen, die der Tätigkeit der Klägerin nach Artverwandtheit und Vergleichbarkeit am nächsten kämen. Dies seien die für Orthoptistinnen. Wenn auch die konkrete Tätigkeit der Klägerin stark sozialpädagogisch geprägt sei, befähige sie doch gerade auch ihre Ausbildung zur Orthoptistin dazu, ihre Arbeit sachgerecht zum Wohle der sehbehinderten Kinder auszuüben. Demnach sei die Klägerin als Orthoptistin eingruppiert. Ab 1. Mai 1988 habe sie die Voraussetzungen der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 27 BAT erfüllt. In dieser habe sie sich am 1. Mai 1990 drei Jahre bewährt, so daß sie seit diesem Zeitpunkt Vergütung nach der Vergütungsgruppe Vb Fallgruppe 29 BAT beanspruchen könne.
e) Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist jedenfalls im Ergebnis zu folgen.
aa) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Klägerin sei nicht in die allgemeinen Merkmale der Anlage 1a eingruppiert. Die allgemeinen tariflichen Tätigkeitsmerkmale haben nach ständiger Senatsrechtsprechung zwar eine Auffangfunktion und können deshalb bei Fehlen spezieller Tätigkeitsmerkmale für die zu bewertende Tätigkeit auch für solche Aufgaben herangezogen werden, die nicht zu den eigentlichen behördlichen bzw. zu den herkömmlichen Verwaltungsaufgaben im engeren Sinne zählen. Diese Möglichkeit besteht allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann, wenn die betreffende Tätigkeit trotz ihrer Spezialität noch einen unmittelbaren Bezug zu den eigentlichen allgemeinen Verwaltungsaufgaben hat (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 1991 – 4 AZR 429/90 – AP Nr. 157 zu §§ 22, 23 BAT 1975, zu II 3 der Gründe, m. w. N; BAG Urteil vom 15. Juni 1994 – 4 AZR 330/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Hieran fehlt es bei der Tätigkeit der Klägerin, die ihrer Art nach in den medizinischen Bereich gehört, so daß die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale weder unmittelbar noch entsprechend angewandt werden können. Dies wäre auch dann der Fall, wenn die Klägerin als Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst eingruppiert wäre, wie sie geltend macht. Hinsichtlich der Nichtanwendbarkeit der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale für die Eingruppierung der Klägerin stimmen die Parteien in der Revisionsinstanz überein. Nähere Ausführungen dazu sind daher entbehrlich.
bb) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Klägerin in die Fallgruppen für Orthoptisten des Teils II Abschn. D der Anl. 1a zum BAT-VKA (Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinisch-technischen Berufen) eingruppiert ist. Diese sind entgegen der vom Landesarbeitsgericht vertretenen Auffassung nicht zur Schließung einer unbewußten Tariflücke heranzuziehen, sondern regeln auf der Grundlage des Vortrags der Parteien in diesem Rechtsstreit die Eingruppierung der Klägerin unmittelbar.
Der überwiegende Anteil der Arbeitszeit der Klägerin entfällt auf die Einleitung, Planung und Durchführung ambulanter Frühförderung und Hausfrühförderung bei sehgeschädigten Kleinkindern bis zum Alter von sechs Jahren unter Einbeziehung der Eltern. Für die Bewältigung dieser Aufgabe sind ihre beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen als Orthoptistin unabdingbar.
Der Beruf der Orthoptistin, zu dem man seit 1951 in Deutschland ausgebildet werden kann, gehört zur Gruppe der medizinischen Fachberufe im Gesundheitswesen. Es ist die Aufgabe der Orthoptistin, vor allem bei der Vorsorge (Prävention), bei der Untersuchung (Diagnose) und bei der Behandlung (Therapie) von Störungen des Einzelauges (Pleoptik) und von Störungen im Zusammenwirken beider Augen (Orthoptik), hervorgerufen durch Schielerkrankungen, Sehschwäche und Augenzittern, mitzuwirken (vgl. § 3 OrthoptG). Dabei trägt die Orthoptistin ein hohes Maß an eigener Verantwortlichkeit. Ihr obliegt zudem die Überwachung der therapeutischen Maßnahmen wie das Tragen einer Brille, das Abdecken eines Auges, das Tragen von speziellen Gläsern (Prismen), die Anwendung von Augentropfen usw. Die Aufklärung und Beratung der Patienten bzw. Eltern fällt ebenfalls in ihr Aufgabengebiet (Blätter für Berufskunde, Bd. 2, Stand Juni 1993, 2-II A 26, zu Ziff. 1.1). Die Aufgabenstellung einer Orthoptistin gibt auch der Tätigkeit der Klägerin in der Frühförderstelle für Sehgeschädigte das Gepräge.
cc) Frühförderung erfolgt in Hessen, wo sie sich verstärkt in den 80iger Jahren entwickelt hat, in 44 allgemeinen Frühförderstellen, daneben in besonderen Frühförderstellen, nämlich sechs Frühförderstellen für Sehgeschädigte, vier für Hörgeschädigte und zwei für Autistinnen und Autisten (Anwort der Hess. Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit vom 23. April 1993 auf eine Kleine Anfrage betreffend Frühförderstellen, Drucks. 13/4151 des Hessischen Landtages vom 30. April 1993). Unter Frühförderung wird nach den Vorläufigen Richtlinien des Hessischen Sozialministers vom 25. März 1987 (Staatsanzeiger 1987 S. 803 – 805), die Früherkennung, Frühbehandlung und pädagogische Frühförderung behinderter, von Behinderung bedrohter sowie entwicklungsgefährdeter bzw. entwicklungsverzögerter Kinder verstanden. Ziel der Frühförderung ist es insbesondere, die Kinder in ihrer Entwicklung so zu fördern, daß sie ihre Anlagen und Fähigkeiten entfalten und am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen können. Dafür sind medizinische, psychologische, pädagogische und soziale Maßnahmen als Bestandteil eines integralen und nicht lediglich additiven Rehabilitations – und Förderungskonzepts vorzusehen.
Es wird zwar zutreffen, daß für Aufgaben in der Frühförderung überwiegend Sozialpädagogen angestellt werden, besonders im Bereich der allgemeinen Frühförderung, und daß der Beklagte seit 1990 Stellen in der Frühförderung nur noch mit ausgebildeten Sozialpädagogen besetzt, wie die Klägerin behauptet. Die Klägerin ist jedoch nicht in einer allgemeinen Frühförderstelle beschäftigt, sondern in einer Frühförderstelle für Sehgeschädigte. Diese wirkt nach Ziff. 2.5.3 der Vorläufigen Richtlinien für die Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter sowie entwicklungsgefährdeter bzw. entwicklungsverzögerter Kinder vom 25. März 1987 bei der Früherkennung im Rahmen der Früherkennungsuntersuchungen sowie der rechtzeitigen und entwicklungsgerechten Behandlung und Frühförderung blinder und sehgeschädigter Kinder mit. Ohne medizinische Fachkenntnisse, wie sie die Ausbildung zur Orthoptistin vermittelt, ist die Förderung sehgeschädigter Kinder nicht zu leisten. Dementsprechend ist in den Blättern für Berufskunde als Betätigungsfeld der Orthoptistin ausdrücklich auch ihre Beschäftigung “in der Frühförderung” genannt (Blätter für Berufskunde, aaO, zu Ziff. 1.2.2). Auch in der bereits behandelten Anwort der Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit vom 23. April 1993 ist bei der Beantwortung der Frage 2 von der Bereitstellung von Mitteln zur “Sicherstellung der Finanzierung medizinisch-therapeutischer Frühförderung (insbesondere bei Festanstellung von Therapeutinnen oder Therapeuten)” die Rede. Daraus ergibt sich, daß der Frühförderer nicht zwingend Sozialpädagoge ist, sondern in der Frühförderung auch Angestellte mit medizinischen-therapeutischen Aufgaben beschäftigt werden.
Es ist zwar nicht zu bezweifeln, daß die Tätigkeit der Klägerin pädagogische Elemente beinhaltet und sie ohne ein bestimmtes Maß an pädagogischer Eignung sowie von Kenntnissen und Erfahrungen auf diesem Gebiet in einer Frühförderstelle für Sehgeschädigte kaum erfolgreich wird arbeiten können. Zur theoretischen Ausbildung einer Orthoptistin gehören jedoch u. a. auch die Themen “Psychologie des Kindes” und “Umgang mit sehbehinderten und verhaltensgestörten Kindern” (Ziff. 3.7 und 3.8 der Anl. 1 zu § 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Orthoptistinnen und Orthoptisten vom 21. März 1990 ≪OrthoptAPrV≫ BGBl I S. 563, 567). Praktisch wird die Orthoptistin in “Gesprächsführung und Beratung” ausgebildet (Ziff. 4 der Anl. 2 zu § 1 OrthoptAPrV), denn die Beratung der Geschädigten bzw. ihrer Eltern fällt ebenfalls in ihr Aufgabengebiet.
Die Aufgabe der Klägerin, die Ausnutzung der eventuell verbliebenen Sehfähigkeit zu erweitern, die Begleiterscheinungen einer Sehschädigung zu behandeln bzw. einer durch sie bedingten Entwicklungsverzögerung vorzubeugen oder sie zu behandeln – so faßt die Klägerin ihre Aufgabenstellung selbst zusammen –, ist ohne ihre berufliche Ausbildung zur Orthoptistin – und ihre langjährigen Erfahrungen in diesem Beruf – nicht zu leisten. Diese geben ihrer Tätigkeit somit das Gepräge.
Es hätte daher der Klägerin, die geltend macht, sie leiste nicht die Arbeit einer Orthoptistin, sondern die einer Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin, oblegen, nachvollziehbar darzulegen, sozialpädagogische Arbeitsinhalte gäben trotz ihrer Aufgabe, speziell sehgeschädigte Kinder zu fördern, ihrer Tätigkeit das Gepräge. Dies hat die Klägerin, die nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für den von ihr geltend gemachten Vergütungsanspruch trägt (Senatsurteil vom 24. September 1980 – 4 AZR 727/78 – BAGE 34, 158 = AP Nr. 36 zu §§ 22, 23 BAT 1975), versäumt. Sie hat sich darauf beschränkt, immer wieder global den pädagogischen Charakter ihrer Arbeit zu betonen. Außerdem hat sie dargelegt, sie habe sich vielfach pädagogisch und psychologisch weitergebildet, es jedoch unterlassen, konkret darzulegen, inwieweit sie die dabei erworbenen pädagogischen Kenntnisse für ihre Tätigkeit zur Förderung sehgeschädigter Kinder in höherem Maße benötigt als diejenigen, die sie dazu als Orthoptistin einzusetzen hat.
dd) Denkbar ist allerdings, daß in einer Frühförderstelle für Sehgeschädigte mehrere Orthoptistinnen tätig sind, von denen eine oder mehrere speziell im Aufgabenbereich ihres Berufes, die andere(n) für davon zu trennende pädagogische Aufgaben zuständig ist (sind). Diese Voraussetzung kann aber bei der Frühförderstelle für Sehgeschädigte, in der die Klägerin zeitweise als einzige Arbeitskraft tätig war, für diesen Zeitraum nicht vorliegen. Welche Ausbildung die seit dem 1. Februar 1989 zusätzlich beschäftigte Halbtagskraft hat, ob sie also ebenfalls Orthoptistin ist oder über eine andere berufliche Vorbildung verfügt, hat die Klägerin nicht vorgetragen; nach ihrem eigenen Vortrag ist sie selbst aber mit Aufgaben betraut, die das Gepräge derjenigen einer Orthoptistin haben.
f) Die Klägerin ist somit als Orthoptistin eingruppiert. Dies führt zu ihrer Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Vc BAT ab 1. Mai 1988 und in die Vergütungsgruppe Vb ab dem 1. Mai 1990. Da die Klägerin, wie sie klargestellt hat, aus den Spezialfallgruppen für Orthoptistinnen für sich selbst keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung herleitet, bedarf dies keiner weiteren Begründung.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schneider, Friedrich, Bott, Kiefer, Winterholler
Fundstellen
Haufe-Index 856768 |
NZA 1995, 595 |