Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsurlaub. tarifliche Sonderzahlung
Normenkette
BErzGG § 15
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 28.09.1992; Aktenzeichen 11 Sa 567/92) |
ArbG Köln (Urteil vom 08.05.1992; Aktenzeichen 5 Ca 1261/92) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 28. September 1992 – 11 Sa 567/92 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine tarifliche Jahressonderzahlung für das Jahr 1991.
Die Klägerin ist seit Juni 1983 als kaufmännische Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag über eine Jahressonderzahlung/13. Monatsgehalt für Angestellte in der Lederwaren-, Kunststoffwaren- und Kofferindustrie vom 17. Dezember 1990 (TV-Sonderzahlung) Anwendung. Dieser Tarifvertrag enthält, soweit vorliegend von Interesse, folgende Regelung:
„§ 2
Voraussetzung und Höhe der Leistungen
1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen ein Jahr angehören, haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 55 %, ab 1992 von 60 % und ab 1994 von 65 % eines Monatseinkommens.
Ausgenommen sind die Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt gekündigt haben.
…
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht oder denen im Kalenderjahr ein Lohnanspruch nicht zusteht, erhalten keine Leistung; liegen diese Voraussetzungen nur für einen Teil des Kalenderjahres vor, so erhalten sie für die in dem Kalenderjahr geleistete Arbeit eine anteilige Zahlung. …
Protokollnotiz:
Es besteht Einigkeit darüber, daß Arbeitnehmerinnen, die unter das Mutterschutzgesetz fallen und erkrankte Arbeitnehmer, nicht von § 2 Ziffer 1 Absatz 4 erfaßt werden, sofern die Fehlzeiten aus diesen Anlässen 14 zusammenhängende Wochen nicht überschreiten.”
Die Klägerin nahm ab 30. Mai 1991 Erziehungsurlaub. Im Hinblick darauf gewährte ihr die Beklagte für das Jahr 1991 nicht die volle Jahressonderzahlung in Höhe von 2.024,– DM brutto, sondern nur einen Anteil für 5 Monate in Höhe von 843,33 DM brutto.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag geltend. Sie vertritt die Auffassung, es fehle an einer tariflichen Regelung, die die Kürzung der Jahressonderzahlung im Falle der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub zulasse. Das Arbeitsverhältnis ruhe nicht kraft Gesetzes. Eine Kürzung könne auch nicht damit begründet werden, daß ihr während des Erziehungsurlaubs ein Gehaltsanspruch nicht zugestanden habe. Diese Alternative der tariflichen Bestimmung beziehe sich nur auf Fälle, in denen kein Ruhen des Arbeitsverhältnisses vorliege.
Im übrigen enthalte die tarifliche Regelung, soweit durch sie der Anspruch auf eine Jahressonderzahlung bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub gemindert oder ausgeschlossen werde, eine mittelbare Frauendiskriminierung, die gegen Art. 119 EWG- Vertrag verstoße, da Erziehungsurlaub allenfalls von 1 % der anspruchsberechtigten Männer in Anspruch genommen werde.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.180,67 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Februar 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, der Klägerin stehe kein Anspruch auf die volle Jahressonderzahlung zu. Die Tarifvertragsparteien hätten eine Kürzung der Jahressonderzahlung für alle Zeiträume vorgesehen, in denen ein Gehaltsanspruch nicht bestehe. Dazu rechne auch die Zeit des Erziehungsurlaubs. Darin liege keine mittelbare Frauendiskriminierung, da die Regelung in gleicher Weise Männer und Frauen betreffe. Die Protokollnotiz stelle nur klar, daß eine Kürzung wegen der Mutterschutzfristen nicht in Betracht komme.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis mit Recht erkannt, daß der Klägerin ein Anspruch auf die volle Jahressonderzahlung für das Jahr 1991 nicht zusteht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe für die Zeit, in der sie sich im Jahre 1991 im Erziehungsurlaub befand, kein Anspruch auf die Jahressonderzahlung zu. Nach § 2 Ziffer 1 Abs. 4 TV-Sonderzahlung bestehe kein Anspruch für Zeiten, in denen dem Angestellten im Kalenderjahr kein Gehaltsanspruch zustehe. Diese Regelung umfasse auch Zeiten des Erziehungsurlaubs. Aus der Protokollnotiz ergebe sich nur, daß krankheitsbedingte Fehlzeiten bis zu 14 Wochen und gleichlange Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz zu keiner Kürzung der Sonderzahlung führen dürften.
II. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zuzustimmen.
Die Klägerin hat für das Jahr 1991 nach § 2 Ziffer 1 Abs. 4 2. Halbsatz TV-Sonderzahlung nur einen Anspruch auf anteilige Jahressonderzahlung für fünf Monate, den die Beklagte erfüllt hat. Ein darüber hinausgehender Anspruch steht ihr nicht zu, da ihr Arbeitsverhältnis in der Zeit von Juni 1991 bis Dezember 1991 wegen der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub kraft Gesetzes geruht hat. Die tarifliche Bestimmung des § 2 Ziffer 1 Abs. 4 TV- Sonderzahlung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
1. Das Landesarbeitsgericht ist bei der Auslegung des tariflichen Rechtsbegriffs des „Ruhens des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes oder Vereinbarung” von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen. Danach lag im Falle der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub kein Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes oder Vereinbarung vor, weil das Arbeitsverhältnis zwar während des Erziehungsurlaubs ruht, diese Rechtsfolge jedoch nicht kraft Gesetzes oder Vereinbarung, sondern durch einseitige Willenserklärung herbeigeführt wird (BAGE 62, 35; 63, 375 = AP Nr. 2 und 3 zu § 15 BErzGG).
2. Diese Rechtsprechung hat der Senat mit Urteil vom 10. Februar 1993 (– 10 AZR 450/91 – DB 1993, 1090) aufgegeben. Dies hat der Senat damit begründet, daß unterschieden werden müsse zwischen der Erklärung des/der anspruchsberechtigten Arbeitnehmers/ Arbeitnehmerin, Erziehungsurlaub zu nehmen, und dem daraus folgenden Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Zwar könne der/die anspruchsberechtigte Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin den Erziehungsurlaub durch einseitige Willenserklärung herbeiführen, die sich aus der Erklärung ergebende Rechtsfolge, eben das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, folge aber nach der ständigen und unangefochtenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus den gesetzlichen Vorschriften des Bundeserziehungsgeldgesetzes und trete damit kraft Gesetzes ein. Dies führe dazu, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung nicht nur bei Arbeitnehmern eingeschränkt oder ausgeschlossen werde, bei denen ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses durch Einberufung zum Wehrdienst ausdrücklich nach § 1 Abs. 1 ArbPlSchG herbeigeführt werde, sondern auch bei denjenigen Arbeitnehmern, bei denen die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses führe.
3. Die tarifliche Regelung des § 2 Ziffer 1 Abs. 4 TV-Sonderzahlung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, soweit sie zur Einschränkung oder zum Ausschluß des Anspruches auf die Sonderzahlung auch bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub führt.
a) Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 3 BErzGG liegt nicht vor.
Nach dieser Vorschrift kann der Anspruch auf Erziehungsurlaub nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden. Eine gesetzeswidrige Einschränkung liegt jedoch nicht vor. Der Anspruch auf Erziehungsurlaub wird nach § 15 Abs. 3 BErzGG nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen des Bundeserziehungsgeldgesetzes geschützt. Aus diesen ergibt sich, daß während des Erziehungsurlaubs die beiderseitigen Hauptflichten des Arbeitsverhältnisses und damit auch die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der Vergütung suspendiert sind. Knüpfen die Tarifvertragsparteien an diese Rechtsfolge des Erziehungsurlaubs, nämlich das Ruhen des Arbeitsverhältnisses an, und bestimmen sie, daß in diesem Falle auch die Pflicht zur Zahlung einer tariflichen Sonderzahlung nicht besteht, so geht diese Regelung nicht über das hinaus, was sich ohnehin für andere Vergütungsbestandteile aus den gesetzlichen Vorschriften des Bundeserziehungsgeldgesetzes ergibt (BAG Urteil vom 24. November 1993 – 10 AZR 704/92 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 8. Juni 1989 – 8 AZR 641/87 – EzA § 17 BErzGG Nr. 3 im Anschluß an das Urteil vom 8. Oktober 1986 – 5 AZR 582/85 – AP Nr. 7 zu § 8 a MuSchG 1968) und des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 66, 169 = AP Nr. 135 zu § 611 BGB Gratifikation) zur Kürzung von Sonderzahlungen für Zeiten des Erziehungsurlaubs bzw. des früheren Mutterschaftsurlaubs.
b) Die tarifliche Regelung enthält auch keine mittelbare Diskriminierung der den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmenden Frauen, die nach Art. 119 EWG-Vertrag unwirksam wäre.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts verbietet Art. 119 EWG-Vertrag und die Richtlinie 75/117 EWG auch eine mittelbare Diskriminierung im Entgeltbereich. Eine für Männer und Frauen in gleicher Weise geltende Rechtsnorm enthält dann eine gegen diese Bestimmung verstoßende mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, wenn sie erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft und nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 2. Dezember 1992 – 4 AZR 152/92 – ZTR 1993, 198; Urteil vom 26. Mai 1993 – 5 AZR 184/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Insoweit macht die Klägerin geltend, daß die tarifliche Regelung § 2 Ziff. 1 Abs. 4 TV-Sonderzahlung zu einer mittelbaren Frauendiskriminierung führe, da Erziehungsurlaub weit überwiegend von Frauen und nicht von Männern in Anspruch genommen werde (vgl. Mauer/Schmidt, BB 1991, 1779, 1783).
Dies mag zutreffen. Wie der Senat bereits im Urteil vom 24. November 1993 (– 10 AZR 704/92 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) ausgeführt hat, knüpft die tarifliche Regelung hinsichtlich der Einschränkung und des Ausschlusses des Anspruchs auf die Sonderzahlung jedoch – unterschiedslos für Männer und Frauen – an das Ruhen des Arbeitsverhältnisses und damit an die Suspendierung der gegenseitigen Hauptpflichten im Arbeitsverhältnis an. Insoweit läßt sich schon nicht feststellen, daß die Regelung erheblich mehr Angehörige des einen als des anderen Geschlechts nachteilig trifft. Wenn einerseits bei der Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub weit überwiegend Frauen betroffen sind, so werden beim Ruhen des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Einberufung zum Wehrdienst ausschließlich Männer von der tariflichen Bestimmung erfaßt. Auch für andere Fälle, in denen ein Arbeitsverhältnis ruht, läßt sich nicht feststellen, daß nur Männer oder Frauen von der Regelung nachteilig betroffen werden. Damit fehlt es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
c) Aus den gleichen Gründen scheidet auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG aus.
d) Soweit eine unterschiedliche Behandlung gegenüber solchen Arbeitnehmern erfolgt, deren Arbeitsverhältnis während des Bezugszeitraums nicht ruht, liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmergruppen nur, wenn zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 82, 126, 146). Der Unterschied zwischen ruhenden und nichtruhenden Arbeitsverhältnissen ist jedoch so gewichtig, daß eine unterschiedliche Regelung nicht nur hinsichtlich des Arbeitsentgelts, sondern auch bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen zum Arbeitsentgelt gerechtfertigt ist.
e) Die tarifliche Regelung verstößt auch nicht gegen Art. 6 Abs. 4 GG. Danach hat jede Mutter Anspruch auf Schutz und Fürsorge durch die Gemeinschaft. Verfassungsrechtlich garantiert ist damit aber nicht ein Anspruch auf Arbeitsentgelt für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis aufgrund einer gesetzlichen Regelung ruht, deren Ziel es u.a. gerade ist, der Mutter zu ermöglichen, sich von den Nachwirkungen der Schwangerschaft und der Entbindung über die Schutzfrist des § 6 MuSchG hinaus zu erholen (vgl. Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 1986, § 15 BErzGG Anm. 2).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Hickler, Femppel
Fundstellen