Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitwirkungspflicht eines Orchestermusikers

 

Normenkette

TV für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 (TVK) § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 09.01.1989; Aktenzeichen 10 Sa 1554/88)

ArbG Wuppertal (Urteil vom 18.10.1988; Aktenzeichen 7 Ca 979/88)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 9. Januar 1989 – 10 Sa 1554/88 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Umfang der Mitwirkungspflicht der Kläger in öffentlichen Konzerten.

Die Beklagte unterhält ein Sinfonieorchester, in dem die Kläger als Musiker beschäftigt sind. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 in der jeweils gültigen Fassung kraft Tarifbindung und aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen Anwendung. In dessen § 7 Abs. 1 ist bestimmt:

„Der Musiker ist verpflichtet, bei allen Veranstaltungen mit dem Orchester, für das er eingestellt ist, einschließlich auswärtiger Gastspiele (Aufführungen und Proben) mitzuwirken, die der Arbeitgeber … unternimmt …”

Das W. Sinfonieorchester hat 88 Mitglieder. Bei Opernaufführungen werden 36 bis 76 Musiker, bei Operettenaufführungen etwa 40 und bei Konzerten gegebenenfalls alle Musiker eingesetzt. Die Einzelheiten über die Einsätze ergeben sich aus den jeweiligen Dienstplänen.

Am 2. März 1988 befanden sich 29 Mitglieder des Orchesters mit ihrem Dirigenten in F.. Sie probten am Vormittag für ein abends aufgeführtes Konzert mit dem Sängerehepaar J.. Die übrigen Mitglieder des Orchesters sowie ein oder zwei Aushilfen übten morgens in W. für ein Konzert. Abends spielten sie die Oper „Die Zauber flöte” (Normalbesetzung 60 Musiker). Die Kläger nahmen an dieser Aufführung lediglich unter Protest und Vorbehalt teil.

Sie haben gemeint, sie seien tarifvertraglich nicht verpflichtet, an der Aufführung eines Teilorchesters mitzuwirken, während ein anderer Teil unter demselben Namen W. Sinfonieorchester anderenorts öffentlich auftrete.

Die Kläger haben zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Kläger nicht verpflichtet sind, mit einem Teil des Sinfonieorchesters W. an einem öffentlichen Konzert oder einer öffentlichen Opernaufführung mitzuwirken, während gleichzeitig ein anderer Teil dieses Orchesters ebenfalls unter der Bezeichnung „Sinfonieorchester W.” an anderer Stelle auftritt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Tarifvertrag sehe eine Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten der Musiker nicht vor.

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgen die Kläger weiter ihr erstinstanzliches Ziel, während die Beklagte Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die negative Feststellungsklage zu Recht abgewiesen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, die Kläger müßten auch dann an Veranstaltungen des Orchesters mitwirken, wenn ihr Orchester nicht nur an einem, sondern zu gleicher Zeit an verschiedenen Orten an öffentlichen Aufführungen teilnehme. Der Orchesterbegriff in § 7 Abs. 1 TVK sei fachmusikalisch zu verstehen, nämlich als ein Instrumentalensemble, in dem bestimmte Gruppierungen von Instrumenten nach näherer Regelung besetzt sind und das von einem Dirigenten geleitet wird. Diese Voraussetzung sei bei der Aufführung „Die Zauberflöte” gegeben. Aus der tarifvertraglichen Formulierung in dem Relativsatz, „für das er eingestellt ist”, folge keine Einschränkung.

Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen.

II. Die Kläger sind entgegen ihrer Auffassung verpflichtet, an Aufführungen des Sinfonieorchesters W. mitzuwirken, auch wenn nicht alle Musiker des Orchesters eingesetzt werden und diese Kollegen zur selben Zeit ein anderes Werk an einem anderen Ort öffentlich aufführen. Diese Verpflichtung folgt aus dem TVK.

1. Die dem Rechtsstreit zugrundeliegende Streitfrage ist weder in den Arbeitsverträgen der Parteien noch im Tarifvertrag ausdrücklich geregelt. Es findet sich weder eine positive Bestimmung, wonach eine Verpflichtung der Kläger für die streitige Fallkonstellation besteht, noch eine negative Norm, die Anordnungen dieser Art ausdrücklich ausschließt. Dementsprechend bedarf es der Auslegung des Tarifvertrages.

2. Die für den Rechtsstreit maßgebende Tarifnorm findet sich in § 7 Abs. 1 Satz 1 TVK. Danach ist der Musiker verpflichtet, bei allen Veranstaltungen mit dem Orchester, für das er eingestellt ist, einschließlich auswärtiger Gastspiele mitzuwirken, die der Arbeitgeber unternimmt. Proben und Aufführungen wie am 2. März 1988 in W. waren Veranstaltungen des Orchesters, für das die Kläger eingestellt sind.

a) Den Orchesterbegriff im Sinne des § 7 TVK hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 18. April 1984 (BAGE 45, 330 = AP Nr. 8 zu § 611 BGB Musiker) definiert. Danach ist Orchester im Tarifsinne ebenso wie in der Musikwissenschaft und in der Aufführungspraxis ein Instrumentalensemble, in dem bestimmte Gruppierungen von Instrumenten nach näherer Regelung besetzt sind und das von einem Dritten geleitet wird. Dabei können Orchester je nach dem Stil der zur Aufführung gelangenden Werke, den besonderen Eigenarten der jeweiligen Kompositionen und den stark divergierenden Besetzungsplänen sowohl nach Auswahl der Instrumente als auch nach deren Anzahl und deren Gruppierung ganz erhebliche Unterschiede aufweisen. Nach dieser zutreffenden Rechtsprechung haben die Kläger bei Probe und Aufführung am 2. März 1988 in einem Orchester im tarifrechtlichen Sinne mitgewirkt.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger ändert sich die Rechtslage nicht, wenn die in der Opernaufführung nicht beschäftigten Musiker – statt zu proben, häusliche Vorbereitungen zu treffen oder dienstplanmäßig frei zu haben – mit einem anderen Musikstück anderenorts öffentlich auftreten.

Der Wortlaut des Tarifvertrages gibt für einen derartigen Willen der Tarifvertragsparteien nichts her. Der TVK enthält insoweit keine Einschränkung.

Auch der Relativsatz in § 7 Abs. 1 Satz 1 TVK läßt keinen Schluß auf einen entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien zu. Er stellt inhaltlich eine Begrenzung der Einsatzmöglichkeiten der Musiker dar. Danach ist es dem Arbeitgeber verwehrt, die Kläger in einem weiteren Orchester einzusetzen, das er unterhält oder an dem er wirtschaftlich beteiligt ist, oder gar in ein fremdes Orchester zu delegieren. Ein Verbot, die Kläger in einem Teil des Orchesters einzusetzen, wenn auch der andere Teil öffentlich auftritt, läßt sich dem Nebensatz bei grammatikalischer Auslegung nicht entnehmen. Auch die Darstellung der Kläger über die historischen Gründe für die Einfügung dieses Satzteils läßt keinen Schluß auf den von ihnen bevorzugten Inhalt zu. Mit keinem Wort wird in den gemeinsamen Niederschriften über die Verhandlungen zum Abschluß des TVK das Problem des gleichzeitigen Einsatzes von Teilorchestern angesprochen. Dazu haben die Kläger selbst in ihrer Berufungsbegründung ausgeführt, der gleichzeitige Einsatz in Teilorchestern sei in den jahrelangen Verhandlungen zu § 7 TVK von der Arbeitgeberseite nicht verlangt worden, also auch nicht angesprochen worden.

Die Tarifauslegung der Kläger ist zudem nicht folgerichtig. Wenn 60 Orchestermusiker in der „Zauber flöte” spielen und die verbleibenden 28 häusliche Vorbereitungen treffen, üben oder Freizeit haben, wirken die musizierenden Musiker nach Auffassung der Kläger in dem Orchester mit, für das sie eingestellt sind. Die Kläger vermögen nicht zu erklären, warum dieses Orchester zu einem Spielkörper wird, für das sie nicht eingestellt sind, wenn die 28 Musiker anderenorts ebenfalls öffentlich auftreten.

Gegen die Tarifauslegung der Kläger sprechen weiter Gründe der Praktikabilität. Die Beklagte hat zu Recht ausgeführt, in einem Drei-Sparten-Haus könnten zwei musikalische Veranstaltungen zur selben Zeit am selben Ort mit den Musikern des einen Orchesters (z.B. Sinfonie und Drei-Groschen-Oper) nicht durchgeführt werden, wenn die Tarifauslegung der Kläger zutreffend wäre.

Angesichts dessen kommt es auf die von der Beklagten behauptete Tarifübung nicht an.

3. Da unter den Parteien unstreitig ist, daß die Kläger im Rahmen ihrer Dienstzeit nach § 15 TVK eingesetzt werden und keine übermäßige Belastung vorliegt, haben die Kläger kein Mitwirkungsverweigerungsrecht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Jobs, Dörner, Dr. Freitag, Fürbeth, Spiegelhalter

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073452

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