Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Kassiererin im Einzelhandel
Orientierungssatz
Sieht ein Gehaltstarifvertrag Gehaltsdifferenzierungen für gleichartige Tätigkeiten je nach Größe des Beschäftigungsbetriebes (hier: Ladengeschäft oder Verbrauchermarkt) vor und wird diese Differenzierung nur in einer Stufe vorgenommen, so ist die für die höhere Vergütung umschriebene Betriebsgröße regelmäßig iSe. Mindestbestimmung zu verstehen. Die Tätigkeit in noch größeren Verkaufseinheiten („SB-Warenhaus”) erfüllt dann ohne weiteres die Voraussetzungen der höheren Tarifgruppe, wenn der Tarifvertrag eine weitere Differenzierung nach solchen Kriterien nicht kennt.
Normenkette
Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Einzelhandel Rheinland-Pfalz §§ 9, 16-17; Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im Einzelhandel Rheinland-Pfalz i.d.F. vom 9. Juli 1998 und vom 26. August 1999 § 3 Gehaltsgruppe G II; Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im Einzelhandel Rheinland-Pfalz i.d.F. vom 9. Juli 1998 und vom 26. August 1999 § 3 G III
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Januar 2001 – 6 Sa 1084/00 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung und Entlohnung der Klägerin für den Zeitraum September 1998 bis Juni 1999.
Die Klägerin ist seit dem 2. November 1993 im Markt der Beklagten in G mit einer monatlichen Arbeitszeit von 108 Stunden beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 2. November 1993 haben die Parteien die Anwendung der für das Bundesland Rheinland-Pfalz einschlägigen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung vereinbart. Der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer im Einzelhandel Rheinland-Pfalz (MTV) sowie die während des streitgegenständlichen Zeitraums jeweils geltenden Gehaltstarifverträge (GTV) sind für allgemeinverbindlich erklärt worden. Hinsichtlich der Vergütung regelt § 5 des Arbeitsvertrags:
„5.1 Die Höhe des Entgelts bemißt sich auf der Grundlage der jeweils gültigen Tarifsätze nach derjenigen Beschäftigungsgruppe, in die der Arbeitnehmer nach der Art seiner tatsächlich ausgeführten Tätigkeit einzureihen ist.”
Im Markt der Beklagten in G wird auf ca. 4.400 qm Gesamtbetriebsfläche ein größeres Sortiment von Lebensmitteln und Non-Food-Artikeln angeboten. Sämtliche Waren werden an den Scannerkassen bezahlt, wovon sich vier im Obergeschoß und sechs im Erdgeschoß befinden. Die Klägerin ist ständig an einer solchen Kasse tätig.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Gehalt nach der Gehaltsgruppe III GTV, wobei die Höhe der Forderung (Vergütungsdifferenz für den streitbefangenen Zeitraum, Differenz bei der Jahressonderzahlung 1998 sowie tarifliche Pauschalzahlung für Mai und Juni 1999) zwischen den Parteien unstreitig ist.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stünden Bezüge nach G III GTV zu, weil sie die Tätigkeitsbeispiele dieser Gehaltsgruppe erfülle. Sie arbeite als Kassiererin in der Kassenzone eines Lebensmittel-Supermarktes. Darüber hinaus handele es sich um eine Sammelkasse; sie sei auch Kassiererin in einem Verbrauchermarkt. Unter Berücksichtigung ihrer Betriebszugehörigkeit sei sie bereits ab dem 1. Dezember 1997 in die Gehaltsgruppe G III nach dem fünften Tätigkeitsjahr einzustufen. Die Beklagte könne sich hinsichtlich eines Teils der klageweise geltend gemachten Ansprüche nicht auf die Ausschlußfrist nach § 16 MTV berufen, da sie die ihr nach § 2 Ziff. 1 und § 17 Ziff. 4 MTV obliegenden Pflichten nicht erfüllt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.078,77 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält den Markt in G weder für einen Lebensmittel-Supermarkt noch für einen Verbrauchermarkt. Vielmehr handele es sich um ein SB-Warenhaus, das von den Tätigkeitsbeispielen nicht erfaßt werde. Im Sinne der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale würden jedoch für die an einer Scannerkasse vereinfachten Kassierertätigkeiten weder erweiterte Fachkenntnisse verlangt noch könne von einer größeren Verantwortung ausgegangen werden. Schließlich sei die Klägerin nicht an einer Sammelkasse tätig, da es im Markt G keine untergeordneten Abteilungskassen gäbe. Die Ansprüche der Klägerin seien im übrigen zum Teil verfristet; sie habe ihre Auslagepflicht erfüllt, weil die Tarifverträge jederzeit im Verwaltungsbüro des Hausleiters einsehbar gewesen seien.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung hiergegen hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel einer Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Tätigkeit der Klägerin entspreche der Gehaltsgruppe G III GTV, da der Markt der Beklagten in G zum einen ein Lebensmittel-Supermarkt sei, dessen Verkaufsfläche 400 qm deutlich übersteige und das Warenangebot dem entspreche, was für die Ausführung dieses Merkmales im Sinne des GTV vorausgesetzt werde. Zum anderen sei die Klägerin dort in einer Kassenzone beschäftigt; dabei sei es unerheblich, wenn die Tätigkeit gegebenenfalls durch die Scannerkasse vereinfacht worden sei, weil der GTV nicht zwischen den eingesetzten Kassentypen differenziere. Auf die Ausschlußfristen nach § 16 MTV könne sich die Beklagte gegenüber einem Teilanspruch nicht berufen, da sie weder die Dokumentationspflichten aus § 2 Ziff. 1 MTV noch die Informationspflichten aus § 17 Ziff. 4 MTV als Voraussetzung für das Eingreifen tariflicher Ausschlußfristen erfüllt habe.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. § 3 sowohl des GTV vom 9. Juli 1998 (gültig vom 1. Mai 1998 bis 30. April 1999) als auch des GTV vom 26. August 1999 (Geltungszeitraum ab 1. Mai 1999) regelt die Eingruppierung entsprechend der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit (§ 9 Ziff. 2 MTV) wie folgt:
„Gehaltsgruppe II
Angestellte mit einfacher kaufmännischer und/oder technischer Tätigkeit, z.B.
…
einfache Kassiertätigkeit (z.B. Ladenkassierer/in)*, …
*Kassierer/innen, deren Tätigkeit über die Anforderungen dieser Tarifgruppe hinausreicht, ohne die Anforderungen der folgenden Tarifgruppe zu erfüllen, erhalten eine Tätigkeitszulage von 100,00 DM.
Gehaltsgruppe III
Angestellte mit einer Tätigkeit, die erweiterte Fachkenntnisse und größere Verantwortung erfordert, z.B.
…
Kassierer/in mit höheren Anforderungen*, Kassierer/in in Verbrauchermärkten, …
*Die für Kassierer/innen geforderten höheren Anforderungen werden in der Regel von Kassierer/innen erfüllt, die überwiegend in Kassenzonen von Lebensmittel-Supermärkten (ab 400 qm Verkaufsfläche) sowie an Sammelkassen beschäftigt sind.
Kassen, die für mehrere Abteilungen zuständig sind und an denen Kassierer/innen ausschließlich beschäftigt werden, sind Sammelkassen gleichzusetzen.”
Die Tätigkeit der im Markt der Beklagten in G ständig als Kassiererin eingesetzten Klägerin ist keine einfache Kassiertätigkeit im Sinne der Gehaltsgruppe G II, sondern eine Tätigkeit, die im Sinne der Gehaltsgruppe G III erweiterte Fachkenntnisse und größere Verantwortung erfordert. Die Tätigkeit der Klägerin entspricht diesen allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen schon deswegen, weil sie einer tariflichen Beispielstätigkeit entspricht. Durch solche Tätigkeitsbeispiele legen die Tarifvertragsparteien fest, daß diese Tätigkeiten den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen der betreffenden Beschäftigungs- oder Vergütungsgruppe entsprechen (BAG, ständige Rechtsprechung, 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121 mwN).
2. Die Tätigkeit der Klägerin ist die einer Kassiererin in einem Verbrauchermarkt, wie sie das tarifliche Tätigkeitsbeispiel der Gehaltsgruppe III des GTV vorsieht.
a) Die Klägerin ist als Kassiererin tätig. Daß sie gemäß § 2 des Arbeitsvertrags als „Verkäuferin/Kassenhilfe” eingestellt wurde, ist unerheblich, da es für die Eingruppierung gemäß § 5.1 des Arbeitsvertrags wie nach § 9 Ziff. 2 MTV auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ankommt.
b) Bei dem Markt der Beklagten in G handelt es sich um einen Verbrauchermarkt im Sinne des GTV.
aa) Die Auslegung von Tarifverträgen folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Es ist vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Ist der Tarifwortlaut mehrdeutig, kann der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien berücksichtigt werden, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den Gesamtzusammenhang des Tarifwerks, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Sind zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu erzielen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen, wobei im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug gebührt, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, ständige Rechtsprechung, 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8, zu I 2 a der Gründe; 25. Oktober 1995 – 4 AZR 478/94 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 57 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 116, zu I 1 c aa der Gründe; 16. Mai 1995 – 3 AZR 395/94 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Papierindustrie Nr. 10 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 29, zu I 1 der Gründe; 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11, zu II 1 der Gründe; 13. Juni 1991 – 6 AZR 9/89 – BAGE 68, 94, 99 jeweils mwN).
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der tarifliche Begriff des „Verbrauchermarktes” der Auslegung zugänglich und damit justitiabel. Das Bundesarbeitsgericht hat dies bereits in zwei früheren Urteilen bejaht (8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121 und – 4 AZR 407/83 – nv.). Zwar hat es damals den Begriff des Verbrauchermarktes noch nicht als konkretisierten Rechtsbegriff verstanden, der von den Tarifvertragsparteien in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung angewendet worden ist; es hat aber angenommen, der Tarifvertrag stehe der Annahme eines Verbrauchermarktes nicht entgegen. In einer solchen Situation, in der die Tarifvertragsparteien nicht auf einen vorgegebenen Rechtsbegriff zurückgreifen konnten, hat es für die Auslegung des Begriffs „Verbrauchermarkt” maßgebend sein lassen, daß die Tarifvertragsparteien diesen Begriff so angewendet wissen wollten, wie er im Handelsverkehr und Wirtschaftsleben verstanden wird und damit den Anschauungen der beteiligten Berufskreise und dem Handelsbrauch (§ 346 HGB) entspricht. Dabei kann zur weiteren Konkretisierung auf die überwiegende Meinung in den einschlägigen Fachkreisen zurückgegriffen werden, soweit sie im Fachschrifttum festzustellen ist. Nach diesen Grundsätzen hat das Bundesarbeitsgericht den Verbrauchermarkt als ein Ladengeschäft des Einzelhandels verstanden, das eine Verkaufsfläche von mindestens 1.000 qm aufweist, sowohl Nahrungs- und Genußmittel als auch andere Waren des kurz- und mittelfristigen Bedarfs (sog. „Non-Food-Bereich”) anbietet, vorwiegend als Selbstbedienungsladen geführt wird und verkehrsgünstig mit guter Parkmöglichkeit gelegen ist, zB in Stadtrandlage (8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – und – 4 AZR 407/83 – aaO mwN).
cc) Um von dieser Rechtsprechung abzurücken, hat der erkennende Senat weder in Anbetracht der seitherigen Entwicklung noch angesichts der Angriffe der Revision Anlaß.
(1) Die Tarifvertragsparteien haben auch in den vorliegend anzuwendenden Gehaltstarifverträgen den Begriff des „Verbrauchermarktes” weiterhin unverändert und ohne nähere Bestimmungen verwendet. Wenn sie dies in Ansehung einer seit nahezu 15 Jahren unveränderten Auslegung des tariflichen Begriffs durch das Bundesarbeitsgericht so gehandhabt haben, spricht viel dafür, daß diese Auslegung den Anschauungen der beteiligten Berufskreise und dem Handelsbrauch (§ 346 HGB) entspricht und der Begriff im Handelsverkehr und Wirtschaftsleben so verstanden wird. Ein entgegenstehendes Verständnis oder eine von ihnen gewünschte andere rechtliche Bedeutung hätten die Tarifvertragsparteien zwischenzeitlich im Tarifvertrag selbst zum Ausdruck bringen können. Es liegt daher nahe, der seinerzeit vom Bundesarbeitsgericht im Wege der Auslegung entwickelten Definition des Begriffs „Verbrauchermarkt” mittlerweile allgemeine rechtliche Bedeutung beizumessen.
(2) Dies gilt um so mehr, als die Begriffsdefinitionen in der Fachliteratur zwischenzeitlich keine wesentlichen Veränderungen erfahren haben. Gemäß den Begriffsdefinitionen aus der Handels- und Absatzwirtschaft (Katalog E 4. Ausgabe 1995 S 46 Nr. 17) ist ein Verbrauchermarkt „ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb (Einzelhandel im institutionellen Sinne), der ein breites und tiefes Sortiment an Nahrungs- und Genußmitteln und an Ge- und Verbrauchsgütern des kurz- und mittelfristigen Bedarfs überwiegend in Selbstbedienung anbietet; häufig wird entweder auf eine Dauerniedrigpreispolitik oder eine Sonderangebotspolitik (Sonderangebot, Sonderangebotspreis) abgestellt. Die Verkaufsfläche liegt nach der amtlichen Statistik bei mindestens 1.000 qm, nach der Abgrenzung des Europäischen Handelsinstituts bei 1.500 qm, nach internationalen Erhebungsverfahren von Panelinstituten (Panel) bei 800 qm. Der Standort ist in der Regel autokundenorientiert, entweder in Alleinlage oder innerhalb von Einzelhandelszentren”. Damit hat sich auch zwischenzeitlich die Auffassung der einschlägigen Fachliteratur nicht von der vom Bundesarbeitsgericht zugrunde gelegten Ausgangsposition wegentwickelt.
(3) Die Einwände der Revision gegen die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts führen zu keinem anderen Ergebnis. Gegen sie spricht zum einen die Tatsache, daß es weder die Tarifvertragsparteien noch die beteiligten Fachkreise in Ansehung der vom Bundesarbeitsgericht erarbeiteten Definition als nötig angesehen haben, davon abzurücken. Dies bestätigt zum anderen die methodische Annahme des Bundesarbeitsgerichts, bei dem Begriff des „Verbrauchermarktes” handele es sich nicht um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nur im Rückgriff auf die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale und auf den Oberbegriff der Kassiertätigkeit mit erweiterten Fachkenntnissen und größerer Verantwortung definiert werden kann.
dd) Nach der Systematik des Tarifvertrags kommt es auf die von der Revision weiter aufgeworfene Frage, ob der Markt in G ein „SB-Warenhaus” ist, nicht an. Die vorliegend anzuwendenden Gehaltstarifverträge behandeln Kassiertätigkeiten nur in den Gehaltsgruppen II und III. Der Gehaltsgruppe III sind dabei Kassierer/innen in Verbrauchermärkten und (als Regel/Ausnahme-Beispiel) in Lebensmittel-Supermärkten ab 400 qm Verkaufsfläche zugeordnet, der Gehaltsgruppe II ist das Tätigkeitsbeispiel der „Ladenkassierer/in” beigefügt. Noch größere Verkaufseinheiten benennen die Gehaltstarifverträge nicht; daraus ist zu schließen, daß die Tarifvertragsparteien eine Gehaltsdifferenzierung nach der Größe der Beschäftigungseinheit nur in einer Stufe vornehmen wollten. Danach ist jede Kassiertätigkeit in einer Verkaufsstätte, die mindestens den Anforderungen der Gehaltsstufe III entspricht, auch dementsprechend einzugruppieren. Ob die Tätigkeit in einer noch größeren Verkaufseinheit als einem Verbrauchermarkt verrichtet wird, ist hingegen für die tarifliche Eingruppierung der Klägerin ohne Belang. Im übrigen spricht, ohne daß dies näherer Ausführungen bedarf, auch nach der einschlägigen Fachliteratur viel dafür, daß der Markt in G der unter „Verbrauchermärkte GmbH & Co. KG” firmierenden Beklagten ein solcher und kein SB-Warenhaus ist.
c) Da somit die Klägerin als Kassiererin in einem Verbrauchermarkt beschäftigt ist, bedarf es eines Eingehens auf die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale der von der Klägerin angestrebten Tarifgruppe nicht. Ebensowenig bedarf es einer Entscheidung der Frage, ob die Kassiertätigkeit der Klägerin eine solche „mit höheren Anforderungen” im Sinne des anderen Tätigkeitsbeispiels ist; also auch der vom Landesarbeitsgericht behandelten Frage eines Lebensmittel-Supermarktes ab 400 qm Verkaufsfläche und den auch in der Revisionsinstanz noch streitigen Problemen der Sammelkassen oder Abteilungskassen.
III. Die Gehaltsansprüche der Klägerin sind nicht gemäß § 16 des MTV verfallen. Für den Zeitraum März bis Juni 1999 sind sie unstreitig durch die am 21. September 1999 zugestellte Klage rechtzeitig innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlußfrist von sechs Monaten gemäß § 16 Ziff. 1 c MTV geltend gemacht worden; für den Zeitraum September 1998 bis Februar 1999 ist der Beklagten die Berufung auf die Ausschlußfrist des MTV gemäß § 16 iVm. § 17 Ziff. 4 MTV verwehrt.
1. Die Vorschriften des anzuwendenden MTV im Einzel- und Versandhandel in Rheinland-Pfalz, in Kraft seit 1. November 1996 – soweit in diesem Zusammenhang von Interesse – lauten:
„§ 16 – Erlöschen von Ansprüchen
1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb der nachgenannten Fristen schriftlich geltend zu machen:
…
2. Sofern die Ansprüche nicht innerhalb der genannten Fristen oder in der vorgeschriebenen Form erhoben werden, verfallen sie.
Bei Ansprüchen von ArbeitnehmerInnen gegenüber dem Arbeitgeber gilt dies nicht, falls der Arbeitgeber die nach § 2 Ziffer 1 und § 17 Ziffer 4 obliegenden Pflichten nicht erfüllt hat.
…
§ 17 – Schlußbestimmungen
…
4. Dieser Tarifvertrag ist im Betrieb an geeigneter Stelle zur Einsicht auszulegen oder auszuhängen. Er kann stattdessen auch allen ArbeitnehmerInnen ausgehändigt werden.”
2. Die Beklagte ist ihrer Verpflichtung aus § 17 Ziff. 4 MTV zur Auslegung des Manteltarifvertrags an geeigneter Stelle zur Einsicht oder Aushändigung des Tarifvertrags nicht nachgekommen. Deswegen kann sie sich gemäß § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV auf die Ausschlußfrist nicht berufen.
a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurden die Tarifverträge an die Arbeitnehmer und die Klägerin nicht ausgehändigt.
b) Die Beklagte hat den Manteltarifvertrag auch nicht an geeigneter Stelle im Betrieb zur Einsicht ausgelegt. Es kann dahinstehen, ob das Verwaltungsbüro des Betriebs G der Beklagten eine „geeignete Stelle” iSv. § 17 Ziff. 4 MTV ist (in dem Urteil vom 5. November 1963 – 5 AZR 136/63 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 1 hat das Bundesarbeitsgericht eine „Personalverwaltung” ausdrücklich als geeignete Stelle zur Auslage des Tarifvertrags iSd. § 7 TVG aF jetzt: § 8 TVG bezeichnet). Da vorliegend der MTV nicht nur davon spricht, daß der Tarifvertrag zur Einsicht auszulegen ist, sondern alternativ auszuhängen ist oder statt dessen auch allen Arbeitnehmern ausgehändigt werden kann, genügt es nicht, den Tarifvertrag für die Arbeitnehmer zugänglich zu machen, um ihn im Sinne der tariflichen Vorschrift „auszulegen”. Dies hätte den freihändigen und ohne weitere Bemühungen Dritter möglichen Zugang zum Tarifvertrag bedeutet; davon ist ohne nähere Darlegungen bei einer Einsichtnahmemöglichkeit im Verwaltungsbüro nicht auszugehen (BAG 11. November 1998 – 5 AZR 63/98 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 8 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 128).
IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Breinlinger, Schömburg, Lorenz
Fundstellen
NZA 2002, 816 |
NJOZ 2002, 1775 |