Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampfrisiko bei „Wellenstreik”
Leitsatz (amtlich)
1. Vergibt ein Arbeitgeber in Erwartung künftiger Streikmaßnahmen vorsorglich Arbeiten an ein Fremdunternehmen, so schuldet er den Arbeitnehmern, die er deshalb nicht beschäftigen kann, Lohnzahlung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, wenn der befürchtete Streikaufruf ausbleibt.
2. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber bereits von überraschenden Kurzstreiks (Wellenstreiks) betroffen war, die Fremdvergabe jedoch nicht die Reaktion auf eine aktuelle Arbeitsniederlegung darstellte, sondern nur der Vorsorge diente.
3. Die spezielle Wettbewerbssituation eines einzelnen Unternehmens und die untypischen Besonderheiten eines speziellen Produkts sind für die Zuordnung des Lohnrisikos im Arbeitskampf in der Regel unerheblich.
Normenkette
BGB § 615; GG Art. 9
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerinnen und Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 17. April 1997 - 4 Sa 589/95 - teilweise aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerinnen und Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 21. März 1995 - 3 Ca 2247/94 - zurückgewiesen wurde, und insgesamt wie folgt neu gefaßt:
Auf die Berufung der Klägerinnen und Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 21. März 1995 - 3 Ca 2247/94 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt,
an die Klägerin zu 1) |
257,13 DM |
brutto |
an den Kläger zu 2) |
255,09 DM |
brutto |
an die Klägerin zu 3) |
264,01 DM |
brutto |
an den Kläger zu 4) |
250,24 DM |
brutto |
an den Kläger zu 5) |
245,91 DM |
brutto |
an den Kläger zu 6) |
253,98 DM |
brutto |
an den Kläger zu 7) |
252,79 DM |
brutto |
an den Kläger zu 8) |
278,38 DM |
brutto |
an den Kläger zu 9) |
267,75 DM |
brutto |
an den Kläger zu 10) |
266,31 DM |
brutto |
an den Kläger zu 11) |
245,80 DM |
brutto |
an den Kläger zu 12) |
268,60 DM |
brutto |
an die Klägerin zu 13) |
270,98 DM |
brutto |
jeweils nebst 4% Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Juni 1994 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerinnen und Kläger Arbeitslohn für eine Schicht am 25. Mai 1994 verlangen können, in der sie von der Beklagten während eines Tarifkonflikts nicht zur Arbeit herangezogen wurden.
Die Klägerinnen und Kläger sind in der Abteilung Elektronische Bildverarbeitung (EBV) der Tiefdruckerei A der Beklagten beschäftigt. Diese Abteilung arbeitet im Zwei-Schicht-Betrieb: Die Frühschicht dauert von 7.00 bis 15.00 Uhr, die Spätschicht von 15.00 bis 23.00 Uhr. Zu den Aufgaben der EBV gehört ein Teil der Arbeiten, die bei der Herstellung der Fernseh-Wochenzeitschrift T anfallen. Diese Zeitschrift war nach Angaben der Beklagten im fraglichen Zeitraum seit 18 Monaten auf dem Markt. Die Produktion einer Ausgabe beginnt mit der Erstellung und Bearbeitung der Druckvorlagen in der EBV, welche jeweils die Spätschicht am Mittwoch, beide Schichten am Donnerstag und die Frühschicht am Freitag in Anspruch nimmt. Der Donnerstag der Folgewoche ist der erste Verkaufstag.
Im Zuge der Tarifauseinandersetzungen der Druckindustrie im Jahr 1994 war die Tiefdruckerei A – und dort zum Teil die EBV – seit dem 11. März 1994 des öfteren von Kurzstreiks betroffen, wobei in einzelnen Abteilungen und Schichten jeweils zu verschiedenen Zeiten Arbeitsniederlegungen von unterschiedlicher Dauer stattfanden („Wellenstreik”). Zu den Streiks wurde jeweils kurzfristig und ohne Angabe des Endzeitpunkts aufgerufen. Vor der streitbefangenen Schicht am 25. Mai 1994 hatte in der Tiefdruckerei zuletzt am 17. Mai 1994 eine Arbeitsniederlegung stattgefunden; davon war auch die EBV betroffen. Insgesamt hatten sich die Klägerinnen und Kläger bis dahin zwölfmal an Streikmaßnahmen beteiligt.
Am Dienstag, dem 24. Mai 1994, kündigte die Beklagte nach 22.00 Uhr den Arbeitnehmern der EBV an, die Spätschicht am Mittwoch, dem 25. Mai 1994, werde wegen Arbeitsmangels ausfallen. Die üblicherweise in dieser Schicht zu erledigenden Arbeiten seien an eine betriebsfremde Repro-Anstalt vergeben worden. Allerdings fragte die Beklagte die Arbeitnehmer, ob sie mit Arbeitsniederlegungen rechnen müsse. Als die Arbeitnehmer eine Festlegung ablehnten, wiederholte die Beklagte, daß in der Spätschicht am 25. Mai 1994 keine Beschäftigungsmöglichkeit bestehen werde. An diesem Tag wurde nicht zu einer Arbeitsniederlegung in der EBV aufgerufen. Die Klägerinnen und Kläger erschienen vielmehr zum Beginn der Spätschicht und boten vergeblich an zu arbeiten. Die Beklagte zahlte für die ausgefallene Schicht keinen Lohn. Auf die mit einer Fristsetzung zum 27. Juni 1994 verbundene Mahnung der Klägerinnen und Kläger vom 20. Juni 1994 antwortete die Beklagte mit Schreiben vom 23. Juni 1994, daß kein Lohnanspruch bestehe.
Die Klägerinnen und Kläger haben die Auffassung vertreten, sie könnten für die ausgefallene Schicht Lohn verlangen, wobei die jeweiligen Beträge rechnerisch unstreitig sind. Die Beklagte sei in Annahmeverzug geraten, denn sie habe keine Veranlassung gehabt, die Arbeit der Spätschicht am 25. Mai 1994 an ein anderes Unternehmen zu vergeben. In der EBV habe es in der fraglichen Zeit keine arbeitskampfbedingte Funktionsstörung gegeben. Im übrigen hätten sie, die Klägerinnen und Kläger, trotz der Fremdvergabe der Arbeiten noch beschäftigt werden können.
Die Klägerinnen und Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
an die Klägerin zu 1) |
257,13 DM |
brutto |
an den Kläger zu 2) |
255,09 DM |
brutto |
an die Klägerin zu 3) |
264,01 DM |
brutto |
an den Kläger zu 4) |
250,24 DM |
brutto |
an den Kläger zu 5) |
245,91 DM |
brutto |
an den Kläger zu 6) |
253,98 DM |
brutto |
an den Kläger zu 7) |
252,79 DM |
brutto |
an den Kläger zu 8) |
278,38 DM |
brutto |
an den Kläger zu 9) |
267,75 DM |
brutto |
an den Kläger zu 10) |
266,31 DM |
brutto |
an den Kläger zu 11) |
245,80 DM |
brutto |
an den Kläger zu 12) |
268,60 DM |
brutto |
an die Klägerin zu 13) |
270,98 DM |
brutto |
jeweils nebst 4% Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 28. Juni 1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach ihrer Meinung steht den Klägerinnen und Klägern kein Entgelt mehr zu. Deren Arbeitsverhältnisse seien in der fraglichen Nachtschicht suspendiert gewesen. Sie habe sich seit März 1994 in einer Situation permanenten Arbeitskampfs befunden. Auch die Pausen zwischen den einzelnen Arbeitsniederlegungen seien Teile von Kampfmaßnahmen gewesen, weil sie ständig mit erneuten Kurzstreiks habe rechnen müssen. Auf diese Angriffe habe sie durch Nachgeben, hier durch die Stillegung der EBV in der Spätschicht des 25. Mai 1994, reagieren dürfen.
Selbst wenn die Voraussetzungen einer reinen Abwehrmaßnahme nicht vorgelegen haben sollten, so scheiterten die Ansprüche der Klägerinnen und Kläger daran, daß diese das Risiko arbeitskampfbedingten Arbeitsausfalls selbst zu tragen hätten. Die Fremdvergabe ihrer Arbeiten sei eine Auswirkung vorangegangener Streikmaßnahmen gewesen. Ihr, der Beklagten, sei es nicht zumutbar gewesen, angesichts der fortbestehenden Streikbereitschaft der Klägerinnen und Kläger das Risiko einzugehen, daß durch Arbeitsniederlegung die Produktion von T gestört und möglicherweise sogar das Erscheinen der betreffenden Ausgabe verhindert werde. Die wirtschaftlichen Folgen wären besonders schwerwiegend, weil die Zeitschrift noch nicht fest im Markt verankert gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerinnen und Kläger hat das Landesarbeitsgericht den Klagen mit der Hälfte der begehrten Beträge stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Klägerinnen und Kläger ihren Klageantrag auch hinsichtlich der abgewiesenen Teilbeträge weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Die Klägerinnen und Kläger haben über die vom Landesarbeitsgericht zuerkannten Beträge hinaus Anspruch auf Lohn für die gesamte Spätschicht des 25. Mai 1994. Die Beklagte ist nach § 615 BGB zur Zahlung verpflichtet, da sie mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug geraten war.
1. Die gegenseitigen Hauptpflichten aus den Arbeitsverhältnissen waren im fraglichen Zeitraum nicht suspendiert. Weder streikten die Klägerinnen und Kläger, noch waren sie von der Beklagten ausgesperrt. Es lag auch keine suspendierende Stillegung des Betriebs im Sinne der neueren Rechtsprechung des Senats vor (BAGE 76, 196 = AP Nr. 130 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Eine solche Stillegung ist als bloßes Erdulden einer gegnerischen Kampfmaßnahme nur innerhalb des zeitlichen und gegenständlichen Rahmens möglich, der sich aus dem Streikaufruf der Gewerkschaft ergibt. Dies gilt, wie der Senat bereits klargestellt hat (BAGE 84, 302, 306 = AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I der Gründe), entgegen der Auffassung der Beklagten auch für den „Wellenstreik”. Auch bei diesem fehlt es in Zeiten, für die nicht zum Streik aufgerufen ist, an einer Kampfmaßnahme der Arbeitnehmer, welcher sich der Arbeitgeber durch Nichtbeschäftigung beugen könnte.
2. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Beklagte sei nach den Grundsätzen über die Verteilung des Lohnrisikos im Arbeitskampf von der Verpflichtung zur Entgeltzahlung für die ausgefallene Schicht frei geworden. Hier lag kein streikbedingter Arbeitsausfall vor.
a) Allerdings gilt nach der Rechtsprechung des Senats die Regel, wonach der Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko trägt, bei arbeitskampfbedingten Betriebsstörungen nur eingeschränkt (zuletzt Urteil vom 17. Februar 1998 - 1 AZR 386/97 - AP Nr. 152 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 2 der Gründe; BAGE 84, 302, 307 ff. = AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 2 und 3 der Gründe).
So führen Störungen, die auf Streiks oder Aussperrungen in anderen Betrieben beruhen und die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder für den Arbeitgeber wirtschaftlich unzumutbar machen, dazu, daß jede Seite das auf sie entfallende Kampfrisiko zu tragen hat, wenn diese Fernwirkungen des Arbeitskampfs das Kräfteverhältnis der kampfführenden Parteien beeinflussen können. Das bedeutet für die betroffenen Arbeitnehmer, daß sie unter diesen Voraussetzungen für die Dauer der Betriebsstörungen ihre Beschäftigungs- und Vergütungsansprüche verlieren. Entsprechendes gilt, wenn in einem Betriebsteil die Arbeit unmöglich oder dem Arbeitgeber unzumutbar wird, weil in einem anderen Betriebsteil gestreikt wird, oder weil eine Kampfmaßnahme Störungen verursacht hat, welche die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit nach Abschluß der Arbeitskampfhandlung unmöglich oder unzumutbar machen. Unerheblich ist dabei, ob hiervon die an der Kampfmaßnahme beteiligten oder andere Arbeitnehmer des Betriebs betroffen sind. In allen diesen Fällen tragen die Arbeitnehmer, deren Arbeit ausfällt, das Entgeltrisiko.
Zu den Streikfolgen, die den Arbeitnehmern zuzurechnen sind, gehören auch solche Arbeitsausfälle, die durch Gegenmaßnahmen verursacht werden, mit denen der Arbeitgeber die streikbedingten Betriebsstörungen möglichst gering halten will. Allerdings sind die Arbeitnehmer mit den Folgen eines solchen Streikgegenprogramms nur dann zu belasten, wenn es sich nicht um vorbeugende Maßnahmen des Arbeitgebers handelt, die über die reine Gegenwehr hinausgehen, die also den Rahmen des Arbeitskampfs erweitern. Der Arbeitgeber kann sich der Lohnzahlungspflicht nicht dadurch entziehen, daß er unter Berufung auf die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos eine Ersatzmannschaft beschäftigt, um möglichen Arbeitsniederlegungen seiner „streikanfälligen” Stammbelegschaft vorzubeugen. Durch ein solches Vorgehen würde der Arbeitgeber selbst im Arbeitskampf aktiv und den Arbeitswilligen eine Beschäftigung verweigern, die weder als unmöglich noch als unzumutbar anzusehen wäre. Das wäre im Ergebnis nichts anderes als eine Aussperrung, die aber an besondere Voraussetzungen gebunden ist.
Bei der Bewertung, ob die Beschäftigung der Klägerinnen und Kläger nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen der Beklagten zumutbar war, geht es um die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die den Tatsacheninstanzen einen Beurteilungsspielraum lassen (Senatsurteil vom 17. Februar 1998 - 1 AZR 386/97 - AP, aaO, zu II 2 c der Gründe). Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht die Kriterien verkannt, bei ihrer Anwendung Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat.
b) Dieser eingeschränkten Kontrolle hält das Urteil nicht stand. Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung, ob die Fremdvergabe der Arbeiten eine Maßnahme der Beklagten zur Abwehr streikbedingter Störungen oder zur ausschließlichen Vorsorge gegen mögliche künftige Arbeitsniederlegungen war, den Maßstab der Zumutbarkeit im Arbeitskampf verkannt. Es hat nicht hinreichend berücksichtigt, daß die Unsicherheit des Arbeitgebers über das künftige Streikverhalten der Belegschaft eine Abwehrmaßnahme mit der Folge einer Verlagerung des Lohnrisikos nur dann rechtfertigt, wenn ein enger tatsächlicher Zusammenhang mit vorangegangenen Arbeitsniederlegungen besteht. Die angefallene Arbeit, die in dem von Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers betroffenen Zeitraum zu leisten gewesen wäre, muß Teil eines Arbeitsprozesses sein, der bereits durch Streiks gestört wurde. Ein solcher Zusammenhang fehlt hier.
aa) Wie der Senat bereits entschieden hat (BAGE 84, 302, 311 = AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 b bb der Gründe), ist von dem Grundsatz auszugehen, daß sich der Arbeitgeber während eines Tarifkonflikts außerhalb des Bereichs von Streik- und Aussperrungsmaßnahmen nicht dadurch seiner Lohnzahlungspflicht entziehen kann, daß er den Betrieb ganz oder teilweise stillegt. Ebensowenig kann er das bei befürchteten Arbeitsniederlegungen seiner Stamm-Belegschaft dadurch erreichen, daß er deren Arbeit an ein fremdes Unternehmen vergibt oder durch Ersatzkräfte erledigen läßt. Eine solche Verlagerung des Lohnrisikos würde den Rahmen des Arbeitskampfs erweitern, ohne daß der Arbeitgeber hierfür auf zulässige Arbeitskampfmittel zurückgreifen könnte.
Nur ausnahmsweise und in engem Rahmen kann der Arbeitgeber bei Maßnahmen, mit denen er die Wirkungen einer bereits erfolgten Arbeitsniederlegung abwehren will, auch Vorkehrungen treffen, die über den unmittelbaren Anlaß hinauswirken und deshalb u.U. auch die Unsicherheit über künftiges Streikverhalten berücksichtigen mögen. Das ist dann der Fall, wenn sich eine Arbeitsniederlegung und die vom Arbeitgeber hiergegen ergriffenen Maßnahmen aufgrund der besonderen tatsächlichen Gegebenheiten des Einzelfalls zwangsläufig auf weitere betriebliche Abläufe auswirken, obwohl diese durch den Streik nicht unmittelbar beeinträchtigt werden. Diese überschießende Wirkung ist dann ausnahmsweise noch der Risikosphäre der Arbeitnehmer zuzurechnen, weil ein enger zeitlicher und organisatorischer Zusammenhang zwischen den tatsächlich streikbetroffenen und den an sie anschließenden Arbeiten besteht.
Der Senat hat einen solchen Ausnahmetatbestand in Fällen bejaht, in denen es um die nächtliche Fertigstellung einer Tageszeitung durch Ersatzmannschaften ging, nachdem das Stammpersonal in derselben Nachtschicht (BAGE 84, 302 = AP Nr. 147 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; vgl. auch Senatsurteil vom 15. Dezember 1998 - 1 AZR 216/98 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) oder in der unmittelbar vorhergehenden Spätschicht (Urteil vom 17. Februar 1998 - 1 AZR 386/97 - AP, aaO) bereits die Arbeit niedergelegt hatte und erneute Kurzstreiks im verbleibenden Teil der Nachtschicht nicht auszuschließen waren. In beiden Fällen waren in diesem engen Zeitrahmen organisatorische Entscheidungen zu treffen, die über die Dauer des Kurzstreiks hinauswirkten und bei erneuten kampfbedingten Störungen zur Nachtzeit nicht mehr wiederholbar oder ersetzbar gewesen wären. Außerdem ging es um Tageszeitungen und damit um aktualitätsgebundene Produkte, bei denen Verzögerungen während der Nachtschicht das Erscheinen verhindert hätten.
bb) Im vorliegenden Fall lagen die Verhältnisse anders. Die Beklagte bekämpfte durch die Fremdvergabe der elektronischen Bildverarbeitung nicht die Auswirkungen einer aktuellen Arbeitsniederlegung, sondern beugte ausschließlich der Gefahr vor, daß die Klägerinnen und Kläger am 25. Mai 1994 ihre Arbeit niederlegen könnten. Die Folgen einer solchen vorbeugenden Maßnahme des Arbeitgebers sind nicht der Risikosphäre der Arbeitnehmer zuzurechnen.
Als die streitige Spätschicht beginnen sollte, lag der letzte Streik in der Tiefdruckerei und in deren Abteilung EBV bereits eine volle Woche zurück. Die damalige Arbeitsniederlegung hatte auch nicht die jetzt anstehende Ausgabe von T betroffen, sondern die vorherige. Es fehlte also schon der Zusammenhang zwischen den tatsächlich erfolgten Streikmaßnahmen und der in der streitbefangenen Schicht zu erledigenden Arbeit. Hinzu kommt, daß die Produktion anders als bei Tageszeitungen nicht auf die Nacht vor der Auslieferung und damit auf einen Zeitraum beschränkt war, innerhalb dessen kurzfristige Reaktionen auf Streikmaßnahmen kaum mehr möglich sind. Hier ging es vielmehr um einen Produktionsprozeß, der sich noch über mehrere Tage bis zur Fertigstellung hinziehen sollte. Schließlich werden Fernsehzeitschriften auch nicht wie Tageszeitungen bereits dann unverkäuflich, wenn sich ihr Erscheinen um einen Tag verzögert.
Erfolglos macht die Beklagte gegen diese Würdigung geltend, daß die Zeitschrift damals erst seit 18 Monaten auf dem Markt gewesen sei. Es kann dahingestellt bleiben, wie sich diese Besonderheit im Wettbewerb auswirkte. Das Gebot der Kampfparität und die hieraus abgeleitete Zuordnung des Lohnrisikos im Arbeitskampf erlauben es der Rechtsprechung nicht, in so einzelfallbezogener Weise zu differenzieren. Die konkrete Wettbewerbsposition eines einzelnen streikbetroffenen Unternehmens oder gar eines speziellen Produkts sind arbeitskampfrechtlich unerheblich. Die Auswirkungen, die eine Arbeitsniederlegung im Einzelfall auf das wirtschaftliche Ergebnis des betroffenen Unternehmens und auf die Durchsetzungskraft der Arbeitgeberseite im Tarifkonflikt tatsächlich hat oder bei unterschiedlichen Gegenmaßnahmen haben könnte, lassen sich nicht hinreichend genau ermitteln. Insoweit ist nur eine typisierende Würdigung möglich und geboten (vgl. BAGE 33, 140, 164 ff. = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A IV 2 und 3 der Gründe).
II. Den Klägerinnen und Klägern stehen auch die beantragten Zinsen zu. Dies folgt allerdings nicht, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat, aus § 291 BGB. Prozeßzinsen können die Klägerinnen und Kläger nicht bereits seit dem 28. Juni 1994 verlangen, da die Klage erst am 5. August 1994 rechtshängig wurde. Der Zinsanspruch umfaßt aber nach den §§ 288, 284 BGB die Zeit seit dem 28. Juni 1994, da die Beklagte zumindest seit diesem Zeitpunkt in Verzug ist. Sie wurde von den Klägerinnen und Klägern nach Fälligkeit des Lohnanspruchs mit Frist bis zum 27. Juni 1994 gemahnt und hat die Zahlung daraufhin mit Schreiben vom 23. Juni 1994 endgültig abgelehnt.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Gnade, Metz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.12.1998 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436271 |
BAGE, 280 |
BB 1999, 900 |
DB 1999, 1022 |
NJW 1999, 2388 |
ARST 1999, 261 |
FA 1999, 163 |
JR 1999, 396 |
NZA 1999, 552 |
RdA 1999, 404 |
RdA 1999, 423 |
ZTR 1999, 312 |
AP, 0 |
AuA 1999, 430 |