Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergang von Arbeitsverhältnissen bei Horterziehern
Normenkette
GG Art. 28 Abs. 2
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 24.11.1992; Aktenzeichen 5 Sa 34/92) |
KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 03.06.1992; Aktenzeichen 6 Ca 752/91) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 24. November 1992 – 5 Sa 34/92 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die am 29. November 1956 geborene Klägerin ist ausgebildete Freundschaftspionierleiterin. Sie arbeitete seit 1977 bei dem Rat des Kreises D., zuletzt als Horterzieherin.
Am 22. Oktober 1991 wurde zwischen dem Freistaat Sachsen, vertreten durch den kommissarischen Leiter des Staatlichen Schulamtes G. und der Klägerin mit Wirkung vom 1. Juli 1991 ein Änderungsvertrag geschlossen, der die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrages-Ost (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 und der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge vorsieht.
Mit Schreiben vom 28. November 1991 kündigte der Landkreis D. der Klägerin zum 31. Januar 1992 unter Berufung auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 zum Einigungsvertrag wegen fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeit. Dieses Kündigungsschreiben wurde vom Landrat und „für das Schulamt des Kreises D.” vom Schulrat unterzeichnet.
Mit der am 17. Januar 1992 dem Landkreis D. und am 4. Februar 1992 der Stadt H. zugestellten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, daß zwischen ihr und der beklagten Stadt H. ein Arbeitsverhältnis bestehe, das durch die Kündigung des Landkreises vom 28. November 1991 nicht aufgelöst werde.
Der Landkreis D. erklärte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 18. Februar 1992, er sei seit dem 1. August 1991 nicht mehr ihr Arbeitgeber und demzufolge für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses sachlich nicht mehr zuständig. Er nahm die Kündigung vom 28. November 1991 zurück und forderte die Klägerin auf, sich umgehend zur Arbeitsaufnahme bei der Stadt H. zu melden. Daraufhin hat die Klägerin ihre Klage gegen den Landkreis D. zurückgenommen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr Arbeitsverhältnis sei auf die beklagte Stadt H. gemäß § 16 Abs. 3 des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen vom 3. Juli 1991 (SächsGVBl. S. 213) – SächsSchulG – übergegangen.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz nach teilweiser Erledigung in der Hauptsache noch erheblich, beantragt
festzustellen, daß zwischen der Klägerin und der Beklagten ein mit dem 1. August 1991 vom Kreis D. auf die Beklagte übergegangenes Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum 31. Juli 1992 bestanden hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, § 16 SächsSchulG regele allein die Neuerrichtung von Schulhorten, enthalte aber keine Bestimmungen für die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits bestehenden Horte. Insbesondere sei durch das Schulgesetz kein Wechsel der Arbeitgeberstellung vorgesehen worden. Hilfsweise hat die Beklagte geltend gemacht, ein entsprechender Regelungsgehalt des Sächsischen Schulgesetzes wäre wegen Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 2 GG unwirksam.
Das Kreisgericht hat der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte Klagabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Aufgrund des bisher nur unzureichend festgestellten Sachverhaltes kann nicht angenommen werden, in der Zeit vom 1. August 1991 bis zum 31. Juli 1992 habe ein Arbeitsverhältnis der Parteien bestanden.
A. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe bis zum 31. Juli 1991 zum zunächst gleichfalls beklagten Landkreis D. bestanden und sei gemäß § 16 Abs. 3 SächsSchulG auf die Beklagte kraft gesetzlicher Funktionsnachfolge übergegangen. Diese Interpretation ergebe sich aus der Berücksichtigung der bei Inkrafttreten des Gesetzes noch vorhandenen Lebenswirklichkeit. Die Hortbetreuung an Schulen habe in Trägerschaft der Volksbildung gestanden, und die Mitarbeiter seien bei den Räten der Kreise bzw. Städte angestellt gewesen. Die gesetzliche Zuweisung der Beschäftigungsverhältnisse der an den Schulhorten tätigen Mitarbeiter in die Zuständigkeit der Gemeinden habe insbesondere diese vorhandene Situation erfaßt. Die gesetzliche Funktionsnachfolge der Gemeinden habe ihnen keinen Freiraum gegeben, über die Ablehnung der Übernahme einzelner Mitarbeiter zu entscheiden. Eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden sei damit nicht verbunden, denn der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie sei unangetastet geblieben.
B. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin könnte gemäß § 16 Abs. 3 SächsSchulG mit Wirkung zum 1. August 1991 kraft Gesetzes auf die Beklagte übergegangen sein.
I. Der Senat hat mit Urteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 639/92 – entschieden:
§ 16 Abs. 3 SächsSchulG bestimmt, daß Beschäftigte an Einrichtungen nach den Abs. 1 und 2 des § 16 im Dienst der Kommunen stehen. Gemeint ist jeweils die Kommune, die nach § 22 Sächs-SchulG Träger der Schule ist, an der die Beschäftigungseinrichtung des einzelnen Horterziehers besteht.
§ 16 Abs. 3 SächsSchulG behandelt nach seinem Wortlaut vordergründig nur den Bestand, nicht aber den Übergang von Arbeitsverhältnissen; es wird allein das rechtliche Ergebnis angeordnet, ohne die Begründung des Rechtsverhältnisses zu erwähnen. Angesichts der Rechtslage bei Inkrafttreten des SächsSchulG bedurfte jedoch der Übergang der Arbeitsverhältnisse einer Regelung. Die Erzieher an Schulhorten standen in keinem Arbeitsverhältnis zu den Kommunen, und die völlige Neuerrichtung von Schulen mit Hort bildete nicht den gesetzlichen Regelfall. Die Übergangsbestimmungen in § 64 SächsSchulG regelten, daß die bisherigen allgemeinbildenden Oberschulen bis zur Einrichtung von Schulen oder Schularten nach dem SächsSchulG fortgeführt werden sollten. Nach § 64 Abs. 2 SächsSchulG waren die Schulträger verpflichtet, das Verfahren zur Einrichtung der in dem SächsSchulG geregelten Schularten einzuleiten. In Anbetracht dieser Ausgangslage ist § 16 Abs. 3 SächsSchulG dahingehend auszulegen, daß nicht nur der Bestand der Beschäftigungsverhältnisse zu den Kommunen, sondern auch der gesetzliche Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Kommunen geregelt wird. Die Bestimmung verweist eben nicht nur auf die an den Grundschulen neu errichteten Horte und die an den übrigen Schulen erstmalig angebotenen ganztägigen Betreuungseinrichtungen. Weil es im Bundesrecht an einer vollständigen Regelung des Übergangs von Arbeitsverhältnissen im öffentlichen Dienst bei Verlagerung öffentlicher Aufgaben fehlt, ist die Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Sachsen hierfür aufgrund des Zusammenhangs mit dem Kommunal- und dem Schulrecht anzuerkennen.
Wie schon nach dem Wortlaut naheliegt, verweist § 16 Abs. 3 SächsSchulG lediglich auf die Begriffe „Hort” in Abs. 1 und „ganztägige Betreuung” in Abs. 2. Die Einrichtungen werden nicht erst mit der Umwandlung der Schule in einen Schultypus nach dem SächsSchulG erfaßt. Die am Normzweck orientierte Auslegung ergibt, daß gem. § 16 Abs. 3 SächsSchulG alle am 1. August 1991 oder später an einer der genannten fortgeführten oder neu errichteten Betreuungseinrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zu den Kommunen stehen. Im Interesse der Aufrechterhaltung eines geordneten Schulbetriebes will das Sächs-SchulG mit seinem Inkrafttreten am 1. August 1991 die Arbeitsverhältnisse der an Schulen Beschäftigten einheitlich entweder dem betreffenden Schulträger oder dem Freistaat Sachsen zuordnen. Dafür spricht auch der Zusammenhang mit § 40 Abs. 1, § 23 Abs. 2 Satz 1 und § 42 Abs. 3 SächsSchulG. § 40 Abs. 1 SächsSchulG bestimmt, daß die Lehrer an öffentlichen Schulen und das Betreuungspersonal an Förderschulen im Dienst des Freistaates Sachsen stehen. Diese Vorschrift differenziert ausdrücklich nicht zwischen Lehrern an fortgeführten Schulen, an neu errichteten oder an Schulen vor oder nach der Umwandlung in eine Schulart nach dem Schulgesetz, obwohl auch die Lehrer vor dem Inkrafttreten der vorläufigen Schulordnung die Arbeitsverträge mit den Räten der Kreise geschlossen haben. § 23 Abs. 2 Satz 1 SächsSchulG ordnet die übrigen Beschäftigten dem jeweiligen Schulträger zu. Wenn nach § 42 Abs. 3 SächsSchulG der Schulleiter die unmittelbare Aufsicht über die an der Schule tätigen, nicht im Dienst des Freistaates stehenden Mitarbeiter für den Schulträger führt, so ergibt sich daraus, daß alle nicht im Dienst des Freistaates Sachsen stehenden Mitarbeiter unter der Geltung des SächsSchulG im Dienst des Schulträgers stehen.
Dem SächsSchulG kann nicht entnommen werden, ein Übergang von Arbeitsverhältnissen erfolge nur nach vorheriger Auswahl der Arbeitnehmer durch die Kommunen im Rahmen des Bedarfs. Vielmehr liegt es nahe, daß der Schulträger unmittelbar für die personellen Angelegenheiten der Personen zuständig ist, die an der Betreuungseinrichtung seiner Schule beschäftigt sind.
II. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wäre somit gemäß § 16 Abs. 3 SächsSchulG auf die Beklagte übergegangen, wenn diese die Beschäftigungseinrichtung der Klägerin weitergeführt und damit im Sinne von § 16 SächsSchulG eingerichtet hätte. Ob und wann dies der Fall war, ist von den Vorinstanzen nicht festgestellt worden. Insbesondere kann den bisherigen Feststellungen nicht entnommen werden, an welcher Schule die Klägerin vor dem 1. August 1991 beschäftigt war. Darüber hinaus ist nicht festgestellt worden, ob diese Beschäftigungseinrichtung im Gemeindegebiet der Beklagten fortgeführt wurde. Diese Feststellungen sind nachzuholen.
Unterschriften
Dr. Ascheid Richter Dr. Meyer ist wegen eines längeren Auslandsaufenthalts an der Leistung der Unterschrift verhindert. Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Brückmann
Fundstellen