Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksames Zustandekommen eines Interessenausgeiches. Nachteilsausgleich
Normenkette
BetrVG §§ 112, 113 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 28. Juni 1994 – 7 Sa 1237/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision trägt der Kläger.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines Nachteilsausgleiches.
Der am 7. Juni 1935 geborene Kläger war seit Februar 1962 beim ehemaligen volkseigenen Handelsbetrieb (HO) W., Sitz L., als Kioskleiter beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. Juli 1990 wurde dieser Betrieb in eine GmbH umgewandelt. Diese firmierte unter dem Namen Kaufpunkt E. GmbH. Die Kapitalanteile dieser GmbH hielt die Treuhandanstalt. Die Treuhandanstalt gründete am 9. Oktober 1990 die Gesellschaft zur Privatisierung des Handels mbH (im folgenden: GPH). Aufgabe dieser GmbH war es, die im Eigentum der Treuhandanstalt stehenden Betriebe der ehemaligen Handelsorganisation (HO) zu privatisieren. Im Rahmen dieser Zielsetzung veräußerte die GPH soweit möglich die Geschäftsbetriebe der Kaufpunkt E. GmbH.
Wenn eine solche Privatisierung im Einzelfall nicht möglich war, wurde der verbliebene Betriebsteil zum 30. Juni 1991 stillgelegt und den dort beschäftigten Arbeitnehmern zu diesem Zeitpunkt gekündigt.
Am 27. November 1990 kam es zum Abschluß einer als „Rationalisierungsabkommen – Interessenausgleich/Sozialplan” bezeichneten schriftlichen Vereinbarung zwischen der Kaufpunkt E. GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer S., und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen Thüringen, vertreten durch den Landesgeschäftsführer R.. Diese Vereinbarung (im folgenden: Rationalisierungsabkommen) wurde auch von der Betriebsratsvorsitzenden T. unterzeichnet. Der Geschäftsführer der Kaufpunkt E. GmbH, S., hatte seine Unterschrift unter das Rationalisierungsabkommen mit dem Zusatz „vorbehaltlich der Zustimmung der Treuhand” versehen.
Das Rationalisierungsabkommen lautet – soweit vorliegend von Interesse:
„1. Interessenausgleich
1.1. Am 29.6.1990 wurde der Volkseigene Einzelhandelsbetrieb (HO) W., Sitz L. in die „Kaufpunkt E. GmbH” L. umgewandelt.
Dieser Vorgang ist im Handelsregister (HRB 178) notariell eingetragen.
Die neue Gesellschaft ist Rechtsnachfolger des ehemaligen volkseigenen Betriebes und hat demzufolge auch alle Arbeitskräfte entsprechend ihren gültigen Arbeitsverträgen übernommen.
Jedem Betreffenden wird die Betriebs Zugehörigkeit durch die Umwandlung anerkannt.
1.2. Die wirtschaftliche Basis für die weitere Existenz der Kaufpunkt E. GmbH hängt davon ab, wie die Treuhandgesellschaft als staatlich eingesetzter Verwalter des Volkseigentums über eine Reprivatisierung unseres Handelsbetriebes entscheidet.
1.3. Die Struktur des Handelsunternehmens soll sich auf ein Food/Non-Food-Unternehmen beschränken.
Hierzu ist es notwendig, eine Entflechtung des Gaststättenbetriebes bis 31.12.1990 durchzuführen.
1.4. Aufgrund der vorgenannten Maßnahmen wurde bereits und wird noch ein Großteil der Belegschaft gekündigt.
Hierbei wird zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat jede einzelne Kündigung auf soziale Vertretbarkeit geprüft.
Für die Mitarbeiter, denen vom 1.7.–31.10.1990 gekündigt wurde bzw. die ihr Arbeitsverhältnis im Interesse des Betriebes gelöst haben, findet der Sozialplan keine Anwendung.
Für sie wird eine einmalige Anerkennung in Höhe des letzten Bruttomonatsgehalts gezahlt.
Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt das Vorruhestandsalter erreicht hatten, mußten von diesem Gebrauch machen.
Diese Vorruhestandsregelung hat mit Wirkung vom 31.12.1990 keine Gültigkeit mehr.
Alle Mitarbeiter, die im Interesse des Betriebes in Vorruhestand gegangen sind und damit für jüngere Kollegen Arbeitsplätze gesichert haben, haben keinen Anspruch auf Abfindung, da der Sozialplan erst mit Wirkung vom 1.11.1990 in Kraft tritt.
Der Sozialplan ist seit Anfang Juli in Verhandlung und aufgrund dieses Tatbestandes erhalten die Mitarbeiter, die in Vorruhestand gegangen sind, eine Abfindung als einmalige Anerkennung für ihre bisher geleistete Arbeit während der Betriebszugehörigkeit.
…
1.5. Mitarbeitern, die das 50. Lebensjahr und das 20. Betriebszugehörigkeitsjahr beendet haben, sollte ein zumutbarer Arbeitsplatz weiterhin im Betrieb angeboten werden.
2. Sozialplan
2.1. Die Regelungen dieses Sozialplanes gelten für alle Mitarbeiter in Sinne von § 5 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz, die in einem Arbeitsverhältnis mit der Kaufpunkt E. GmbH L. stehen und in diesem Betrieb beschäftigt sind.
…
2.3. Mitarbeitern, die nicht weiterbeschäftigt werden können, wird eine KÜNDIGUNG ausgesprochen.
…
2.4. Mitarbeiter, die aufgrund der im Interessenausgleich vereinbarten Maßnahmen nach dem 1.11.1990 ausscheiden müssen, haben einen Anspruch auf eine Abfindung mit der letzten Bruttoentgeltzahlung (Brutto für Netto).
Die Höchstgrenze der Abfindung entspricht dem laut Steuerrecht festgelegten Einkommenssteuerfreibetrag laut Einkommenssteuerverordnung aus dem Einkommenssteuergesetz.
1.) |
36.000,– DM |
für Mitarbeiter mit vollendetem 55. Lebensjahr und vollendeter 20jähriger Betriebs Zugehörigkeit |
2.) |
30.000,– DM |
für Mitarbeiter mit vollendetem 50. Lebensjahr und vollendeter 15jähriger Betriebszugehörigkeit |
3.) |
24.000,– DM |
in allen anderen Fällen |
…
Staffelung der Abfindungsbeträge:
– |
bis 25. Lebensjahr: |
70 % |
– |
26. bis 39. Lebensjahr: |
85 % |
– |
vom 40. Lebensjahr |
100 % in der Höhe des letzten Bruttomonatsentgeltes je vollendeten Betriebszugehörigkeitsjahr zum Ausscheidungstermin entsprechend den genannten Festlegungen |
2.8. Der Sozialplan tritt mit Wirkung vom 1.11.1990 in Kraft.
3. Finanzielle Absicherung des Sozialplanes
3.1. Die für die Durchsetzung des Sozialplanes notwendigen finanziellen Mittel werden aus den Erlösen des Verkaufs von den Grundstücken, Gebäuden und Grundmitteln des ehemaligen Volkseigenen Einzelhandelsbetriebs (HO) W. und dessen Nachfolger durch die Treuhandgesellschaft entnommen.
3.2. Der finanzielle Aufwand ist in voller Höhe in die Eröffnungsbilanz als kritische Kapitalmasse einzuarbeiten.
3.3. Der Beginn der Auszahlung der Abfindungssumme und der Anerkennungsprämien erfolgt mit Bestätigung der Eröffnungsbilanz.
…”
Eine Zustimmung der Treuhandanstalt zu diesem Rationalisierungsabkommen erfolgte nicht.
Am 28. Januar 1991 schloß die GPH mit der Gewerkschaft HBV den Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (im folgenden: GPH-TV).
Dieser Tarifvertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:
„§ 2
Geltungsbereich
1. Der Tarifvertrag gilt
a) für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch eine nach dem 31.12.1990 zugegangene Arbeitgeberkündigung oder einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet wird.
…
§ 8
Abfindung
1. Alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht auf einen neuen Arbeitgeber übergeht und gekündigt oder auf Veranlassung des Arbeitgebers durch Aufhebungsvertrag beendet wird, erhalten eine Abfindung in Höhe von 25 % ihres tariflichen Bruttomonatseinkommens pro anrechnungsfähigem Beschäftigungsjahr. Stichtag für die Bemessung des Bruttomonatsgehaltes ist der 01.02.1991 oder ein früherer Zeitpunkt des Ausscheidens. Keine Abfindung erhalten Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich oder verhaltensbedingt ordentlich gekündigt wird; der Arbeitgeber trägt die Beweislast für den Kündigungsgrund.
…
§ 12
Dieser Tarifvertrag wird für alle zur Gesellschaft gehörenden Unternehmen gemäß Anlage im Rahmen rechtsgeschäftlich begründeter Tarifführerschaft geschlossen.
Er stellt einen Einheitstarifvertrag dar, der hinsichtlich der in den obligatorischen Bestimmungen festgelegten Rechte und Pflichten nur gemeinsam ausgeübt werden kann.
…”
Die Kaufpunkt E. GmbH ist in der Anlage zu § 12 des GPH-TV aufgeführt.
Nach Abschluß des GPH-TV hatten die Betriebspartner ihre Bemühungen um eine Zustimmung der Treuhandanstalt zum Rationalisierungsabkommen eingestellt. Der Betriebsrat verlangte in der Folgezeit von der Kaufpunkt E. GmbH auch keinen Neuabschluß eines Interessenausgleichs oder Sozialplans.
Mit Schreiben vom 21. März 1991 kündigte die Kaufpunkt E. GmbH dem Kläger zum 30. Juni 1991, nachdem der Betriebsteil, in dem er beschäftigt war, nicht privatisiert werden konnte und daher stillgelegt wurde. Der Kläger griff diese Kündigung nicht an und ging ab dem 1. Juli 1991 in den Vorruhestand.
Bei seinem Ausscheiden zahlte die Kaufpunkt E. GmbH dem Kläger gemäß dem GPH-TV eine Abfindung in Höhe von 10.736,00 DM.
Der Kläger hat zunächst die Auffassung vertreten, ihm stehe auf Grund des Rationalisierungsabkommens ein Abfindungsanspruch in Höhe von 36.000,00 DM zu, auf den er sich jedoch den bereits ausgezahlten Abfindungsbetrag anrechnen lasse. Das Rationalisierungsabkommen sei nämlich vom Justitiar der Treuhandanstalt mündlich genehmigt worden.
Hilfsweise hat er geltend gemacht, wenn das Rationalisierungsabkommen mangels Zustimmung durch die Treuhandanstalt keinen wirksamen Interessenausgleich darstelle, hätte die Kaufpunkt E. GmbH einen neuen Interessenausgleich versuchen müssen, was sie aber unterlassen habe. Da er infolge der durchgeführten Betriebsänderung entlassen worden sei, stehe ihm gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG ein Nachteilsausgleich zu.
Ab dem 7. Januar 1992 wurde die Beklagte Rechtsnachfolgerin der Kaufpunkt E. GmbH.
Vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger zuletzt folgenden Antrag gestellt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von 36.000,00 DM abzüglich bereits gezahlter 10.736,00 DM = 25.264,00 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat vor dem Landesarbeitsgericht Klageabweisung beantragt.
Sie meint, das Rationalisierungsabkommen sei mangels Zustimmung der Treuhandanstalt nicht wirksam geworden, so daß der Kläger aus diesem keine Ansprüche herleiten könne. Einen Nachteilsausgleich könne er deshalb nicht verlangen, weil über einen Interessenausgleich ernsthaft verhandelt und über einen solchen im Rahmen des Rationalisierungsabkommens sogar eine Einigung erzielt worden sei. Außerdem beruft sich die Beklagte darauf, im Betrieb der Kaufpunkt E. GmbH habe die ehemalige betriebliche Gewerkschaftsleitung die Aufgabe des Betriebsrates wahrgenommen. Deren Wahl sei aber nicht nach demokratischen Grundsätzen und nicht in geheimer Abstimmung erfolgt.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte auf den ursprünglichen Hilfsantrag des Klägers zur Zahlung eines Nachteilsausgleiches in Höhe von 9.999,00 DM verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision beantragt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Mit seiner Revision wendet sich der Kläger nur noch dagegen, daß das Landesarbeitsgericht auf die Berufung der Beklagten auch seinen Hilfsantrag auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs abgewiesen hat. Gegen die Abweisung seines Hauptantrages auf Zahlung einer Abfindung auf Grund des Rationalisierungsabkommens richtet sich die Revision nicht.
Ein Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG steht dem Kläger nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung der Abweisung der Klage auf einen Nachteilsausgleich ausgeführt, die Anspruchsvoraussetzungen für einen solchen seien dem Grunde nach gegeben, weil der im Rahmen des Rationalisierungsabkommens vereinbarte Interessenausgleich unwirksam gewesen sei. Der vom Geschäftsführer der Kaufpunkt E. GmbH erklärte Genehmigungsvorbehalt habe sich nämlich sowohl auf den Interessenausgleich als auch auf den Sozialplan erstreckt. Da die Treuhandanstalt die Genehmigung des Rationalisierungsabkommens nicht erteilt habe, hätte die Kaufpunkt E. GmbH das in § 112 Abs. 2 BetrVG vorgesehene Einigungsverfahren ausschöpfen und ggf. die Einigungsstelle anrufen müssen. Der GPH-TV stelle keinen Interessenausgleich dar, weil ein solcher nur auf betrieblicher Ebene abgeschlossen werden könne.
Der Anspruch des Klägers auf einen Nachteilsausgleich werde auch nicht durch seinen Abfindungsanspruch auf Grund des GPH-TV verdrängt, jedoch müsse er sich diese Abfindung auf seinen Nachteilsausgleichsanspruch anrechnen lassen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles stehe dem Kläger kein höherer Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG als der ihm bereits bezahlte Abfindungsbetrag nach dem GPH-TV zu. Demnach sei sein Nachteilsausgleichsanspruch erfüllt.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat nur im Ergebnis.
1. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann die strittige Frage unentschieden bleiben, ob im Betrieb der Kaufpunkt E. GmbH zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Betriebsänderung und des Abschlusses des Rationalisierungsabkommens ein ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat bestanden hat, d.h., ob dieser nach demokratischen Grundsätzen von der Belegschaft in geheimer Abstimmung gewählt worden war, was nach Art. 8 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 12 Buchst. b Satz 2 Voraussetzung dafür ist, daß eine vor dem 31. Oktober 1990 gewählte Arbeitnehmer Vertretung bis längstens 30. Juni 1991 im Amt verbleiben kann.
a) Hätte nämlich bis zur Durchführung der Betriebsänderung eine solche demokratisch legitimierte Arbeitnehmervertretung im Betrieb der Kaufpunkt E. GmbH nicht bestanden, so wären auch die Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG über die Betriebsänderung und damit auch § 113 Abs. 3 BetrVG über den Nachteilsausgleich nicht zur Anwendung gekommen.
b) Nimmt man hingegen zugunsten des Klägers an, der Betriebsrat, dessen Vorsitzende T. das Rationalisierungsabkommen am 27. November 1990 unterzeichnet hatte, sei nach demokratischen Grundsätzen von allen Belegschaftsmitgliedern in geheimer Abstimmung gewählt worden, so scheidet ein Anspruch des Klägers auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG deshalb aus, weil die Kaufpunkt E. GmbH einen Interessenausgleich mit dem amtierenden Betriebsrat vereinbart hat.
2. Zum Zeitpunkt der Entlassung des Klägers am 30. Juni 1991 wegen der Auflösung des Betriebsteiles, in dem er tätig war, bestand ein schriftlicher Interessenausgleich im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zwischen der Kaufpunkt E. GmbH und ihrem Betriebsrat.
a) Das Rationalisierungsabkommen vom 27. November 1990 beinhaltet nämlich sowohl einen Interessenausgleich als auch einen Sozialplan.
Insbesondere stellt es keinen Firmentarifvertrag dar. Dies folgt zunächst daraus, daß das Rationalisierungsabkommen sowohl in der Überschrift als auch im Text ausdrücklich als Interessenausgleich und Sozialplan bezeichnet wird und daß es ausschließlich für einen Interessenausgleich und einen Sozialplan typische Regelungen beinhaltet. Auch durch eine Reihe von Formulierungen im Rationalisierungsabkommen wird deutlich, daß eigentlicher Vertragspartner der Kaufpunkt E. GmbH nicht die HBV, sondern ihr Betriebsrat ist. So heißt es beispielsweise in Ziff. 1.2.:
„Die wirtschaftliche Basis für die weitere Existenz der Kaufpunkt E. GmbH hängt davon ab, wie die Treuhandgesellschaft … über eine Reprivatisierung unseres Handelsbetriebes entscheidet.”
In Ziff. 2.4. 2. Spiegelstrich ist von einer Kommission die Rede, die „aus drei Kollegen (Geschäftsführer, ein Vertreter Betriebsrat, ein Vertreter Betrieb)” besteht und die u.a. „Meinungsverschiedenheiten, die sich aus der Auslegung und Durchführung dieser Betriebsvereinbarung ergeben”, regeln soll (Ziff. 2.7.). Abgesehen davon, daß hier von einer Betriebsvereinbarung und nicht von einem Tarifvertrag die Rede ist, handelt es sich hierbei um eine Regelung, die für einen Tarifvertrag völlig untypisch wäre, da Streitigkeiten aus einem solchen regelmäßig durch die Tarifvertragsparteien und nicht durch den Betriebsrat und den Arbeitgeber entschieden werden.
Allein der Umstand, daß auch der Landesgeschäftsführer der HBV Thüringen diese Vereinbarung unterzeichnet hat und daß das Rationalisierungsabkommen als ein solches zwischen der Kaufpunkt E. GmbH und der Gewerkschaft HBV bezeichnet wird, führt nicht dazu, dem Rationalisierungsabkommen den Rechtscharakter eines Tarifvertrages beizumessen. Diese Bezeichnung ist dadurch zu erklären, daß zum Zeitpunkt der Einführung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland im Gebiet der ehemaligen DDR infolge der Unkenntnis der damaligen betrieblichen Arbeitnehmervertreter vom neuen Recht die westdeutschen Gewerkschaften für diese beratend tätig wurden und vielfach auch in deren Namen handelten.
b) Das Rationalisierungsabkommen bezieht sich auch auf die Betriebsänderung, auf Grund derer dem Kläger zum 30. Juni 1991 betriebsbedingt gekündigt wurde.
Aus Ziff. 1.4. des Rationalisierungsabkommens folgt, daß die Betriebsparteien davon ausgehen, daß auf Grund „der vorgenannten Maßnahmen” einem Großteil der Belegschaft gekündigt werden müsse. Unter „vorgenannten Maßnahmen” können dabei nur diejenigen verstanden werden, die sich aus der Umwandlung des volkseigenen Einzelhandelsbetriebes (HO) W. in die Kaufpunkt E. GmbH (Ziff. 1.1. 1. Absatz des Rationalisierungsabkommens) sowie aus der Reprivatisierung dieses Handelsbetriebes (Ziff. 1.2. des Rationalisierungsabkommens) und der Entflechtung des Gaststättenbetriebes (1.3. des Rationalisierungsabkommens) ergeben. Darunter fallen zwangsläufig auch alle Kündigungen, welche darauf beruhen, daß im Rahmen dieser Maßnahmen Betriebe oder Betriebsteile geschlossen werden müssen, so wie es mit dem Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, zum 30. Juni 1991 der Fall war.
Die Erforderlichkeit dieser betriebsbedingten Kündigungen haben die Parteien des Rationalisierungsabkommens grundsätzlich anerkannt. Lediglich die einzelnen ausgesprochenen Kündigungen wollten sie einer Prüfung auf ihre soziale Vertretbarkeit durch Betriebsrat und Arbeitgeber unterwerfen. Dies ergibt sich aus Ziff. 1.4. 1. Absatz Rationalisierungsabkommen.
3. Dieser Interessenausgleich war auch wirksam zustande gekommen und bestand auch noch zum Zeitpunkt der Entlassung des Klägers am 30. Juni 1991.
a) Die Tatsache, daß der Geschäftsführer der Kaufpunkt E. GmbH seine Unterschrift unter das Rationalisierungsabkommen mit der Einschränkung versehen hatte „vorbehaltlich der Zustimmung der Treuhand” und daß diese Zustimmung – wie es das Landesarbeitsgericht in von der Revision nicht beanstandeter Weise festgestellt hat – nicht erfolgt ist, führt nicht dazu, daß es an einem wirksamen Interessenausgleich fehlt.
Wie in der betrieblichen Praxis üblich, hatten die Betriebspartner die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan miteinander verbunden. Dies zeigt sich nicht nur daran, daß Interessenausgleich und Sozialplan in einem einheitlichen Rationalisierungsabkommen enthalten sind, sondern auch daran, daß eine Trennung zwischen beiden nicht eindeutig erfolgt ist. So stehen Bestimmungen, welche eigentlich Sozialplanregelungen über den Ausgleich und die Milderung wirtschaftlicher Nachteile gekündigter Arbeitnehmer darstellen, im Abschnitt „Interessenausgleich”, so zum Beispiel Regelungen über Abfindungen für Arbeitnehmer, die vor dem 1. November 1990 ausgeschieden oder in den Vorruhestand gegangen sind.
Daran zeigt sich, daß die Betriebspartner den Interessenausgleich und den Sozialplan als eine Einheit betrachten, d.h., es ist davon auszugehen, daß der Sozialplan nicht ohne den Interessenausgleich und dieser nicht ohne das Zustandekommen eines Sozialplanes vereinbart worden wäre.
b) Die Betriebspartner waren sich darüber einig, daß es notwendig sei, die für die Durchführung des Sozialplanes notwendigen Mittel aus den Erlösen des Verkaufs von Grundstücken, Gebäuden und Grundmitteln des ehemaligen volkseigenen Einzelhandelsbetriebes (HO) W. und dessen Nachfolgers durch die Treuhandanstalt zu entnehmen (vgl. Ziff. 3.1. des Rationalisierungsabkommens). Damit war es für die Betriebspartner klar, daß die Kaufpunkt E. GmbH selbst die für die Erfüllung der Sozialplanansprüche notwendigen Mittel zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rationalisierungsabkommens nicht besaß, sondern daß diese erst von der Treuhandanstalt zur Verfügung gestellt werden mußten. Auf Grund dieser Tatsache hat der Geschäftsführer der Kaufpunkt E. GmbH seine Unterschrift unter das Rationalisierungsabkommen auch mit dem Zusatz „vorbehaltlich der Zustimmung der Treuhand” versehen. Die anderen Unterzeichner der Vereinbarung haben diese in Kenntnis des vom Geschäftsführer gemachten Vorbehaltes unterschrieben und waren somit auch mit diesem Vorbehalt einverstanden. Demzufolge haben die Betriebspartner das gesamte Rationalisierungsabkommen einvernehmlich „unter den Vorbehalt der Zustimmung” der Treuhandanstalt gestellt.
Dies stellt aber nicht – wie das Landesarbeitsgericht meint – ein echtes Zustimmungserfordernis im Sinne der §§ 182 ff. BGB dar. So hat das Landesarbeitsgericht insbesondere verkannt, daß ein Zustimmungserfordernis nach § 182 Abs. 1 BGB nur durch ein Gesetz, nicht jedoch durch ein Rechtsgeschäft begründet werden kann (Palandt-Heinrichs, BGB, 53. Aufl., Einf. vor § 182 BGB Rz 5; RGRK-Steffen, BGB, 12. Aufl., § 182 Rz 3; Staudinger-Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 182 Rz 7).
Es liegt auch kein Zustimmungserfordernis in der Form vor, daß die Zustimmung der Treuhandanstalt zum Rationalisierungsabkommen als aufschiebende Bedingung im Sinne des § 158 Abs. 1 BGB durch die Betriebspartner vereinbart worden ist. Vielmehr sollte durch den Vorbehalt lediglich klargestellt werden, daß die Verpflichtungen aus dem Sozialplan nur dann erfüllt werden können, wenn die Treuhandanstalt die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen würde und daß die Kaufpunkt E. GmbH für den Fall, daß diese Drittzuwendung durch die Treuhandanstalt ausbleiben sollte, zur Zahlung der Sozialplanabfindungen nicht verpflichtet sein sollte.
Damit ist dieser Fall mit dem vergleichbar, daß die Betriebspartner in einem Interessenausgleich und Sozialplan ausdrücklich geregelt haben, daß vereinbarte Sozialplanleistungen für die einzelnen Arbeitnehmer nur dann entstehen sollen, wenn die Treuhandanstalt die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Solche Vereinbarungen hat der Senat als zulässig angesehen (vgl. Urteile vom 11. August 1993 – 10 AZR 485/92 – AP Nr. 70 zu § 112 BetrVG 1972; vom 16. März 1994 – 10 AZR 75/93 – AP Nr. 74 zu § 112 BetrVG 1972; vom 12. Oktober 1994 – 10 AZR 341/92 – n.v.).
Wenn es zulässig ist, den Anspruch auf eine Abfindung aus einem Sozialplan von einer entsprechenden Zweck Zuwendung der Treuhandanstalt abhängig zu machen, so führt das Ausbleiben dieser Zuwendung nicht dazu, daß ein wirksam vereinbarter Sozialplan ohne weiteres unwirksam wird; vielmehr besteht er – ggf. bis zum Abschluß eines neuen Sozialplanes – weiter.
Da das Rationalisierungsabkommen sowohl einen Interessenausgleich als auch einen Sozialplan beinhaltet, der Sozialplan aber trotz Nichtzustimmung, d.h. trotz Nichtfinanzierung durch die Treuhandanstalt, rechtlichen Bestand hat, bleibt es auch beim Fortbestand des Interessenausgleiches. Dies gilt zumindest dann, wenn die Betriebspartner – wie im zu entscheidenden Falle – nicht zu erkennen gegeben haben, daß der Interessenausgleich nur für den Fall als vereinbart gelten solle, daß alle Ansprüche aus dem gleichzeitig vereinbarten Sozialplan auch tatsächlich erfüllt werden können.
Da demnach ein wirksamer Interessenausgleich zwischen der Kaufpunkt E. GmbH und dem bei ihr bestehenden Betriebsrat zustande gekommen war, steht dem infolge der durch den Interessenausgleich geregelten Betriebsänderung entlassenen Kläger kein Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu, so daß seine Revision zurückzuweisen war.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, Böck, Hermann, Wolf
Fundstellen