Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 20.11.1992; Aktenzeichen 5 Sa 83/92 L)

KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 03.04.1992; Aktenzeichen 15 Ca 163/91)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 20. November 1992 – 5 Sa 83/92 L. – wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.

Die 1948 geborene Klägerin war seit 1971 an einer Oberschule in Leipzig als Deutschlehrerin beschäftigt. Von 1981 bis 1988 war sie Vorsitzende der Schulgewerkschaftsleitung. Im Oktober 1988 übernahm die Klägerin das Amt des ehrenamtlichen Parteisekretärs an ihrer Schule und übte diese Funktion bis Oktober 1989 aus.

Mit Schreiben des Oberschulamtes Leipzig vom 18. Dezember 1991, der Klägerin am selben Tage zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1992. Die Kündigung begründete er damit, die Klägerin sei wegen ihrer früheren Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär als Lehrerin persönlich nicht geeignet.

Mit ihrer am 18. Dezember 1991 beim Kreisgericht eingereichten Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Sie hat vorgetragen, ihre kurzfristige Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär mache sie für den Beruf als Lehrerin nicht persönlich ungeeignet. Sie habe bei Ausübung dieses Amtes jegliche Vereinnahmung durch den Parteiapparat abgelehnt. Das Amt des Parteisekretärs habe sie Mitte Oktober 1988 lediglich vertretungshalber übernommen, weil der eigentliche Parteisekretär an der Bezirksparteischule studiert habe. Drei Wochen nach ihrer Wahl sei sie von ihrer Funktion zurückgetreten, da sie sich nicht in der Lage gefühlt habe, die Aufgaben zu erfüllen. Nach einem erneuten Gespräch mit der SED-Kreisleitung sei verbindlich festgelegt worden, daß sie die Funktion lediglich ein Jahr ausüben und dabei nur organisatorische Aufgaben erfüllen solle. Anfang Oktober 1989 habe sich die Schulparteigruppe dann aufgelöst.

Die Klägerin hat, soweit in der Revision noch erheblich,

beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 1991 nicht beendet worden sei,

ferner – für den Fall, daß sie mit dem Feststellungsantrag obsiege – den Beklagten zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, die Klägerin, sei als ehrenamtlicher Parteisekretär für eine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst persönlich nicht geeignet. Die Klägerin könne den Schülern die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht glaubwürdig vermitteln. Die Tätigkeit eines ehrenamtlichen Parteisekretärs sei mit Lenkungs- und Kontrollfunktionen sowie mit Berichtspflichten verbunden gewesen, die den Parteisekretär derart in den Aufbau der SED eingegliedert hätten, daß seine besondere Identifikation mit den Zielen des SED-Staates erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung begründeten. Im Rahmen der Gesamtwürdigung seien auch die weiteren Funktionen der Klägerin als Vorsitzende der Schulgewerkschaftsleitung und Mitglied der Schulparteileitung zu berücksichtigen.

Das Kreisgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den weitergehenden Feststellungsantrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klägerin als Lehrerin für Deutsch und Hauswirtschaft weiterzubeschäftigen sei. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 18. Dezember 1991 nicht zum 31. März 1992 aufgelöst worden ist.

A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:

Eine jahrelange Tätigkeit als ehrenamtlicher Parteisekretär sei für sich allein nicht geeignet, eine Kündigung wegen mangelnder persönlicher Eignung zu rechtfertigen. Das Amt sei in der Regel ohne Abminderungsstunden wahrgenommen worden und habe weite Spielräume für die Amtsausübung gelassen. Zudem lasse die nur einjährige Tätigkeit der Klägerin als Parteisekretärin den Schluß auf eine mangelnde persönliche Eignung nicht zu. Wenn der Beklagte die Einlassung der Klägerin, das Amt nur nach erheblichen Widerständen und nur vorübergehend übernommen zu haben, als Schutzbehauptung abtue, verkenne er die Darlegungs- und Beweislast. Auch hinsichtlich der übrigen Funktionen habe der Beklagte es unterlassen darzustellen, inwieweit diese Tätigkeiten eine persönliche Ungeeignetheit der Klägerin begründen könnten.

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

I. Nach Abs. 4 Ziff. 1 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die Wirksamkeit der Kündigung ist aufgrund einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung zu beurteilen.

1. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).

Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, unter B III 1, 2 der Gründe).

Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a, aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung bestimmt, zu III der Gründe; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.

Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.

2. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die nur einjährige Tätigkeit der Klägerin als ehrenamtlicher Parteisekretär nicht die mangelnde persönliche Eignung im vorstehend dargestellten Sinne indiziert.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats begründet die langjährige Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Parteisekretär Zweifel an der persönlichen Eignung eines Lehrers. Der Parteiapparat unterhalb der Ebene der SED-Kreisleitung umfaßte auch die ehrenamtlichen Parteisekretäre an Schulen. Sie waren immer Mitglied der Schulleitung, hatten Mitspracherecht bei jeder politischen Entscheidung des Direktors und bei Auszeichnungen und Beförderungen. Der Parteisekretär kontrollierte und überwachte den Direktor hinsichtlich der Durchsetzung der vorgegebenen politischen Ziele. Er leitete die Parteiversammlung. Er war verantwortlich für die politische Bildung der Kinder, Jugendlichen und Lehrer. Er hatte über das politische Klima der Schule an die SED-Kreisleitung zu berichten. Er war damit Repräsentant der staatstragenden Partei SED in der Schule. Wurde dieses wichtige Amt wiederholt ausgeübt, ist die besondere Identifikation des ehrenamtlichen Parteisekretärs mit den Zielen des SED-Staates indiziert (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt Urteil vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 174/93 – n.v.).

b) Die Klägerin hat das Amt des ehrenamtlichen Parteisekretärs aber nur ein Jahr ausgeübt. Sie hat damit nur kurzfristig eine Funktion wahrgenommen, aufgrund derer sie in gehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Die aus der langjährigen Ausübung des Amtes eines ehrenamtlichen Parteisekretärs herrührende Indizwirkung ist somit nicht gegeben.

c) Damit kommt es nicht mehr auf die Behauptung der Klägerin an, sie sei bereits nach drei Wochen von ihrer Funktion zurückgetreten und habe sich anschließend nur zur auf ein Jahr befristeten Ausübung des Amtes bereit erklärt. Ebenso kann offenbleiben, aus welchen Gründen die Schulparteigruppe im Oktober 1989 aufgelöst wurde. Einer Entkräftung der Annahme einer besonderen Identifikation mit dem SED-Staat durch eine Einzelfallprüfung der vorgetragenen entlastenden Tatsachen bedürfte es nur, wenn die Indizwirkung durch eine nicht nur kurzfristige Ausübung des Amtes des ehrenamtlichen Parteisekretärs oder aufgrund anderer konkreter Umstände gegeben wäre.

3. Soweit das beklagte Land die mangelnde Eignung der Klägerin zusätzlich aus ihrer langjährigen Tätigkeit als Vorsitzende der Schulgewerkschaftsleitung und als Mitglied der Schulparteileitung herleitet, rechtfertigt dies die ausgesprochene Kündigung nicht. Es ist nicht dargetan, daß es sich um Funktionen handelt, aufgrund derer die Klägerin in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Daß das Amt des Vorsitzenden der Schulgewerkschaftsleitung eine besondere politische Indoktrination erforderte, hat der Beklagte nicht dargelegt. Nach Angaben des Beklagten oblag es der Schulgewerkschaftsleitung, für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zugunsten der Arbeitnehmer Sorge zu tragen. Die Wahrnehmung dieses Amtes begründet daher keine die Eignung als Lehrer ausschließende Zweifel. Um annehmen zu können, die Klägerin habe sich in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert, hätte es daher zusätzlicher Umstände bedurft, so z.B. einer nicht sachbezogenen, im Sinne der SED doktrinären Amtsführung. Der Beklagte hat aber nur die Ämter der Klägerin aufgezählt. Das beklagte Land hat nicht dargetan, daß die Nichteignung der Klägerin aus der individuellen Führung dieser Ämter folge.

II. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Wittendorfer, Sperl

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1079662

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