Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. neues Arbeitsverhältnis. Fortsetzung der Rechtsprechung aus den Urteilen vom 1. Dezember 1994 – 6 AZR 571/94 – und vom 9. August 1995 – 6 AZR 133/95 – nicht veröffentlicht
Leitsatz (amtlich)
Soweit sich ein Anspruch auf Abfindung nach § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW verringert, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses in ein neues Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eintritt, findet diese Regelung auch dann Anwendung, wenn ein befristetes Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme mit einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes begründet wird.
Normenkette
Tarifvertrag zur sozialen Absicherung von Waldarbeitern vom 6. Juli 1992 (TV soziale AbsicherungW) § 2; Manteltarifvertrag Waldarbeiter-Ost (MTW-O) vom 5. April 1991 § 67
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses ein tariflicher Abfindungsanspruch zusteht.
Der Kläger war seit dem 1. Januar 1975 beim beklagten Land bzw. dessen Rechtsvorgänger im Staatlichen Forstamt S… als Forstfacharbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag Waldarbeiter-Ost (MTW-O) vom 5. April 1991 in seiner jeweiligen Fassung sowie der Tarifvertrag zur sozialen Absicherung von Waldarbeitern vom 6. Juli 1992 (TV soziale AbsicherungW) Anwendung.
Mit Schreiben vom 16. September 1992 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1992 nach Anlage I Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 3 des Einigungsvertrages, weil die bisherige oder anderweitige Verwendung des Klägers wegen wesentlicher Änderung des Aufbaus der Forstwirtschaft nicht mehr möglich war.
Am 24. November 1992 wurde zwischen dem Kläger und dem Staatlichen Forstamt L… des beklagten Landes ein Arbeitsvertrag im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis zum 30. November 1993 vereinbart. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte der Kläger mit Schreiben vom 25. Februar 1993 zum 1. März 1993, weil er eine Beschäftigung bei einem privaten Fuhrunternehmen aufnehmen wollte.
Mit Schreiben vom 14. Juli 1993 forderte der Kläger das beklagte Land auf, ihm eine Abfindung nach § 2 TV soziale AbsicherungW zu gewähren.
Die tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrages zur sozialen Absicherung von Waldarbeitern haben, soweit vorliegend von Interesse, folgenden Wortlaut:
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Geltungsbereich
Dieser Tarifvertrag gilt für die unter den MTW-O fallenden Waldarbeiter.
§ 2
Abfindung
(1) Ein Waldarbeiter, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil
a) er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist
oder
b) die bisherige Beschäftigungsstelle ersatzlos aufgelöst wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Änderung des Aufbaues der Beschäftigungsstelle die bisherige oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr möglich ist,
erhält eine Abfindung …
(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr der Betriebszugehörigkeit im Sinne des § 54 Abs. 1 und 2 MTW-O (…) ein Viertel des mit dem Faktor 174 vervielfältigten letzten Zeitlohns – … –, mindestens aber die Hälfte und höchstens das Fünffache dieses Lohnes. Sie darf den Betrag von 10.000,00 DM nicht übersteigen …
(3) Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Hat der Arbeitgeber gekündigt, wird die Abfindung fällig, sobald endgültig feststeht, daß das Arbeitsverhältnis beendet ist (z.B. bei Verzicht auf Klage gegen die Kündigung oder bei Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung).
…
(6) Tritt der Waldarbeiter in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrunde liegende Anzahl von Bruchteilen des Monatslohnes (Absatz 2), verringert sich die Abfindung entsprechend. Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen.
…”
§ 29 Abschnitt B Abs. 7 BAT-O/BAT hat folgenden Wortlaut:
“(7) Öffentlicher Dienst i.S.d. Absätze 2, 5 u. 6 ist die Tätigkeit im Dienste des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde oder anderer Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts oder der Verbände von solchen …”
§ 67 MTW-O enthält folgende Regelung:
“Ausschlußfrist
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, soweit der Tarifvertrag nichts anderes bestimmt”.
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe ein Abfindungsanspruch nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV soziale AbsicherungW in Höhe von 10.000,-- DM zu, da ihm vom beklagten Land wegen mangelnden Bedarfs gekündigt worden sei. Der Abfindungsanspruch entfalle nicht nach § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW. Das befristete ABM-Arbeitsverhältnis beim beklagten Land sei rechtlich nicht als neues Arbeitsverhältnis i.S.d. tariflichen Bestimmung anzusehen, da es zu keiner dauerhaften Absicherung führe. Im übrigen habe es nur zwei Monate bestanden.
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 10.000,-- DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 25. August 1993 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land meint, ein Abfindungsanspruch sei nach § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW entfallen, da der Kläger im unmittelbaren Anschluß an das durch die Kündigung beendete Arbeitsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eingetreten sei. Dabei sei es ohne Bedeutung, daß das Arbeitsverhältnis auf einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beruht habe. Außerdem sei es vom Kläger selbst gekündigt worden. Im übrigen habe der Kläger die tarifliche Ausschlußfrist nach § 67 MTW-O zur Geltendmachung des Anspruchs versäumt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Dem Kläger steht ein tariflicher Abfindungsanspruch nicht zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klage sei unbegründet. Der Kläger habe zwar die Voraussetzungen für einen Abfindungsanspruch nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV soziale AbsicherungW erfüllt. Ihm sei wegen mangelnden Bedarfs zum 31. Dezember 1992 gekündigt worden. Der Anspruch sei jedoch nach § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW entfallen, da er in unmittelbarem Anschluß an das beendete Arbeitsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, nämlich wiederum beim beklagten Land, eingetreten sei. Auch ein Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sei als Arbeitsverhältnis i.S.v. § 2 Abs 6 TV soziale AbsicherungW anzusehen. Aus diesem Arbeitsverhältnis sei kein Abfindungsanspruch entstanden, da es vom Kläger selbst gekündigt worden sei.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Der tarifliche Abfindungsanspruch des Klägers ist nach § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW entfallen, da er in unmittelbarem Anschluß an das beendete Arbeitsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes eingetreten ist.
1. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für einen Abfindungsanspruch nach § 2 Abs. 1 Buchst. a TV soziale AbsicherungW. Sein Arbeitsverhältnis ist durch Kündigung des beklagten Landes zum 31. Dezember 1992 beendet worden, weil er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar war.
2. Der Anspruch ist entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht nach § 67 MTW-O verfallen.
Zwar handelt es sich bei dem Anspruch auf Abfindung nach § 2 TV soziale AbsicherungW um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, der nach § 67 MTW-O innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen ist (vgl. BAG Urteil vom 20. März 1997 – 6 AZR 865/95 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt). Die Fälligkeit trat jedoch nicht nach § 2 Abs. 3 TV soziale AbsicherungW am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 1. Januar 1993, sondern frühestens im März 1993 ein. Dies beruht darauf, daß die Fälligkeit nicht vor Wirksamwerden des Tarifvertrages und damit nicht vor seiner abschließenden Unterzeichnung (§ 1 Abs. 2 TVG, § 126 Abs. 2, § 125 Satz 1 BGB) eintreten konnte (BAG Urteile vom 1. Juni 1995 – 6 AZR 926/94 – AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR und 9. August 1995 – 6 AZR 1047/94 – AP Nr. 16 zu § 1 TVG Rückwirkung, beide auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Diese erfolgte jedoch nicht am 6. Juni 1992, sondern, wie im Urteil des Senats vom 20. März 1997 (aaO) ausgeführt wurde, frühestens im März 1993. Mit der Geltendmachung seines Anspruchs mit Schreiben vom 14. Juli 1993 hat der Kläger deshalb die tarifliche Ausschlußfrist gewahrt.
3. Der Abfindungsanspruch ist nach § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW jedoch entfallen.
a) Nach dieser Bestimmung verringert sich der Anspruch auf Abfindung, wenn der Arbeitnehmer in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber i.S.d. § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer ist als die der Abfindung zugrundeliegende Anzahl von nach § 2 Abs. 2 TV soziale AbsicherungW zu berechnenden Bruchteilen der Monatsvergütung. Nach dieser Regelung besteht kein Abfindungsanspruch für den Kläger.
b) Der Kläger ist nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1992 am 1. Januar 1993 in ein Arbeitsverhältnis bei dem beklagten Land eingetreten. Das beklagte Land ist ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes i.S.v. § 27 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT. Da zwischen der Beendigung des alten und der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses kein Kalendermonat liegt, entfiel der Anspruch auf die Abfindung.
c) Bei dem Arbeitsverhältnis, in das der Kläger ab 1. Januar 1993 beim beklagten Land eingetreten ist, handelt es sich – entgegen seiner Auffassung – auch um ein Arbeitsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW.
Nach der Rechtsprechung des Senats ist nach dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung und dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung auch ein befristetes Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach §§ 93, 97 AFG als neues Arbeitsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW anzusehen, wenn es mit einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes begründet wird (vgl. BAG Urteile vom 1. Dezember 1994 – 6 AZR 571/94 – und vom 9. August 1995 – 6 AZR 133/95 – nicht veröffentlicht).
Die Tarifvertragsparteien gehen bei der tariflichen Regelung in § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW im Grundsatz davon aus, daß durch die Einkünfte aus dem neuen Arbeitsverhältnis der finanzielle Bedarf entfällt, der durch den weggefallenen Teil der Abfindung gedeckt werden soll. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das neue Arbeitsverhältnis befristet oder auf unbestimmte Zeit begründet wird.
Soweit der Kläger darauf verweist, daß ein befristetes Arbeitsverhältnis im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu keiner dauerhaften Absicherung führe und zudem aufgrund der Regelungen im AFG (§ 93 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3) der Disposition durch das Arbeitsamt unterliege, rechtfertigt dies nicht, derartige Arbeitsverhältnisse generell vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW auszunehmen. Dies folgt daraus, daß die Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Beendigungsmöglichkeiten für das neue Arbeitsverhältnis keine Differenzierung normiert haben und auch der Abschluß eines neuen unbefristeten Arbeitsverhältnisses zunächst nicht zu einem kündigungsschutzrechtlichen Bestandsschutz (§ 1 Abs. 1 KSchG) und damit sogleich zu einer dauerhaften Absicherung führt.
Anhaltspunkte für eine rechtsmißbräuchliche Umgehung der Abfindungsregelung durch Abschluß des befristeten Arbeitsvertrages im Rahmen der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Arbeitsverhältnis wurde für die Dauer von 11 Monaten abgeschlossen. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dieses Angebot sei von dem beklagten Land nur deshalb gemacht worden, um sich von dem Abfindungsanspruch zu befreien. Auch liegt eine kurzfristige Beendigung durch das Arbeitsamt nicht vor, sondern das Arbeitsverhältnis wurde vom Kläger selbst gekündigt, um eine neue Stelle außerhalb des öffentlichen Dienstes antreten zu können.
4. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 9. August 1995 – 6 AZR 133/95 – n.v.) verstößt die Tarifbestimmung des § 2 Abs. 6 TV soziale AbsicherungW nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Soweit die Regelung zwischen ausgeschiedenen Arbeitnehmern, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums in ein neues Arbeitsverhältnis eintreten, und solchen Arbeitnehmern unterscheidet, die in dieser Zeit kein neues Arbeitsverhältnis begründen, ist dies aufgrund des durch die Einkünfte aus dem neuen Arbeitsverhältnis geringeren Bedarfs sachlich gerechtfertigt. Soweit die Vorschrift zwischen neuen Arbeitsverhältnissen zu Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes und zu sonstigen Arbeitgebern differenziert, besteht die erforderliche sachliche Rechtfertigung darin, daß auch eine doppelte Belastung öffentlicher Haushalte ausgeschlossen werden soll.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Böck, R. Kamm, Matiaske
Fundstellen
Haufe-Index 884913 |
NZA 1997, 1006 |