Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichbehandlung bei unterschiedlichen Tarifverträgen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Tarifvertragsparteien sind bei ihrer rechtsetzenden Tätigkeit an den Gleichheitssatz der Verfassung gebunden. Sie haben vergleichbare Arbeitnehmergruppen gleich zu behandeln. Ein Vergleich kann nicht daran scheitern, daß die Rechtsverhältnisse in unterschiedlichen Tarifverträgen geregelt werden (im Anschluß an das Urteil des EuGH vom 27. Oktober 1993 - Rs C-127/92 - AP Nr 50 zu Art 119 EWG-Vertrag).
2. Die unterschiedliche Behandlung der Fleischbeschautierärzte in Bezug auf Zusagen der betrieblichen Altersversorgung bedarf eines sachlichen Grundes. Die Vereinbarung einer Stückvergütung rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung, wenn die Tierärzte ihr Entgelt für die geleistete Arbeitsstunde in nicht unerheblichem Umfange selbst bestimmen können, andere Fleischbeschautierärzte wegen des festen Stundenlohns diese Möglichkeit nicht haben. Die Möglichkeit, bedeutend höhere Verdienste je Arbeitsstunde erzielen zu können, ist ein Ausgleich für die fehlende Versorgungszusage. Beide Regelungen gehören zum Regelungsbereich des Arbeitsentgelts; sie sind deshalb in einen Gesamtvergleich einzubeziehen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 02.08.1994; Aktenzeichen 6 Sa 1505/93) |
ArbG Rheine (Entscheidung vom 22.07.1993; Aktenzeichen 1 Ca 357/93) |
Tatbestand
Der Kläger will festgestellt wissen, daß er während seiner Tätigkeit für den beklagten Landkreis einen Anspruch auf Zusatzversorgung nach Maßgabe der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst erworben hat.
Der 1925 geborene Kläger war von 1969 bis zum 28. Februar 1990 zunächst beim Rechtsvorgänger des beklagten Landkreises, dem Landkreis T , und ab 1. Januar 1975 beim beklagten Landkreis S als angestellter Fleischbeschautierarzt beschäftigt. Er war verantwortlich für die Schlachttier- und Trichinenschau. Nach § 3 seines Arbeitsvertrages war der "Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Fleischbeschautierärzte, Fleischbeschauer und Trichinenschauer außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 1. April 1969 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen" anzuwenden (heute: Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe). Dieser Tarifvertrag sieht keine Zusatzversorgung vor. Er legt für die Tätigkeiten der Arbeitnehmer bestimmte Stückvergütungen fest.
Für die Landkreise war der Kläger im Durchschnitt zwischen 16 und 18 Stunden wöchentlich tätig. Er wurde überwiegend nach den im Tarifvertrag vorgesehenen Vergütungen bezahlt. Daneben betrieb der Kläger eine Tierarztpraxis. Seine Einnahmen aus dieser Praxis blieben hinter den Einkünften als Fleischbeschautierarzt zurück.
Die Rechtsverhältnisse der Fleischbeschautierärzte sind in unterschiedlichen Tarifverträgen geregelt. Vollzeitbeschäftigte amtliche Tierärzte in öffentlichen Schlachthöfen fallen unter den Geltungsbereich des Bundes-Angestelltentarifvertrages. Sie werden bei Zusatzversorgungskassen versichert. Die Arbeitsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen werden in einem besonderen Tarifvertrag geregelt. Seit dem 1. April 1979 sind die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallenden Fleischbeschautierärzte nach Maßgabe des Versorgungstarifvertrages zu versichern, wenn sie mindestens 1.000 Arbeitsstunden im Kalenderjahr geleistet haben.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der beklagte Landkreis sei verpflichtet, ihm eine Zusatzversorgung bei der Kommunalen Zusatzversorgungskasse Westfalen-Lippe (ZKW) zu verschaffen. Für den Ausschluß der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure, die außerhalb öffentlicher Schlachthöfe tätig werden, gebe es keine sachlichen Gründe.
Der Kläger hat deshalb sinngemäß beantragt
festzustellen, daß der beklagte Landkreis ver-
pflichtet ist, ihm ab 1. März 1990 die Versor-
gungsleistungen zu verschaffen, die er erhalten
würde, wenn er vom 1. Januar 1973 bis zum 28. Fe-
bruar 1990 im Rahmen seiner Tätigkeit für den be-
klagten Landkreis und seinem Rechtsvorgänger bei
der Kommunalen Zusatzversorgungskasse Westfalen--
Lippe versichert gewesen wäre.
Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Tarifvertragsparteien hätten wegen der vorgesehenen Stückvergütung bewußt von einer Zusatzversorgung abgesehen. Die unter diesen Tarifvertrag fallenden Arbeitnehmer erhielten auch kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Diese Leistungen seien durch die Stückvergütung ausgeglichen. Auf den unterschiedlichen zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung komme es im Fall des Klägers nicht an.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landkreises hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision will der Kläger erreichen, daß das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Tarifvertrag, der auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anzuwenden ist, sieht keine Zusatzversorgung vor. Der Ausschluß dieser Arbeitnehmer von Leistungen der Zusatzversorgung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
I. Weder der mit dem Kläger vereinbarte Arbeitsvertrag noch der wegen der einzelvertraglichen Bezugnahme geltende Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Fleischbeschautierärzte außerhalb öffentlicher Schlachthöfe sehen einen Anspruch auf Zusatzversorgung vor. Die übrigen Tarifverträge, die die Arbeitsverhältnisse von Tierärzten und Fleischkontrolleuren regeln, sind auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anzuwenden.
II. Der Anspruch des Klägers könnte sich nur aus dem auf sein Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrag ergeben, wenn der Ausschluß dieser Gruppe von Arbeitnehmern von einer Zusatzversorgung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstieße und dem Kläger deshalb die den übrigen Tierärzten zugesagten Versorgungsansprüche eingeräumt werden müßten. Das ist jedoch nicht der Fall.
1. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind Tarifverträge dahin zu überprüfen, ob sie gegen das Grundrecht der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen. Art. 9 Abs. 3 GG stehe dieser Prüfung nicht entgegen. Den Tarifvertragsparteien sei deshalb eine Gruppenbildung untersagt, für die es keine billigenswerten, vernünftigen und sich aus der Natur der Sache ergebenden oder sonst einleuchtenden Gründe gebe. Im vorliegenden Fall gebe es sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Die Tierärzte, die für ihre Tätigkeit eine Stückvergütung erhielten, brauchten den angestellten Tierärzten, die nach der zeitlichen Inanspruchnahme bezahlt würden, nicht gleichgestellt zu werden. Die außerhalb der öffentlichen Schlachthöfe tätigen Tierärzte seien an keine feste Arbeitszeit gebunden, sie könnten eine weitere Berufstätigkeit ausüben.
2. Der Senat folgt der Beurteilung des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis und auch weitgehend in der Begründung.
a) Der Anspruch des Klägers kann sich nur aus dem Tarifvertrag ergeben, nicht auch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Arbeitgeber wendet nur tarifliche Bestimmungen an. Er gestaltet nicht den Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Das gilt auch für den Fall, daß der Tarifvertrag in Bezug genommen wird. Mit der Einbeziehung der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer verändert der Arbeitgeber nicht den Regelungsinhalt, er hält sich vielmehr an die vorgegebene Ordnung, die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelt wurde (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Die Tarifvertragsparteien sind bei ihrer rechtsetzenden Tätigkeit insgesamt an den Gleichheitssatz der Verfassung gebunden. Ein Vergleich der Arbeitnehmergruppen kann deshalb nicht daran scheitern, daß die Rechtsverhältnisse an sich vergleichbarer Arbeitnehmergruppen von denselben Tarifvertragsparteien in unterschiedlichen Tarifverträgen geregelt wurden (vgl. hierzu auch EuGH Urteil vom 27. Oktober 1993 - Rs C 127/92 - AP Nr. 50 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu Nr. 22 der Gründe).
c) Die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer die als Fleischbeschautierärzte tätig werden, bedarf im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG eines sachlichen Grundes. Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Grundgesetz verstoßen. Der allgemeine Gleichheitssatz ist Teil der objektiven Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht. Er ist auch von den Tarifvertragsparteien zu beachten. Art. 9 Abs. 3 GG steht dem nicht entgegen. Mit der Tarifautonomie ist den Tarifvertragsparteien die Macht verliehen, wie ein Gesetzgeber Rechtsnormen zu schaffen. Deshalb müssen sie sich auch wie der Gesetzgeber an die zentrale Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG halten (vgl. Urteil des Senats vom 7. März 1995 - 3 AZR 282/94 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
d) Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Für die unterschiedliche Behandlung gibt es sachlich einleuchtende Gründe. Die Vereinbarung einer Stückvergütung rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung in Fragen der Altersversorgung. Anders als die Tierärzte in öffentlichen Schlachthöfen können die Tierärzte, die außerhalb öffentlicher Schlachthöfe tätig werden, wegen der vereinbarten Stückvergütung ihr Entgelt für die geleistete Arbeitsstunde in nicht unerheblichem Umfange selbst bestimmen. Sie können sich dadurch gleichzeitig freie Zeit verschaffen, die sie für ihren Beruf als freie Tierärzte verwenden können. Dem steht nicht entgegen, daß die Vergütung der nicht vollbeschäftigten Tierärzte, die innerhalb und außerhalb der öffentlichen Schlachthöfe tätig werden, vom Arbeitsanfall in den jeweiligen Schlachthöfen abhängt. Es kommt mehr auf die relative Verdienstmöglichkeit während der jeweils aufzuwendenden Arbeitszeit an. Auch wenn die Höhe der Stückvergütungen auf Erfahrungswerten zum zeitlichen Umfang einer Prüfung beruht, schließt das die strukturellen Unterschiede bei der Regelung der Vergütung nicht aus. Die außerhalb der öffentlichen Schlachthöfe gegen Stückvergütungen beschäftigten Tierärzte können ihren Stundenverdienst tatsächlich erheblich steigern. Dafür sprechen auch die Bestimmungen des Tarifvertrages, die Ermäßigungen für Stückvergütungen vorsehen, wenn die Tätigkeit einen bestimmten Umfang überschreitet (§ 12 des Tarifvertrages).
Die Möglichkeit, bedeutend höhere Verdienste je Arbeitsstunde erzielen zu können, ist ein Ausgleich für die fehlende Versorgungszusage. Beide Regelungen gehören zum Regelungsbereich des Arbeitsentgelts; sie sind deshalb in einen Gesamtvergleich einzubeziehen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, den der Senat im Urteil vom 25. April 1995 (- 3 AZR 446/94 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen) zu beurteilen hatte.
Dr. Heither Kremhelmer Bröhl
Schwarze G. Hauschild
Fundstellen
Haufe-Index 438789 |
BB 1995, 2327 |
BB 1996, 380 |
BB 1996, 380-381 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
DB 1996, 535-536 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
NJW 1996, 1980 |
NJW 1996, 1980 (Leitsatz 1-2) |
BuW 1995, 776 (Kurzwiedergabe) |
BetrAV 1996, 121-122 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
NZA 1996, 656 |
NZA 1996, 656-657 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
SAE 1997, 207 (Leitsatz 1) |
ZTR 1996, 265 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
AP § 242 BGB, Nr 132 |
AP § 611 BGB, Nr 21 |
AR-Blattei, ES 820 Nr 17 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
EzA, (Leitsatz 1-2 und Gründe) |
EzBAT § 46 BAT, Nr 29 (Leitsatz 1-2) |
EzBAT § 8 BAT Gleichbehandlung, Nr 23 (Leitsatz 1-2) |
EzBAT, TV Fleischbeschaupersonal außerh öffentl Schlachthöfe Zusatzversorgung Nr |
Heither, ES-BetrAVG Nr 4120/2 (Leitsatz 1-2 und Gründe) |