Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen MfS-Tätigkeit (Berufsschullehrer)
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; BGB § 626 Abs. 2; PersVG LSA § 67 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 26. Juni 1997 – 9 Sa 493/96 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) stützt.
Der am … 1953 geborene Kläger ist Diplom-Ingenieurpädagoge. Er war als Berufsschullehrer seit dem 15. August 1977 an der Betriebsberufsschule des VEB I… B… und seit dem 1. August 1984 an der Betriebsberufsschule des VEB M… in Eisleben tätig. Am 1. September 1990 schloß der Kläger mit dem Schulamt des Landkreises E… einen Arbeitsvertrag für pädagogische Kräfte in den Einrichtungen der Berufsausbildung. Seit dem 1. Juli 1991 war der Kläger beim Beklagten als vollbeschäftigte Lehrkraft im Angestelltenverhältnis auf unbestimmte Zeit beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. August 1995 wurde er in die VergGr. II a BAT-O eingruppiert. Seine monatlichen Bezüge beliefen sich zuletzt auf 6.000,00 DM brutto.
Am 25. September 1991 beantwortete der Kläger die ihm schriftlich gestellte Frage “Waren Sie Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder beim Amt für Nationale Sicherheit?” mit nein. Mit Schreiben vom 14. September 1992 versicherte der Kläger gegenüber der Bezirksregierung Halle, kein Mitarbeiter oder Informant des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit bzw. der Nachfolgeeinrichtung Amt für Nationale Sicherheit gewesen zu sein, keinerlei Gelder von diesen Institutionen erhalten und bewußt auch keine Informationen denunzierenden Charakters zur Verwendung durch das Ministerium für Staatssicherheit bzw. das Amt für Nationale Sicherheit gegeben zu haben. In einer Anlage zur Erklärung vom 25. September 1991 antwortete der Kläger auf die Frage “Haben Sie jemals offiziell oder informell, hauptamtlich oder in anderer Art und Weise mit dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit zusammengearbeitet? Wenn ja: In welcher Weise? Wann? Wo?”: “allg. Auskünfte über Lehrlinge mit militärischer Laufbahn”.
Am 2. September 1992 beantragte der Kläger die Anerkennung von Vordienstzeiten. Dabei beantwortete er die Frage nach einer “Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit in irgendeiner Form” mit “Nein”.
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: BStU) teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 17. Juli 1995 mit, aus den bisher erschlossenen Unterlagen ergäben sich Hinweise auf eine Tätigkeit des Klägers für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR. Der Kläger sei als gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) unter Verwendung des Decknamens “Peter Wolf” im Zeitraum vom 25. März 1980 bis zum 24. Juni 1981 im Bereich der Betriebsberufsschule des VEB I… B… tätig gewesen. Die Personal- und Arbeitsakte umfasse 83 Seiten, enthalte elf Treffberichte der Führungsoffiziere und zwölf handschriftliche, mit Decknamen unterzeichnete Berichte des GMS. Der Kläger habe über die ideologische Situation unter den Jugendlichen, Stimmungen und Meinungen zu aktuellen politischen Ereignissen berichtet und Personeneinschätzungen von Lehrerkollegen vorgenommen. Die Kreisdienststelle B… des MfS habe die inoffizielle Mitarbeit mit dem Kläger eingestellt, nachdem der medizinische Dienst der BV Halle am 26. Mai 1981 mitgeteilt habe, daß der Kandidat aus gesundheitlichen Gründen nicht als operativer Mitarbeiter eingestellt werden könne (mangelnde Schießtauglichkeit). Ziel der inoffiziellen Mitarbeit sei es gewesen, die Eignung des Klägers zu prüfen und ihm zugleich Kenntnisse für die spätere hauptamtliche Tätigkeit beim MfS zu vermitteln. Dem Einzelbericht des BStU waren u.a. Fotokopien verschiedener, mit dem Namen “Peter Wolf” unterzeichneter handschriftlich verfaßter Berichte, eine Quittung über den Erhalt von 50,00 M für gute Auftragserfüllung sowie über 95,00 M und 50,00 M wegen Erstattung der bei der Auftragserfüllung entstandenen Unkosten sowie die handschriftliche Verpflichtungserklärung des Klägers vom 25. März 1980 beigefügt.
Das Kultusministerium des Beklagten, das den Bericht von der Außenstelle Magdeburg des BStU noch im Juli 1995 abgeholt hatte, stellte ihn dem gemäß Beschluß der Landesregierung über die Einrichtung von Personalausschüssen vom 25. Juni 1991 (MBl. LSA 1991 S. 352) gebildeten Personalausschuß beim Regierungspräsidium Halle zu. Hier ging der Einzelbericht am 9. August 1995 ein. Der unabhängig von der Behörde handelnde Personalausschuß lud den Kläger mit Schreiben vom 25. September 1995 zu einer persönlichen Anhörung am 12. Oktober 1995 ein. Aufgrund dieser Anhörung teilte der Personalausschuß dem Regierungspräsidium Halle mit, der Kläger sei als Lehrer untragbar.
Unter dem Datum 30. Oktober 1995 erstellte der Dezernatsleiter des Personaldezernats 41 beim Regierungspräsidium Halle einen für den Regierungsvizepräsidenten bestimmten schriftlichen Entscheidungsvorschlag, in dem er unter Mitteilung der einzelnen Gründe vorschlug, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich zu kündigen und um Zustimmung hierzu ersuchte. Am 6. November 1995 erklärte der Regierungsvizepräsident sein Einverständnis mit diesem Entscheidungsvorschlag. Das Regierungspräsidium berichtete daraufhin dem Kultusministerium, das den gemäß Beschluß der Landesregierung über die Einsetzung eines Vertrauensrates vom 16. Mai 1995 bei der Staatskanzlei eingerichteten Vertrauensrat (MBl. LSA 1995 S. 1036) um Prüfung der persönlichen Eignung des Klägers ersuchte. Der Vertrauensrat beschloß in seiner Sitzung am 4. Dezember 1995, die Weiterbeschäftigung des Klägers im öffentlichen Dienst sei nicht zumutbar. Dies teilte die Geschäftsstelle des Vertrauensrates dem Kultusministerium mit Schreiben vom 15. Dezember 1995 mit.
Am Dienstag, dem 19. Dezember 1995, führte der Dezernatsleiter des Personaldezernats 41 ein Gespräch mit dem Kläger. Die dabei vom Beklagten angestrebte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses kam nicht zustande. Mit Schreiben des Regierungspräsidiums Halle vom 27. Dezember 1995 wurde der Kläger vom Dienst suspendiert. Mit weiterem Schreiben vom 27. Dezember 1995 leitete der Dezernatsleiter des Personaldezernats 41 die Anhörung des beim Regierungspräsidium Halle bestehenden Bezirkspersonalrats der Pädagogen ein. Dem Formularschreiben, das am 28. Dezember 1995 beim Bezirkspersonalrat einging, waren als Anlagen eine Fotokopie des Votums des Vertrauensrates vom 15. Dezember 1995, der Entscheidungsvorschlag des Dezernatsleiters vom 30. Oktober 1995 nebst Auszügen aus dem Bericht des BStU sowie der Entwurf des Kündigungsschreibens beigefügt. Der Bezirkspersonalrat der Pädagogen teilte unter dem Datum des 2. Januar 1996 mit, daß er keine Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung abgebe. Das Regierungspräsidium Halle erklärte mit Schreiben vom 3. Januar 1996, dem Kläger zugegangen am 4. Januar 1996, die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien.
Mit der am 18. Januar 1996 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung wegen Fehlens eines Kündigungsgrundes und nicht ordnungsgemäßer Personalratsbeteiligung geltend gemacht. Er hat behauptet, die beabsichtigte Einstellung als hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit sei an seiner Passivität gescheitert. Er habe angenommen, seine Kontakte könnten nicht als IM-Tätigkeit bewertet werden. Aufgrund des langen Zeitraumes seit der Beendigung seiner Kontakte zum MfS habe keine Offenbarungspflicht mehr bestanden. Der Beklagte habe das Kündigungsrecht verwirkt, weil er es mehr als 5 ½ Monate nicht ausgeübt habe. Bereits während der am 12. Oktober 1995 durchgeführten Anhörung vor dem Personalausschuß habe er die Ableistung der handschriftlichen Verpflichtungserklärung und das Vorliegen handschriftlicher Berichterstattungen bestätigt.
Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 3. Januar 1996, dem Kläger zugegangen am 4. Januar 1996, aufgelöst wurde.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei aufgrund der durch den Einzelbericht des BStU bekannt gewordenen Tätigkeit für das MfS der ehemaligen DDR nicht mehr zumutbar. Zu der vorgesehenen hauptamtlichen Tätigkeit sei es allein deshalb nicht gekommen, weil der Kläger gesundheitlich hierzu nicht geeignet gewesen sei. Der Kläger habe nicht nur im Personal- und Bewerbungsbogen bewußt über seine Tätigkeit für das MfS getäuscht, sondern trotz der Vorhaltungen aus dem Bericht des BStU noch vor dem Personalausschuß nachhaltig bestritten, jemals für das MfS tätig gewesen zu sein, Berichte verfaßt zu haben oder gar eine Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben. Die Höhergruppierung des Klägers mit Wirkung vom 1. August 1995 habe allein der Umsetzung des Lehrergleichstellungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. Juli 1995 gedient.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nach Abs. 5 Ziff. 2 EV seien vorliegend erfüllt. Der Kläger sei für das MfS als gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit bewußt und final tätig gewesen. Aufgrund der von ihm am 25. März 1980 geschriebenen und unterschriebenen Verpflichtungserklärung habe er Berichte über die ideologische Situation unter den Lehrlingen, Stimmungen und Meinungen zu aktuellen politischen Ereignissen sowie über Lehrerkollegen angefertigt und mit dem gewählten Decknamen unterzeichnet. Er habe sich an der Erfüllung operativer Aufgaben des MfS beteiligt. Die Intensität der früheren Tätigkeit des Klägers für das MfS sei ungeachtet der nur kurzen Dauer von etwa 15 Monaten hoch einzuschätzen. Der Kläger habe in dieser Zeit inhaltlich belastende Berichte gefertigt. Er habe genau die Tätigkeit ausgeübt, aufgrund derer das MfS gefürchtet gewesen sei. Daß der Medizinische Dienst der BV Halle eine fehlende gesundheitliche Eignung des Klägers für die hauptamtliche Tätigkeit beim MfS festgestellt habe und es deshalb zur Beendigung der Tätigkeit gekommen sei, entlaste den Kläger nicht. Die weitere Beschäftigung eines Lehrers, der insbesondere in seiner Stellung als Lehrer für das MfS inoffiziell tätig gewesen sei, belaste das Erscheinungsbild des öffentlichen Dienstes in unzuträglicher Weise. Der persönliche Werdegang des Klägers seit dem 3. Oktober 1990 rechtfertige keine abweichende Bewertung. Die Unzumutbarkeit werde auch nicht durch den Zeitablauf zwischen Kenntniserlangung vom Bericht des BStU und dem Ausspruch der Kündigung ausgeschlossen. Angesichts der notwendigen Beteiligung des Personalausschusses und des Vertrauensrates sei die vorgenommene Einzelfallprüfung noch innerhalb eines angemessenen Zeitraumes abgeschlossen worden. Insbesondere könne kein Hinauszögern der Kündigung in Kenntnis des Kündigungsgrundes angenommen werden. Es liege gerade im Interesse einer einheitlichen Kündigungspraxis und der erforderlichen Einzelfallprüfung, daß der Personalausschuß und der Vertrauensrat in das Verfahren vor Ausspruch der Kündigung einbezogen wurden. Die damit verbundenen Zeitverzögerungen seien deshalb hinzunehmen. Aus der Höhergruppierung des Klägers habe kein Vertrauenstatbestand folgen können, weil es sich lediglich um den Vollzug eines Landesgesetzes gehandelt habe.
Die Unwirksamkeit der Kündigung folge auch nicht aus § 67 Abs. 2 des Landespersonalvertretungsgesetzes Sachsen-Anhalt vom 10. Februar 1993. Der Beklagte habe den Personalrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört.
B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Kündigung vom 3. Januar 1996 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit Ablauf des 4. Januar 1996 aufgelöst.
I. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers findet der Sonderkündigungstatbestand gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV Anwendung. Der Kläger gehörte im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts dem öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR an.
II. Die Voraussetzungen des Kündigungstatbestandes gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV liegen vor.
1. Der Kläger war im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV für das MfS tätig. Aufgrund seiner am 25. März 1980 abgegebenen Verpflichtungserklärung lieferte der Kläger dem MfS bis zum 24. Juni 1981 schriftliche und mündliche Berichte.
2. Die außerordentliche Kündigung nach Abs. 5 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß wegen der Tätigkeit für das MfS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint. Ob dies der Fall ist, muß in einer Einzelfallprüfung festgestellt werden. Das individuelle Maß der Verstrickung bestimmt über die außerordentliche Auflösbarkeit des Arbeitsverhältnisses. Je größer das Maß der Verstrickung, desto unwahrscheinlicher ist die Annahme, dieser Beschäftigte sei als Angehöriger des öffentliches Dienstes der Bevölkerung noch zumutbar (vgl. Senatsurteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 474/91 – BAGE 70, 309 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Beim inoffiziellen Mitarbeiter wird sich der Grad der persönlichen Verstrickung vor allem aus Art, Dauer und Intensität der Tätigkeit sowie aus Zeit und Grund der Aufnahme und der Beendigung der Tätigkeit für das MfS ergeben. Maßgebend ist, ob das Vertrauen der Bürger in die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bei Bekanntwerden der Tätigkeit des MfS in einer Weise beeinträchtigt würde, die das Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar macht.
Ebenfalls bei der Prüfung der Zumutbarkeit zu beachten ist die Art der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer in dem in Frage stehenden Arbeitsverhältnis ausübt. Ob das Vertrauen in die Verwaltung durch die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers erschüttert wird, hängt nicht nur von der Verstrickung des Arbeitnehmers mit dem MfS ab, sondern auch davon, welche Wirkungsmöglichkeiten und Befugnisse der Arbeitnehmer in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis hat (BVerfG Urteil vom 8. Juli 1997 – 1 BvR 1934/93 – AP Nr. 67 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Die Beschäftigung eines belasteten Arbeitnehmers mit rein vollziehender Sachbearbeitertätigkeit oder handwerklicher Tätigkeit wird das Vertrauen in die Verwaltung weniger beeinträchtigen als die Ausübung von Entscheidungs- und Schlüsselfunktionen durch einen ebenso belasteten Arbeitnehmer.
Der Frage, ob die frühere Tätigkeit ein Festhalten am jetzigen Arbeitsverhältnis noch zu rechtfertigen vermag, wohnt auch ein zeitliches Element inne. Der Arbeitgeber kann die Kündigung nicht zeitlich unbegrenzt aussprechen. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 626 Abs. 2 BGB kann der wichtige Grund nach Abs. 5 Ziff. 2 EV durch bloßen Zeitablauf entfallen, ohne daß die weitergehenden Voraussetzungen der allgemeinen Verwirkung, wie das Vorliegen eines Umstandsmoments, erfüllt sein müßten (vgl. näher Senatsurteil vom 28. April 1994 – 8 AZR 157/93 – BAGE 76, 334, 340 = AP Nr. 13 zu Art. 20 Einigungsvertrag). Der Kündigungsberechtigte darf einen Kündigungsgrund unabhängig von § 626 Abs. 2 BGB nicht beliebig lange zurückhalten, um davon bei ihm gut dünkender Gelegenheit Gebrauch zu machen. Eine feste Zeitgrenze, ab wann die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis nicht mehr gegeben ist, besteht nicht. Vielmehr bedarf es einer Abwägung des Zeitablaufs mit dem Gewicht der Kündigungsgründe. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, denn das Erscheinungsbild der Verwaltung wird mitgeprägt von der Zeitdauer, die der frühere MfS-Mitarbeiter nach der Wiedervereinigung unbeanstandet tätig war.
3. Die vom Landesarbeitsgericht durchgeführte Einzelfallprüfung gelangt zu dem richtigen Ergebnis, daß die MfS-Tätigkeit des Klägers aufgrund ihrer Dauer, der Häufigkeit und vor allem ihrer Intensität für sich genommen geeignet ist, die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Arbeitsverhältnis für den Beklagten zu begründen.
Die vom Kläger mit der Revision vorgebrachten materiell-rechtlichen Rügen gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Einzelfallprüfung greifen nicht durch. Das Landesarbeitsgericht hat den festgestellten Sachverhalt umfassend gewürdigt. Revisionsrechtlich erhebliche Fehler sind nicht feststellbar. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht aufgrund der einzelnen inhaltlich unstreitigen schriftlichen Berichte des Klägers Umstände ermittelt, die die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe sich durch seine MfS-Tätigkeit in erheblichem Umfange in das Unrechtsregime der ehemaligen DDR verstrickt, begründet. Aufgrund der vom BStU mitgeteilten schriftlichen Berichte des Klägers aus seinem beruflichen Umfeld an der Berufsschule hat das Landesarbeitsgericht mit Recht gefolgert, der Kläger habe das MfS gerade in der Weise unterstützt, deretwegen das MfS so gefürchtet wurde. Der Bericht über persönliche Umstände ihm anvertrauter Lehrlinge sowie von Lehrerkollegen berechtigen zu der Annahme, dem öffentlichen Arbeitgeber sei wegen der schwerwiegenden Verstrickung des Klägers als GMS ein Festhalten am Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unzumutbar. Dem Kläger war bei seiner Tätigkeit als GMS die Perspektive einer möglichen Übernahme in ein hauptamtliches Mitarbeiterverhältnis bekannt. Er arbeitete zumindest zeitweise bewußt auf eine berufliche Besserstellung durch den Übertritt in die Dienste des Ministeriums für Staatssicherheit hin. Als Berufsschullehrer ist der Kläger an hervorgehobener Stelle im öffentlichen Dienst beschäftigt.
4. Ebenso hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, daß dem wirksamen Ausspruch der Kündigung nicht der Zeitablauf zwischen Kenntniserlangung und Ausspruch der Kündigung entgegensteht. Die für das Kündigungsverfahren zuständige Behörde hat das Kündigungsverfahren geordnet durchgeführt. Daß es hierbei zwei ehrenamtlich besetzte Gremien einschalten mußte, diente auch und gerade den Interessen des Klägers, weil die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Einzelfall besonders sachverständigen Gremien anvertraut war. Ein Ausspruch der Kündigung zu einem nach Gutdünken bestimmten Zeitpunkt liegt hierin nicht.
III. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Beklagte vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung den zuständigen Bezirkspersonalrat ordnungsgemäß nach § 67 Abs. 2 PersVG LSA beteiligt hat. Insofern erhebt die Revision keine erhebliche Rüge.
1. Die in den Tatsacheninstanzen streitig gebliebene Frage, ob der Kläger in der Anhörung vor dem Personalausschuß am 12. Oktober 1995 erneut seine frühere Tätigkeit für das MfS bestritten oder während dieses Gesprächs die Abgabe der handschriftlichen Verpflichtungserklärung und das Vorliegen handschriftlicher Berichterstattungen eingeräumt hat, ist für die Ordnungsgemäßheit der Personalratsbeteiligung unerheblich. Die Information durch den Arbeitgeber soll die Personalvertretung in die Lage versetzen, ihre Überlegungen zu der beabsichtigten Kündigung einzubringen. Sie muß nicht denselben Anforderungen genügen wie die Darlegung des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozeß. Zudem gilt der Grundsatz der “subjektiven Determination”. Der Personalrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG Urteil vom 15. November 1995 – 2 AZR 974/94 – AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972). Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist allerdings so genau zu umschreiben, daß der Personalrat ohne zusätzliche eigene Nachforschung in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Eine pauschale, schlag- oder stichwortartige Schilderung des Sachverhalts reicht nicht aus. Ebenso ist nach Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens eine bewußt und gewollt unrichtige oder unvollständige Mitteilung der für den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe wie eine Nichtinformation der Personalvertretung zu behandeln (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG Urteil vom 27. Februar 1997 – 2 AZR 37/96 – amtlich nicht veröffentlicht). Der Arbeitgeber darf durch seine Darstellung des Sachverhalts die Personalvertretung nicht außerstande setzen, sich ein zutreffendes Bild von den für den Arbeitgeber maßgebenden Kündigungsgründen zu machen. Allerdings muß der Arbeitgeber allenfalls solche Umstände und Mitteilungen der Personalvertretung neben der Mitteilung der Kündigungsgründe zu Gehör bringen, die aus seiner Sicht entlastend für den Arbeitnehmer wirken konnten (vgl. BAG Urteil vom 27. Februar 1997 – 2 AZR 37/96 – amtlich nicht veröffentlicht).
2. Das Anhörungsschreiben vom 27. Dezember 1995 verweist auf den als Anlage beigefügten Entscheidungsvorschlag des Derzernatsleiters vom 30. Oktober 1995. Aus diesem Vermerk sowie dem gleichfalls als Anlage beigefügten Bericht des BStU ergab sich ein klares Bild über die Tätigkeit des Klägers als GMS. Allein diese Tätigkeit macht den Kündigungsgrund im Sinne von Abs. 5 Ziff. 2 EV aus. Hingegen ist die Frage, ob der Kläger zwei oder drei oder gar vier Mal wahrheitswidrig eine Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit geleugnet hat, kein Bestandteil des Kündigungsgrundes gemäß Abs. 5 Ziff. 2 EV. Sollte das Anhörungsschreiben insofern eine sachliche Unrichtigkeit enthalten haben, berührte dies nicht die geforderte wahrheitsgemäße Information über den Kündigungsgrund “Tätigkeit für das MfS”.
IV. Soweit der Kläger mit der Revision geltend macht, seine Persönlichkeitsentwicklung seit der demokratischen Wende sei von weitreichenden persönlichen Schlußfolgerungen geprägt gewesen, hat das Landesarbeitsgericht die dieser Annahme zugrundeliegenden tatsächlichen Behauptungen zu Recht als ungeeignet angesehen, die aufgrund der früheren Tätigkeit des Klägers als GMS gegebene Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Der Besuch von berufspraktischen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die Berufung zum stellvertretenden Vorsitzenden des Prüfungsausschusses “Zerspanungsmechaniker/in” der IHK H…, die Mitwirkung des Klägers an der Kommunalpolitik seiner Heimatgemeinde sowie die Berufung zum Materialverantwortlichen der Berufsschule E… vermögen die durch die Berichtstätigkeit des Klägers begründete Belastung nicht auszuräumen.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Noack, Brückmann
Fundstellen