Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung im Beitrittsgebiet

 

Normenkette

Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften (

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 22.07.1997; Aktenzeichen 12 Sa 47/97)

ArbG Berlin (Urteil vom 10.02.1997; Aktenzeichen 93 Ca 32579/96)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. Juli 1997 – 12 Sa 47/97 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin über den 30. Juni 1996 hinaus der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) oder der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts – Manteltarifliche Vorschriften – vom 10. Dezember 1990 (BAT-O) Anwendung findet.

Die Klägerin war vor dem 3. Oktober 1990 bei dem Rechtsvorgänger des beklagten Landes beschäftigt. Von diesem wurde sie übernommen und in der Zeit von Oktober 1990 bis Anfang Mai 1994 als vollbeschäftigte Angestellte im Schreibdienst im Bereich des Polizeipräsidenten in Berlin im ehemaligen Westberlin eingesetzt. Dabei wandte das beklagte Land auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin zunächst den BAT-O an. Mit Schreiben vom 15. Dezember 1992 teilte das beklagte Land der Klägerin mit:

“…

Betrifft: Tarifsituation nach der Vereinigung

hier: Auswirkungen der Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 und 12/92 –

Sehr geehrte(r) Frau J… !

Das Bundesarbeitsgericht hat in den genannten Urteilen festgestellt, daß im Falle von Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis im Beitrittsgebiet begründet wurde und die auf nicht absehbare Zeit in einer im Westteil Berlins gelegenen Dienststelle tätig sind, auf diese Arbeitsverhältnisse das im Westteil Berlins gültige Tarifrecht anzuwenden ist.

Die Geltungsbereichsregelungen des BAT/BAT-O/BMT-G/BMT-G-O entsprechen der den Urteilen zugrundeliegenden Rechtslage. Deswegen ist es gerechtfertigt und geboten, die Arbeitnehmer des Landes Berlin, die z.Z. noch nach den Regelungen des BAT-O/BMT-G-O behandelt werden, mit den vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen gleichzubehandeln, sofern sie die vom Bundesarbeitsgericht erkannte tatbestandsmäßige Voraussetzung einer dauerhaften bzw. auf nicht absehbare Zeit bestehenden Beschäftigung im Westteil Berlins erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn mit einem solchen im Westteil der Stadt gelegenen “Stamm”-Arbeitsplatz Einsätze im Ostteil der Stadt verbunden sind. Maßgebend für die Prüfung, ob eine dauerhafte bzw. auf nicht absehbare Zeit bestehende Beschäftigung im Westteil vorliegt, ist der Zeitpunkt der Verkündung der Urteile des Bundesarbeitsgerichts, also der 30. Juli 1992.

Sie gehören zu dem von der o.a. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfaßten Personenkreis.

Dies hat für Sie folgende Auswirkungen:

Mit Wirkung vom 01.02.92 haben wir Sie – soweit möglich, unter Berücksichtigung der Ausschlußfrist des § 70 BAT/63 BMT-G dem Tarifrechtskreis West zugeordnet. Dies bedeutet, daß Sie von diesem Zeitpunkt an Bezüge nach den Bestimmungen des BAT/BMT-G erhalten, die für Ihr Arbeitsverhältnis nunmehr anstelle des BAT-O/BMT-G-O maßgebend sind.

…”

Die Klägerin unterzeichnete am 26. Januar 1993 einen Arbeitsvertrag mit dem beklagten Land, vertreten durch den Polizeipräsidenten in Berlin, wonach die Anwendung des BAT-O auf das Arbeitsverhältnis vereinbart wurde.

Auch nach der Rückkehr der Klägerin auf einen Arbeitsplatz in das ehemalige Ostberlin im Mai 1994 wandte das beklagte Land auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin zunächst weiterhin die Bestimmungen des BAT an. Mit Schreiben vom 6. Februar 1996 teilte das beklagte Land der Klägerin unter Berufung auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats im Urteil vom 26. Oktober 1995 (– 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207, sog. “Feuerwehrurteil”) mit, daß die Leistungen nach BAT nur noch unter dem Vorbehalt der Rückforderung stünden. Für die Zeit vom 1. August 1995 bis zum 31. Januar 1996 forderte es unter Beachtung der sechsmonatigen Ausschlußfrist des § 70 BAT-O den Differenzbetrag zwischen der Vergütung nach BAT und BAT-O von der Klägerin zurück, unterstellte aber gleichzeitig einen “Wegfall der Bereicherung”, so daß es im Ergebnis nicht zur Rückzahlung kam. Mit einem weiteren Schreiben vom 25. Juni 1996 teilte das beklagte Land der Klägerin schließlich mit, daß auf ihr Arbeitsverhältnis ab dem 1. Juli 1996 wieder der BAT-O Anwendung finde.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auf Ihr Arbeitsverhältnis seien auch nach ihrer Rückkehr in das östliche Tarifgebiet weiterhin die Bestimmungen des BAT anzuwenden. Sie hat behauptet, sie sei mit anderen Arbeitnehmern nur deshalb in ein im ehemaligen Ostberlin gelegenes Gebäude umgesetzt worden, weil in dem im ehemaligen Westberlin gelegenen Gebäude nicht mehr genügend Platz gewesen sei. Das Leitungspersonal ihrer Abteilung sei ausschließlich im ehemaligen Westberlin verblieben.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin auch über den 30. Juni 1996 hinaus die Bestimmungen des BAT (West) vom 23. Februar 1961 unter Einbeziehung der späteren Änderungen und Ergänzungen anzuwenden.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis der Klägerin richte sich nach deren Rückkehr in das östliche Tarifgebiet wieder nach den Bestimmungen des BAT-O. Dem stehe auch das Schreiben des beklagten Landes vom 15. Dezember 1992 nicht entgegen. Durch dieses sei nicht die übertarifliche Geltung des BAT vereinbart worden; vielmehr sei dadurch nur die tarifliche Rechtslage wiedergegeben worden, aufgrund derer die Klägerin während ihres Einsatzes im ehemaligen Westberlin Leistungen nach dem BAT habe beanspruchen können. Der in das östliche Tarifgebiet zurückgekehrten Klägerin seien die Leistungen nach BAT nur deshalb weitergewährt worden, weil sich das beklagte Land dazu rechtsirrtümlich aufgrund des sog. “Posturteils” des erkennenden Senats vom 30. Juli 1992 (– 6 AZR 11/92 – BAGE 71, 68) für verpflichtet gehalten habe. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes könne sich jederzeit von einer irrtümlichen Tarifpraxis lossagen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden ab dem 1. Juli 1996 weder tarifvertraglich noch aufgrund des Schreibens des beklagten Landes vom 15. Dezember 1992 die Bestimmungen des BAT Anwendung; vielmehr gelten die Vorschriften des BAT-O.

1. Nach § 1 Abs. 1 Buchst. b BAT-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Länder, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages (fortan: EV) genannten Gebiet begründet sind.

a) Die Klägerin übt unstreitig eine der Rentenversicherung der Angestellten unterliegende Beschäftigung bei dem beklagten Land aus.

b) Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist auch in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zu § 1 BAT-O und anderen gleichlautenden Tarifbestimmungen ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und wird er auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt, sind diese Voraussetzungen gegeben (BAG 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – BAGE 76, 57; 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – BAGE 78, 108). Für den gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet ist grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend (BAG 24. Februar 1994 – 6 AZR 588/93 – BAGE 76, 57, 61; 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – BAGE 78, 108, 112; 23. Februar 1995 – 6 AZR 614/94 – BAGE 79, 215, 217; 20. März 1997 – 6 AZR 10/96 – BAGE 85, 322, 327 f.; 25. Juni 1998 – 6 AZR 515/97 – AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 76, zu II 1a der Gründe und – 6 AZR 475/96 – AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 1 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 12, zu II 2b bb der Gründe). Wird ein Arbeitnehmer, der für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, vorübergehend auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich des BAT beschäftigt, findet für die Dauer dieser Tätigkeit der BAT Anwendung. Nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem BAT-O (BAG 6. Oktober 1994 – 6 AZR 324/94 – BAGE 78, 108; 23. Februar 1979 – 6 AZR 667/94 – BAGE 79, 224; 21. September 1995 – 6 AZR 151/95 – AP BAT-O § 1 Nr. 6, zu III 2 der Gründe; 26. Oktober 1995 – 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207, 209; 20. März 1997 – 6 AZR 10/96 – BAGE 85, 322, 329; 25. Juni 1998 – 6 AZR 515/97 – aaO, zu II 1c der Gründe).

bb) Der Grund für die Entstehung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin lag im Beitrittsgebiet. Es bestand bereits vor dem 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR und wurde nach Herstellung der Einheit Deutschlands von dem beklagten Land als Rechtsnachfolger fortgeführt. Der Bezug zum Beitrittsgebiet besteht auch gegenwärtig fort, da sich der Arbeitsplatz der Klägerin seit Mai 1994 wieder im ehemaligen Ostberlin befindet. Seit diesem Zeitpunkt richtet sich das Arbeitsverhältnis deshalb wieder nach den Regelungen des BAT-O. Lediglich während des Einsatzes im ehemaligen West-Berlin von Oktober 1990 bis Anfang Mai 1994 fanden die Vorschriften des BAT auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.

2. Die Parteien haben keine davon abweichende, für die Klägerin günstigere Regelung dahingehend getroffen, daß der BAT auch nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet gelten sollte.

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, durch das Schreiben vom 15. Dezember 1992, sei nicht die Anwendung des BAT vereinbart worden; vielmehr ergebe sich aus dem von der Beklagten vorformulierten Text des Schreibens, daß dadurch lediglich die Konsequenzen aus dem sog. “Posturteil” des erkennenden Senats vom 30. Juli 1992 (aaO) gezogen werden sollten. Das beklagte Land habe nur schriftlich bestätigen wollen, was es geglaubt habe, tarifvertraglich zu schulden. Dies sei damals wegen des dauerhaften bzw. zeitlich nicht absehbaren Einsatzes der Klägerin im ehemaligen Westberlin die Anwendung des BAT gewesen. Eine Verpflichtung, der Klägerin nach einem Arbeitsplatzwechsel in das ehemalige Ostberlin weiterhin Leistungen nach den Bestimmungen des BAT zu gewähren, ergebe sich daraus nicht.

b) Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das Schreiben des beklagten Landes vom 15. Dezember 1992 stellt eine nichttypische Willenserklärung dar, deren Auslegung revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden kann, ob sie gegen wesentliche Auslegungsgrundsätze, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt, widerspruchsvoll ist oder wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 18. September 1985 – 4 AZR 170/84 – AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 16).

Solche Rechtsfehler hat die Revision nicht aufgezeigt und sind auch nicht ersichtlich. Der Senat hatte durch Urteil vom 30. Juli 1992 (– 6 AZR 11/92 – BAGE 71, 68) entschieden, daß auf dem Beitrittsgebiet begründete Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern, die auf nicht absehbare Zeit im westlichen Tarifgebiet beschäftigt werden, für die Dauer des Westeinsatzes westliches Tarifrecht anzuwenden ist. Das Landesarbeitsgericht hat der mehrfachen Bezugnahme auf diese Senatsrechtsprechung im Schreiben vom 15. Dezember 1992 und der gleichzeitigen Mitteilung, daß auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin ab dem 1. Februar 1992 die Bestimmungen des BAT Anwendung finden, weil die Klägerin ihren Arbeitsplatz im ehemaligen Westberlin habe, ohne Rechtsfehler entnommen, daß die Beklagte nur das vollziehen wollte, was aus ihrer damaligen Sicht der tariflichen Rechtslage entsprach. Einen weitergehenden Verpflichtungswillen der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht rechtsirrtumsfrei verneint.

3. Das beklagte Land ist auch nicht verpflichtet, aus Gründen des Vertrauensschutzes Bestimmungen des BAT auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwenden, weil es dieser in der Zeit von Februar bis Juni 1996 Leistungen nach dem BAT gewährt hat. Von diesen in Verkennung der Reichweite des Senatsurteils vom 30. Juli 1992 (aaO) und damit rechtsirrtümlich gewährten Leistungen konnte sich die Beklagte jederzeit lossagen. Dies hat der Senat mehrfach entschieden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Urteile des Senats vom 26. Oktober 1995 (– 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207, 212) und vom 25. Juni 1998 (– 6 AZR 515/97 – AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 12; – 6 AZR 238/97 – nicht veröffentlicht) verwiesen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, W. Zuchold, Matiaske

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2628965

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