Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachtarbeitszuschlag. Schichtarbeit
Leitsatz (redaktionell)
Zum Begriff der Nachtschicht
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 19.01.1994; Aktenzeichen 15 Sa 287/93) |
ArbG Braunschweig (Urteil vom 26.10.1992; Aktenzeichen 5 Ca 429/92) |
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. Januar 1994 – 15 Sa 287/93 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision trägt der Kläger.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Schichtführer beschäftigt. Diese produziert Betonschwellen. In der frostfreien Zeit wird im Betrieb der Beklagten in der Regel im Zwei-Schicht-Betrieb gearbeitet. Am 25. März 1992 traf die Beklagte mit ihrem Betriebsrat eine schriftliche Vereinbarung über die Einführung eines Drei-Schicht-Betriebes für die Zeit vom 30. März 1992 bis 27. November 1992. Die Frühschicht sollte montags bis freitags von 6.00 Uhr bis 14.30 Uhr, die Spätschicht montags bis freitags von 14.30 Uhr bis 23.00 Uhr und die Nachtschicht montags von 0.00 Uhr bis 6.00 Uhr und dienstags bis freitags von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr dauern.
Während der gesamten Dauer der Schichtarbeitet arbeiteten sieben Arbeitnehmer ausschließlich in der Nachtschicht, während 30 Arbeitnehmer wechselweise in der Früh- und Spätschicht eingesetzt waren. Die Schichtführer wechselten in unregelmäßiger Folge zwischen Früh-, Spät- und Nachtschicht.
Der Kläger arbeitete insgesamt zwei Wochen in der Nachtschicht, ansonsten in der Früh- oder Spätschicht.
Bei Einführung des Drei-Schicht-Betriebes stand nicht fest, daß ein Auswechseln der Arbeiter der Nachtschicht nicht erfolgen solle. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erklärt, daß die „Nachtschichtler” zunächst einmal drei Monate arbeiten sollten. Dann sollten Betriebsleiter und Betriebsrat darüber entscheiden, wie weiter zu verfahren sei.
In der Spätschicht war der Kläger in folgenden Zeiträumen eingesetzt:
1. bis 3. April 1992, 13. bis 16. April 1992, 27. bis 30. April 1992 und 25. und 26. Mai 1992.
Für die Arbeitszeit von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr an diesen 13 Spätschichttagen verlangt der Kläger den tariflichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 15 %.
Kraft beiderseitiger Tarifbindung fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien im Klagezeitraum der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Betonsteingewerbe Nordwestdeutschland vom 2. März 1989 (im folgenden: RTV) Anwendung.
Dieser Tarifvertrag lautet – soweit vorliegend von Interesse:
„§ 4
Überstunden (Mehrarbeit), Nachtarbeit, Schichtarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit
I. Allgemeines
…
3. Als Nachtarbeit im Sinne der Zuschlagsbestimmungen gemäß Abschnitt II gilt die in der Zeit von 20.00 Uhr bis 5.00 Uhr, bei Zweischichtenarbeit die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, bei Dreischichtenarbeit die in der Nachtschicht geleistete Arbeit.
…
5. Schichtarbeit ist im Einvernehmen mit dem Betriebsrat entsprechend § 87 BetrVG zu leisten. Bei Einführung und Wechsel der Schichten hat eine arbeitsfreie Zeit von mindestens 8 Stunden vorauszugehen.
Bei Schichtarbeit ist regelmäßig das Auswechseln der Schichtbelegschaft vorzunehmen.
…
II. Zuschläge
Für Überstunden (Mehrarbeit), Nachtarbeit, Schichtarbeit, Sonntags- und Feiertagsarbeit sind folgende Zuschläge zu zahlen:
1. |
für Überstunden (Mehrarbeit) |
25 % |
2. |
für Nachtarbeit, die gleichzeitig Überstunden (Mehrarbeit) sind |
50 % |
3. |
für Nachtarbeit, die keine Schichtarbeit und auch nicht Überstunden (Mehrarbeit) sind |
25 % |
4. |
für die in der Nachtschicht geleistete Arbeit |
15 % |
…”
Der Kläger meint, im Betrieb der Beklagten sei nicht im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet worden, weil die Nachtschichtbelegschaft nicht regelmäßig ausgewechselt worden sei. Deshalb habe es sich um einen Zwei-Schicht-Betrieb mit einer „aufgesetzten” Nachtschicht gehandelt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 43,94 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 5. August 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie beruft sich darauf, in ihrem Betrieb sei im Klagezeitraum im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet worden, so daß nur diejenigen Arbeiter Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag hätten, die in der Nachtschicht eingesetzt gewesen seien.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Ihm steht kein Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag für die in der Zeit von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr im Rahmen der Spätschicht geleisteten Arbeitsstunden zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers mit der Begründung verneint, im Betrieb der Beklagten sei im Klagezeitraum im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet worden, so daß nach § 4 I Nr. 3 i.V.m. § 4 II Nr. 4 RTV nur für die während der Nachtschicht geleistete Arbeit ein Nachtarbeitszuschlag zu zahlen gewesen sei. Die Arbeit des Klägers zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr sei aber im Rahmen der Spät- und nicht der Nachtschicht erfolgt.
Der Drei-Schicht-Betrieb sei auf Grund der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1992 auch ordnungsgemäß eingeführt worden. Daß – entgegen § 4 I Nr. 5 2. Abs. RTV – kein regelmäßiges Auswechseln der Nachtschichtbelegschaft erfolgt sei, sei unschädlich. Nach den Erklärungen der Parteien habe nämlich im Rahmen der Betriebsvereinbarung sukzessive über die Schichtpläne entschieden werden sollen.
Dieser Entscheidung des Landesarbeitsgerichts folgt der Senat im Ergebnis.
II. Ob es im Betrieb der Beklagten auf Grund der Vereinbarung vom 25. März 1992 mit dem Betriebsrat zur Einführung einer Dreischichtenarbeit im Sinne des § 4 I Nr. 3 RTV gekommen ist oder ob die Beklagte im Zwei-Schicht-Betrieb mit einer zusätzlichen Nachtschicht gearbeitet hat, brauchte der Senat nicht abschließend zu entscheiden.
1. Für den Fall nämlich, daß die Beklagte im Klagezeitraum im sogenannten Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet hat, entstand nach § 4 II Nr. 4 RTV kein Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag. Ein solcher ist nur für die in der „Nachtschicht” geleistete Arbeit vorgesehen. Darunter versteht der RTV, wie § 4 I Nr. 3 RTV zeigt, nur die in der „Nachtschicht” geleistete Arbeit, wenn in einem Betrieb Dreischichtenarbeit eingeführt ist.
Eine genaue zeitliche Festlegung, was unter „Nachtschicht” im Drei-Schicht-Betrieb zu verstehen ist, enthält der RTV allerdings nicht. Tarifverträge sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Allerdings ist über den reinen Wortlaut hinaus auch der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in den tariflichen Regelungen ihren Niederschlag gefunden haben (BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).
Eine sachgerechte Auslegung des RTV führt dazu, daß nur die im Betrieb der Beklagten von 23.00 Uhr (montags von 0 Uhr) bis 6.00 Uhr dauernde Schicht als „Nachtschicht” im Sinne der tariflichen Regelungen anzusehen ist. Es ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien in Ermangelung einer anderen eigenen Regelung den Begriff der „Nachtschicht” im Sinne seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden wollten. Danach muß es sich bei einer Nachtschicht um eine Arbeit handeln, die während der allgemeinen Nachtstunden geleistet wird (BAG Urteil vom 8. Juni 1988 – 4 AZR 798/87 – AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Dies entspricht auch dem allgemeinen Sprachgebrauch, der unter „Nachtschicht” Schichtarbeit während der Nacht versteht. Demnach ist als Nachtschicht eine Schicht zu verstehen, die zu einem wesentlichen Teil während der Nachtzeit geleistet wird (BAG Urteil vom 7. September 1994 – 10 AZR 766/93 – AP Nr. 5 zu § 33 a BAT).
Die im Rahmen der von 23.00 Uhr (montags 0 Uhr) bis 6.00 Uhr dauernden Schicht geleistete Arbeit stellt zweifelsfrei eine zu einem wesentlichen Teil während der Nachtzeit geleistete Arbeit dar und ist somit auch „Nachtschichtarbeit” im Sinne des § 4 I Nr. 3 und des § 4 II Nr. 4 RTV.
Auch die Beklagte und ihr Betriebsrat haben in der Vereinbarung vom 25. März 1992 die an die um 23.00 Uhr endende Spätschicht anschließende Schicht als „Nachtschicht” bezeichnet.
Wird aber im Betrieb der Beklagten im sogenannten Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet, so hat der Kläger nach § 4 II Nr. 4 RTV lediglich für die in der „Nachtschicht”, nicht jedoch für die in der Spätschicht von 22.00 Uhr bis 23.00 Uhr geleistete Arbeit Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag. Diese Zeit gilt nach der in § 4 I Nr. 3 RTV getroffenen Regelung im übrigen auch nicht als Nachtarbeit, weil in Betrieben mit Dreischichtenarbeit lediglich die in der „Nachtschicht” geleistete Arbeit als Nachtarbeit im Sinne der Zuschlagsbestimmungen des RTV angesehen wird. Daher können auch die übrigen tariflichen Regelungen über Nachtarbeitszuschläge (§ 4 II Nr. 2 und Nr. 3 RTV) für diese im Rahmen der Spätschicht geleisteten Arbeitsstunden nicht zur Anwendung kommen.
2. Auch wenn mit dem Kläger von der Annahme ausgegangen wird, im Betrieb der Beklagten sei nicht in Dreischichtenarbeit, sondern im Zwei-Schicht-Betrieb mit „aufgesetzter” Nachtschicht gearbeitet worden, besteht kein Anspruch auf die begehrten Nachtarbeitszuschläge.
a) Nach § 4 I Nr. 3 RTV gilt bei einem Zwei-Schicht-Betrieb der Zeitraum von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr als Nachtarbeit im Sinne der tariflichen Zuschlagsbestimmungen.
Ein Anspruch des Klägers auf einen Nachtzuschlag gemäß § 4 II Nr. 3 RTV scheitert bereits daran, daß er diese Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit erbracht hat, weil er, wie das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, abwechselnd in der Früh- und in der Spätschicht eingesetzt war.
Ein Zuschlagsanspruch des Klägers gemäß § 4 II Nr. 4 RTV ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Tarifnorm deshalb nicht gegeben, weil er nicht in der „Nachtschicht” gearbeitet hat. Unter „Nachtschicht” versteht der RTV, wie sich aus § 4 I Nr. 3 RTV ergibt, nur die „Nachtschicht” bei Dreischichtenarbeit.
b) Eine ergänzende Auslegung der Tarifnormen des RTV ist weder geboten noch zulässig.
Eine solche ergänzende Auslegung käme nur dann in Frage, wenn der RTV eine unbewußte Regelungslücke enthielte (BAGE 32, 364 = AP Nr. 31 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Eine Überprüfung von Tarifverträgen auf ihre Zweckmäßigkeit durch die Gerichte für Arbeitssachen scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus (vgl. BAG Urteil vom 10. Februar 1988 – 4 AZR 538/87 – AP Nr. 12 zu § 33 BAT).
Die tarifliche Regelung enthält keine Regelungslücke. Der Fall, daß ein Arbeitnehmer, der im Zwei-Schicht-Betrieb eingesetzt wird, in der Spätschicht länger als bis 22.00 Uhr arbeiten muß, ist bezüglich eines etwaigen Anspruchs auf einen Nachtarbeitszuschlag im RTV geregelt.
Die Tarifvertragsparteien haben durch ihre Regelung in § 4 II Nr. 3 RTV zu erkennen gegeben, daß sie die Möglichkeit erkannt haben, daß der Fall eintreten kann, daß ein Arbeitnehmer – ohne Überstunden zu machen – Schichtarbeit leistet, die gemäß § 4 I Nr. 3 RTV als Nachtarbeit zu werten ist. Gerade auf diesen Fall ist der durch § 4 II Nr. 3 RTV geregelte Ausschluß von Schichtarbeitern vom Nachtarbeitszuschlag zugeschnitten. Wären die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, daß ein Schichtarbeiter ohne Überstunden grundsätzlich keine Nachtarbeit leisten kann, wäre die Regelung in § 4 II Nr. 3 RTV sinnlos.
Die in § 4 I Nr. 3 RTV getroffene Regelung, daß bei Zweischichtenarbeit die Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr als Nachtarbeit gilt, ist für Schichtarbeiter auch nicht bedeutungslos. Leistet nämlich ein Zwei-Schicht-Arbeiter außerhalb seiner Schicht Überstunden, die in den Zeitraum von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr fallen, so soll er nach § 4 II Nr. 2 RTV einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % erhalten. Leistet er diese Arbeit über seine Schichtzeiten hinaus, ohne daß für ihn persönlich Überstunden vorliegen, so erhält er für diese Nachtarbeit einen Zuschlag von 25 %, § 4 II Nr. 3 RTV.
3. Damit steht dem Kläger der geforderte Nachtarbeitszuschlag für seine Arbeit zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr in der Spätschicht nicht zu, so daß seine Revision zurückzuweisen war.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Hauck, Böck, Staedtler, Tirre
Fundstellen