Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeit einer Krankenschwester im Nachtdienst
Leitsatz (redaktionell)
Zur Arbeitszeit im Krankenhaus vgl. auch Urteile des Senats vom 27. Februar 1992 (– 6 AZR 478/90 – AP Nr. 5 zu § 3 AZO Kr) und vom 27. Januar 1994 (– 6 AZR 465/93 – AP Nr. 23 zu § 17 BAT).
Normenkette
Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anlage 5 zu § 7; ZPO §§ 139, 278; BGB §§ 288, 291
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. November 1995 – 7 Sa 593/95 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung für die Zeit vom 1. Juli 1993 bis zum 31. Dezember 1993.
Die Klägerin ist im Krankenhaus des Beklagten als Krankenschwester im Nachtdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (AVR) in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.
Die Klägerin leistet die von ihr zu erbringenden dienstplanmäßigen Nachtwachen, die 10 Stunden pro Nacht dauern, allein auf ihrer Station ab. Bis zum 30. Juni 1993 wurde die Nachtwache in vollem Umfang als Arbeitszeit bewertet und vergütet. Mit Schreiben vom 25. Juni 1993 teilte der Beklagte den Mitarbeitern des Pflegedienstes, die im Nachtdienst eingesetzt sind, mit:
„…
Der Dienst beginnt und endet wie bisher. Die Ablösung zur Pause erfolgt durch die Pflegekraft der Nachbarstation bzw. gegenseitig. Die insgesamt einstündige Pause ist in der Zeit zwischen 23.00 Uhr und 3.00 Uhr zu nehmen.
Durch diese Neuregelung verringert sich die tägliche aber nicht die Wochenarbeitszeit, mit der Folge, daß ab 1. Juli 1993 nicht wie bisher 10 Arbeitsstunden, sondern 9 Arbeitsstunden täglich auf die dienstvertraglich vereinbarte Arbeitszeit angerechnet werden. Die Vergütung erfolgt wie bisher.
Die Mitarbeitervertretung hat dieser Pausenregelung zugestimmt.
In einem Schreiben vom 15. Juli 1993 an die Klägerin heißt es:
„…
Auf den Stationen IA 43/IA 44, CA 52/CA 53, HO 7 1/HO 72 und GY 81/GY 82 wird statt der ursprünglich vorgesehenen Pause mit gegenseitiger Vertretung jeweils 1 Stunde der Dienstzeit pro Nacht als Bereitschaftsdienst, vorläufig Stufe A bewertet.
Für die Stationen CA 62/CA 63 wird geprüft, ob die Rufanlage technisch so verändert werden kann, daß eine gegenseitige Vertretung möglich ist. Ist dies nicht möglich, so gilt auch hier die Bewertung als Bereitschaftsdienst.
Die Dienstzeiten werden wie folgt auf die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit angerechnet:
bei einstündiger Pause:
9 Stunden Arbeitszeit, d.h. gegenüber der bisherigen Regelung werden nicht mehr 10 Std. pro Nacht, sondern 9 Std. auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit angerechnet.
bei Bereitschaftsdienst:
9 Std. 24 Min. Arbeitszeit, d.h. 36 Min. (= 0,6 Std.) pro Nacht müssen durch zusätzliche Nachtwachen nachgearbeitet werden, sofern die bisherigen Arbeitsverträge beibehalten werden. Beispielsberechnung: 1 Std. Bereitschaftsdienst nach Stufe A, d.h. 60 Min. × 40 % = 24 Min. Anrechnung als Arbeitszeit.
…”
In Vollzug dieser Regelung zahlte der Beklagte an die Klägerin pro Nachtwache nur noch eine Vergütung für 9 Stunden und 24 Minuten. Bei Berücksichtigung von 10 Stunden pro Nachtwache als Arbeitszeit ergibt sich für den Zeitraum vom 1. Juli 1993 bis zum 31. Dezember 1993 ein rechnerisch unstreitiger Differenzbetrag von 804,21 DM brutto, den die Klägerin von dem Beklagten verlangt.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die vom Beklagten ihr gegenüber getroffene Anordnung von Bereitschaftsdienst sei unzulässig. Dieser könne nur außerhalb der dienstplanmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden. Auch müsse der Arbeitgeber den Bereitschaftsdienst zeitlich genau bestimmen und dürfe die Bestimmung des Beginns des Bereitschaftsdienstes nicht dem Arbeitnehmer überlassen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 804,21 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 13. Juli 1994 zu zahlen,
hilfsweise
die für 50 Nachtdienste in Abzug gebrachten 30 Stunden ihrem Zeitkonto gutzuschreiben und
den Beklagten zu verurteilen, an sie 160,11 DM brutto zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, Zeiten eines Bereitschaftsdienstes könnten auch innerhalb der dienstplanmäßigen Arbeitszeit angeordnet werden, da die Klägerin eine durchgängige Arbeitsleistung während der gesamten 10-stündigen Nachtwache nicht erbringe. Jedenfalls seien die fehlenden 36 Minuten pro Nacht nur dem Zeitkonto der Klägerin gutzuschreiben, nicht aber in Geld auszugleichen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.
1. Die Klägerin hat Anspruch darauf, daß die von ihr im streitgegenständlichen Zeitraum geleisteten Nachtwachen zu 100 % als Arbeitszeit vergütet werden. Die Voraussetzungen einer nur anteiligen Berücksichtigung als Arbeitszeit liegen nicht vor. Bereitschaftsdienst hat die Klägerin während der Nachtwachen nicht geleistet. Einen solchen hatte der Beklagte nicht angeordnet.
a) Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 8. Oktober 1984 gelten für das Dienstverhältnis die AVR in ihrer jeweils geltenden Fassung, so daß auch § 7 der Anlage 5 zu den AVR Inhalt des Arbeitsvertrages ist. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 der Anlage 5 zu den AVR besteht bei Bereitschaftsdiensten die Verpflichtung des Arbeitnehmers darin, sich außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit in der Einrichtung aufzuhalten und im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Bereitschaftsdienst ist damit seinem Wesen nach nur eine Aufenthaltsbeschränkung, die mit der Verpflichtung verbunden ist, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden (vgl. BAG Urteil vom 27. Februar 1985 – 7 AZR 552/82 – AP Nr. 12 zu § 17 BAT, zu II 2 der Gründe; Clemens/Scheuring u.a., BAT, Stand: Dezember 1996, § 15 BAT Rz 18 a, zur insoweit gleichen Definition des Bereitschaftsdienstes nach § 15 Abs. 6 a BAT).
b) § 7 Abs. 1 Satz 2 der Anlage 5 zu den AVR regelt, daß der Arbeitgeber zur Anordnung von Bereitschaftsdienst nur unter den dort genannten Voraussetzungen befugt ist. Der Beklagte hat, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, keinen Bereitschaftsdienst angeordnet. Im Schreiben vom 15. Juli 1993, auf das der Beklagte sein Vorgehen stützt, hat er der Klägerin mitgeteilt, daß „jeweils eine Stunde der Dienstzeit pro Nacht als Bereitschaftsdienst … bewertet wird”. Darin lag nicht die Bestimmung, von wann bis wann die Klägerin ihre Arbeit als Schwester in der Nachtwache zu unterbrechen und sich statt dessen im Krankenhaus aufzuhalten hatte, um bei Bedarf unverzüglich tätig werden zu können. Es kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise der Beklagte in der Zeit zwischen 23.00 Uhr und 3.00 Uhr, in der – wohl unbestritten – der Arbeitsanfall niedriger ist. Bereitschaftsdienst hätte anordnen können. Er hat eine solche Anordnung nicht getroffen und wollte sie nicht treffen, wie sich aus seinem Schriftsatz vom 9. November 1994 ergibt. In diesem trägt der Beklagte pauschal und ohne die Mitteilung der Tatsachen, auf die er seine Annahme stützt, vor, daß er davon ausgehe, die Klägerin arbeite innerhalb eines 10-stündigen Dienstes nur 9 Stunden und 24 Minuten ununterbrochen und 36 Minuten nicht, so daß „diese Einstufung (Bereitschaftsdienst Stufe A) den tatsächlichen Gegebenheiten” entspreche. Eine solche Bewertung der dienstplanmäßigen Arbeitszeit als Grundlage der Vergütung ist jedoch im Hinblick auf die Vergütungsregelung im Arbeitsvertrag und in den AVR unzulässig. Es kommt allein darauf an, ob die Voraussetzungen für die Anordnung von Bereitschaftsdienst im Zeitraum zwischen 23.00 Uhr und 3.00 Uhr vorlagen, und ob der Beklagte den Bereitschaftsdienst auch angeordnet hat. Jedenfalls an letzterem fehlte es.
c) Soweit der Beklagte eine Verletzung des Verfahrens beanstandet, sind seine auf §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO gestützten Rügen unzulässig, da nicht ausreichend begründet (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO). Der Beklagte hat nicht mitgeteilt, welche Tatsachen er bei weiterer Befragung durch das Gericht behauptet hätte. Sieht man jedoch die mit der Revisionsbegründung vorgelegte Stellenbeschreibung für Krankenschwestern/Pfleger und Krankenpflegehelferinnen/-helfer in der Nachtwache als Vortrag des Beklagten an, hätte er damit das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung von Bereitschaftsdienst nicht dargelegt. Der Beklagte führt aus, daß während des fraglichen Nachtzeitraums (23.00 Uhr bis 3.00 Uhr) insbesondere die Tätigkeiten unter Ziff. 4.1, 4.2 und 4.6 entfielen. Neben den dort genannten Tätigkeiten gehört aber nach Ziff. 4.3 auch die gezielte Krankenbeobachtung zum Tätigkeitsbild, so z.B. die Beobachtung von Veränderungen, Auffälligkeiten (z.B. Schmerzen, Atemnot, Schlaflosigkeit) und die Beobachtung von Schwerkranken und Frischoperierten in kurzen Zeitabständen. Diese Beobachtung ist eine ständig wahrzunehmende Aufgabe, die eine Arbeitsleistung der Nachtwache darstellt. Dies wird dadurch deutlich, daß diese Aufgabe in der Stellenbeschreibung sowohl zusätzlich zu den regelmäßigen Kontrollgängen (Ziff. 4.3 a. E.) als auch in Abgrenzung zum Einsatz bei Klingelrufen von Patienten (Ziff. 4.5) genannt wird. Während des Bereitschaftsdienstes einer Nachtwache muß diese Aufgabe von einer anderen Nachtwache erledigt werden, die zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Wer sich nur im Krankenhaus aufhalten muß, um bei Bedarf die Arbeit als Krankenpfleger im Nachtdienst aufnehmen zu können, kann diese ständige Beobachtungsaufgabe nicht erfüllen.
2. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 1, § 291 BGB.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Augat, Bruse
Fundstellen