Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2; Protokoll zum Einigungsvertrag Nr. 6; Einigungsvertragsgesetz Art. 1; GG Art. 12; PersVG-DDR § 78
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 17.12.1992; Aktenzeichen Sa 79/92 L) |
KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 28.02.1992; Aktenzeichen 15 A 4863/91 (39)) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 17. Dezember 1992 – Sa 79/92 L – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 und 5 (im folgenden: Nr. 1 Abs. 2 EV) geruht und mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet hat.
Der im Jahre 1951 geborene Kläger war seit dem 15. Februar 1990 beim Zentralinstitut für J. der DDR (ZIJ) in L. als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. Die Beklagte unterrichtete den Kläger am 15. November 1990 darüber, daß das Institut zum 31. Dezember 1990 aufgelöst werde. Am 21. Dezember 1990 teilte sie ihm mit, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund des Einigungsvertrags ab dem 1. Januar 1991 ruhe und am 30. Juni 1991 ende, sofern der Kläger nicht in einem anderen Verwaltungsbereich beschäftigt werde. Der Kläger wurde nach dem 31. Dezember 1990 nicht mehr beschäftigt.
Der Kläger hat geltend gemacht, sein Arbeitsverhältnis bestehe fort. Eine Abwicklungsentscheidung liege nicht vor, verstoße jedenfalls gegen die Vorschriften des Einigungsvertrags und sei ohne Beteiligung des Personalrats erfolgt. Die Dienststelle sei nicht aufgelöst worden, sondern auf das Deutsche J.institut e.V. (DJI) in M. übergegangen. Dieses Institut werde überwiegend von der Beklagten finanziert. Es habe wesentliche Forschungsprojekte des ZIJ weitergeführt, dessen organisch gewachsene Strukturen und wesentliche Sachmittel sowie 18 Mitarbeiter (von ca. 110) übernommen. Das ZIJ sei so zu einer Außenstelle des DJI „umfunktioniert” worden. Demgegenüber setze die Abwicklung voraus, daß die organisatorische Einheit aufgelöst werde. Die Beklagte hätte dem Kläger eine Stelle am DJI verschaffen können, für die seine Qualifikation ausgereicht hätte.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Abwicklungsentscheidung der Beklagten vom 21. Dezember 1990, zugegangen am 21. Dezember 1990, nicht aufgelöst worden sei,
- für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag Ziff. 1 festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis über den 31. Dezember 1990 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortbestehe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, daß ZIJ existiere seit dem 1. Januar 1991 nicht mehr. Einer Auflösungsentscheidung habe es nicht bedurft, da Ruhen und Beendigung des Arbeitsverhältnisses mangels einer Überführung auf die Beklagte kraft Gesetzes eingetreten seien. Im übrigen sei die Abwicklungsentscheidung vor dem 15. November 1990 getroffen worden. Das DJI habe nur befristet ein Forschungsvorhaben des ZIJ fortgesetzt und dafür 18 ehemalige Mitarbeiter des ZIJ befristet eingestellt. Darüber hinaus würden dessen Aufgaben nicht weitergeführt.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Zwar bedürfe die Abwicklung von Arbeitsverhältnissen nach den Vorschriften des Einigungsvertrags einer Abwicklungsentscheidung. Von einer entsprechenden Entscheidung der Beklagten über die Auflösung des ZIJ zum Jahresende 1990 sei nach dem Vortrag der Parteien aber auszugehen. Das ZIJ sei auch tatsächlich aufgelöst worden. Die Einrichtung sei unstreitig in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft unter der Verantwortung der Beklagten auch nicht teilweise fortgeführt worden. Die Weiterführung eines Forschungsprojekts mit verschiedenen früheren Mitarbeitern durch eine juristische Person des Privatrechts stehe der Abwicklung nicht entgegen. Der Kläger behaupte selbst nicht den Fortbestand eines organisatorisch selbständigen Teils der Einrichtung ZIJ. Auch wenn die Beklagte mit der Übertragung des Forschungsprojekts auf das DJI die bisherige Tätigkeit des ZIJ lediglich verlagert habe, könne die Abwicklungsentscheidung nicht beanstandet werden. Denn die Beklagte sei im Rahmen ihres Organisationsermessens nicht zur Beibehaltung vorgefundener Strukturen verpflichtet, sondern berechtigt, unwirtschaftliche und unzweckmäßig erscheinende Einrichtungen zu schließen. Ein willkürliches Verhalten sei weder behauptet noch ersichtlich. Eine Einschaltung der Personalvertretung sei im Falle der Abwicklung von Einrichtungen nach dem Einigungsvertrag nicht geboten. Die Mitwirkung der Personalvertretung nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 PersVG-DDR mache im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit bei der Abwicklung keinen Sinn; der Einigungsvertrag stehe entsprechenden Ausgleichszahlungen entgegen. Da die Abwicklungsentscheidung dem Kläger rechtzeitig vor dem 1. Januar 1991 mitgeteilt worden sei, habe das Arbeitsverhältnis am 30. Juni 1991 geendet.
B. Dem Landesarbeitsgericht kann im Ergebnis, wenn auch nicht in allen Teilen der Begründung, gefolgt werden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß Art. 20 Abs. 1 EV in Verbindung mit Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 und 5 EV bis zum 30. Juni 1991 geruht und mit Ablauf dieser Frist geendet. Der Kläger gehörte zu den übrigen Arbeitnehmern der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung ihrer Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.
I. Wurde bis zu dem nach dem Einigungsvertrag vorgesehenen letztmöglichen Zeitpunkt keine positive, ggf. auch konkludente Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung oder der nicht überführten Teile ein.
Wurde ein überführungsfähiger Teil überführt, erfaßte die Abwicklung den Rest der früheren Gesamteinrichtung. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. Mit dem Eintritt der Abwicklung war kraft Gesetzes das Ruhen der Arbeitsverhältnisse gemäß Nr. 1 Abs. 2 EV verbunden. Der Übergang eines aktiven Arbeitsverhältnisses konnte nur als gesetzliche Folge der Überführung der Beschäftigungseinrichtung eintreten (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Die Überführung einer Einrichtung oder Teileinrichtung gem. Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG a.a.O.; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275). Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Überführung erforderte nicht nur die vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit. Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, a.a.O.).
Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten Wartezeit, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmer weiter verwendet wurde. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gem. Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland oder nach Nr. 1 Abs. 3 EV auf ein Bundesland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung seiner Beschäftigungs(teil-)einrichtung darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – AP Nr. 2 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
II. Die Beklagte hat das ZIJ weder ganz noch teilweise als Einrichtung oder Teileinrichtung durch ausdrückliche oder konkludente Entscheidung gem. Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt. Als gesetzliche Folge der unterlassenen Überführung trat am 1. Januar 1991 das Ruhen des Arbeitsverhältnisses des Klägers ein. Das Arbeitsverhältnis endete mit Ablauf des gesetzlichen Ruhenszeitraums von sechs Monaten (Nr. 1 Abs. 2 Satz 5, 1. Halbsatz EV), weil es zu keiner Weiter Verwendung kam.
1. Die Beklagte hat das ZIJ nach den Feststellungen des Berufungsgerichts weder auf Dauer in ihre Verwaltung eingegliedert noch auf einen anderen Hoheitsträger überführt. Der Kläger hat selbst nicht behauptet, die Einrichtung sei unverändert fortgeführt oder unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingegliedert worden. Vielmehr geht der Kläger von einem Übergang auf einen privaten Rechtsträger aus, wenn er darlegt, das ZIJ sei als Außenstelle des DJI e.V. fortgeführt worden.
2. Eine Überführung auf die öffentliche Verwaltung im Bereich der Beklagten liegt nicht vor, wenn das Objekt, anstatt im Rahmen der öffentlichen Verwaltung fortgeführt zu werden, einem privaten Träger zur Verwertung überlassen wird. Es wird dann im Gegenteil gleichsam aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Das ergibt sich auch aus Nr. 6 des bei Unterzeichnung des Einigungsvertrages vereinbarten Protokolls, welches nach Art. 1 des Einigungsvertragsgesetzes vom 18. September 1990 (BGBl. II S. 885) Gesetzeskraft hat. Danach mußten Einrichtungen oder Teileinrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllten, die künftig nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollten, im Sinne des Einigungsvertrages abgewickelt werden. Die „Privatisierung” einer Einrichtung der DDR-Verwaltung war somit ungeachtet ihres realen Fortbestehens keine „Überführung” im Sinne von Art. 13, 20 EV (Senatsurteile vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 524/92 – n.v., zu II 2 der Gründe; vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 535/92 – n.v., zu A II 2 der Gründe; vom 26. August 1993 – 8 AZR 257/92 – n.v., zu II 1 der Gründe; vom 26. August 1993 – 8 AZR 249/92 – n.v., zu III 1 der Gründe; vom 23. September 1993 – 8 AZR 336/92 – n.v., zu B II 2 der Gründe). Demnach kommt es nicht darauf an, in welchem Umfang Betriebsmittel und Forschungsvorhaben auf das DJI, einen eingetragenen Verein, übergegangen sind. An dieser Rechtslage ändert auch eine überwiegende Finanzierung des privaten Rechtsträgers durch die Beklagte nichts (vgl. Senatsurteile vom 26. August 1993, a.a.O.).
3. Die Bestimmungen des Einigungsvertrags und des Protokolls verstoßen in dieser Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art. 12 GG. Die das Erfordernis individueller Kündigungen beseitigende Regelung der Abwicklung in Nr. 1 Abs. 2 EV dient dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes (BVerfGE 84, 133, 151) und stellt einen verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes dar. Die Beklagte hat ihr Recht, selbst entscheiden zu dürfen, welche Aufgaben im Rahmen der öffentlichen Verwaltung durchgeführt werden, nicht etwa mißbräuchlich ausgeübt. Der verfassungsrechtlich gebotene Arbeitnehmerschutz läßt sich nicht dadurch verwirklichen, daß ein Arbeitsverhältnis zu einem öffentlich-rechtlichen Rechtsträger angenommen wird, der tatsächlich nicht Betriebsinhaber ist und eine Beschäftigung nicht gewährleisten kann.
4. Entgegen der Auffassung des Klägers mußte die Beklagte keine konkrete Abwicklungsentscheidung darlegen. Wegen der unterbliebenen Überführung der Beschäftigungseinrichtung kam es kraft Gesetzes zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Schon deshalb bedurfte es auch keiner Beteiligung des Personalrats. Die weitere Auffassung des Klägers, die Abwicklung verstoße gegen die Vorschriften des Einigungsvertrags, entbehrt jeder Grundlage.
5. Die Frage, ob das DJI die 18 befristet übernommenen Arbeitnehmer nach rechtlich vertretbaren Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn die Beklagte dem Kläger eine Stelle am DJI hätte verschaffen können, hätte sich daraus – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen – allenfalls ein Anspruch auf Verschaffung einer Einstellung oder Beschäftigung oder ein Schadensersatzanspruch ergeben können. Die kraft Gesetzes eingetretenen Folgen der Abwicklung blieben auch in diesem Falle unberührt (vgl. Senatsurteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 336/92 – n.v., zu B II 4 der Gründe).
C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Mikosch, Dr. Weiss, E. Schmitzberger
Fundstellen