Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Übung. ablösende Betriebsvereinbarung
Normenkette
BGB §§ 242, 611; ArbGG §§ 52, 64 Abs. 7; GVG § 174 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.01.1985; Aktenzeichen 10 Sa 127/84) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 11.07.1984; Aktenzeichen 8 Ca 155/84) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. Januar 1985 – 10 Sa 127/84 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über restliche Weihnachtsgratifikationen.
Die Klägerinnen sind als Lehrerinnen an einer staatlich anerkannten Privatschule tätig, deren Träger die Beklagten sind.
Im Arbeitsvertrag der Beklagten mit der Klägerin zu 1) vom
2. Januar 1974 heißt es:
„§ 3
Das Gehalt wird gem. der Baden-Württembergischen Besoldungsordnung A 13/4 oder gemäß dem Bundesangestelltentarif II a errechnet und steigert sieh in der Folge entsprechend diesen Regelungen …
§ 8
Vertragsänderungen bedürfen der schriftlichen Form …”
Im Arbeitsvertrag der Beklagten mit der Klägerin zu 2) vom 1. August 1976 heißt es:
„§ 3
Das Gehalt wird gem. der Baden-Württembergischen Besoldungsordnung … oder gemäß dem Bundesangestelltentarif II a errechnet und steigert sich in der Folge entsprechend diesen Regelungen …
§ 8
Vertragsänderungen bedürfen der schriftlichen Form …”
Im Arbeitsvertrag der Beklagten mit der Klägerin zu 3) vom 1. August 1977 heißt es:
5. Vergütung
Das Gehalt wird in Anlehnung an den BAT gemäß Vergütungsgruppe II a berechnet.
10. Nebenabreden
Mündliche Nebenabreden sind nicht zulässig. Änderungen und Ergänzungen des Vertrages bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Schriftform.”
Ab 1970 zahlten die Beklagten an ihre Arbeitnehmer Weihnachtsgratifikationen von zunächst 150,– DM, die im Laufe der Zeit gesteigert wurden. Seit 1979 erhielten die Klägerinnen ebenso wie die übrigen Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld in Höhe eines durchschnittlichen Monatsgehalts, welches jeweils mit den Novemberbezügen ausbezahlt wurde. Erstmals im Jahre 1982 wurde den Arbeitnehmern anläßlich der Auszahlung des Weihnachtsgeldes von den Beklagten mit Schreiben vom 26. November 1982 folgendes mitgeteilt:
„Wir werden – trotz der allgemeinen schlechten Wirtschaftslage, enormer Kostensteigerungen und der Kürzung unserer staatlichen Zuschüsse – unter Zurückstellung aller Bedenken auch in diesem Jahr die Weihnachtsgratifikation als ‚freiwillige Leistung des Arbeitgebers’ in voller Höhe zur Auszahlung bringen. Wir hoffen, daß dies auch in den nächsten Jahren möglich sein wird und verbleiben …”
Mit Schreiben vom 2. November 1983 teilten die Beklagten dem Betriebsrat mit, sie beabsichtigten, die Arbeitsverträge sämtlicher Mitarbeiter zum Zwecke der Änderung der Arbeitsbedingungen zu kündigen mit dem Ziel die Weihnachtsgratifikationen um 50 % zu kürzen. Daraufhin schlossen die Beklagten mit dem Betriebsrat am 24. November 1983 eine Betriebsvereinbarung mit folgendem Wortlaut:
„Für das Jahr 1983 wird bezüglich der Zahlung einer Weihnachtsgratifikation folgendes vereinbart:
- Die Betriebsmitglieder mit einem Gehalt bzw. Lohn bis zu DM 2.000,– brutto monatlich erhalten ein volles Monatsgehalt brutto als Weihnachtsgratifikation, soweit sie das volle Kalenderjahr im B.-Gymnasium gearbeitet haben; ansonsten entsprechend anteilmäßig wie bisher.
- Die Betriebsmitglieder mit einem Gehalt bzw. Lohn über DM 2.000,– brutto monatlich erhalten einen Festbetrag von DM 2.000,– brutto als Weihnachtsgratifikation, soweit sie das volle Kalenderjahr im B.-Gymnasium gearbeitet haben; ansonsten entsprechend anteilmäßig wie bisher.
Diese Vereinbarung betrifft nur das Kalenderjahr 1983 und hindert nicht, die bisherige Betriebsübung in den Folgejahren fortzusetzen.”
Mit der Klage haben die Klägerinnen die rechnerisch unstreitigen Differenzbeträge zwischen den ihnen für 1963 ausbezahlten Weihnachtsgratifikationen und den nach bisheriger Übung errechneten Beträgen geltend gemacht.
Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, durch die wiederholten vorbehaltlosen Leistungen hätten sie einzelvertragliche Ansprüche auf die vollen Beträge erworben. Die zu Lasten der Arbeitnehmer geschlossene Betriebsvereinbarung sei unwirksam.
Die Klägerinnen haben beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
an die Klägerin zu 1) |
2.264,33 DM brutto, |
an die Klägerin zu 2) |
1.183,32 DM brutto, |
an die Klägerin zu 3) |
818,50 DM brutto |
jeweils nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 1. Dezember 1983 zu zahlen.
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Sie haben die Ansicht vertreten, durch die Betriebsvereinbarung seien die Weihnachtsgratifikationen wirksam gekürzt worden, weil die Auszahlung in voller Höhe zum Zusammenbruch des Betriebes geführt hätte. Die ungünstige wirtschaftliche Lage des Betriebs habe bewirkt, daß die Geschäftsgrundlage für die Zusagen weggefallen sei.
Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten den Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Klägerinnen einzelvertragliche Ansprüche auf Weihnachtsgratifikationen jeweils in Höhe eines durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts zugesprochen, weil die Beklagten in dieser Höhe mindestens 3 Jahre lang hintereinander vorbehaltlos geleistet hätten. Den Ansprüchen stünden weder das für Vertragsänderungen geltende Schriftformerfordernis noch das Rundschreiben der Beklagten vom 26. November 1982 noch die Betriebsvereinbarung vom 24. November 1983 entgegen.
II. Diese Ausführungen des angefochtenen Urteils halten der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur zum Teil stand. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Klägerinnen für das Jahr 1983 einzelvertragliche Ansprüche auf Weihnachtsgratifikation haben. Über die Höhe dieser Ansprüche wird das Landesarbeitsgericht aufgrund neuer mündlicher Verhandlung entscheiden müssen.
1. Die Klägerinnen haben Ansprüche auf Zahlung von Weihnachtsgratifikation erworben. Zwar ergeben diese sich nicht aus den schriftlichen Arbeitsverträgen. Sie sind jedoch als einzelvertragliche Ansprüche aus betrieblicher Übung entstanden. Die Beklagten haben nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in den Jahren 1979 bis 1981, also insgesamt dreimal, ihren Arbeitnehmern jeweils vorbehaltlos Weihnachtsgratifikationen in Höhe eines Bruttomonatsentgelts gezahlt. Daraus ergaben sich Rechtsansprüche der Arbeitnehmer für die Zukunft (BAGE 4, 13 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Gratifikation; BAGE 4, 144 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Gratifikation), also für das hier streitige Jahr 1983.
2. Die in den Arbeitsverträgen enthaltenen Schriftformklauseln hinderten das Entstehen der betrieblichen Übung nicht. Die Parteien haben das Schriftformerfordernis einvernehmlich aufgehoben.
Ein rechtsgeschäftlich vereinbarter Formzwang kann jederzeit wieder formlos und stillschweigend aufgehoben werden (vgl. BAG Urteil vom 4. Juni 1963 – 5 AZR 16/63 – AP Nr. 1 zu § 127 BGB). Auch durch eine formlose betriebliche Übung kann die vertraglich vereinbarte Schriftformabbledungen werden (BAG Urteil vom 27. März 1987 – 7 AZR 527/85 – AP Nr. 29 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Durch die ständige formfreie Gewährung der Weihnachtsgratifikationen haben die Beklagten den Klägerinnen gegenüber zu erkennen gegeben, daß sie die Wirksamkeit der Vereinbarungen, auf denen die Zahlungen beruhen, nicht von der Beachtung der schriftlich vereinbarten Form abhängig machen wollten, sondern daß die stillschweigend getroffenen Abmachungen gelten sollten.
3. Die betriebliche Übung ist nicht durch die Erklärung der Beklagten in dem Schreiben vom 26. November 1982 beseitigt worden, in dem die Beklagten erstmals mitgeteilt haben, die jährlichen Weihnachtsgratifikationen stellten „freiwillige Leistungen” dar.
Die rechtliche Bedeutung einer betrieblichen Übung besteht darin, daß ihr Inhalt kraft stillschweigender einzelvertraglicher Vereinbarung in die einzelnen Arbeitsverhältnisse eingeht und die Arbeitsverträge ergänzt. Es gelten die Grundsätze des Vertragsrechts (BAG Urteil vom 1. März 1972 – 4 AZR 200/71 – AP Nr. 11 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Der Arbeitgeber kann demnach die betriebliche Übung durch einseitigen Widerruf nicht rechtswirksam beseitigen (BAG Urteil vom 13. Oktober 1960 – 5 AZR 284/59 – AP Nr. 30 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 5, 44 = AP Nr. 2 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).
4. Dadurch, daß die Klägerinnen sich auf das Schreiben vom 26. November 1982 nicht geäußert haben, haben sie nicht stillschweigend in eine Änderung ihrer Arbeitsverträge eingewilligt.
Ob ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung aufzufassen ist, richtet sich nach dessen objektiver Bedeutung (Palandt/Heinrichs, BGB, 51. Aufl., § 133 Rz 10 und 11). Voraussetzung ist, daß der Erklärende die mögliche Deutung seines Verhaltens als schlüssige Zustimmung bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen konnte. Hieran fehlt es. Aus dem Schweigen der Klägerinnen auf das Schreiben der Beklagten vom 26. November 1982 kann ein Einverständnis der Klägerinnen mit einer künftigen Einstellung oder Einschränkung der Gratifikationszahlungen nicht hergeleitet werden.
5. Ob die Ansprüche der Klägerinnen durch die Betriebsvereinbarung vom 24. November 1983 teilweise beseitigt wurden, kann nicht abschließend beurteilt werden.
Vertraglich begründete Ansprüche der Arbeitnehmer auf Leistungen, die auf eine vom Arbeitgeber gesetzte Einheitsregelung oder eine Gesamtzusage zurückgehen, können durch eine nachfolgende ablösende Betriebsvereinbarung, die wie vorliegend insgesamt für die Arbeitnehmer ungünstiger ist, nur insoweit beschränkt werden, als der Arbeitgeber wegen vorbehaltenen Widerrufs oder wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Streichung der Sozialleistungen verlangen kann (BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972).
Die Voraussetzungen für den hier allein in Betracht kommenden Wegfall der Geschäftsgrundlage sind bisher von den Beklagten nicht substantiiert vorgetragen worden. Der Abschluß der Betriebsvereinbarung, durch den der Betriebsrat die Notwendigkeit einer Anpassung anerkannt hat, kann allenfalls ein Indiz dafür sein, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Herabsetzung der Leistungen erfüllt sind. Die Beklagten haben jedoch bisher nicht dargelegt, daß ihre Finanzlage so ungünstig war, daß ihnen die Zahlung der Weihnachtsgratifikationen in der gewährten Höhe für 1983 nicht zumutbar war. Die Beklagten haben sich stets nur mit pauschalen Äußerungen über ihre wirtschaftliche Lage begnügt.
III. Das Berufungsgericht wird den Beklagten Gelegenheit geben müssen, ihren Sachvortrag dahingehend zu ergänzen, ob die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage und damit für die Kürzung der vertraglichen Leistungsansprüche vorlagen. Können die Beklagten, die es als unzumutbar bezeichnet haben, in einer öffentlichen Verhandlung Angaben über die Finanzlage ihres Unternehmens zu machen, ihrer Darlegungslast nur genügen, indem sie Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse offenbaren, wird das Berufungsgericht sie mit den Mitteln des Prozeßrechts schützen müssen. In Betracht kommen der zeitweise Ausschluß der Öffentlichkeit und strafbewehrte Schweigegebote (§ 64 Abs. 7, § 52 ArbGG, § 174 Abs. 3 GVG; vgl. BAGE 48, 284 = AP Nr. 16 zu § 16 BetrAVG).
IV. Das Landesarbeitsgericht wird über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.
Unterschriften
Dr. Peifer Ehrenamtlicher Richter Fischer ist verhindert, seine Unterschrift hinzuzufügen, weil er aus dem Richteramt ausgeschieden ist., Dr. Freitag, Dr. Armbrüster, Dr. Peifer, Gnade
Fundstellen