Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampf - Pflicht zur Beschäftigung arbeitswilliger Arbeitnehmer im bestreikten Betrieb
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen bestreikten Betrieb oder Betriebsteil soweit als möglich aufrechtzuerhalten. Er kann ihn für die Dauer des Streiks ganz stillegen mit der Folge, daß die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert werden und auch arbeitswillige Arbeitnehmer ihren Lohnanspruch verlieren (abweichend Urteil vom 14. Dezember 1993 - 1 AZR 550/93 = NZA 1994, 331).
2. Eine Notdienstvereinbarung, die an die Bedingung geknüpft ist, daß nur die in der Vereinbarung genannten Arbeitnehmer während eines Streiks beschäftigt werden, ist nicht zu beanstanden (abweichend Urteil vom 14. Dezember 1993, aaO).
Normenkette
BGB §§ 293, 615; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.06.1993; Aktenzeichen 12 Sa 1573/92) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 01.09.1992; Aktenzeichen 6 Ca 2441/92) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Lohnzahlung für Tage eines Streiks, an denen der Kläger vergeblich seine Arbeitsleistung angeboten hatte.
Die beklagten Stadtwerke betreiben mit insgesamt 98 Bussen und 230 Fahrern den öffentlichen Personennahverkehr sowie den Schulbusverkehr für die Stadt R , ihre Alleingesellschafterin. Der Verkehrsbetrieb arbeitet mit Verlust. Für den Schulbusverkehr erhält die Beklagte ein Fahrgeld, das sich nach der Zahl der beförderten Schüler richtet, jedoch nicht kostendeckend ist. Im Schulbusverkehr werden vollzeitig sechs, in Stoßzeiten acht Fahrer eingesetzt. In der Regel werden die Schulbusse von denselben, fest zugeteilten Fahrern gefahren; im Bedarfsfall findet aber ein Austausch zwischen Fahrern des Schulbus- und des Linienbusverkehrs statt.
Nachdem die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst - Lohnrunde 1992 - gescheitert waren und sich ein Arbeitskampf abzeichnete, schloß die Beklagte am 24. April 1992 mit der Gewerkschaft ÖTV, Kreisverwaltung R , eine Notdienstvereinbarung. Nach deren § 6 sollte die Gewerkschaft an die Vereinbarung nicht mehr gebunden sein, wenn die Beklagte über die Notdienstleistungen hinaus Arbeitnehmer in den bestreikten Bereichen arbeiten ließ. Vom 28. bis 30. April und vom 2. bis 7. Mai 1992 wurden die Verkehrs- und Versorgungsbereiche der Beklagten bestreikt. Die Hauptverwaltung war nicht streikbetroffen. Der Linien- und Schulbusverkehr ruhte in dieser Zeit. Am ersten Streiktag waren die Ein- und Ausfahrten des Betriebsgeländes durch Busse blockiert, die die Streikenden dort abgestellt hatten.
Der nicht gewerkschaftlich organisierte Kläger wird seit dem 1. März 1961 als Busfahrer von der Beklagten beschäftigt. Seit ca. vier Jahren ist er im Schulbusdienst eingesetzt. Im Vorfeld des sich abzeichnenden Streiks hatte er in einem Gespräch mit dem Personalleiter der Beklagten seine Arbeitswilligkeit bekundet. Der Inhalt des Gesprächs ist streitig. Der Kläger erschien jedenfalls an allen Streiktagen pünktlich zum Dienstbeginn in Dienstkleidung auf dem Betriebsgelände und verblieb dort jeweils bis zum Dienstende. Auch mindestens elf andere Busfahrer waren arbeitswillig, darunter ein weiterer Schulbusfahrer. Die Busse standen während des Streiks technisch gewartet und vollgetankt auf dem Betriebshof.
Die Beklagte zahlte dem Kläger für die neun Streiktage kein Arbeitsentgelt. Mit seiner am 10. Juni 1992 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Zahlung des entsprechenden Betrages in Höhe von 1.460,25 DM brutto.
Der Kläger hat behauptet, der Personalleiter habe ihm erklärt, er müsse auch bei unterbleibendem Einsatz am Arbeitsplatz präsent sein und mit disziplinarischen Folgen rechnen, wenn er sich vor Dienstende entferne. Schon deshalb sei die Beklagte zur Lohnzahlung verpflichtet. Jedenfalls aber sei sein Einsatz als Schulbusfahrer trotz des Streiks möglich und zumutbar gewesen. Es hätten ausreichend einsatzbereite Busse und arbeitswillige Fahrer bereitgestanden, um zumindest den Schulbusverkehr aufrechtzuerhalten. Im übrigen hätte er auch vorübergehend mit Pförtnertätigkeiten oder als Cheffahrer eingesetzt werden können. Die Passivität der Beklagten müsse geradezu als Solidaritätsadresse an die Gewerkschaft gewertet werden. Die Beklagte habe sich nicht einmal vorher erkundigt, wer arbeitswillig sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.460,25 DM
brutto nebst 4 % Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat bestritten, daß ihr Personalleiter den Kläger verpflichtet habe, während der gesamten Dienstzeit präsent zu sein. Der Kläger hätte ohne weiteres nach Meldung seiner Arbeitsbereitschaft die Arbeitsstelle wieder verlassen können.
Die Aufrechterhaltung allein des Schulbusverkehrs sei ihr nicht zumutbar gewesen. Es sei nicht möglich gewesen, genügend arbeitswillige Fahrer zu finden. Eine nur teilweise Bedienung der Schulen hätte zu Unfrieden geführt. Ferner seien Störungen durch Kunden des Linienverkehrs zu erwarten gewesen; diese hätten versuchen können, mit Schulbussen zu fahren. Auch die erforderliche technische Wartung und Betankung sei nicht gewährleistet gewesen.
Sie sei nicht verpflichtet, durch den Einsatz arbeitswilliger Arbeitnehmer die mit der Gewerkschaft geschlossene Notdienstvereinbarung zu gefährden. Auch könne sie nicht verpflichtet werden, aus Anlaß eines Streiks Umorganisationen vorzunehmen. Wenn den Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes das Streikrecht eingeräumt werde, müßten für den Arbeitgeber die gleichen Spielregeln gelten wie in der Privatwirtschaft. Hierbei könne weder die Frage der Wettbewerbs- noch der Kostensituation von entscheidender Bedeutung sein. Ihr müsse ein Entscheidungsspielraum über die Frage der Fortführung einzelner Buslinien bleiben. Ihre vom Kläger gerügte "Passivität" habe allein auf der Arbeitsniederlegung der weit überwiegend streikbereiten Arbeitnehmer beruht.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr mit Ausnahme des Anspruchs für den ersten Streiktag stattgegeben. Mit der für beide Parteien zugelassenen, aber nur von der Beklagten eingelegten Revision verfolgt diese die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des die Klage abweisenden erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger kann nicht gemäß § 615 BGB i. Verb. mit § 293 BGB die Fortzahlung des Arbeitsentgelts für die Tage verlangen, an denen er nicht beschäftigt wurde. Die Beklagte ist durch die unterbliebene Beschäftigung nicht in Annahmeverzug geraten.
I. Der Kläger hat allerdings seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß tatsächlich angeboten. Er ist an allen Streiktagen nicht nur zu Beginn der Arbeitszeit am Arbeitsplatz erschienen, sondern sogar während der gesamten Schicht arbeitsbereit auf dem Betriebsgelände verblieben. Die Beklagte hat dennoch die angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen. Damit waren die formellen Voraussetzungen des Annahmeverzuges gegeben.
II. Die Beklagte war aber zur Annahme der Arbeitsleistung des Klägers nicht verpflichtet, weil die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag während des Streiks suspendiert waren. Ob der Beklagten die Beschäftigung des Klägers dennoch möglich und zumutbar gewesen wäre, ist unerheblich.
1. Das Landesarbeitsgericht hat seine abweichende Auffassung auf die Rechtsprechung des Senats zur Tragung des Arbeitskampfrisikos gestützt. Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das sogenannte Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko. Er muß den Lohn also auch dann zahlen, wenn er Arbeitnehmer ohne sein Verschulden aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann (Betriebsrisiko) oder wenn die Fortsetzung des Betriebes etwa wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos wird (Wirtschaftsrisiko). Diese Risikoverteilung gilt (als Arbeitskampfrisiko) eingeschränkt auch bei Störungen, die in einem nicht bestreikten Betrieb auftreten und auf den Fernwirkungen eines Arbeitskampfs in einem anderen Betrieb beruhen. Hier muß der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer, die er nicht beschäftigt, nur dann und insoweit Lohn zahlen, als die Fortsetzung des Betriebes oder Betriebsteils möglich und wirtschaftlich zumutbar wäre. Ist das nicht der Fall, tragen die betroffenen Arbeitnehmer das Lohnrisiko. Das bedeutet für sie - und zwar auch für die nichtorganisierten -, daß sie ihre Vergütungsansprüche für die Dauer der arbeitskampfbedingten Störung verlieren (vgl. insbesondere Senatsbeschlüsse vom 22. Dezember 1980 - 1 ABR 2/79 und 1 ABR 76/79 - BAGE 34, 331 und 355 = AP Nr. 70 und Nr. 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; Colneric in Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 600 ff.; Löwisch/Bittner in Löwisch (Hrsg.), Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht, Rz 592 ff.; MünchArbR/Boewer, § 77 Rz 29 ff.; MünchArbR/Otto, § 283 Rz 39 ff. - alle m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht folgerichtig geprüft, ob und inwieweit der bestreikte Verkehrsbetrieb aufrechtzuerhalten gewesen wäre, wenn die Beklagte in zumutbarer Weise organisatorische Maßnahmen getroffen hätte, um die Streikfolgen so weit als möglich zu mindern. Es hat sich eingehend mit den betrieblichen Gegebenheiten befaßt und diese im Hinblick auf zumutbare Gestaltungsmöglichkeiten gewürdigt. Seine Feststellungen und Wertungen werden von der Beklagten mit detaillierten Rügen angegriffen. Eine revisionsgerichtliche Überprüfung erübrigt sich jedoch, weil es auf sie nicht ankommt.
2. Im Streitfall geht es nicht um eine Betriebsstörung infolge von Fernwirkungen eines in einem anderen Betrieb oder Betriebsteil geführten Arbeitskampfs. Der Betrieb der Beklagten war vielmehr unmittelbar kampfbetroffen. Der von der Gewerkschaft ausgerufene Streik richtete sich gegen den Verkehrs- und Versorgungsbereich der Beklagten. Gerade der Betrieb, in dem der Kläger eingesetzt war, sollte zum Stillstand gebracht werden.
Der Senat hat allerdings - wie auch das Landesarbeitsgericht - in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 1993 (- 1 AZR 550/93 - zur Veröffentlichung vorgesehen) angenommen, die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos bei mittelbaren Auswirkungen von Arbeitskämpfen seien auch dann anzuwenden, wenn Betriebsstörungen die Folge eines Streiks seien, der sich unmittelbar gegen den Betrieb oder Betriebsteil selbst richtet. Andernfalls würde dem unmittelbar kampfbetroffenen Arbeitgeber nicht nur das Risiko des Produktionsstillstands durch den gegen ihn gerichteten Streik, sondern zusätzlich das Risiko aufgebürdet, Lohn an diejenigen Arbeitnehmer zahlen zu müssen, die sich nicht am Streik beteiligen wollten, aber wegen der Streikauswirkungen nicht beschäftigt würden. Dadurch würde das Kräftegleichgewicht der kampfführenden Parteien gestört (Senatsurteil vom 14. Dezember 1993, aaO, zu I 2 der Gründe). An dieser Auffassung hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht fest.
3. Die Grundsätze des Arbeitskampfrisikos sind nicht anwendbar, wenn in dem bestreikten Betrieb oder Betriebsteil selbst arbeitswillige Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung anbieten. Dem bestreikten Arbeitgeber steht es vielmehr frei, wie er auf die kampfbedingte Lage reagieren will. Er kann den unmittelbar kampfbetroffenen Betrieb oder Betriebsteil während des Streiks stillegen und damit seine Beschäftigungs- und Lohnzahlungspflicht auch gegenüber arbeitswilligen Arbeitnehmern suspendieren.
a) Der Streik als das primäre Kampfmittel der Gewerkschaften besteht in der gemeinsamen Arbeitsniederlegung einer Mehrzahl von Arbeitnehmern. Dabei ist gerade das kollektive Erscheinungsbild prägend für die Beurteilung als Maßnahme des Arbeitskampfs. Ziel des Streiks ist die gemeinschaftliche Ausübung von Druck auf die Arbeitgeber des Tarifgebiets, deren Verhandlungsbereitschaft beeinflußt werden soll. Diesen Druck versucht die Arbeitnehmerseite zu erreichen, indem sie den bestreikten Arbeitgebern die benötigte Arbeitskraft entzieht in der Absicht, sie vorübergehend an der Weiterführung des Betriebes zu hindern und ihnen damit wirtschaftliche Nachteile zuzufügen.
Während der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik sind die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen suspendiert. Die Arbeitnehmer sind nicht zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet, verlieren aber gleichzeitig den Lohnanspruch. Liegt ein entsprechender gewerkschaftlicher Streikbeschluß vor, können sich an dem Streik nach ganz herrschender Auffassung alle angesprochenen Arbeitnehmer beteiligen - also nicht nur die in der streikführenden Gewerkschaft organisierten, sondern auch die nichtorganisierten und die andersorganisierten Arbeitnehmer (vgl. nur BAG, Großer Senat, Beschluß vom 21. April 1971 - GS 1/68 - BAGE 23, 292, 310 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III B 3 der Gründe; BAG, Großer Senat, Beschluß vom 29. November 1967 - GS 1/67 - BAGE 20, 175, 195 = AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, zu IV 5 der Gründe; Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 289; Däubler in: Däubler (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 108 und Rz 130; Löwisch/Rieble, aaO, Rz 320 - 323; MünchArbR/Otto, § 278 Rz 58, alle m.w.N.). Das entspricht der sozialen Wirklichkeit und der kollektiven Interessenlage. Das Ergebnis eines Arbeitskampfs kommt zumindest faktisch auch den sogenannten "Außenseitern" zugute, die also gleichfalls um ihre Arbeitsbedingungen kämpfen, soweit sie dem Streikbeschluß folgen und die Arbeit niederlegen.
b) Vor diesem Hintergrund bestimmen sich die Möglichkeiten des Arbeitgebers, auf einen ihn unmittelbar betreffenden Streik zu reagieren. Er kann versuchen, das mit dem Streik verfolgte Ziel der zeitweiligen Stillegung seines Betriebes bzw. des bestreikten Betriebsteils zu unterlaufen, indem er mit Hilfe arbeitswilliger (u.U. auch neueingestellter) Arbeitnehmer nach entsprechender Umorganisation den Betrieb wenigstens teilweise aufrechterhält (zur Zulässigkeit finanzieller Anreize zum sog. Streikbruch vgl. zuletzt Senatsurteil vom 13. Juli 1993 - 1 AZR 676/92 - AP Nr. 127 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Dies wird häufig seinem Interesse entsprechen, da die eingeschränkte Fortführung des Betriebes in der Regel wirtschaftlich sinnvoller und mit geringeren Verlusten verbunden ist als die vorübergehend gänzliche Einstellung.
Das Arbeitskampfrecht kennt aber andererseits keine Pflicht zur aktiven Abwehr von Kampfmaßnahmen. Der Arbeitgeber ist deshalb nicht gehindert, sich den gegen ihn gerichteten Streikmaßnahmen zu beugen und den bestreikten Betrieb oder Betriebsteil stillzulegen. Das gilt auch dann, wenn ihm die teilweise Aufrechterhaltung technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar wäre. Mit der Stillegung im Umfang des gewerkschaftlichen Streikbeschlusses vollzieht er nur das, was die kampfführende Arbeitnehmerseite anstrebt: die vollständige Arbeitsniederlegung durch alle Arbeitnehmer des Betriebes - organisierte wie anders- und nichtorganisierte. Darin kann keine Verschiebung der Kampfgewichte liegen, weil - anders als bei Aussperrungen oder bei mittelbaren Kampffolgen - das Kampfgebiet nicht erweitert wird.
c) Eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur teilweisen Aufrechterhaltung des bestreikten Betriebes oder Betriebsteils im Rahmen des Zumutbaren und Möglichen folgt nicht aus der den arbeitswilligen Arbeitnehmern gegenüber bestehenden arbeitsvertraglichen Beschäftigungspflicht. Richtig ist, daß die Teilnahme des einzelnen Arbeitnehmers am Streik und die damit verbundene Suspendierung der Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis erst mit einer entsprechenden Erklärung des Arbeitnehmers eintritt (ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt Senatsurteile vom 15. Januar 1991 - 1 AZR 178/90 - und vom 7. April 1992 - 1 AZR 377/91 - AP Nr. 114 und Nr. 122 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Eine solche Erklärung liegt bei den arbeitswilligen Arbeitnehmern gerade nicht vor. Sie ist aber im Laufe des Arbeitskampfs noch jederzeit möglich. Der Arbeitgeber kann keineswegs fest mit unverändert fortdauernder Arbeitsbereitschaft und uneingeschränkter Erfüllung der Arbeitspflicht rechnen. Er muß deshalb seinerseits die Möglichkeit haben, seine arbeitsvertraglichen Pflichten der arbeitskampfrechtlichen Lage anzupassen. Das geschieht durch seine Erklärung, den bestreikten Betrieb oder Betriebsteil nicht aufrechterhalten zu wollen und die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer für die Dauer des Arbeitskampfs zu suspendieren. (Die Wirksamkeit der Suspendierung hinsichtlich einzelner Arbeitnehmer kann allerdings entfallen, wenn der Arbeitgeber diese dann doch während des Streiks zu Arbeitsleistungen heranzieht; vgl. die Fallgestaltung des Urteils vom 14. Dezember 1993 - 1 AZR 550/93 -.)
Diese vertragsrechtliche Wirkung entspricht dem kollektiven Charakter des Streikgeschehens. Wie dargelegt, berechtigt der gewerkschaftliche Streikbeschluß alle Arbeitnehmer des bestreikten Betriebes - organisierte wie anders- und nichtorganisierte -, sich am Arbeitskampf zu beteiligen. Wird den Außenseitern - um die es sich bei den arbeitswilligen Arbeitnehmern in der Regel handelt - einerseits das Recht zur Teilnahme am Streik eingeräumt, rechtfertigt es dies andererseits, sie auch mit den Streikfolgen zu belasten, wie sie in der gleichen Weise auch bei Fernwirkungen von Arbeitskämpfen und bei Aussperrungen entstehen. Die Belastung der Außenseiter durch ihre Einbeziehung in das Arbeitskampfgeschehen wird nach weit überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum durch die Vorteile aufgewogen, die sich mittelbar auch für sie durch eine effiziente Tarifpraxis und Erfolge der gewerkschaftlichen Tarifpolitik ergeben. Eine unzulässige Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit liegt darin nicht (BAGE 23, 292, 310 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu III B 3 der Gründe, m.w.N.; MünchArbR/Löwisch, § 238 Rz 52 ff.; MünchArbR/Otto, § 278 Rz 58 f.; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, 1975, S. 343 ff.; zum Sonderproblem der fehlenden Streikunterstützung durch die kampfführende Gewerkschaft vgl. BAGE 33, 195, 205 = AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A II 2 der Gründe).
4. Ist der Arbeitgeber demnach in seiner Entscheidung frei, den bestreikten Betrieb oder Betriebsteil während der Dauer des Streiks ganz einzustellen und die Arbeitsverhältnisse auch der arbeitswilligen Arbeitnehmer zu suspendieren, so bestehen keine Bedenken gegen den Abschluß einer Notdienstvereinbarung, in der der Arbeitgeber der Gewerkschaft zusichert, andere als die in der Vereinbarung benannten Arbeitnehmer während des Streiks nicht zu beschäftigen (vgl. zum Begriff der Notdienstvereinbarung im einzelnen Senatsurteil vom 14. Dezember 1993 - 1 AZR 550/93 -, zu I 4 b bb der Gründe, m.w.N.). Hierin liegt kein unzulässiger Vertrag zu Lasten arbeitswilliger Außenseiter, weil diese während des Streiks keinen Anspruch auf Beschäftigung haben, selbst wenn und soweit ihr Einsatz technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar wäre. Die Notdienstvereinbarung greift also nicht in bestehende Rechte ein (anders noch Senatsurteil vom 14. Dezember 1993, aaO).
III. Die Beklagte hat danach mit der Entscheidung, den bestreikten Busbetrieb während des Streiks einzustellen, ihre Beschäftigungspflicht suspendiert. Der Kläger konnte sie durch sein Arbeitsangebot nicht in Annahmeverzug versetzen. Ob das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat, daß die Aufrechterhaltung des Schulbusbetriebes möglich und zumutbar gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung.
Auf die Revision der Beklagten war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das die Klage - wenn auch mit anderer Begründung - insgesamt abweisende erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Dr. Dieterich Schliemann Dr. Rost
K.H. Janzen Dr. Giese
Fundstellen
BAGE 00, 00 |
BAGE, 196 |
BB 1994, 2148 |
BB 1994, 715 |
BB 1995, 410 |
BB 1995, 410-411 (LT1-2) |
DB 1995, 100-101 (LT1-2) |
NJW 1995, 477 |
NJW 1995, 477-478 (LT) |
BuW 1994, 804 (T) |
EBE/BAG 1994, 165-167 (LT1-2) |
AiB 1995, 134-135 (LT1-2) |
WiB 1995, 209 (LT) |
ARST 1995, 15-18 (LT1-2) |
JR 1995, 88 |
JR 1995, 88 (L) |
NZA 1994, 1097 |
NZA 1994, 1097-1099 (LT1-2) |
SAE 1995, 254-257 (LT1-2) |
VersorgW 1995, 143 (K) |
ZAP, EN-Nr 374/94 (S) |
ZTR 1994, 512-513 (LT1-2) |
AP, Arbeitskampf (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 170.2 Nr 39 (LT1-2) |
ArbuR 1995, 36-38 (LT1-2) |
AuA 1995, 143-144 (LT1-2) |
EzA-SD 1994, Nr 22, 14-16 (LT1-2) |
EzA, Arbeitskampf Nr 115 (LT1-2) |
EzA, Arbeitskampf Nr 119 (LT1-2) |
EzBAT § 8 BAT Arbeitskampf, Nr 35 (LT1) |
MDR 1995, 181-182 (LT) |
PersF 1994, 764 (T) |
PersV 1994, 557 (L) |