Entscheidungsstichwort (Thema)
Überstunden und Ruhegeldberechnung
Orientierungssatz
1. Von regelmäßigen Überstunden und in deren Folge regelmäßigen Bezügen ist nach Wortsinn und Rechtssprache dann auszugehen, wenn sie in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum in wiederkehrender Weise angefallen sind und wenn sie auch in Zukunft zu erwarten sind. "Fallweise" geleistete Überstunden sind dagegen dann anzunehmen, wenn sie auf einem gelegentlich auftretenden, nicht voraussehbaren Arbeitsbedarf beruhen.
2. Der Annahme regelmäßiger Überstunden steht nicht entgegen, daß die Zahl der monatlich zu leistenden Überstunden nicht ständig gleich hoch ist und die Mehrarbeit nicht in den gleichen Abständen angefordert wird, also eine bestimmte Ordnung nicht besteht.
3. Die fehlerhafte Auslegung und Handhabung einer Versorgungsordnung begründet keine betriebliche Übung zum Nachteil der Arbeitnehmer.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242; BetrAVG § 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 21.04.1986; Aktenzeichen 6 Sa 1103/85) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 02.08.1985; Aktenzeichen 12 Ca 5688/85) |
Tatbestand
Der im Jahre 1925 geborene Kläger war vom 1. September 1962 bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand am 30. Juni 1984 als Maschinenmeister in der Energieabteilung der Beklagten beschäftigt. Diese gewährt seit 1951 Ruhegelder nach vertraglichen Einheitsrichtlinien. Die Versorgung des Klägers richtet sich nach Richtlinien für die betriebliche Altersversorgung für Arbeiter und Angestellte vom 6. Mai 1968. Gewährt werden Erwerbsunfähigkeitsrenten, Altersrenten, Witwen- und Waisenrenten nach einer Wartezeit von zehn Jahren. Die Höhe der Rente hängt ab von der anrechnungsfähigen Dienstzeit und dem anrechnungsfähigen Gehalt. Wegen des zu berücksichtigenden Gehaltes heißt es in Abschnitt VIII für Angestellte:
"Die Erwerbsunfähigkeits- und Altersrente beträgt
bei Ablauf der Wartezeit monatlich 15 % des letzten
Grundgehalts und steigt für jedes nach Erfüllung
der Wartezeit im Unternehmen abgeleistete
anrechnungsfähige Dienstjahr um monatlich 1 %
des letzten Grundgehalts. Zum Grundgehalt rechnen
auch die darüber hinausgehenden, regelmäßigen monatlichen
Bezüge; jedoch nicht fallweise bezahlte
Überstunden, Sondervergütungen, Abschlußvergütungen,
Weihnachtsvergütungen und ähnliche nicht regelmäßige
Bezüge."
Während der Dauer seiner Beschäftigung leistete der Kläger in erheblichem Umfang Überstunden. Diese ließ die Beklagte bei der Berechnung der Betriebsrente außer acht. Vielmehr ging sie davon aus, daß nach 22jähriger Dienstzeit die Betriebsrente 27 % vom Grundgehalt des Klägers in Höhe von 4.589,-- DM betrage. Den sich hiernach ergebenden Betrag von 1.239,03 DM kürzte sie auf 772,35 DM, da die Rente zusammen mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach der in den Richtlinien vorgegebenen Obergrenze in Höhe von 2.210,50 DM 65 % des berücksichtigten Einkommens nicht übersteigen darf.
Der Kläger hat die Rechtsauffassung vertreten, daß die Beklagte bei der Errechnung seiner Betriebsrente auch die von ihm geleisteten Überstunden berücksichtigen müsse. Hierzu hat er behauptet: Er habe während seines Arbeitsverhältnisses 5.152 Überstunden geleistet und hierfür 104.187,58 DM als Vergütung bezogen. Von Juli 1983 bis zum Juni 1984 habe er 194 Überstunden zu einer Stundenvergütung von 26,53 DM (= 5.146,82 : 12 = 424,48 (richtig 428,90)) erbracht, so daß sich sein Grundgehalt auf 5.013,48 DM (richtig 5.017,90 DM) belaufe. Lediglich im Juli und Dezember 1983 seien keine Überstunden abgerechnet worden. Gleichwohl habe er Überstunden geleistet; diese habe er jedoch im Einverständnis seiner Vorgesetzten abgefeiert. Die hohe Zahl seiner Überstunden erkläre sich daraus, daß er für die Energieversorgung der Beklagten verantwortlich gewesen sei und praktisch Tag und Nacht habe zur Verfügung stehen müssen. Bei Betriebsstörungen sei er benachrichtigt und von zu Hause abgeholt worden. Ihrem ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden habe die Beklagte erklärt, sie werde die Abgrenzung regelmäßiger Bezüge von fallweise bezogenen Überstunden großzügig vornehmen. Tatsächlich seien auch bei der Versorgungsberechnung zweier Arbeitskollegen die Überstunden berücksichtigt worden. Geschehe das auch bei ihm, ergebe sich ein Rentenanspruch, der monatlich 275,26 DM höher sei.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn über die
von der Beklagten bewilligte Werksrente von
773,-- DM hinaus 275,26 DM, insgesamt 1.048,26
DM monatlich ab 1. Juli 1985 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, sie ermittele aufgrund langjähriger betrieblicher Übung das maßgebliche Grundgehalt aus den im letzten Jahr angefallenen Bezügen, soweit sie in jedem Monat angefallen seien. Dem Kläger sei jedoch in den Monaten Juli und August 1983 sowie Januar 1984 keine Mehrarbeit abgerechnet worden, weil er jeweils in den Vormonaten keine Überstunden geleistet habe. Geleistete Überstunden seien in Abrechnungsbögen einzutragen. Das habe der Kläger aber nicht getan. Tatsächlich habe der Kläger im letzten Jahr seiner Beschäftigung im Monatsdurchschnitt lediglich 12,17 Überstunden erbracht. Soweit sie bei den Arbeitnehmern N und H Überstunden berücksichtigt habe, verkenne der Kläger, daß N Arbeiter gewesen sei. Für die Berechnung der Betriebsrente bei Arbeitern würden andere Grundsätze gelten. H sei bereits im Jahre 1963 ausgeschieden. Er habe auch im maßgeblichen Zeitraum monatlich Überstunden geleistet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Beklagte muß die vom Kläger geleisteten Überstunden bei der Ruhegeldberechnung berücksichtigen. Insoweit wird das Landesarbeitsgericht noch die notwendigen Feststellungen zur Berechnung zu treffen haben.
I. Die Überstundenvergütung des Klägers gehört zu seinen regelmäßigen monatlichen Bezügen.
1. Die Beklagte hat dem Kläger im Wege der Gesamtzusage eine betriebliche Altersversorgung eingeräumt. Die Höhe des Betriebsrentenanspruchs ergibt sich aus der zurückgelegten Dienstzeit und dem zu berücksichtigenden Entgelt. Dabei dürfen die errechneten Betriebsrenten zusammen mit der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bestimmte Obergrenzen nicht überschreiten. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und vom Landesarbeitsgericht unangegriffen festgestellt.
2. Die Parteien streiten allein darüber, ob die Überstundenvergütung zum "Grundgehalt" zu rechnen ist; das hängt davon ab, ob sie monatliche Bezüge darstellen oder nur fallweise bezahlte Überstunden.
a) Nach dem Wortsinn bedeutet "regelmäßig", daß sich ein Ereignis nach einer bestimmten Ordnung wiederholt, die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, herausgegeben von Drosdowski, 1983, Stichwort Regel, S. 1015; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1968, Stichwort Regel, Spalte 2885). Entsprechend diesem Wortsinn wird der Begriff "regelmäßig" oder "in der Regel" auch in der Rechtssprache verwandt. Beide Begriffe kommen häufig vor (vgl. z.B. § 17 Abs. 1, § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG, § 9 Satz 1, § 111 Satz 1 BetrVG). In allen Fällen nimmt die Rechtsprechung die regelmäßige Wiederkehr eines Ereignisses an, wenn es in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum eingetreten ist und auch in Zukunft zu erwarten ist (vgl. BAGE 42, 1 = AP Nr. 7 zu § 113 BetrVG 1972, zu II 1 der Gründe; 28, 203, 211 = AP Nr. 1 zu § 8 BetrVG 1972, zu III 3 c der Gründe; Urteil vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 209/86 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Von regelmäßigen Überstunden und in deren Folge regelmäßigen Bezügen ist nach Wortsinn und Rechtssprache dann auszugehen, wenn sie in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum angefallen sind und wenn sie auch in Zukunft zu erwarten sind. "Fallweise" geleistete Überstunden sind dagegen dann anzunehmen, wenn sie auf einem gelegentlich auftretenden, nicht voraussehbaren Arbeitsbedarf beruhen. Für den Kläger fielen Arbeitsstunden regelmäßig an. Er wurde nicht nur gelegentlich herangezogen, um Betriebsstörungen zu beseitigen, sondern er mußte ständig bereitstehen, um den fortlaufend auftretenden Arbeitsbedarf auszugleichen.
b) Der Annahme regelmäßiger Überstunden steht nicht entgegen, daß die Zahl der monatlich zu leistenden Überstunden nicht ständig gleich hoch war und die Mehrarbeit des Klägers nicht in den gleichen Abständen angefordert wurde, also eine bestimmte Ordnung nicht bestand. Dies folgt aus dem Zweck der in der Ruhegeldordnung der Beklagten aufgestellten Berechnungsvorschrift: Das von der Beklagten an Angestellte gezahlte Ruhegeld hängt ab von der versorgungsfähigen Zeit und dem ruhegehaltsfähigen Entgelt. Es darf zusammen mit der gesetzlichen Sozialversicherungsrente einen bestimmten Prozentsatz des Grundgehalts, zu dem alle regelmäßigen Bezüge rechnen, nicht übersteigen. Hieraus ergibt sich, daß die Beklagte ihren Ruheständlern einen Lebensstandard sichern wollte, den sie nach dem Verlauf ihres Arbeitsverhältnisses erreicht hatten und auf deren Fortbestand sie vertrauen durften. Regelmäßige Einkünfte sind demnach solche, die in der Vergangenheit in wiederkehrender Folge anfielen und auf deren weiteren Bezug der Arbeitnehmer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vertrauen durfte.
Der Kläger durfte darauf vertrauen, bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses regelmäßig nicht unerhebliche Einkünfte aus der Ableistung von Überstunden zu erzielen. Er leistete nicht nur während des letzten Jahres seiner Beschäftigung, sondern ausweislich der zu den Akten gereichten Listen während der gesamten Dauer seines Arbeitsverhältnisses ständig Überstunden. Er konnte und mußte damit rechnen, daß er im Rahmen der Energieversorgung der Beklagten bei Störungen zu Überstunden herangezogen werden würde.
c) Zu den regelmäßigen monatlichen Bezügen zählen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur diejenigen Bezüge, die in jedem Monat abgerechnet werden. Den regelmäßigen monatlichen Bezügen werden nach der Berechnungsvorschrift der Versorgungsordnung gegenübergestellt "fallweise bezahlte" Überstunden sowie zumeist nur jährlich anfallende Sondervergütungen wie Abschluß- und Weihnachtsgratifikationen. Fallweise bezahlte Überstunden können in langfristigen Zeiträumen auftreten, aber auch bei vorübergehendem Arbeitsanfall, etwa bei Erkrankung und Urlaub, wenn die Anstellung von Aushilfskräften nicht geboten ist. Mithin kommt dem Merkmal "monatlich" allein die Bedeutung zu, daß nur solche Bezüge zur Ruhegeldberechnung herangezogen werden sollen, die monatlich, also zusammen mit der Monatsvergütung ausgezahlt werden.
3. Die Beklagte vermag sich auch nicht darauf zu berufen, daß sich bei ihr eine betriebliche Übung dahin entwickelt habe, nach der Überstundenentgelt nur dann dem Grundgehalt zugerechnet wird, wenn es monatlich anfällt und abgerechnet wird. Dies mag eine Form regelmäßiger Überstunden sein. Eine solche Beschränkung des Begriffs der regelmäßigen monatlichen Bezüge müßte sich aber deutlich aus der Versorgungsordnung ergeben. Wenn die Beklagte in der Vergangenheit ihre Versorgungsordnung so gehandhabt hat, wie sie vorträgt, hat sie sie fehlerhaft ausgelegt. Die fehlerhafte Auslegung und Handhabung einer Versorgungsordnung begründet aber keine betriebliche Übung zum Nachteil der Arbeitnehmer. Von einer betrieblichen Übung ist nur dann auszugehen, wenn der Arbeitgeber durch ein ständig gleichbleibendes Verhalten eine rechtlich verbindliche Regelung für die Zukunft übernehmen will (BAGE 40, 126, 133 = AP Nr. 1 zu § 3 TV Arb Bundespost, zu III 1 der Gründe; 39, 271, 275 f. = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 29. November 1983 - 3 AZR 491/81 -, AP Nr. 15, aa0, zu II 2 a der Gründe). Die Beklagte hat aber durch eine bestimmte Handhabung ihrer Versorgungsordnung keine Rechtspflicht übernehmen wollen, sondern allein ihre Versorgungsordnung vollzogen.
II. Das Landesarbeitsgericht wird unter Anwendung vorstehender Rechtsgrundsätze die Versorgungsbezüge des Klägers zu berechnen haben. Dabei kann es von einer Durchschnittsberechnung für das letzte Jahr ausgehen. Aufklärungsbedürftig ist, wieviel Überstunden angefallen und abgerechnet worden sind. Insoweit fehlt es noch an notwendigen Feststellungen. Dies macht die Aufhebung und Zurückverweisung notwendig.
Schaub Griebeling Schliemann
Zieglwalner Matthiessen
Fundstellen