Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsgeld im öffentlichen Dienst nach Erziehungsurlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

Angestellte im öffentlichen Dienst, die ihre Arbeit nach Beendigung des Erziehungsurlaubs nicht beim bisherigen, sondern bei einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes wieder aufnehmen, haben gegen den bisherigen Arbeitgeber keinen Anspruch auf das tarifliche Urlaubsgeld.

 

Orientierungssatz

Auslegung des Tarifvertrages über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16.3.1977 in der Fassung des 5. Änderungstarifvertrages vom 9.1.1987.

 

Normenkette

TVG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 05.07.1991; Aktenzeichen 8 Sa 1253/90)

ArbG Verden (Aller) (Entscheidung vom 17.07.1990; Aktenzeichen 2 Ca 462/90)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über ein tarifliches Urlaubsgeld.

Die Klägerin war bei der beklagten Stadt seit dem 1. Januar 1986 im Städtischen Krankenhaus als Krankenschwester beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien war aufgrund beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16. März 1977 i.d.F. des 5. Änderungstarifvertrages vom 9. Januar 1987 (UrlG-TV) anzuwenden. In dessen § 1 Abs. 1 ist unter der Überschrift Anspruchsvoraussetzungen bestimmt:

"(1) Der Angestellte erhält in jedem Kalen-

derjahr ein Urlaubsgeld, wenn er

1. am 1. Juli im Arbeitsverhältnis steht

und

2. seit dem 1. Juli des Vorjahres ununter-

brochen als Angestellter, Arbeiter, Be-

amter, Richter, Soldat auf zeit, Berufs-

soldat, Arzt im Praktikum, Auszubilden-

der, Praktikant, Schülerin/Schüler in

der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege

oder Krankenpflegehilfe oder Hebammen-

schülerin/Schüler in der Entbindungs-

pflege im öffentlichen Dienst gestanden

und

3. mindestens für einen Teil des Monats

Juli Anspruch auf Vergütung, Urlaubsver-

gütung oder Krankenbezüge hat.

Ist die Voraussetzung des Unterabsatzes

1 Nr. 3 nur wegen Ablaufs der Bezugsfri-

sten für die Krankenbezüge, wegen des

Bezugs von Mutterschaftsgeld oder wegen

der Inanspruchnahme des Erziehungsur-

laubs nach dem Bundeserziehungsgeldge-

setz nicht erfüllt, genügt es, wenn ein

Anspruch auf Bezüge für mindestens drei

volle Kalendermonate des ersten Kalen-

derhalbjahres bestanden hat.

Ist nur wegen des Bezugs von Mutter-

schaftsgeld oder wegen der Inanspruch-

nahme des Erziehungsurlaubs nach dem

Bundeserziehungsgeldgesetz auch die Vor-

aussetzung des Unterabsatzes 2 nicht er-

füllt, ist dies unschädlich, wenn die

Arbeit in unmittelbarem Anschluß an den

Ablauf der Schutzfristen bzw. an den Er-

ziehungsurlaub - oder lediglich wegen

Arbeitsunfähigkeit oder Erholungsurlaub

später als am ersten Arbeitstag nach Ab-

lauf der Schutzfristen bzw. des Erzie-

hungsurlaubs - in diesem Kalenderjahr

wieder aufgenommen wird.

(2) Der Saisonangestellte erhält Urlaubsgeld,

wenn er die Voraussetzungen des Abs. 1 Un-

terabs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 i. V. m. Unter-

abs. 2 und 3 erfüllt und in den beiden vor-

angegangenen Kalenderjahren mindestens je

neun Monate bei demselben Arbeitgeber be-

schäftigt gewesen ist."

Die Klägerin befand sich in der Zeit vom 25. November 1988 bis zum 24. November 1989 im Erziehungsurlaub. Mit dessen Ablauf endete das Arbeitsverhältnis der Parteien. Seither arbeitet die Klägerin in einem Bremer Krankenhaus. Mit Schreiben vom 7. August 1989 und 4. Dezember 1989 verlangte sie von der Beklagten vergeblich Zahlung des tariflichen Urlaubsgeldes in Höhe von 450,-- DM. Sie hat ebenso wie die auf ihrer Seite dem Rechtsstreit beigetretene Stadt Bremen gemeint, sie habe mit der Wiederaufnahme der Arbeit bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes die tarifliche Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Unterabs. 3 UrlG-TV erfüllt.

Die Klägerin und die Streithelferin haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin

450,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Dezember

1989 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Ziel weiter, während die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Urlaubsgeld nach § 1 Abs. 1 Urlaubsgeld-TV, weil nicht alle Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind.

1. Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen der Nrn. 1 und 2 des § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Urlaubsgeld-TV, nicht aber die Voraussetzung der Nr. 3. Denn sie hatte für den Monat Juli 1989 keinen Anspruch auf Vergütung, Urlaubsvergütung oder Krankenbezüge.

2. Die Klägerin erfüllt auch nicht die in § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 Urlaubsgeld-TV genannte erste Ausnahmebedingung. Sie hatte 1989 keinen Anspruch auf Bezüge für mindestens drei volle Kalendermonate im ersten Kalenderhalbjahr.

3. Die Klägerin hat i. S. des § 1 Abs. 1 Unterabs. 3 Urlaubsgeld-TV die Arbeit nicht wieder aufgenommen. Diese Vorschrift setzt die Wiederaufnahme bei dem bisherigen Arbeitgeber voraus.

a) Der für die Tarifauslegung in erster Linie maßgebliche Wortlaut ist nicht eindeutig. Unter Wiederaufnahme kann die Aufnahme der Arbeit am früheren Arbeitsplatz, aber auch die Aufnahme der Arbeit überhaupt verstanden werden.

b) Die Tarifnormen lassen den Willen der Tarifvertragsparteien erkennen, daß eine Arbeitsaufnahme bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes für den Anspruch auf Gewährung des Urlaubsgeldes nicht genügt. Der Wechsel des öffentlichen Arbeitgebers ist als Anspruchsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Urlaubsgeld-TV berücksichtigt. Danach ist der Wechsel von einem zu einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im letzten Zeitjahr unschädlich. Der Arbeitnehmer muß nur während dieser Zeit überhaupt im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen sein. Eine entsprechende Regelung fehlt in § 1 Abs. 1 Unterabs. 3 Urlaubsgeld-TV. Hätten die Tarifvertragsparteien auch den Wechsel bei der Wiederaufnahme ausreichen lassen wollen, hätte es nahe gelegen, eine solche Regelung aufzunehmen. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die drei Leistungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 1 - 3 Urlaubsgeld-TV sich auf das am 1. Juli bestehende Arbeitsverhältnis beziehen. In § 1 Unterabs. 2 und 3 Urlaubsgeld-TV sind lediglich abgestufte Ausnahmebedingungen zu den in § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 3 genannten Voraussetzungen bestimmt. Zu bedenken ist ferner, daß auch in anderen Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes, nach denen der Erhalt von Ansprüchen bei einem Wechsel des Arbeitgebers vorgesehen ist, - vgl. z. B. der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 und der Tarifvertrag über eine Zuwendung für Arbeiter vom 12. Oktober 1973 -, dies ausdrücklich geregelt ist. Wenn die Tarifvertragsparteien beim Urlaubsgeld eine solche Rechtsfolge gewünscht hätten, wäre dem durch die dort verwandte Formulierung zu entsprechen gewesen. Zu Unrecht beruft sich die Klägerin auf § 1 Abs. 2 Urlaubsgeld-TV und den dort verwandten Begriff "derselbe Arbeitgeber". Aus dem Fehlen des Begriffs in § 1 Abs. 1 Unterabs. 3 kann nicht geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten die Wiederaufnahme der Arbeit bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes genügen lassen wollen. § 1 Abs. 2 Urlaubsgeld-TV beschreibt einen Ausnahmetatbestand für Saisonangestellte zu § 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Nr. 2 Urlaubsgeld-TV. Für diesen Personenkreis soll die Beschäftigung bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes während des letzten Zeitjahres nicht genügen. Deshalb bedurfte es für diesen Sonderfall einer ausdrücklichen gegenteiligen Norm. Aus der Vorschrift können für die in § 1 Abs. 1 Urlaubsgeld-TV beschriebenen Regelfälle keine Schlüsse gezogen werden.

c) Die Auslegung der Tarifvorschriften nach teleologischen Gesichtspunkten gebietet kein der Klägerin günstiges Ergebnis. Die Klägerin meint zu Unrecht, das Urlaubsgeld werde auch deswegen gezahlt, weil das Arbeitsverhältnis in der Zukunft überhaupt festgesetzt werde. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beim bisherigen wie bei einem anderen öffentlichen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist für den Anspruch ohne Bedeutung. Mit dem Urlaubsgeld soll die Arbeit in der Vergangenheit entlohnt werden. Eine in die Zukunft gerichtete Bindungsklausel enthält der Tarifvertrag nicht. So besteht z. B. auch ein Anspruch, wenn der Arbeitnehmer noch im Juli aus dem öffentlichen Dienst ausscheidet. Das Tatbestandsmerkmal der Wiederaufnahme der Arbeit in § 1 Abs. 1 Unterabs. 3 Urlaubsgeld-TV hat keine zukunftsbezogene Bedeutung, sondern bezieht sich wie die übrigen Tatbestandsmerkmale auf die am 1. Juli bestehenden Umstände. Deshalb sind die Überlegungen der Klägerin zur Einheit des öffentlichen Dienstes ohne Bedeutung.

d) Der Gleichbehandlungsgrundsatz, dem die Tarifvertragsparteien verpflichtet sind, spricht schließlich ebenfalls nicht für einen Willen der Tarifvertragsparteien, aus dem bisherigen Arbeitsverhältnis ausscheidende Arbeitnehmer wie die Klägerin in den Kreis der Anspruchsberechtigten einzubeziehen. Die Tarifvertragsparteien durften die Arbeitnehmer von der Urlaubsgeldzahlung ausnehmen, die keine Bezüge im Laufe des Jahres erhalten haben und sich vom bisherigen Arbeitgeber abwenden (vgl. auch BAG Urteil vom 9. Juni 1988 - 8 AZR 55/86 - ZTR 1989, 154).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Leinemann Dr. Lipke Dörner

Dr. Engelmann Roeder

 

Fundstellen

BAGE 71, 135-139 (Leitsatz 1 und Gründe)

BAGE, 135

BB 1992, 2003

BB 1992, 2217

BB 1992, 2217-2218 (Leitsatz 1 und Gründe)

NZA 1993, 322

NZA 1993, 322-323 (Leitsatz 1 und Gründe)

RdA 1992, 408

USK, 9279 (red. Leitsatz und Gründe)

WiR 1992, 428 (red. Leitsatz)

WzS 1994, 171 (red. Leitsatz)

ZAP, EN-Nr 930/92 (red. Leitsatz)

ZTR 1993, 71-72 (Leitsatz 1 und Gründe)

AP § 11 BUrlG, Nr 7

AP, 0

ArztR 1993, 138 (Kurzwiedergabe)

EzA § 13 BUrlG, Nr 53 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzBAT, TV Urlaubsgeld Nr 4 (Leitsatz 1 und Gründe)

PersV 1994, 554 (Leitsatz)

ZfPR 1992, 178 (Leitsatz)

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